Urteil des VG Düsseldorf vom 12.01.2011

VG Düsseldorf (aufschiebende wirkung, antragsteller, teilnahme, wirkung, stadt, verwaltungsgericht, landrat, interesse, antrag, zeitpunkt)

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 6 L 2244/10
Datum:
12.01.2011
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
6. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
6 L 2244/10
Schlagworte:
Entbehrlichkeit erneuter Maßnahmen nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nrn. 1 und
2 StVG Erfüllung der Warnfunktion der zuvor erstmals ordnungsgemäß
angeordneten Maßnahmen
Normen:
==§ 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 § 4 Abs. 5 StVG
Leitsätze:
Erneute, nach dem Gesetz entbehrliche Maßnahmen nach § 4 Abs. 3
Satz 1 Nrn. 1 und 2 StVG berühren die Rechtmäßigkeit einer auf § 4
Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG gestützten Fahrerlaubnisentziehungsverfügung
nicht, wenn diese Maßnahmen zuvor bereits einmal ordnungsgemäß
ergriffen wurden.
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.
Der sinngemäße Antrag des Antragstellers,
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die aufschiebende Wirkung seiner Klage 6 K 8873/10 gegen die
Fahrerlaubnisentziehungsverfügung des Landrates des Antragsgegners vom 18.
November 2010 anzuordnen,
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hat keinen Erfolg.
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Nach § 80 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) haben Widerspruch und
Anfechtungsklage grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Diese entfällt gemäß § 80
Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO unter anderem dann, wenn ein Bundesgesetz dies
vorschreibt. Dies ist hier der Fall: Nach § 4 Abs. 7 Satz 2 Straßenverkehrsgesetz (StVG)
haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen eine auf § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG
gestützte Entziehung der Fahrerlaubnis keine aufschiebende Wirkung. Nach § 80 Abs. 5
VwGO kann das Gericht jedoch auf Antrag im Rahmen einer eigenen
Ermessensentscheidung die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen, wenn das
Interesse des Antragstellers an der beantragten Aussetzung der Vollziehung das
gesetzlich angeordnete öffentliche Interesse an der sofortigen Durchsetzbarkeit des
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Verwaltungsaktes überwiegt.
Diese Ermessensentscheidung muss vorliegend zu Ungunsten des Antragstellers
ausfallen. Denn beim gegenwärtigen Sachstand und der im Rahmen des Verfahrens
nach § 80 Abs. 5 VwGO allein gebotenen summarischen Prüfung liegen überwiegende
Anhaltspunkte dafür vor, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis durch
Ordnungsverfügung des Landrates des Antragsgegners vom 18. November 2010
rechtmäßig ist.
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Nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG wird die Ungeeignetheit zum Führen von
Kraftfahrzeugen unwiderlegbar vermutet, wenn nach dem in § 4 Abs. 1 und 2 StVG
normierten Punktsystem sich 18 oder mehr Punkte auf Grund von
Verkehrszuwiderhandlungen dieses Fahrerlaubnisinhabers ergeben. In einem solchen
Fall hat die Straßenverkehrsbehörde dem Fahrerlaubnisinhaber die Fahrerlaubnis zu
entziehen; ein Ermessen steht ihr dabei nicht zu.
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Der Antragsteller hat die Voraussetzungen des § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG erfüllt,
indem er infolge der von ihm zwischen dem 28. September 2005 und dem 20. Januar
2010 begangenen und noch nicht getilgten Verkehrsverstöße auf der Grundlage der
Anlage 13 zu § 40 Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) eine Gesamtpunktzahl von
mindestens 18 Punkten erreicht hat, ohne dass er gemäß § 4 Abs. 5 StVG so zu stellen
wäre, als hätte er weniger als 18 Punkte.
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Der Landrat des Antragsgegners hat bei einem ihm vom Kraftfahrtbundesamt
mitgeteilten Punktestand von zwölf Punkten aufgrund von vier von dem Antragsteller
zwischen dem 6. Mai 2004 und dem 15. Februar 2006 begangenen und rechtskräftig
geahndeten Verkehrsordnungswidrigkeiten den Antragsteller durch Schreiben vom
19. September 2006 nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG verwarnt und auf die Möglichkeit
einer Punktereduzierung durch die freiwillige Teilnahme an einem Aufbauseminar
hingewiesen.
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Nachdem der Antragsteller am 18. November 2006 und am 28. September 2007 zwei
weitere, jeweils mit einem Punkt zu bewertende und rechtskräftig geahndete
Verkehrsverstöße begangen hatte, die zu 14 Punkten im Verkehrszentralregister geführt
hatten, forderte der Landrat des Antragsgegners den Antragsteller durch
Ordnungsverfügung vom 20. Februar 2008 – einer erwachsenen Familienangehörigen
des Antragstellers im Sinne des § 178 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Zivilprozessordnung im Haus
Istr. 31 in N ausgehändigt am 29. Februar 2008 – gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StVG
auf, an einem Aufbauseminar teilzunehmen, ihm die Teilnahmebescheinigung bis
spätestens zum 20. Mai 2008 vorzulegen, wies ihn darauf hin, dass er die Möglichkeit
habe, freiwillig an einer verkehrspsychologischen Beratung teilzunehmen, wodurch er
einen Punkteabzug von zwei Punkten erhalten könne, und unterrichtete ihn darüber,
dass ihm bei Erreichen von 18 Punkten die Fahrerlaubnis entzogen werden müsse.
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Dass der Antragsteller vor dem Erlass der Anordnung vom 20. Februar 2008 am 10.
Januar 2008 bereits eine weitere, mit einem Punkt zu bewertende
Verkehrsordnungswidrigkeit begangen hatte, durch die in Anwendung des insoweit
zugrundezulegenden Tattagprinzips
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vgl. insoweit Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW),
Beschluss vom 9. Februar 2007 – 16 B 2174/06 –, NJW 2007 S. 1768 ff. –
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bereits 15 Punkte zu berücksichtigen waren, führte nicht zu einer Reduzierung der
Punktebelastung, weil auch dieser Punktestand die Schwelle des § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr.
2 StVG nicht überschritt.
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Am 11. Juni 2008, am 4. September 2008 und am 25. Januar 2009 beging der
Antragsteller weitere Verkehrsverstöße, die mit insgesamt acht Punkten zu bewerten
waren, so dass im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des den Verkehrsverstoß vom
25. Januar 2009 ahndenden Strafbefehls des Amtsgerichts C vom 30. März 2009
insgesamt 23 Punkte zulasten des Antragstellers zu berücksichtigen waren. Diese
Punktebelastung reduzierte sich mit der am 31. Januar 2010 eingetretenen absoluten
Tilgungsreife der beiden am 31. Januar 2005 rechtskräftig geahndeten
Verkehrsverstöße vom 6. Mai 2004 Ende Januar 2010 um sechs auf 17 Punkte, bevor
sich mit Rechtskraft der Ahndung des weiteren Verkehrsverstoßes vom 20. Januar 2010
am 22. April 2010 die Punktebelastung des Antragstellers auf 18 Punkte erhöhte mit der
Folge, dass dem Antragsteller, nachdem er durch Schreiben des inzwischen wieder
örtlich zuständigen Landrates des Antragsgegners vom 3. November 2010 Gelegenheit
zur Stellungnahme bis zum 17. November 2010 erhalten hatte – ein Schreiben vom 16.
November 2010, mit dem um Fristverlängerung bis zum 2. Dezember 2010 (zu der der
Landrat des Antragsgegners ohnehin nicht verpflichtet war) gebeten worden sein soll,
befindet sich nicht bei den Akten –, die Fahrerlaubnis gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3
StVG zu entziehen war.
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Dass dem Oberbürgermeister der Stadt C ausweislich des Kraftfahrtbundesamts-
Auszuges vom 20. Oktober 2008 ein Punktestand von nur neun Punkten (an Stelle zum
damaligen Zeitpunkt zu berücksichtigender 15 Punkte) mitgeteilt worden war und dieser
den Antragsteller daher im November 2008 erneut nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG
verwarnte, ist unerheblich, weil die Verwarnung keinen Veraltungsakt darstellt, also
keine Rechtsfolgen auslöst. Dasselbe gilt für den Umstand, dass das
Kraftfahrtbundesamt dem Oberbürgermeister der Stadt C im Mai 2009 einen
Punktestand von 17 (statt damals 23) Punkten mitteilte und der Oberbürgermeister der
Stadt C daher auch die Teilnahme an einem Aufbauseminar gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1
Nr. 2 StVG erneut anordnete. Eine Punktereduzierung kann aus der angeordneten
Teilnahme nach dieser Vorschrift nämlich nie eintreten.
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Entscheidend ist, dass – wie hier – alle gesetzlich vorgesehenen Maßnahmen ergriffen
wurden, durch die dem Betroffenen die Möglichkeit gegeben wurde, sein Fehlverhalten
im Straßenverkehr zu ändern. Ergehen auf den Eingriffsstufen des § 4 Abs. 3 Satz 1
Nrn. 1 und 2 StVG vom Gesetz nicht geforderte zusätzliche Maßnahmen, berührt dieses
Verhalten der Straßenverkehrsbehörde nicht die Rechtmäßigkeit der bei Erreichen von
mindestens 18 Punkten zu erlassenden Fahrerlaubnisentziehungsverfügung, wenn die
Maßnahmen nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nrn. 1 und 2 StVG – wie vorliegend – einmal
ordnungsgemäß ergriffen worden sind und ihre Warnfunktion nach dem abgestuften
System von Maßnahmen, durch die dem Inhaber einer Fahrerlaubnis die Möglichkeit
des Abbaus von Fehlverhaltensweisen eröffnet wird, erfüllen konnten. Dies ergibt sich
aus § 4 Abs. 5 StVG. Die Regelungen des § 4 StVG sind – wie dargelegt – zwingend
und räumen den Fahrerlaubnisbehörden kein Ermessen ein.
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Die Teilnahme des Antragstellers an dem von dem Oberbürgermeister der Stadt C
angeordneten Aufbauseminar führte vorliegend nicht zu einem Punkteabzug nach § 4
Abs. 4 Satz 1 StVG, weil eine Punktereduzierung nach dieser Vorschrift die freiwillige
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Teilnahme an einem Aufbauseminar vor Erreichen von 14 Punkten voraussetzt. Eine
Punktereduzierung kommt dagegen nicht in Betracht, wenn der Betroffene – wie hier –
lediglich die Anordnung des § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StVG – verspätet – befolgt, die erst
bei Erreichen von mindestens 14 Punkten ergehen darf. Eine Punktereduzierung gemäß
§ 4 Abs. 4 Satz 2 StVG scheidet aus, weil der Antragsteller nicht an einer
verkehrspsychologischen Beratung teilgenommen hat.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; die Streitwertfestsetzung beruht
auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1, 2 Gerichtskostengesetz (GKG). Das Interesse an der
Fahrerlaubnis wird im Hauptsacheverfahren mit dem Auffangwert des § 52 Abs. 2 GKG
angesetzt. In Verfahren betreffend die Gewährung vorläufigen gerichtlichen
Rechtsschutzes ermäßigt sich der zu berücksichtigende Betrag von 5.000,- Euro um die
Hälfte.
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