Urteil des VG Düsseldorf vom 17.10.2003

VG Düsseldorf (kläger, politische verfolgung, türkei, deutschland, bundesrepublik deutschland, amnesty international, anerkennung, asylbewerber, rücknahme, verfolgung)

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 17 K 5699/03.A
Datum:
17.10.2003
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
17. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
17 K 5699/03.A
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben
werden, trägt der Kläger.
Tatbestand:
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Der Kläger ist ausweislich seines vom Türkischen Generalkonsulat in Düsseldorf am 6.
November 2001 ausgestellten Nüfusausweises am 00. 0.1976 in Yukarikosma, Provinz
Sanli Urfa, geboren. Er bekennt sich hiernach zum muslimischen Glauben (Dini: Islam).
Er war ausweislich seiner Angaben am 15. oder 16. September 1992 auf dem Luftwege
(Direktflug Ankara - Düsseldorf) in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zu
seinen in Duisburg lebenden Verwandten, den Eheleuten H (Bruder der Mutter des
Klägers) und H1, geb. B1 (Tante des Klägers väterlicherseits), eingereist. Am 18.
September 1992 hatte er unter dem Namen H2, geb. am 0.0. 1976 in Suruc, Provinz
Sanli Urfa, seine Anerkennung als Asylberechtigter beantragt. Hierbei hatte er
angegeben, der yezidischen Glaubensgemeinschaft anzugehören. In einer Anlage zur
Niederschrift zu einem Asylantrag vom 27. August 1993 hatte er H und H1 als seine
Eltern ausgegeben. In der am gleichen Tage durchgeführten Anhörung im Rahmen der
Vorprüfung hatte der Kläger im Wesentlichen Folgendes vorgetragen: Ihm selbst sei
nichts zugestoßen. Seine Familie werde jedoch unterdrückt, da sie mit der ERNK
sympathisiere und in Verdacht stehe, die PKK zu unterstützen. Er sei Yezide. Hierzu
hatte er Einzelheiten über die yezidische Religion erläutert und u.a. darauf hingewiesen,
dass eine yezidische Frau, die einen Nichtyeziden heiraten würde, von den Yeziden
ausgestoßen werde.
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Mit Bescheid vom 2. September 1993 war der Kläger als Asylberechtigter anerkannt
worden. Zugleich war das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG
festgestellt worden. Dieser Bescheid war unanfechtbar geworden.
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Der Kläger lebt seit längerer Zeit mit der deutschen Staatsangehörigen T zusammen.
Aus dieser Verbindung ist der am 00. 0. 2000 geborene K hervorgegangen. Da der
Kläger seine Partnerin heiraten möchte und zu diesem Zweck die erforderlichen
4
Nachweise (Geburtsurkunden) beibringen muss, offenbarte er mit anwaltlichem
Schreiben vom 16. August 2000 gegenüber der Ausländerbehörde der Stadt E1, dass er
seinerzeit unter falschem Namen als Asylberechtigter anerkannt worden sei. Sein
damaliges Verhalten begründete er damit, dass er seinerzeit zu seinem Onkel H
eingereist sei. Dieser habe ihm erklärt, er solle sich als sein Sohn H2 ausgeben. Aus
Unwissenheit und Gehorsam gegenüber dem älteren Familienmitglied habe er
entsprechend gehandelt. Der Kläger legte zum einen eine notarielle Erklärung vom 18.
März 2003 des Notars H3 aus Sanli Urfa vor, in welcher seine Eltern erklärt hatten, den
Kläger seinerzeit zur Adoption durch H und H1 freigegeben zu haben. Er sollte bei
ihnen in Deutschland einen Beruf erlernen. Eine förmliche Adoptionsurkunde sowie
eine gerichtliche Entscheidung hätten sie allerdings nicht beantragt. Darüber hinaus
legte der Kläger eine Bescheinigung des „Merkeza Dìne´Ezdiyan u Zerdestiyan li
Alemaniya" aus N vom 15. März 2003 vor, derzufolge er der yezidischen
Glaubensgemeinschaft angehört.
Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) nahm mit
Bescheid vom 13. August 2003 die unter dem 2. September 1993 erfolgte Anerkennung
als Asylberechtigter (Az.: 0 0000000-000) zurück. Zugleich nahm es die in diesem
Bescheid getroffene Feststellung zurück, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1
AuslG vorliegen. Zur Begründung führte es aus, dass der Kläger seinerzeit falsche
Angaben über seine Person gemacht hatte. Hauptgrund für die Rücknahme sei jedoch,
dass er mit einer „Nicht-Yezidin" zusammenlebe, mithin kein Yezide mehr sein könne.
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Der Kläger hat am 27. August 2003 Klage erhoben. In der mündlichen Verhandlung hat
er im Wesentlichen Folgendes ausgeführt: Sein Sheikh heiße E2 und lebe in N. Er sei
ein Freund seines Onkels. Er habe erstmals Kontakt mit ihm aufgenommen, nachdem
das Bundesamt angekündigt hatte, die Asylanerkennung zu widerrufen. Einen R kenne
er nicht. Die religiösen Bräuche würden von ihm eingehalten (Beten und Fasten). Sein
Sheikh habe ihm erklärt dass im Hinblick darauf, dass viele Yeziden in anderen
Kulturkreisen leben, die Endogamie nicht mehr eingehalten werden müsse.
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Der Kläger beantragt,
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den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom
13. August 2003 aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie tritt dem Vorbringen des Klägers in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht entgegen.
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Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten,
der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten sowie der Ausländerakte der
Oberbürgermeisterin der Stadt E1 sowie der zum Gegenstand der mündlichen
Verhandlung gemachten Auskünfte und Erkenntnisse ergänzend Bezug genommen.
12
Entscheidungsgründe:
13
Der Einzelrichter ist für die Entscheidung zuständig, nachdem ihm der Rechtsstreit
durch Beschluss der Kammer vom 3. September 2003 gemäß § 76 Abs. 1 AsylVfG
14
übertragen worden ist.
Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.
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Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen
Rechten (§ 113 Abs. 5 S. 1, Abs. 1 S. 1 VwGO).
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Die Voraussetzungen für eine Rücknahme des Bescheides vom 2. September 1993
sind gegeben. Nach § 73 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG sind die Anerkennung als
Asylberechtigter und die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG
vorliegen, zurückzunehmen, wenn sie auf Grund unrichtiger Angaben oder infolge
Verschweigens wesentlicher Tatsachen erteilt worden sind und der Ausländer auch aus
anderen Gründen nicht anerkannt werden könnte.
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Diese Voraussetzungen sind gegeben. Zunächst ist festzustellen, dass der Kläger bei
der Asylantragstellung unrichtige Angaben zu seiner Person gemacht hatte, indem er
sich als Sohn der Eheleute H und H1 ausgegeben hatte und dies auch in der Anlage zur
Niederschrift zu seinem Asylantrag bestätigt hatte. Die Gründe für das Verhalten des
Klägers sind unerheblich, da die Täuschung über seine Identität
entscheidungserheblich ist. Dem Kläger, der zum Zeitpunkt seiner Asylantragstellung
bereits 16 Jahre alt war, muss auch bewusst gewesen sein, dass er über seine Identität
getäuscht hat. Gegenteiliges hat er auch nicht behauptet. Dass der Gesetzgeber den
Angaben über die Identität besondere Bedeutung beimisst, hat er in § 30 Abs. 3 Ziff. 2
AsylVfG zum Ausdruck gebracht, indem er zwingend vorschreibt, dass ein
unbegründeter Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen ist, wenn der
Ausländer im Asylverfahren über seine Identität täuscht.
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Der Kläger könnte zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung auch nicht aus
anderen Gründen anerkannt werden. Der Anerkennungsbescheid des Bundesamtes
vom 2. September 1993 beruht offenkundig darauf, dass der Kläger glaubhaft gemacht
hatte, als glaubensgebundener Yezide in seiner Heimat verfolgt worden zu sein. Diese
Voraussetzung entfällt dann, wenn sich der anerkannte Asylbewerber vom yezidischen
Glauben gelöst hat. So liegen die Dinge hier. Das Yezidentum versteht sich als eine
endogame Glaubensgemeinschaft, d. h. die Glaubensangehörigen dürfen nur
untereinander eine Ehe eingehen. Daher ist der wichtigste Fall einer unwiderruflichen
Abwendung vom Yezidentum die Heirat mit einem nicht der yezidischen Religion
angehörenden Partner,
19
vgl. OVG NRW, Urteil vom 24. November 2000 - 8 A 4/99.A -; Beschluss vom 2. Juli
1996 - 25 A 2348/96.A; Beschluss vom 22. April 1993 - 25 A 4204/92.A; Beschluss vom
10. Januar 2002 - 8 A 4625/01.A -; Ulrich Berner, Vernehmung als Sachverständiger vor
dem VG Stade vom 1. September 1982 - 4 VG A 419/81 -; Gernot Wießner," ... in das
tötende Licht einer fremden Welt gewandert" Geschichte und Religion der Yezidi, in Die
kurdischen Yezidi. Ein Volk auf dem Weg in den Untergang, herausgegeben von Robin
Schneider, 1984, S. 31 (34 f.); Jankiz-Khan Hasso, Vernehmung als Sachverständiger
vor dem VG Berlin vom 14. Mai 1986 - VG 19 A 344.83 -; Sternberg-Spohr, Gutachten
vom 10. Februar 1988, S. 11; Auswärtiges Amt, Auskunft vom 20. März 1990 an das
OVG NRW, Az.: 514-516/10463; Wießner, Auskunft vom 12. Februar 1992 an VG
Schleswig und vom 13. Dezember 1993 an OVG NRW; Ilhan Kizilhan, Die Yeziden,
Eine anthropologische und sozialpsychologische Studie über die kurdische
Gemeinschaft, 1997, S. 125 f.
20
Soweit Amir Muawiya ben Ismail al - Yazadi eine hiervon abweichende Auffassung
vertritt,
21
vgl. Zarathustra zu uns sprach, deutsche Fassung November 1990, S. 64,
22
handelt es sich um eine vereinzelt gebliebene Mindermeinung,
23
vgl. hierzu OVG NRW, Urteil vom 24. November 2000, aaO, S. 25 des Urteilsabdrucks.
24
Nach Auffassung des erkennenden Gerichts gelten diese Grundsätze auch bei einer
nicht ehelichen Lebensgemeinschaft, die durch eine Eheschließung abgelöst werden
soll und aus der bisher ein Kind hervorgegangen sind. Diese Einschätzung beruht auf
dem ethno-religiösen Hintergrund, der die Endogamie bei den Yeziden zu Grunde liegt.
Nach der Glaubensüberzeugung der Yeziden sind diese aus dem Samen des
androgynen (mann-weiblichen) Adam entstanden, während alle anderen Völker der
Erde von Zwillingspaaren abstammen. Sie sind dadurch ein auserwähltes Volk, das
stolz ist auf seine Besonderheit und Reinheit und auf die Tatsache, dass sie allein von
Adam abstammen und bis heute sich nicht mit anderen Gruppen vermischt haben,
mithin ihr Blut rein geblieben ist,
25
vgl. Ilhan Kizilhan, aaO, S. 122; Gernot Wießner, „... in das tötende Licht einer fremden
Welt gewandert", aaO, S. 38; ders. in Auskunft vom 13. Dezember 1993 an das OVG
NRW.
26
Da der Kläger sich somit von einem zentralen Gebot des Yezidentums gelöst hat, kann
er nicht mehr der yezidischen Glaubensgemeinschaft zugerechnet werden. Dem kann
auch nicht der Gesichtspunkt der Toleranz der Religionen entgegengehalten werden,
weil die Yeziden selbst für sich eine strenge Exklusivität ihrer Glaubensgemeinschaft in
Anspruch nehmen. Dass der Kläger sich von der yezidischen Glaubensgemeinschaft
auch innerlich gelöst hat, kann dem Umstand entnommen werden, dass er bis zur
Ankündigung des Bundesamtes Anfang 2003, den Anerkennungsbescheid
zurückzunehmen - zu diesem Zeitpunkt war der Kläger bereits 26 Jahre alt - keinen
Kontakt zu einem Sheikh gepflegt hat. Darüber hinaus kennt er auch keinen R. Er hatte
auch bei der Beantragung eines Nüfusausweises beim Türkischen Generalkonsulat in E
offensichtlich keine Bedenken, als Religionsgemeinschaft „Islam" anzugeben.
Zumindest hat er nicht vorgetragen, dass das Generalkonsulat sich geweigert habe, als
Religionszugehörigkeit „Yezidi" einzutragen. Nach alledem besteht für das Gericht kein
Zweifel, dass der Kläger der yezidischen Glaubensgemeinschaft nicht mehr angehört.
27
Der Kläger hat auch keine sonstigen Gründe vorgetragen, welche den Schluss
rechtfertigen könnten, dass der Anerkennungsbescheid vom 2. September 1993 aus
anderen Gründen aufrecht erhalten werden könnte. Da er der yezidischen
Glaubensgemeinschaft nicht mehr angehört, wird er im Falle der Rückkehr in die Türkei
keine asylrelevante Verfolgung zu befürchten haben, soweit er die nicht eheliche
Lebensgemeinschaft mit einer Nichtyezidin aufrecht erhält und damit seine Loslösung
vom yezidischen Glauben zum Ausdruck bringt.
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Der Kläger war im Zeitpunkt seiner Ausreise im Jahre 1994 auch nicht einer
landesweiten Gruppenverfolgung ausgesetzt.
29
Eine solche hatte er nicht auf Grund seiner kurdischen Volkszugehörigkeit zu
gewärtigen.
30
Nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein -
Westfalen, der das Gericht folgt und auf die zur weiteren Begründung an dieser Stelle
verwiesen wird, hatten Kurden zu diesem Zeitpunkt nicht allein wegen ihrer
Volkszugehörigkeit landesweite politische Verfolgung zu befürchten; in jedem Fall stand
ihnen eine inländische Fluchtalternative im Westen der Türkei zur Verfügung;
31
OVG NRW, Urt. v. 3. Juni 1997 - 25 A 3631/95.A -, UA, S. 10 ff., 28. Oktober 1998 - 25 A
1284/96.A -, UA, S. 8 ff., u. 25. Januar 2000 - 8 A 1292/96.A -, UA, S. 13 ff., Rn. 28 ff.
32
Auch die vorliegenden Erkenntnisse über die neueren Entwicklungen in der Türkei,
insbesondere nach der Verbringung Abdullah Öcalans in die Türkei und seiner
Verurteilung zum Tode, führen zu keiner anderen Bewertung der Sachlage. Auch aus
diesen Erkenntnissen ergibt sich nicht, dass nunmehr alle kurdischen Volkszugehörigen
allein wegen ihrer Volkszugehörigkeit, der Asylantragstellung oder ihres Aufenthaltes in
Deutschland bei einer Rückkehr in die Türkei mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit
politische Verfolgung zu befürchten hätten;
33
ebenso im Ergebnis OVG NRW, Urt. v. 25. Februar 1999 - 8 A 7112/95.A -, UA, S. 17, 26
f., u. 25. Januar 2000 - 8 A 1292/96.A -, UA, S. 39 ff., Rn. 112 ff., sowie Beschl. v. 15.
September 1999 - 8 A 2285/99.A -; OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 29. April 1999 - A 1 S
155/97 -; OVG Bremen, Urt. v. 17. März 1999 - OVG 2 BA 118/94 -; Nds. OVG, Urt. v. 28.
Januar 1999 - 11 L 2551/96 -.
34
Das bisherige Vorbringen des Klägers bietet keinen Anlass, von dieser gefestigten
Rechtsprechung abzuweichen.
35
Vorsorglich wird darauf hingewiesen, dass der Kläger auch nicht mit Erfolg vortragen
kann, dass eine Ableistung des Militärdienstes bzw. eine Bestrafung wegen
Nichtbefolgung einer Einberufung o.ä. drohe, da diese keine Asylrelevanz aufweisen,
36
BVerfG, Beschl. v. 11. Dezember 1985 - 2 BvR 361, 449/83 -, BVerfGE 71, 276 (294 ff.);
BVerwG, Urt. v. 25. Juni 1991 - 9 C 131.90 -, InfAuslR 1991, 310 (313), 6. Dezember
1988 - 9 C 22.88 -, BVerwGE 81, 41, u. 31. März 1981 - 9 C 6.80 -, InfAuslR 1981, 218
(219).
37
Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen führt in ständiger
Rechtsprechung,
38
vgl. Beschl. v. 30. Januar 1995 - 25 A 4705/94.A -, BA, S. 98 ff., bestätigt durch Urt. v. 3.
Juni 1997 - 25 A 3631/95.A -, UA, S. 144 ff., 28. Oktober 1998 - 25 A 1284/96.A -, UA, S.
108 ff., u. 25. Januar 2000, UA, S. 115 ff., Rn. 345,
39
unter Bezugnahme auf eine Vielzahl von Erkenntnisquellen aus, dass nach den
vorliegenden Erkenntnissen Kurden bei der Erfüllung ihrer Wehrpflicht in aller Regel
keine asylrelevanten Nachteile hinzunehmen haben. Gegenteiliges hat der Kläger
bisher auch nicht vorgetragen.
40
Der Kläger muss auch nicht damit rechnen, bei seiner Einreise in die Türkei
41
asylerhebliche Maßnahmen zu erdulden. Ein derartiges Risiko ist im Falle der Rückkehr
abgelehnter nicht vorverfolgter türkischer Asylbewerber mit niedrig profilierten
exilpolitischen Aktivitäten für den Regelfall ausgeschlossen.
Richtig ist, dass abgeschobene türkische Staatsangehörige sich bei ihrer Einreise einer
intensiven Personenkontrolle unterziehen müssen, die sich, sollten Rückfragen am
Heimatort erforderlich sein, weil z.B. der Einreisende über keine gültigen
Einreisepapiere verfügt, auch länger als 24 Stunden hinziehen kann. Wie das
Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein - Westfalen in seinen Urteilen
42
v. 28. Oktober 1998 - 25 A 1284/96.A -, UA, S. 89 ff., u. 25. Januar 2000 - 8 A 1292/96.A
-,UA, S. 135 ff., Rn. 396 ff.,
43
überzeugend dargelegt hat, gibt es, abgesehen von atypischen Fällen, keine sicheren
Beweise dafür, dass abgelehnte Asylbewerber bei ihrer Einreise in asylrelevanter
Weise misshandelt worden sind;
44
vgl. etwa Oberdiek, Gutachterl. Stellungnahme v. 20. Oktober 1998 an d. VG
Sigmaringen.
45
Hierbei ist bei Angaben von Betroffenen oder deren nächsten Angehörigen
Zurückhaltung geboten, da insbesondere im Falle von Asylfolgeverfahren der Vortrag
über angebliche Misshandlungen auch von der Erwartung bestimmt werden kann, auf
diese Weise ein sonst nicht erreichbares Bleiberecht zu erlangen.
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Die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer politischen Verfolgung kurdischer
Volkszugehöriger im Falle ihrer Abschiebung in die Türkei allein wegen ihrer
Volkszugehörigkeit und/oder der Asylantragstellung in Deutschland, beziehungsweise
ihrer exilpolitischen Tätigkeit, ergibt sich schließlich auch nicht daraus, dass in der
letzten Zeit vermehrt von Abgeschobenen berichtet wird, die nach ihrer Abschiebung in
der Türkei Opfer staatlicher Repressalien geworden sein sollen;
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vgl. etwa die Darstellungen bei Kaya, Gutachten v. 15. Januar 1999 an d. VG
Sigmaringen; amnesty international, Stellungnahme v. 3. Februar 1999 an d. VG
Sigmaringen; Oberdiek, Gutachten v. 29. April 1999 an d. VG Berlin; Niedersächsischer
Flüchtlingsrat e.V., Zwischenberichte I u. II: „Von Deutschland in den türkischen
Folterkeller" (März u. Juni 1999).
48
Selbst dann, wenn diese „Referenzfälle" - die Richtigkeit der jeweiligen Schilderung hier
unterstellt - nach Art und Inhalt geeignet wären, die Annahme einer generellen
Verfolgungsgefahr für abgeschobene kurdische Asylbewerber in der Türkei zu
rechtfertigen, steht die Zahl dieser Fälle nach wie vor in einem auffälligen Missverhältnis
zur Gesamtzahl der in Betracht zu ziehenden Abschiebefälle;
49
vgl. hierzu Lageberichte d. Auswärtigen Amtes v. 10. April 1997, 31. März 1998 u. 7.
September 1999; ferner OVG NRW, Urt. v. 3. Juni 1997 - 25 A 3631/95.A -, UA, S. 129,
u. 25. Januar 2000 - 8 A 1292/96.A -, UA, S. 95 f., Rn. 280.
50
Berücksichtigt man weiter, dass türkische Staatsangehörige kurdischer
Volkszugehörigkeit auch aus anderen westlichen Staaten in die Türkei abgeschoben
werden, wäre aber anzunehmen, dass bei einer über Einzelfälle hinausgehenden
51
relevanten Anzahl menschenrechtswidriger Übergriffe gegen abgeschobene
Asylbewerber in Polizeihaft entsprechende Berichte in der kurdenfreundlichen oder
sonst regierungskritischen türkischen Presse erschienen wären. Dies war jedoch
bislang nicht der Fall, sodass eine Gefährdung von türkischen Staatsangehörigen
kurdischer Volkszugehörigkeit allein wegen der Asylantragstellung in Deutschland
weiterhin nicht festgestellt werden kann.
Ob sich aus den vorliegenden Erkenntnissen und insbesondere den Erkenntnissen im
Hinblick auf die Fälle kurdischer Volkszugehöriger, die nach ihrer Abschiebung in die
Türkei dort möglicherweise verfolgt worden sind, eine abweichende Bewertung für
diejenigen Asylsuchenden ergibt, die sich in Deutschland exilpolitisch betätigt haben,
und wenn ja in welchem Umfang, kann an dieser Stelle dahinstehen, da der Kläger
nach seinem Vorbringen, soweit dieses glaubhaft ist, nicht zu diesem Personenkreis
gehört. Die kurdische Volkszugehörigkeit des Klägers und die Tatsache der
Asylantragstellung in Deutschland als solche führen jedenfalls nicht dazu, dass der
Kläger bei einer Rückkehr in die Türkei mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische
Verfolgung zu befürchten hätte.
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Der Kläger hat schließlich keine exilpolitischen Aktivitäten vorgetragen, die die
Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG rechtfertigen können.
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Der Kläger könnte auch nicht mit Erfolg einwenden, die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz
1 VwVfG sei möglicherweise nicht eingehalten worden, da diese Vorschrift auf die
Rücknahme der Anerkennung als Asylberechtigter nach § 73 Abs. 2 AsylVfG keine
Anwendung findet. Während die Rücknahme nach § 48 VwVfG in das Ermessen der
Behörde gestellt ist, ist die Rücknahme nach § 73 Abs. 2 AsylVfG zwingend. Sinn und
Zweck der Sonderregelung einer uneingeschränkten Rücknahmepflicht nach § 73 Abs.
2 AsylVfG ist es, dass die fehlende Verfolgungsgefahr zum Wegfall der Anerkennung
als Asylberechtigter führt. Mit dieser gesetzlichen Interessenbewertung ist eine
Anwendung des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG nicht vereinbar,
54
vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. April 2002 - 8 A 1405/02.A -, in NVwZ- Beilage I
2002, 93.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Nichterhebung von
Gerichtskosten ergibt sich aus § 83b Abs. 1 AsylVfG.
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Der Gegenstandswert bestimmt sich nach Maßgabe des § 83 b Abs. 2 AsylVfG.
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