Urteil des VG Düsseldorf vom 17.12.2002

VG Düsseldorf: beihilfe, gebühr, anästhesie, angemessenheit, facharzt, abrechnung, bvo, zahnarzt, vollstreckung, fürsorgepflicht

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 26 K 7396/01
Datum:
17.12.2002
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
26. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
26 K 7396/01
Tenor:
Die Klage wird auf Kosten des Klägers abgewiesen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar; der Kläger darf
die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe
des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht das beklagte Land
vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Tatbestand:
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Der Kläger steht als Beamter im Dienst des beklagten Landes. Unter dem 4. August
2001 beantragte er Beihilfe u.a. zu den Kosten einer fachärztlichen Behandlung seiner
Ehefrau in der Zeit vom 15. Mai bis 7. Juni 2001 durch den Facharzt für Mund-, Kiefer-
und Gesichtschirurgie G1 (L) nach dessen Rechnung vom 25. Juni 2001 über 619,82
DM. Mit Bescheid vom 8. August 2001 gewährte die Oberfinanzdirektion E (OFD)
insoweit Beihilfe, erkannte jedoch nur einen Betrag in Höhe von 364,61 DM als
beihilfefähig an. Im Einzelnen erkannte sie hinsichtlich der ein Mal angesetzten Nr. 491
Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) die entsprechende Gebühr nach Nr. 009
Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ) an, hinsichtlich der Nr. 494 GOÄ nur die Gebühr
nach Nr. 010 GOZ und erkannte ebenso nicht als beihilfefähig an die berechneten
Gebühren nach Nrn. 2381, 448 und 442 GOÄ, die „Materialkosten, Anästhesie" und
„Atraumatisches Nahtmaterial" und die Portokosten in Höhe von 1,10 DM.
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Mit weiterem Bescheid vom 31. August 2001 lehnte die OFD die Gewährung einer
Beihilfe zu diesen strittigen Aufwendungen ab mit der Begründung, nach § 6 Abs. 1
GOÄ müssten Mund-, Kiefer-, Gesichtschirurgen, Hals-Nasen-Ohrenärzte oder
Chirurgen, die Leistungen erbrächten, die im Gebührenverzeichnis für zahnärztliche
Leistungen aufgeführt seien, ihre Vergütungen für diese Leistungen nach den
Vorschriften der Gebührenordnung für Zahnärzte in der jeweils geltenden Fassung
berechnen. Ein Wahlrecht zwischen beiden Gebührenordnungen bestehe nicht. In der in
Rede stehende Rechnung werde die Leistungen, die der Nr. 491 GOÄ zu Grunde liege,
mit „Infiltrationsanästhesie" und die Leistung, die der Nr. 494 GOÄ zu Grunde liege, mit
„Leitungsanästhesie" beschrieben. Dies seien Maßnahmen, die ebenfalls vom
Leistungsinhalt der Nrn. 009 und 010 GOZ erfasst würden. Da die Anästhesien auf
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Grund von Maßnahmen erforderlich worden seien, die nach der Gebührenordnung für
Zahnärzte abgerechnet würden, seien nach der genannten Vorschrift eine Abrechnung
dieser Leistungen nur im Rahmen dieser Gebührenordnung möglich. Auch für die
Materialkosten gelte nach § 4 Abs. 3 GOZ, dass die Praxiskosten einschließlich der
Kosten für Füllungsmaterial, für den Sprechstundenbedarf sowie für die Anwendung von
Instrumenten und Apparaten mit den berechneten Gebühren abgegolten seien.
Schließlich sei die Hautlappenplastik nach der Nr. 2381 GOÄ eine Verschiebeplastik.
Hierbei werde nach der Kommentierung von Hoffmann Haut mit Unterhaut und
subkutanem Fettgewebe aus ihrer natürlichen Umgebung gelöst, wobei eine Seite mit
einem ernährenden Gefäß als Stiel zurückbelassen werde. Diese lokale
Verschiebeplastik könne nur an Stellen mit gut verschieblicher Haut (Gesicht, Hals,
Leistengegend, Gesäßgegend) durchgeführt werden. Die Nr. 2381 GOÄ könne
demzufolge nicht für die etwaige Behandlung der im oralen Bereich anzutreffenden
Schleimhaut berechnet werden. Die Versorgung einer Wunde nach der Entfernung
eines Zahnes sei im Übrigen mit der Gebühr für die Entfernung abgegolten.
Den hiergegen eingelegten Widerspruch des Klägers wies die OFD mit Bescheid vom
6. November 2001 als unbegründet zurück.
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Mit seiner hiergegen am 19. November 2001 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein
Begehren weiter und hat ein Schreiben des behandelnden Arztes vom 22. August 2001
vorgelegt, in dem dieser ausführt, er arbeite als Facharzt und nicht als Zahnarzt. Die Nr.
2381 GOÄ stamme aus dem Kapitel „Chirurgie der Körperoberfläche", von der die
Schleimhaut nicht ausgeschlossen sei. Der Ersatz von Auslagen sei unter § 10 GOÄ
unmissverständlich geregelt; der Verweis auf die Gebührenordnung für Zahnärzte sei
unzulässig, da nach dieser Gebührenordnung nicht primär liquidiert werde.
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Der Kläger beantragt,
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das beklagte Land unter entsprechend teilweiser Aufhebung des Bescheides der OFD
vom 8. August 2001 und Aufhebung deren Bescheides vom 31. August 2001 und deren
Widerspruchsbescheides vom 6. November 2001 zu verpflichten, ihm auf seinen Antrag
vom 4. August 2001 eine weitere Beihilfe in Höhe von 91,34 Euro zu gewähren und
diesen Betrag mit 5 v.H. über dem Basiszinssatz nach § 1 Diskont-Überleitungsgesetz
ab dem 19. November 2001 zu verzinsen.
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Das beklagte Land beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte
und den vom beklagten Land vorgelegten Verwaltungsvorgang Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist nicht begründet.
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Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer weiteren Beihilfe zu den sich aus
der Rechnung des G1 vom 25. Juni 2001 ergebenden Aufwendungen; insoweit wird zur
Begründung gemäß § 117 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) auf die
Begründung der angefochtenen Bescheide Bezug genommen, der das erkennende
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Gericht folgt. Ergänzend wird Folgendes ausgeführt:
Gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 Beihilfenverordnung (BVO) sind in Krankheitsfällen beihilfefähig
die zur Wiedererlangung der Gesundheit und zur Besserung oder Linderung von Leiden
notwendigen Aufwendungen in angemessenem Umfange. Bei dem Merkmal der
Angemessenheit handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der jeweils im
Einzelfall einer Konkretisierung bedarf. Dabei ist die Angemessenheit von
Aufwendungen für ärztliche und zahnärztliche Leistungen unter Berücksichtigung
dessen zu beurteilen, was die jeweiligen Gebührenordnungen als Honorar für die
jeweilige Leistung vorsehen. Soweit dem Arzt und/oder Zahnarzt danach ein
Honoraranspruch in der geltend gemachten Höhe zusteht, handelt es sich mithin
zugleich um angemessene Aufwendungen des Beihilfeberechtigten im Sinne von § 3
Abs. 1 BVO, es sei denn, die Beihilfevorschriften schränkten die Gewährung einer
Beihilfe für bestimmte Aufwendungen ein oder schlössen sie gar gänzlich aus. Da
Zweck der Beihilfegewährung lediglich ist, einen zusätzlichen Bedarf abzudecken, der
mit den Dienstbezügen eines Beamten nicht mehr bestritten werden kann und daher
unter dem Gesichtspunkt einer angemessenen Fürsorge einer Beihilfe bedarf, ist gegen
derartige Regelungen jedenfalls dann nichts einzuwenden, wenn die Beschränkungen
oder Ausschlüsse der Beihilfefähigkeit bestimmter Leistungen die dem Dienstherrn
obliegende Fürsorgepflicht nicht in ihrem Wesenskern verletzen.
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Zu letzterem Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 28. April 1988 - 2 C 58.85
-, Buchholz 270 § 7 BhV Nr. 1.
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Die Angemessenheit ist ferner in den Fällen zu bejahen, in denen die Berechnung
ärztlicher oder zahnärztlicher Leistungen auf einer zweifelhaften Auslegung der
Gebührenordnung beruht, wenn der in Rechnung gestellte Betrag einer zumindest
vertretbaren Auslegung der Gebührenordnung entspricht und der beihilfepflichtige
Dienstherr nicht für rechtzeitige Klarheit über seine Auslegung gesorgt hat.
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BVerwG, Urteil vom 17. Februar 1994 - 2 C 25.92 -, ZBR 1994 S. 228 f.
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Die angefochtenen Bescheide des beklagten Landes sind insoweit nicht zu
beanstanden, als das beklagte Land die Beihilfefähigkeit der Aufwendungen des
Klägers verneint hat, die auf der Grundlage der Gebührenordnung für Ärzte berechnet
worden sind. Zwar ist der Behandler ein Facharzt, wie in seiner Stellungnahme vom 22.
August 2001 zutreffend dargelegt wird. Gerade hiervon geht jedoch die Vorschrift des §
6 Abs. 1 GOÄ aus, die nur Leistungen erfasst, die von Ärzten, nicht von Zahnärzten
erbracht werden. Nach dieser Bestimmung haben die dort genannten Ärzte, zu denen
auch der Rechnungssteller gehört, Honoraransprüche nur nach der Gebührenordnung
für Zahnärzte, wenn sie zahnärztliche Leistungen erbringen.
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Vgl. Hoffmann, Gebührenordnung für Ärzte, Kommentar mit praktischen Hinweisen für
die Abrechnung, 3. Aufl. (Stand: Januar 2002), Rz. 1; vgl. ferner die bei Brück,
Kommentar zur Gebührenordnung für Ärzte, § 6 GOÄ wiedergegebene amtliche
Begründung.
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Die rechtfertigt sich im Hinblick darauf, dass die zahnärztlichen Leistungen in den
entsprechenden Gebührenziffern der Gebührenordnung für Zahnärzte spezieller sind,
was vorliegend hinsichtlich der Anästhesie-Leistungen ohne weiteres nachvollziehbar
ist. Aus der in Rede stehenden Liquidation wird zudem deutlich, dass es sich bei der
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Behandlung der Ehefrau des Klägers im Mai/Juni 2001 um eine reine Zahnbehandlung
gehalten hat. Deshalb sind auch im Übrigen die Vorschriften der Gebührenordnung für
Zahnärzte anzuwenden, weshalb bei einer Zahnextraktion der Zuschlag nach Nr. 442
GOÄ („OP-Zuschlag I") nicht berechnungsfähig ist. Zugleich ist darauf hinzuweisen,
dass nach reinen Infiltrations- und Leitungsanästhesien eine Aufwachbetreuung nicht
stattfindet.
Hinsichtlich des Sprechstundenbedarfs, hier der „Materialkosten, Anästhesie" sowie des
„Atraumatischen Nahtmaterials" hat das beklagte Land in Ziff. 3 der genannten
„Hinweise zum zahnärztlichen Gebührenrecht" seine Rechtsauffassung zur Auslegung
des § 4 Abs. 3 GOZ veröffentlicht und den Beihilfeberechtigten Gelegenheit gegeben,
sich darauf einzustellen; insoweit ist die hierzu ergangene frühere
verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung, die in Übereinstimmung mit entsprechender
zivilgerichtlicher Rechtsprechung bis zum Ergehen der Urteile des
Bundesverwaltungsgerichts -
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vgl. auch Urteil vom 17. Februar 1994 - 2 C 17.92 -, ZBR 1994 S. 227 f. -
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eine andere Auffassung als vertretbar angesehen hat, für den Bereich des beklagten
Landes überholt.
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Schließlich sind Porti eines Arztes selbst nach § 10 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 GOÄ nur dann
berechnungs- und damit beihilfefähig, wenn sie beim Versand von
Untersuchungsmaterial anfallen; im Übrigen handelt es sich um Praxiskosten, die mit
den gesetzlichen Gebühren abgegolten sind.
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Vgl. dazu Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 15.
April 1999 - 12 A 4527/97 -, DÖD 2000 S. 61 f.
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Dass hier ein solcher Versand erfolgt ist, ist nicht vorgetragen; dafür spricht auch schon
angesichts des in Rede stehenden Betrages nichts.
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Sonach war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen; die
Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO, § 708
Nr. 11, § 711 Zivilprozessordnung.
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