Urteil des VG Düsseldorf vom 16.12.2004

VG Düsseldorf: beamtenverhältnis, behinderung, probe, gleichstellung, behörde, anerkennung, bekanntmachung, verordnung, eigenschaft, altersgrenze

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 2 K 5750/02
16.12.2004
Verwaltungsgericht Düsseldorf
2. Kammer
Urteil
2 K 5750/02
Das beklagte Land wird unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides der
Bezirksregierung E vom 10. Juni 2002 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung E vom 9. August 2002
verpflichtet, über den Antrag der Klägerin auf Übernahme in das
Beamtenverhältnis auf Probe erneut unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
Tatbestand:
Die am 00.0.1959 geborene Klägerin erwarb im Juni 1987 die Lehrbefähigung für das
Lehramt für die Sekundarstufe II. Mit Wirkung vom 14. April 1997 bis zum 8. Juni 1997
wurde sie im Rahmen des Projektes ​Geld statt Stellen" als Lehrkraft im
Angestelltenverhältnis mit zwölf Wochenstunden beschäftigt. Im Rahmen des
Lehreranstellungsverfahrens zum Schuljahresbeginn 1998/99 wurde sie aufgrund
erfolgreicher Teilnahme an dem Verfahren als unbefristet beschäftigte Lehrkraft in den
Schuldienst des Landes Nordrhein-Westfalen eingestellt. Wegen einer Überschreitung der
Höchstaltersgrenze erfolgte keine Verbeamtung sondern nur die Begründung eines
Angestelltenverhältnisses.
Mit Bescheid vom 17. August 2001 setzte das Versorgungsamt F in Umsetzung eines vor
dem Sozialgericht E1 geschlossenen Vergleichs den Grad der Behinderung für die
Klägerin ab Antragstellung auf 40 fest. Mit Schreiben vom 16. Mai 2002 wendete sich die
Klägerin an die Bezirksregierung E und vertrat die Auffassung, dass für sie nicht die
Höchstaltersgrenze von 35, sondern von 43 Jahren gelte. Diese Grenze werde sie erst am
27. Juni 2002 erreichen. Wegen ihrer Schwerbehindertenangelegenheit sei vor dem
Sozialgericht E1 in der Sitzung vom 3. August 2001 ein Vergleich geschlossen worden,
nach dem bei ihr der Grad der Behinderung 40 betrage. Wegen eines im Juli 2001
eingetretenen Tinnitus habe sie am 18. Dezember 2001 einen Antrag auf Feststellung
eines höheren Grades der Behinderung gestellt. Das Versorgungsamt F habe diesen
Antrag zwar mit Bescheid vom 23. April 2002 abgelehnt. Dagegen habe sie indes
Widerspruch eingelegt. Sie gehe fest davon aus, dass ihr Grad der Behinderung auf 50
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angehoben werde und sie dann schwerbehindert sei. Dann gelte für sie rückwirkend ab
Antragstellung eine Altersgrenze von 43 Jahren.
Mit Bescheid vom 11. Juni 2002 lehnte die Bezirksregierung E den Antrag der Klägerin auf
Übernahme in das Beamtenverhältnis ab. Eine Schwerbehinderung liege erst vor, wenn
der Grad der Behinderung mindestens 50 betrage. Zum Zeitpunkt der Einstellung in ein
unbefristetes Arbeitsverhältnis mit Wirkung vom 10. August 1998 sei die Klägerin bereits 39
Jahre alt gewesen und habe damit die Altersgrenze für die Übernahme in das
Beamtenverhältnis auf Probe überschritten gehabt. Gemäß § 6 Abs. 1 der
Laufbahnverordnung dürften schwerbehinderte Laufbahnbewerber vor vollendetem 43.
Lebensjahr in das Beamtenverhältnis eingestellt oder übernommen werden. Dies setze
voraus, dass die Eigenschaft als Schwerbehinderter oder die Gleichstellung mit
Schwerbehinderten zum Zeitpunkt der unbefristeten Einstellung nachgewiesen werde;
weder der Bewerbung vom 18. Dezember 1997 noch dem amtsärztlichen
Gesundheitszeugnis vom 11. Mai 1998 sei ein Hinweis auf eine eventuelle
Schwerbehinderung zu entnehmen gewesen. Da die Klägerin erst mit Schreiben vom 2.
Juni 1999 mitgeteilt habe, dass eine Gleichstellung mit Schwerbehinderten beantragt
worden sei, habe sie zum Zeitpunkt der unbefristeten Einstellung am 10. August 1998 nicht
von der Aufnahmeregelung des § 6 Abs. 1 LVO erfasst werden können. Eine nachträgliche
Anerkennung oder Gleichstellung als Schwerbehinderter könne nicht dazu führen, dass ein
bestehender, unbefristeter Arbeitsvertrag beendet werde und dafür die Berufung in das
Beamtenverhältnis auf Probe erfolge.
Hiergegen erhob die Klägerin am 4. Juli 2002 Widerspruch, den sie später wie folgt
begründete: Werde die Schwerbehinderteneigenschaft zuerkannt, so bestehe auch ein
Rechtsanspruch auf Verbeamtung. Werde auf den Umstand der
Schwerbehinderteneigenschaft erst nach Vollendung des 43. Lebensjahres hingewiesen,
rette bei dieser Sachkonstellation die unverschuldete Unkenntnis der Behörde die
Behörde, was sich aus dem Urteil der erkennenden Kammer vom 4. Januar 2000 - 2 K
9496/96 - ergebe. Im vorstehenden Fall aber habe sie mit Schreiben vom 16. Mai 2002 die
Möglichkeit der rückwirkenden Zuerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft angezeigt.
In diesem Zusammenhang sei auch auf die Richtlinien zur Durchführung des
Schwerbehindertengesetzes im öffentlichen Dienst im Lande Nordrhein-Westfalen zu
verweisen. Ziffer 2.3 laute wie folgt:
Beschäftigten, die einen Antrag auf Anerkennung als Schwerbehinderte oder als
Gleichgestellte gestellt haben, ist zu empfehlen, ihre Dienststelle hiervon schriftlich zu
unterrichten. Bis zur Entscheidung über den Antrag sind sie unter Vorbehalt als
Schwerbehinderte oder als Gleichgestellte zu behandeln. Ist die Schwerbehinderung
offenkundig, entfällt der Vorbehalt."
Da sie mit Schreiben vom 2. Juni 1999 mitgeteilt habe, dass die Gleichstellung beantragt
worden sei und da sie weiter mit Schreiben vom 16. Mai 2002 angezeigt habe, dass sie
einen Neufestsetzungsantrag gestellt habe, sei sie wie eine Schwerbehinderte zu
behandeln.
Mit Widerspruchsbescheid vom 9. August 2002 wies die Bezirksregierung E den
Widerspruch der Klägerin zurück. Der Widerspruch sei unbegründet. Gemäß § 2 Abs. 2
SGB IX sei die Eigenschaft als Schwerbehinderte gegeben, wenn ein Grad der
Behinderung von wenigstens 50 vorliege. Vom Versorgungsamt F habe sie mit Bescheid
vom 17. August 2001 einen Grad der Behinderung von 40 zuerkannt bekommen. Somit
habe zu keinem Zeitpunkt eine Schwerbehinderteneigenschaft im Sinne des § 2 SGB IX
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vorgelegen. § 84 Abs. 1 Ziffer 1 LVO, wonach Ausnahmen von dem Höchstalter für die
Einstellung oder Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe zugelassen werden
könnten, könne in ihrem Fall keine Anwendung finden. Aufgrund eines Antrages auf
Neufestsetzung bzw. eines Widerspruchs beim Versorgungsamt könne die Klägerin auch
nicht im Sinne des § 2 Abs. 2 SGB IX als Schwerbehinderte behandelt werden. Der
beantragten Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe könne auf Grund der
aktuellen Sachlage leider nicht entsprochen werden.
Die Klägerin hat am 23. August 2002 Klage erhoben.
Sie beantragt,
das beklagte Land unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides der Bezirksregierung E
vom 11. Juni 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung E vom
9. August 2002 zu verpflichten, sie in das Beamtenverhältnis auf Probe einzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Vor dem Landessozialgericht F hat sich das Landesversorgungsamt verpflichtet, bei der
Klägerin ab Dezember 2001 einen Grad der Behinderung von 50 festzustellen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird der Inhalt der
beigezogenen Verwaltungsvorgänge sowie der Gerichtsakte in Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht konnte durch den Berichterstatter und ohne mündliche Verhandlung
entscheiden, da die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erteilt haben, §§ 101 Abs. 2, 87a
Abs. 2 und 3 VwGO.
Die Klage hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
Die angefochtene Verwaltungsentscheidung ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in
ihren Rechten. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Neubescheidung unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Gerichts, § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO. Das Klagebegehren scheitert,
soweit in ihm ein Bescheidungsbegehren enthalten ist, zunächst nicht daran, dass die
Klägerin inzwischen das Einstellungshöchstalter auch über den für Schwerbehinderte
gesetzlich vorgeschriebenen Rahmen von 43 Lebensjahren hinaus überschritten hat. Denn
ursprünglich war ihr mit dem Einstellungsantrag vom 16. Mai 2002 zum Ausdruck
gekommenes Begehren auf Verbeamtung berechtigt und ist daher im Rahmen des § 84
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Verordnung über die Laufbahnen der Beamten des Landes
Nordrhein-Westfalen (LVO NRW) in der derzeit geltenden Fassung der Bekanntmachung
vom 23. November 1995 (GV NRW S. 1, zuletzt geändert durch Verordnung vom 11. April
2000 (GV NRW S. 380), zu berücksichtigen,
vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 18. Juni 1998 - 2 C 20/97 -, BVerwG,
Urteil vom 18. Juni 1998 - 2 C 6/98 -.
Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 in der zum Zeitpunkt der unbefristeten Einstellung der Klägerin
geltenden Fassung der Bekanntmachung der LVO durfte als Laufbahnbewerber, zu denen
gemäß den §§ 50 Abs. 1 Nr. 5, 49 Abs. 1 LVO NRW auch die Klägerin gehört,
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grundsätzlich nur eingestellt werden, wer das 35. Lebensjahr noch nicht vollendet hat.
Nach § 6 Abs. 1 Satz 6 LVO dürfen schwerbehinderte Laufbahnbewerber vor vollendetem
43. Lebensjahr eingestellt oder übernommen werden. Die Voraussetzungen der
Schwerbehinderung erfüllte die Klägerin aber zum Zeitpunkt, als sie ihren Antrag am 16.
Mai 2002 auf Übernahme in das Beamtenverhältnis gestellt hat, da das Versorgungsamt
rückwirkend ab Dezember 2001 einen Grad der Behinderung von 50 zuerkannt hat, vgl. § 2
Abs. 2 SGB IX. Zum Zeitpunkt der Antragstellung hatte die Klägerin auch noch nicht das
43. Lebensjahr erfüllt. Aus heutiger Sicht waren damit die Voraussetzungen für eine
Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe zum Zeitpunkt der Antragstellung erfüllt.
Zutreffend hat die Klägerin auch im Widerspruchsverfahren darauf hingewiesen, dass sie in
ihrem Antragsschriftsatz vom 16. Mai 2002 die Möglichkeit einer rückwirkenden
Zuerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft gegenüber der Bezirksregierung E
angezeigt hat.
Nach alledem war aus heutiger Sicht ihr mit dem Einstellungsantrag zum Ausdruck
gekommenes Begehren seinerzeit berechtigt. Die Bezirksregierung E hat deshalb zu
prüfen, ob sie der Klägerin im Rahmen des § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 LVO nunmehr eine
Ausnahmegenehmigung vom Einstellungshöchstalter erteilen wird.
Der weitergehende Antrag auf Verpflichtung der Bezirksregierung E zur Übernahme der
Klägerin in das Beamtenverhältnis auf Probe war mithin abzulehnen, weil sich nach dem
Vorstehenden ein gebundener Anspruch der Klägerin auf eine Übernahme nicht feststellen
lässt.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 155 Abs. 1 Satz 2 VwGO.
Das Gericht lässt die Berufung nicht gemäß § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO zu, weil es die
Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 Nr. 3 und 4 VwGO für nicht gegeben erachtet.