Urteil des VG Düsseldorf vom 23.06.2005

VG Düsseldorf: mündliche prüfung, wiederholung, persönliches interesse, staatsprüfung, chancengleichheit, beschränkung, ausnahmefall, gesamteindruck, prüfungsergebnis, bekanntmachung

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 15 L 1153/05
Datum:
23.06.2005
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
15. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
15 L 1153/05
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.
Gründe
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Der am 15. Juni 2005 wörtlich gestellte Antrag,
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dem Antragsgegner aufzugeben, den Antragsteller im Rahmen der Wiederholung der
mündlichen Prüfung am 21. Juli 2005 nicht nur zum Prüfungsgespräch, sondern auch
zum Kurzvortrag zuzulassen und die Zulassung mit der Maßgabe zu versehen, dass die
dabei erzielte Note nur dann im Rahmen des Zeugnisses zu berücksichtigen und
aufzunehmen ist, soweit im parallelen Hauptverfahren über die Zulassung zum
Aktenvortrag rechtskräftig zu Gunsten des Antragstellers entschieden wurde,
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ist als Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung gemäß den §§ 123 Abs. 5, Abs. 1
S. 2 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig, bleibt in der Sache aber ohne Erfolg.
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Gemäß § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige
Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes treffen, wenn eine solche
Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Diese
Voraussetzungen liegen nicht vor. Der Antragsteller hat schon keinen
Regelungsanspruch glaubhaft gemacht (§§ 123 Abs. 3 VwGO, 920 Abs. 2, 294 ZPO).
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Der geltend gemachte Anspruch, im Rahmen seiner zweiten juristischen Staatsprüfung
auch den Aktenvortrag als Prüfungsleistung wiederholen zu dürfen, steht dem
Antragsteller nicht zu. Zu Recht hat der Antragsgegner dem Widerspruch des
Antragstellers gegen den Prüfungsbescheid vom 25. Februar 2005 über die mit Erfolg
ablegte zweite juristische Staatsprüfung mit Bescheid vom 9. Mai 2005 nur insoweit
abgeholfen, als er dem Antragsteller mit Blick auf das in seiner mündlichen Prüfung am
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24. Februar 2005 - unstreitig - verfahrensfehlerhaft durchgeführte Prüfungsgespräch
lediglich die Wiederholung dieser Prüfungsleistung als Teil der mündlichen Prüfung
gestattet. Aus § 31 Abs. 4 S. 1 des Gesetzes über die juristischen Staatsprüfungen und
den juristischen Vorbereitungsdienst (Juristenausbildungsgesetz - JAG -) in der zuletzt
durch Gesetz vom 20. April 1999 (GV NRW S. 148) geänderten Fassung der
Bekanntmachung vom 8. November 1993, (GV NRW S. 924), die hier nach § 66 Abs. 2
S. 1 Hs. 1 des Gesetzes über die juristischen Prüfungen und den juristischen
Vorbereitungsdienst (Juristenausbildungsgesetz Nordrhein-Westfalen - JAG NRW -)
vom 11. März 2003 (GV NRW S. 135), zuletzt geändert durch Gesetz vom 30. November
2004 (GV NRW S. 752) anzuwenden ist, folgt zwar, dass die mündliche Prüfung als ein
Prüfungsabschnitt der zweiten juristischen Staatsprüfung ausgestaltet ist, zu dem nach §
30 Abs. 1 JAG als Prüfungsteilleistungen Aktenvortrag und Prüfungsgespräch gehören.
Ein Verfahrensmangel, der nur einer dieser beiden Teile der mündlichen Prüfung
anhaftet, lässt für sich genommen aber die Rechtmäßigkeit des anderen Prüfungsteils
unberührt und verpflichtet bzw. berechtigt deshalb den Prüfling in der Regel nur dazu,
den rechtswidrig erbrachten Prüfungsteil zu wiederholen. Dies gilt auch hier.
Dass eine Prüfungsleitung, die verfahrensfehlerhaft erbracht ist, und deren Ergebnis ein
Prüfling deshalb nicht gegen sich gelten lassen muss, zu wiederholen ist, folgt aus dem
das Prüfungsrecht allgemein und besonders das Recht der berufseröffnenden
Prüfungen (Art. 12 Abs. 1 GG) beherrschenden Grundsatz der Chancengleichheit (Art. 3
Abs. 1 GG). Danach ist aber nicht nur die Prüfungsleistung überhaupt neu zu erbingen,
auf die sich der Verstoß gegen prüfungsrechtlich beachtliche Verfahrensregeln
ausgewirkt hat. Vielmehr ist auch die Wiederholung einer solchen Prüfungsleistung dem
Gebot der Chancengleichheit entsprechend so auszugestalten, dass einem Prüfling, der
eine Prüfungsleistung zu wiederholen hat, aus diesem Umstand im Vergleich zu
anderen Prüflingen bei objektiver Betrachtungsweise weder ein vermeidbarer Nachteil
noch ein vermeidbarer Vorteil erwächst. Mangels entgegenstehender Regelungen in
den jeweils einschlägigen prüfungsrechtlichen Bestimmungen ist deshalb regelmäßig
nur derjenige Prüfungsteil zu wiederholen, auf den sich der rechtserhebliche Mangel
erstreckt. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Umstände des Einzelfalles in der
Gesamtschau ausnahmsweise eine andere Regelung gebieten. Regel- und
Ausnahmefall sind dabei nicht nur an dem Gebot auszurichten, den durch die
notwendige Wiederholung der Prüfungsleistung ohnehin benachteiligte Prüfling so
wenig wie möglich zu belasten,
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vgl. hierzu: Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 19. Dezember 2001, 6 C
14/01, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ) 2002, 1375 (1376 f.),
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sondern auch daran, ihm nicht eine Prüfungschance zu verschaffen, die den übrigen
Prüflingen nicht zusteht. Gemessen daran kann der Antragsteller keinen weiteren
Aktenvortrag beanspruchen. Für seine gegenteilige Auffassung kann er sich mit Erfolg
nicht auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Juli 1987,
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7 C 118/86, NVwZ 1987, 977 (978),
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berufen, das dem dortigen Kläger mit der Begründung, die mündliche Prüfung in der
zweiten juristischen Staatsprüfung sei nach dem (damaligen) nordrhein- westfälischem
Recht als Einheit konzipiert, bei einem fehlerhaft geführten Prüfungsgespräch die
Wiederholung nicht nur dieses Prüfungsteils, sondern auch des Kurzvortrags gestattet.
Offen bleiben kann dabei, ob diese Entscheidung durch die neuere Rechtsprechung des
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nunmehr für das Prüfungsrecht zuständigen 6. Senats des Bundesverwaltungsgerichts
überholt ist oder ob die damalige Entscheidung nur wegen der Umstände des
Einzelfalles zum Schutz des dortigen Klägers vor Nachteilen von einer Beschränkung
der Wiederholungsmöglichkeit auf das Prüfungsgespräch abgesehen hat. Das
vorerwähnte Urteil schließt nämlich jedenfalls nicht aus, dass ein Prüfling, der
erfolgreich die Durchführung eines Teils der mündlichen Prüfung in der zweiten
juristischen Staatsprüfung beanstandet, nur diesen Prüfungsteil erneut abzulegen hat,
wenn diese Beschränkung für ihn bei objektiver Sicht der Dinge nicht nachteilig ist,
BVerwG, Urteil vom 19. Dezember 2001, a. a. O., (1376); für den Fall einer fehlerhaft
erbrachten schriftlichen Prüfungsleistung: BVerwG, Urteil vom 10. Oktober 2002, 6 C
7/02, Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 2003, 1063 (1064).
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Bei dem in der zweiten juristischen Staatsprüfung zu haltenden Aktenvortrag handelt es
sich um einen eigenständig zu bewertenden und damit im vorbenannten Sinne
selbstständigen Teil der mündlichen Prüfung. Das Ergebnis dieser Prüfungsleistung ist
gemäß § 31 Abs. 4 S. 2 Nr. 2 JAG mit einer eigenen Punktzahl zu bewerten und geht mit
einem festgelegten Prozentanteil an dem Punktwert für die mündliche Prüfung
rechnerisch in die Gesamtnote ein. Der hieraus abzuleitenden Teilbarkeit von
Prüfungsgespräch und Aktenvortrag als Bestandteil der mündlichen Prüfung steht nicht
entgegen, dass nach § 5 d Abs. 4 des Deutschen Richtergesetzes in der hier
anzuwendenden und zuletzt durch Gesetz vom 11. Juli 2002 (BGBl. I S. 2592)
geänderten Fassung der Bekanntmachung vom 19. April 1972 (BGBl. I S. 713) i. V. m.
mit § 31 Abs. 4 S. 3 JAG der Prüfungsausschuss bei der Entscheidung über das
Ergebnis der Prüfung von dem rechnerisch ermittelten Wert für die Gesamtnote um bis
zu einem Punkt abweichen kann, wenn dies - auch unter Berücksichtigung der
Leistungen aus dem Vorbereitungsdienst - den Leistungsstand des Prüflings besser
kennzeichnet und die Abweichung auf das Bestehen keinen Einfluss hat. Zwar zählt zu
den Umständen, die den Gesamteindruck des Prüflings prägen, auch die als
Aktenvortrag zu erbringende Prüfungsleistung. Für die Gesamtsbeurteilung des
Leistungsstandes eines Prüflings zwar praktisch bedeutsam, rechtlich aber nicht
unverzichtbar ist indes der persönliche Eindruck des Prüfungsausschusses von den
Leistungen eines Prüflings in den Prüfungsteilen der mündlichen Prüfung. Werden
mündliche Prüfungsleistungen nicht insgesamt, sondern nur teilweise neu erbracht,
kann und hat der Prüfungsausschuss nämlich die Ergebnisse der schriftlichen Arbeiten,
die Dokumente über die unangefochten gebliebenen mündlichen Leistungen und den
aktuellen Eindruck der mündlichen Verhandlung in seine Beurteilung aufzunehmen,
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BVerwG, Urteil vom 19. Dezember 2001, a. a. O., (1377)
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Dass dem vom Antragsteller am 24. Februar 2005 gehaltenen Aktenvortrag ein
Verfahrensfehler anhaftet, ist weder dargetan noch ersichtlich. Ebenfalls ist nichts dafür
dargelegt oder sonst ersichtlich, dass die Prüfung des Antragstellers in einem von ihm
nicht gewählten Schwerpunktfach (§ 23 Abs. 2 S. 2 JAG) als Verfahrensfehler des
Prüfungsgesprächs einen Rechtsmangel des Aktenvortrags begründet.
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Entsprechend den oben dargelegten Grundsätzen ist damit die Wiederholung des
Prüfungsabschnitts der mündlichen Prüfung auf das Prüfungsgespräch als
Prüfungsteilleistung zu beschränken. Denn die Gesamtschau aller zu würdigenden
Umstände des Einzelfalles bietet keinen Anlass, von dieser Rechtsfolge als Regelfall
abzuweichen. Dass der Antragsteller angesichts des "mangelhaft" (2 Punkte)
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bewerteten Aktenvortrags ein erhebliches persönliches Interesse an der Wiederholung
auch dieser Prüfungsteilleistung hat, ist rechtlich ungeeignet, einen solchen
Ausnahmefall zu begründen. Denn eine ihm allein deshalb einzuräumende Möglichkeit
zur Wiederholung dieser Prüfungsleistung liefe als anderen Prüflingen nicht zustehende
Chance, das Prüfungsergebnis zu verbessern, dem Gebot der Chancengleichheit
zuwider. Gründe, die abweichend von den obigen Erwägungen zur Teilbarkeit der in der
mündlichen Prüfung zu erbringenden Leistungen es geboten erscheinen lassen, zwecks
der nach § 31 Abs. 4 S. 3 JAG neu zu treffenden Entscheidung den Antragsteller auch
den Aktenvortrag wiederholen zu lassen, sind weder substantiiert dargetan noch sonst
ersichtlich. Verpflichtet die Norm über die Möglichkeit, das Prüfungsergebnis
abweichend von der sich rechnerisch ergebenden Gesamtnote festzusetzen, bei einer
fehlerhaft erbrachten Teilleistung in der mündlichen Prüfung alle ihre Teile zu
wiederholen, und lässt im Fall eines mit einem Rechtsmangel behafteten Aktenvortrags
die Beschränkung der Wiederholungsmöglichkeit auf nur diesen Prüfungsteil zu,
vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Dezember 2001, a. a. O. (1376 f.)
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gilt im hier umgekehrten Fall nichts anderes. Denn für den persönlichen Eindruck, den
der Prüfungsausschuss vom Leistungsstand des Antragstellers gewinnen kann, bietet
das von ihm zu wiederholende Prüfungsgespräch eine weitaus breitere Basis als ein
isoliert zu wiederholender Aktenvortrag, ganz abgesehen davon, dass im Falle eines -
nicht von vorneherein auszuschließenden - erneuten schlechten Aktenvortrages der
Gesamteindruck in der mündlichen Prüfung von ebenso ungünstigen Gegebenheiten
begleitet wäre wie ohne weiteren Aktenvortrag. Weitere Gesichtspunkte, die hier für
einen ausnahmsweise auch zu wiederholenden Aktenvortrag sprechen könnten, sind
weder dargetan noch sonst ersichtlich.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des
Streitwertes folgt aus §§ 53 Abs. 1 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG i. d. F. des KostRMoG. Der
danach im Hauptsacheverfahren anzusetzende Streitwert von 5.000,00 Euro war
angesichts des begehrten Regelung mit nur vorläufigem Charakter lediglich hälftig
anzusetzen.
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