Urteil des VG Düsseldorf vom 17.04.2000

VG Düsseldorf: aufschiebende wirkung, überwiegendes öffentliches interesse, behandlung, strafverfahren, vorladung, ermittlungsverfahren, delikt, beschuldigter, zustellung, verfügung

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 18 L 982/00
Datum:
17.04.2000
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
18 Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
18 L 982/00
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 4.000,00 DM festgesetzt.
Gründe:
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Der Antrag,
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die aufschiebende Wirkung des mit Schriftsatz vom 22. März 2000 erhobenen
Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 20.
März 2000 wiederherzustellen,
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hat keinen Erfolg.
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Das Begehren ist zunächst hinsichtlich der Anordnung der erkennungsdienstlichen
Maßnahmen unbegründet.
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Der Antragsgegner hat die Anordnung der sofortigen Vollziehung in Anwendung von §
80 Abs. 3 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ordnungsgemäß begründet. Die
in der Begründung zur Anordnung des Sofortvollzuges zum Ausdruck kommende
Einschätzung, es sei zu erwarten, daß der Antragsteller noch vor Abschluß des
Verwaltungsverfahrens weitere Taten folgen lassen werde, reicht aus, weil damit
hinreichend deutlich zum Ausdruck kommt, daß aus Sicht des Antragsgegners (neue)
erkennungsdienstliche Unterlagen für Zwecke der Prävention schon jetzt erforderlich
sind.
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Die nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung fällt zu Lasten der
Antragstellerseite aus. Der die erkennungsdienstliche Behandlung des Antragstellers
anordnende Bescheid des Beklagten vom 20. März 2000 ist bei der im vorläufigen
Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung nicht zu beanstanden.
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Die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung findet ihre Rechtsgrundlage in
§ 81 b 2. Alternative Strafprozeßordnung (StPO). Nach dieser Bestimmung dürfen
Lichtbilder und Fingerabdrücke des Beschuldigten auch gegen seinen Willen
aufgenommen und Messungen und ähnliche Maßnahmen an ihm vorgenommen
werden, sofern dies für Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig ist. Diese
Bestimmung schließt die Befugnis der Polizeibehörde ein, den Betroffenen zur
Aufnahme der erkennungsdienstlichen Unterlagen vorzuladen.
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Voraussetzung für die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung ist daher
zunächst, daß der Betroffene Beschuldigter ist oder war, d.h. ein Ermittlungs- oder ein
Strafverfahren gegen ihn schwebt oder geschwebt hat. Diese Voraussetzung ist erfüllt.
Sowohl hinsichtlich des Vorfalls aus November 1999 als auch der Sache aus März 2000
liegen Strafanzeigen vor, die zu entsprechenden Ermittlungen geführt haben.
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Unerheblich ist, welchen Verfahrensstand die aktuellen Ermittlungsverfahren derzeit
aufweisen. Im Gegensatz zu Maßnahmen nach § 81 b 1. Alternative StPO, die der
Ermittlung in einem gegen den Betroffenen als Beschuldigten gerichteten Strafverfahren
dienen, sind die nach § 81 b 2. Alternative StPO gewonnenen Unterlagen ohne
unmittelbaren Bezug zu einem konkreten Strafverfahren dazu bestimmt, vorsorgend
sächliche Hilfsmittel für die sachgerechte Wahrnehmung der Aufgaben bereitzustellen,
die der Kriminalpolizei hinsichtlich der Erforschung und Aufklärung von Straftaten durch
§ 163 StPO zugewiesen sind. Deshalb folgt aus dem Begriff Beschuldigter im Sinne des
§ 81 b 2. Alternative StPO lediglich, daß die Anordnung nicht an beliebige Tatsachen
anknüpfen oder zu einem beliebigen Zeitpunkt ergehen darf, sondern durch ein gegen
den Betroffenen als Beschuldigten gerichtetes Strafverfahren veranlaßt sein muß.
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Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 19. Oktober 1982 - 1 C 29.79 -,
Entscheidungssammlung des BVerwG (BVerwGE), Band (Bd.) 66, S. 192 ff.
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Die erkennungsdienstliche Behandlung des Antragstellers war zum Zeitpunkt ihrer
Anordnung auch notwendig. Sie ist es darüber hinaus auch gegenwärtig noch. Für die
Beurteilung der Notwendigkeit kommt es - auch - auf den Zeitpunkt der gerichtlichen
Entscheidung an, weil § 81 b 2. Alternative StPO nicht nur auf den Zeitpunkt des
Erlasses der Anordnung, sondern auch auf den Zeitpunkt der tatsächlichen Vornahme
der Maßnahmen abstellt.
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BVerwG, Urteil vom 19. Oktober 1982, a.a.O.
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Wegen der für die Beurteilung der Notwendigkeit maßgeblichen Kriterien wird auf das
oben zitierte Urteil des BVerwG Bezug genommen. Die Entscheidung läuft danach
hinaus auf eine Abwägung zwischen dem Interesse der Öffentlichkeit an einer effektiven
Verhinderung und Aufklärung von Straftaten und dem Interesse des Betroffenen,
entsprechend dem Menschenbild des Grundgesetzes nicht bereits deshalb als
potentieller Rechtsbrecher behandelt zu werden, weil er sich irgendwie verdächtig
gemacht hat oder angezeigt worden ist.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Februar 1967 - 1 C 57.66 -, BVerwGE, Bd. 26, S. 169.
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Im Rahmen der Abwägung kommt es insbesondere darauf an, in welchem Umfang
(noch) Verdachtsmomente gegen den Betroffenen bestehen. In diesem Zusammenhang
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ist maßgeblich auch, welcher Art das Delikt ist, auf das sich diese beziehen. Je
schwerer das Delikt wiegt, je höher der Schaden für die geschützten Rechtsgüter und
die Allgemeinheit zu veranschlagen ist und ggf. auch je größer die Schwierigkeiten
einer Aufklärung einzustufen sind, desto mehr Gewicht erlangt das oben beschriebene
öffentliche Interesse.
Vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein- Westfalen (OVG NRW), Urteil vom
18. August 1989 - 5 A 796/89 -.
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Ausgehend von diesen Grundsätzen sprechen gewichtige Umstände und ein
überwiegendes öffentliches Interesse dafür, daß die vom Antragsteller aufzunehmenden
erkennungsdienstlichen Unterlagen zur Erleichterung möglicher künftiger Ermittlungen
notwendig sind.
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Zunächst ist die Annahme begründet, der Antragsteller könne erneut in vergleichbarer
Weise strafrechtlich in Erscheinung treten. Trotz der laufenden Ermittlungsverfahren hat
sich der Antragsteller wiederum in der Nähe der Schule aufgehalten, die
Ausgangspunkt für die anhängigen Ermittlungsverfahren gewesen ist. Nach den
Beobachtungen des Zeugen hat sich der Antragsteller Kinder angesehen und dabei den
Eindruck vermittelt, als ob er etwas suchen würde.
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Das Verhalten des Antragstellers läßt den Schluß zu, daß erkennungsdienstliche
Unterlagen konkret auch zur Aufklärung zukünftig zu erwartender Straftaten notwendig
sind. So hat nach Aussage des Vaters eines geschädigten Kindes der Antragsteller
seine Tatbeteiligung zunächst geleugnet und erst bei Begegnung mit dem geschädigten
Kind den Vorfall eingeräumt, wobei der Antragsteller aber zugleich im Wiederholungsfall
einen weiteren körperlichen Übergriff angekündigt hat. Hinzu kommt, daß der
Antragsteller bei seinen Taten einen Pkw geführt hat, der nicht auf ihn zugelassen
gewesen ist. Deshalb ist es unverzichtbar, der Polizei zur Feststellung oder zum
Ausschluß einer Tatbeteiligung aktuelle erkennungsdienstliche Unterlagen von
Personen zur Verfügung zu stellen, die - wie der Antragsteller - bereits einschlägig in
Erscheinung getreten sind.
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Angesichts der präventivpolizeilichen Bedeutung, die den erkennungsdienstlichen
Unterlagen nach allem zukommt, steht deren Anfertigung gegenüber möglichen
Nachteilen für den Antragsteller auch nicht außer Verhältnis. Die Unterlagen sind
nämlich für den innerdienstlichen Gebrauch bestimmt und der Allgemeinheit zunächst
nicht zugänglich. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß die Lichtbilder durch ihre
Aufnahme in die Lichtbildervorzeigekartei Dritten vorgelegt werden können. Denn die
Berechtigung der Polizei zur Aufnahme von Lichtbildern zum internen Dienstgebrauch
enthält nicht ohne weiteres die Befugnis, die Lichtbilder Personen zu zeigen, die nicht
das Amtsgeheimnis zu wahren haben. Bevor sie über den innerdienstlichen Bereich
hinaus einer Privatperson vorgelegt werden, müssen erneut die widerstreitenden
Interessen der Allgemeinheit und des Betroffenen abgewogen werden.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Februar 1967 - 1 C 57.66 -, a.a.O.; Beschluß vom 18. Mai
1973 - 1 B 39.73 -, Die Öffentliche Verwaltung (DÖV) 1973, S. 752.
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Hinsichtlich von Fingerabdrücken ist schließlich grundsätzlich zu beachten, daß sie für
eine Täteridentifizierung durch Laien ungeeignet sind. Da Privatpersonen den
Verdächtigen aufgrund der Fingerabdrücke nicht wiedererkennen können, ist die
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Möglichkeit, dem Antragsteller könnten durch ihre Anfertigung Nachteile entstehen,
verschwindend gering.
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 10. März 1981 - 4 A 2553/79 - .
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Das Aussetzungsverfahren ist in bezug auf die Vorladung ebenfalls unbegründet.
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Ist die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung - wie hier nicht zu
beanstanden - darf die anordnende Behörde den Betroffenen auch entsprechend
vorladen, wobei sich die mit dem angefochtenen Bescheid verbundene Vorladung nicht
durch Zeitablauf erledigt haben dürfte. Mit der Antragserwiderung ist bestimmt worden,
daß die erkennungsdienstliche Behandlung nunmehr für den Tag gelten soll, der der
Zustellung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts folgt, sofern die aufschiebende
Wirkung des Widerspruchs nicht wiederhergestellt wird. Damit ist für den Antragsteller
hinreichend deutlich, wann er sich der erkennungsdienstlichen Behandlung stellen
muß.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 2
Gerichtskostengesetz (GKG) und berücksichtigt den Auffangwert, der in Verfahren des
vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren ist. Der Vorladung kommt dabei
streitwertmäßig keine eigenständige Bedeutung zu.
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