Urteil des VG Düsseldorf vom 10.02.2006

VG Düsseldorf: serbien und montenegro, kosovo, medikamentöse behandlung, bundesamt, polyarthritis, anerkennung, auskunft, therapie, heimat, widerruf

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 15 K 735/04.A
Datum:
10.02.2006
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
15. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
15 K 735/04.A
Tenor:
Der Widerrufsbescheid des Bundesamtes für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge vom 19. Januar 2004 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe
des beizutreibenden Betrages abwenden, sofern nicht die Klägerin
zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand:
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Die am 00.00.1969 geborene Klägerin ist Staatsangehörige von Serbien und
Montenegro, albanischer Volkszugehörigkeit aus dem Kosovo. Nach ihrer Einreise in
die Bundesrepublik Deutschland blieb sie mit ihren Asylgesuch vom 1. Juni 1999 beim
Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) erfolglos, das
den Asylantrag und die Feststellung von Abschiebungshindernissen nach §§ 51 Abs. 1
und 53 AuslG durch Bescheid vom 12. November 1999 ablehnte. Der dagegen
erhobenen Klage gab das Verwaltungsgericht Düsseldorf teilweise statt und
verpflichtete die Beklagte mit dem im Verfahren 15 K 7566/99.A ergangenen Urteil vom
23. April 2002 festzustellen, dass in der Person der Klägerin ein Abschiebungshindernis
nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG hinsichtlich der Bundesrepublik Jugoslawien vorliegt,
und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, eine Rückkehr in ihre Heimat lasse für
die Klägerin eine gravierende Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes und damit
eine erhebliche Gefahr für ein durch § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG geschütztes Rechtsgut
befürchten, weil die Erkrankung einer "primären chronischen Polyarthritis" in der Heimat
der Klägerin nicht behandelbar sei. Wegen der weiteren Einzelheiten des Urteils und
seiner Begründung wird auf den Inhalt dieser rechtskräftigen Entscheidung verwiesen.
Mit Bescheid vom 17. Juli 2002 stellte das Bundesamt fest, dass in der Person der
Klägerin Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG aus den
vorgenannten Gründen vorliegen.
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Nach Einleitung des Widerrufsverfahrens gab das Bundesamt der Klägerin mit
Schreiben vom 3. Februar 2003 Gelegenheit, zum beabsichtigten Widerruf der
Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 6 AuslG Stellung zu
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nehmen. Mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 10. März 2003 wies die
Klägerin unter Beifügung ärztlicher Unterlagen darauf hin, dass ihr chronisches
Krankheitsbild fortbestehe und die dringend erforderliche Dauertherapie im Kosovo
nicht sichergestellt sei. Da sie arbeitsunfähig sei, könne sie auch die Kosten für die
Medikamente und notwendigen Untersuchungen nicht aufbringen. Wegen der weiteren
Einzelheiten ihres Vorbringens wird auf den Inhalt des vorerwähnten Schreibens ihrer
Prozessbevollmächtigten nebst Unterlagen Bezug genommen. Mit Bescheid vom 19.
Januar 2004 widerrief das Bundesamt die mit Bescheid vom 17. Juli 2002 getroffene
Feststellung, dass in der Person der Klägerin die Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 Satz
1 AuslG vorliegen und stellte fest, dass auch im übrigen Abschiebungshindernisse nach
§ 53 AuslG nicht vorliegen. Zur Begründung führt es im wesentlichen aus, dass sich die
medizinische Versorgungslage gebessert habe und namentlich auch das Krankheitsbild
einer chronischen Polyarthritis nach der Auskunftslage im Kosovo behandelbar sei und
eine medizinische Basistherapie durchgeführt werden könne weil auch die für sie
erforderlichen Medikamente Methotrexat, Diclofenac sowie Prednison im Kosovo
erhältlich seien. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf den Inhalt
des vorerwähnten behördlichen Bescheides verwiesen. Die Klägerin hat am 3. Februar
2004 (rechtzeitig) Klage erhoben, mit der sie die Aufhebung des angefochtenen
Widerrufsbescheides begehrt.
Sie beantragt,
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den Widerrufsbescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer
Flüchtlinge vom 19. Januar 2004 aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
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die Klage abzuweisen,
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und wiederholt sowie vertieft im wesentlichen die Erwägungen des angefochtenen
Bescheides.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den
Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes
und der Ausländerakten sowie auf die Auskünfte und Erkenntnisse Bezug genommen,
die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
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Entscheidungsgründe:
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Die Anfechtungsklage ist begründet.
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Der angefochtene Widerrufsbescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin dadurch
in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 73 Abs. 3 AsylVfG, auf den als
Rechtsgrundlage der angefochtene Widerrufsbescheid allein gestützt ist, liegen nicht
vor. Nach dieser Vorschrift in der derzeit geltenden und nach § 77 Abs. 1 AsylVfG
anzuwendenden Fassung ist die Feststellung, dass Abschiebungshindernisse nach §
60 Abs. 7 AufenthG (vormals § 53 Abs. 6 AuslG) vorliegen, zu widerrufen, wenn die
Voraussetzungen nicht mehr vorliegen. Das setzt tatbestandlich voraus, dass sich die
für die Entscheidung maßgeblichen Verhältnisse nachträglich erheblich geändert haben
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- vgl. BVerwG, Urteil vom 19. September 2000 - 9 C 12/00 -, NVwZ 2001, Seite 335 ff. zu
§ 73 Abs. 1 AsylVfG in der bis dahin geltenden Fassung,
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wobei für die Prüfung der Voraussetzungen des Widerrufes maßgeblich der Zeitpunkt
des rechtskräftig gewordenen Verpflichtungsurteiles und namentlich auf die für das
rechtskräftig gewordene Verpflichtungsurteil maßgeblichen Verhältnisse, d.h. auf die
Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung des
Tatsachengerichtes abzustellen ist
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- vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Mai 2003 - 1 C 15/02 -, NVwZ 2004, S. 113 f. m.w.N..
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Ändert sich hingegen im Nachhinein lediglich die Beurteilung der Gegebenheiten, so
rechtfertigt dies den Widerruf nicht, weil die Rechtskraftwirkung des Verpflichtungsurteils
nach § 121 VwGO nur durch neue entscheidungserhebliche Tatsachen überwunden
werden kann, die sich zudem so wesentlich von den damals gegebenen Umständen
unterscheiden, dass auch unter Berücksichtigung des Zwecks der Rechtskraft eine neue
Sachentscheidung gerechtfertigt ist,
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- vgl. BVerwG, Urteil vom 19. September 2000, a.a.O., sowie Urteil vom 18. September
2001 - 1 C 7.01 - für § 73 Abs. 3 AsylVfG.
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Bei Anwendung dieser Maßstäbe haben sich die Voraussetzungen hier nicht im Sinne
von § 73 Abs. 3 AsylVfG entscheidungserheblich verändert.
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Sachliche Grundlage der positiven Ausgangsentscheidung war die richterliche
Tatsachenfeststellung, dass die Klägerin an einer "primären chronischen Polyarthritis"
leidet und eine Therapie mit den erforderlichen Medikamenten Prednison und
Methotrexat nicht sichergestellt sei, so dass im Falle der Abschiebung eine gravierende
Verschlimmerung des Leidens durch eine weitere Deformierung des Gelenkapparates
und der damit verbundenen Beeinträchtigungen zu befürchten sei.
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Die Sachprüfung hat im vorliegenden Verfahren ergeben, dass sich diese für die
Ausgangsentscheidung maßgebenden Verhältnisse nicht entscheidungserheblich
verändert haben.
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Es steht außer Frage und ist zwischen den Verfahrensbeteiligten auch unstreitig, dass
die Klägerin nach wie vor an primärer chronischer Polyarthritis mit den bereits im
vorhergehenden Verfahren festgestellten Symptomen leidet. Auch nach dem Eindruck,
den die Klägerin in der mündlichen Verhandlung auf das Gericht hinterlassen hat, steht
die Schwere ihres Krankheitsbildes außer Zweifel. Unter Berücksichtigung dieser
individuellen Gegebenheiten kann im weiteren auch nicht davon ausgegangen werden,
dass nunmehr eine medikamentöse Behandlung der Klägerin im Kosovo sichergestellt
ist. Die Wiederherstellung der medizinischen Grundversorgung der Bevölkerung ist im
Kosovo nach wie vor prioritär, jedoch kurz - und mittelfristig nur schwer möglich. Die
medizin-technische Grundausstattung regionaler Hospitäler kommt weiter voran, es wird
jedoch häufig über Fälle von Korruption und andere Unregelmäßigkeiten berichtet. In
Einzelfällen, die auch in der kosovarischen Presse und von Organisationen wie Caritas
international berichtet werden, sollen Medikamente, die eigentlich kostenfrei und gegen
geringe Zuzahlung an die Patienten abzugeben sind, nur gegen Bezahlung an die
Patienten abgegeben werden mit dem Hinweis, sie seien derzeit in der
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Krankenhausapotheke nicht vorrätig, könnten aber aus anderen "Quellen" besorgt
werden. Neben den Apotheken in öffentlichen Gesundheitseinrichtungen existieren im
Kosovo nach Presseberichten ca. 350 privat betriebene Apotheken. Eine ausreichende
Kontrolle dieser Apotheken scheint jedoch nicht vorhanden zu sein, denn nach
Aussagen der "Vereinigung der Apotheken im Kosovo SHFR" werden nur 125 dieser
Apotheken von ausgebildeten Pharmazeuten geleitet.
Vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 22. November 2005, Seite 19 ff.
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Diese gleichsam labile und nicht sicher zu greifende Versorgungslage ist im Kosovo
generell festzustellen und betrifft von dieser Ausgangslage her zwangsläufig auch die
spezielle Krankenversorgung der Klägerin. Namentlich kann die medikamentöse
Versorgung der Klägerin mit den erforderlichen Basismedikamenten Prednison und
Methotrexat nicht als sichergestellt bewertet werden.
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Das Medikament Prednison steht nach der von der Beklagten selbst benannten
Auskunft des Deutschen Verbindungsbüros Kosovo vom 17. Juni 2004 im Kosovo nicht
zur Verfügung und muss gegebenenfalls von dortigen Apotheken auf Kosten des
Patienten aus dem Ausland beschafft werden. Damit widerspricht bzw. präzisiert diese
Auskunft frühere Botschaftsberichte, nach deren Inhalt die Erhältlichkeit von Prednison
eher uneingeschränkt bejaht wurde,
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vgl. etwa die diesbezüglichen Botschaftsberichte vom 16. November 2001, 1. Februar
2003, 21. März 2003 und 5. April 2004,
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so dass so gesehen eher von einer Verschlechterung als von einer Verbesserung der
Auskunftslage im Hinblick auf die Verfügbarkeit dieses Medikamentes auszugehen sein
dürfte.
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Nicht anders verhält es sich hinsichtlich des weiteren Medikamentes Methotrexat. Denn
nach der Auskunft des Deutschen Verbindungsbüros Kosovo vom 26. Juli 2005 ist
dieses Medikament auch in oraler Verabreichungsform nicht ständig am Markt
verfügbar. Dieser Umstand ist hier um so bedeutsamer, als dieses Medikament nach
den unwidersprochen gebliebenen Angaben im ärztlichen Bericht von Herrn Q vom 19.
April 2005 (Blatt 83/84 der Gerichtsakte) das Basismedikament der Therapie darstellt
und die Krankheitsprogression am ehesten verlangsamt. Schließlich ergeben sich auch
aus den KIP-Auskünften (Blatt 9 ff. der Beiakte Heft 2) keine besseren Erkenntnisse.
Denn abgesehen davon, dass ihrem Inhalt die vorstehend gewürdigten aktuelleren
Auskünfte vorgehen, bestätigen auch sie die Unverlässlichkeit der Versorgungslage,
weil zumindest hinsichtlich des Basismedikamentes Methotrexat die Mitteilungen in den
einzelnen Interviews nicht einheitlich bzw. sogar gegenläufig sind.
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Dies alles wiegt hier um so schwerer, als bereits in dem vorausgehenden Urteil des
erkennenden Gerichtes vom 23. April 2004 festgestellt worden war, dass die Erkrankung
der Klägerin ohne die erforderlichen Medikamente in überschaubarer Zukunft zu einer
dramatischen Verschlimmerung ihres Leidens führen wird, so dass jedenfalls die
vorhandenen Unwägbarkeiten in der Versorgungslage für die Klägerin auch weiterhin
unzumutbar sind.
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Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 154 Abs. 1 VwGO, 167 VwGO, 708 Nr. 11,
711 ZPO.
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