Urteil des VG Düsseldorf vom 02.12.2005

VG Düsseldorf: wiedereinsetzung in den vorigen stand, stadt, freiwillige leistung, haushalt, verwaltung, verfügung, vorschlag, deckung, schüler, gewerbesteuer

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 1 K 4332/04
Datum:
02.12.2005
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
1. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 K 4332/04
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe
des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn
nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils
zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand:
1
Der Beklagte konnte aufgrund des strukturellen Defizits des städtischen Haushalts bei
der Aufstellung des Haushaltsplanes 2002 / 2003 einen Haushaltsausgleich nicht
herbeiführen. Mit Beschluss des Beklagten vom 18.03.2002 waren deshalb u.a.
Haushaltssicherungsmaßnahmen im Bereich der Grundschulen vorgesehen mit der
Vorgabe, zur Umsetzung einzelner Maßnahmen die notwendigen Beschlüsse
herbeizuführen. Mit seinen Beschlüssen vom 17.02.2003 hatte der Beklagte nach
Überprüfung der Grundschulplanung und des festgestellten Rückgangs der
Schülerzahlen eine neue Grundschulentwicklungsplanung aufgestellt, mit der im
Wesentlichen die Auflösung von sechs Grundschulen bzw. die Verlegung von zwei
Grundschulen beschlossen wurde, sowie deren finanzielle Auswirkungen festgelegt.
Ziel der neuen Grundschulentwicklungsplanung war u.a. die Reduzierung von Kosten,
da die Stadt X ihren Haushalt seit 2002 nach den Vorschriften der vorläufigen
Haushaltsführung gemäß § 81 der Gemeindeordnung NRW (GO) in der bis zum
31.12.2004 geltenden Fassung führt.
2
Die Bezirksregierung E hatte als Aufsichtbehörde mit Verfügung vom 21.06.2002 die
Genehmigung des Haushaltssicherungskonzepts 2002 versagt, da trotz verschiedener
Maßnahmen ein struktureller Ausgleich im Finanzplanungszeitraum nicht möglich
gewesen war. Bereits zuvor hatte die Aufsichtsbehörde in ihrer Verfügung vom
3
22.11.2000 folgende Regelungen aufgestellt:
„3. Mehreinnahmen dürfen nicht für über- oder außerplanmäßige Ausgaben, sondern
ausschließlich zur Minderung des originären Defizits beziehungsweise zur Reduzierung
der Altdefizite verwendet werden. Etwas anderes gilt nur dann, wenn zur Leistung der
Ausgaben eine rechtliche Verpflichtung besteht.
4
4. Mit dem Haushaltsplan und Haushaltssicherungskonzept 2002 sind die strukturellen
Maßnahmen, mittels derer die Abdeckung der verbleibenden Altdefizite der Jahre 2006
und 2007 sichergestellt werden soll, detailliert nachzuweisen. Sollten strukturelle
Verbesserungen in dem erforderlichen Umfang nicht möglich sein oder sich die Planung
als unrealistisch erweisen, kann auf die Veräußerung von städtischem Vermögen nicht
mehr verzichtet werden."
5
Die Kläger sind Vertreter eines Bürgerbegehrens, das nach eigenen Angaben 28.911
prüffähige Unterschriften gewonnen hat. Das Bürgerbegehren hat folgenden Inhalt:
6
„Ich bin dafür, dass zu folgender Frage ein Bürgerentscheid durchgeführt wird:
7
Soll die Stadt X alle Xer Grundschulen erhalten?
8
Begründung:
9
Der Rat der Stadt X hat mit den Ratsbeschlüssen vom 17.02.03 beschlossen, den
Grundschulentwicklungsplan (VO/5059/02) umzusetzen. Es ist neben weiteren
Maßnahmen beschlossen, 5 Grundschulen bis 2009 zu schließen und 2 Schulen an
einen anderen Standort zu verlegen. Die Vorteile der wohnortnahen Grundschulen
sollen aus finanziellen Gründen geopfert werden. (...)
10
Kostendeckungsvorschlag:
11
Mit Schreiben vom 25.03.03 teilt uns die Stadt X mit, dass bei Nichtdurchführung des
Ratsbeschlusses der städtische Haushalt angeblich einmalig mit EUR 4.662.700
(verteilt auf mehrere Jahre) belastet wird und laufende Mehrkosten von jährlich EUR
450.225 anfallen. Wir meinen, dass bei Berücksichtigung aller mit der Schließung und
Verlegung von Grundschulen zusammenhängenden Kosten (u.a. notwendige
Erweiterungen an benachbarten Schulen) und der tatsächlich zu erzielenden Erlöse
sogar Mehraufwendungen bei Durchführung des Grundschulentwicklungsplanes auf die
Stadt zukommen. Wir sind weiterhin der Überzeugung, dass geeignetere Maßnahmen,
z.B. Bildung von Klassen gewünschter Größe durch Einrichten flexibler Schulbezirke
und/oder Kooperationsmodelle zwischen benachbarten Schulen einen effektiveren
Schulbetrieb vor dem Hintergrund der zu erwartenden Schülerzahlen bewirken können.
Das Begehren, den Grundschul-Ist-Bestand beizubehalten, betrifft kein „neues Projekt",
für das „neue Investitionsmittel" aufzubringen wären. Die Grundschulen sollen vielmehr
unter Ausnutzung von Einsparmöglichkeiten der oben geschilderten Art in der
bisherigen Weise weitergeführt und weiterfinanziert werden, so dass ein neuer
Deckungsvorschlag für neu entstehende Kosten entfällt. Im Zweifel mag die Stadt X den
von ihr errechneten, durchaus fragwürdigen Haushaltsfehlbetrag durch moderate
Steuererhöhungen ausgleichen: Die einmalige Belastung kann durch zeitlich befristete
Erhöhung des Hebesatzes der Gewerbesteuer auf 445 % für 5 Jahre (jährliches
Aufkommen etwa 101 Mio. EUR, Hebesatz z.Zt. 440 %) ausgeglichen werden. Die
12
angeblichen Mehrbetriebsausgaben von jährlich EUR 450.225 können durch dauerhafte
Erhöhung des Hebesatzes der Grundsteuer auf 495 % (jährliches Aufkommen etwa 55
Mio. EUR, Hebesatz z.Zt. 490 %) finanziert werden."
Auf Bitte um Beratung durch den Oberbürgermeister der Stadt X nahm die
Bezirksregierung E im Zusammenhang mit der Durchführung des Bürgerbegehrens mit
Verfügung vom 10.06.2003 zu schulorganisatorischen Maßnahmen und zur Frage des
Deckungsvorschlages zur Finanzierung des Erhalts von Grundschulen Stellung wie
folgt:
13
„(...) dass angesichts der zu Grunde zu legenden Schülerzahlen in X im Rahmen eines
Schulentwicklungsplanes Grundschulen zu schließen sind, um einen geordneten
Schulbetrieb sicher zu stellen. Dies wurde der Stadt X mit Verfügung vom 11.02.2002,
Az.: 48.22.08.20, mitgeteilt.
14
Soweit Grundschulen unter fachrechtlichen Gesichtspunkten zu schließen sind, wäre
ein Erhalt und Weiterbetrieb entsprechender Schulen aus meiner Sicht als freiwillige
Leistung zu beurteilen, die gemäß § 81 der Gemeindeordnung im Rahmen der
vorläufigen Haushaltsführung unzulässig ist. Dem steht das der Stadt eingeräumte
Planungsermessen nicht entgegen. Denn wenn auch aufsichtsbehördlich nicht
vorgegeben wird, welche schulorganisatorischen Maßnahmen bezogen auf die
einzelnen Schulen zu treffen sind, so ist doch der Abbau von schulischen Kapazitäten,
also die Schließung verschiedener Grundschulen rechtlich verbindlich.
15
Im Übrigen trifft es zu, dass die Stadt X angesichts ihrer außerordentlich schwierigen
Haushaltslage alles daran setzen muss, die Vorgaben des
Haushaltssicherungskonzeptes umzusetzen und dadurch finanzielle Entlastungen für
den städtischen Haushalt zu erreichen. Auch über das derzeitige
Haushaltssicherungskonzept hinaus müssen Grundlagen für weitere strukturelle
Verbesserungen geschaffen werden, um die finanzielle Handlungsfähigkeit wieder
herzustellen.
16
Wenn zusätzliche Einnahmen, beispielsweise durch eine Erhöhung der Hebesätze für
Grund- und Gewerbesteuer, erzielt werden können, müssen entsprechende
Verbesserungen grundsätzlich zur Reduzierung der Fehlbeträge verwendet werden,
also als Mehreinnahmen dem städtischen Haushalt zufließen ohne erweiterte Ausgaben
zu finanzieren. Eine Finanzierung freiwilliger Leistungen mit solchen Mehreinnahmen
halte ich für haushaltsrechtlich unzulässig."
17
Mit Beschluss vom 28.07.2003 hat der Beklagte die Feststellung getroffen, dass das am
16.05.2003 eingereichte Bürgerbegehren nicht den Anforderungen des § 26 GO
entspreche und unzulässig sei, da ihm der gemäß § 26 Abs. 2 S. 1 GO erforderliche
Vorschlag fehle, wie die Kosten der verlangten Maßnahme im Rahmen der gesetzlichen
Bestimmungen zu decken sei. Weder sei ein solcher Vorschlag überflüssig, noch
genüge der hilfsweise gemachte Vorschlag, die Realsteuersätze zu erhöhen, den
gesetzlichen Bestimmungen. Mit Bescheiden vom 07.08.2003 teilte der
Oberbürgermeister der Stadt X das Ergebnis des Ratsbeschlusses den Klägern mit.
18
Hiergegen hat der Kläger zu 2. am 08.08.2003 mit anwaltlichem Schriftsatz Widerspruch
erhoben. Die Kläger zu 1. bzw. zu 3. haben am 27.02.2004 Widerspruch erhoben unter
gleichzeitiger Beantragung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen
19
Versäumung der Widerspruchsfrist. Die Widersprüche wurden nicht weiter begründet.
Mit am 09.06.2004 zur Post gegebenen Bescheiden vom 03.06.2004 teilte der
Oberbürgermeister der Stadt X mit, dass der Beklagte die Widersprüche
zurückgewiesen hat. Bezüglich der Kläger zu 1. bzw. zu 3. wurde wegen der
Versäumung der Widerspruchsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
20
Zur Begründung der dagegen am 02.07.2004 erhobenen Klage haben die Kläger im
wesentlichen vorgebracht: Die Ausführungen des Bürgerbegehrens zum
Kostendeckungsvorschlag seien ausreichend. Nachvollziehbar sei die Darlegung, dass
aufgrund der mit der Schließung notwendig verbundenen baulichen
Erweiterungsmaßnahmen an benachbarten Schulen und ein viel zu hoch angesetzter
Verkaufserlös für geschlossene und aufgegebene Schulgebäude tatsächlich nicht die
Aufrechterhaltung der Schulen, sondern deren Schließung Mehrkosten verursache. Die
Mehrkostenberechnung der Verwaltung sei fragwürdig. In diese Berechnung seien aber
nur und ausschließlich die notwendigen Baukosten für die Schaffung der
Ersatzräumlichkeiten für die zu schließenden Schulen eingestellt worden. Sie
berücksichtigten in keiner Weise die mit dieser Investition - vor allem die Zinsen für
aufzunehmende Kredite in Höhe von fast 10 Mio. Euro - und mit der Schließung der
Schulen verbundenen weiteren Kosten. Die eingerechneten Erlöse von
Grundstücksverkäufen seien zu hoch angesetzt, zumal völlig offen sei, ob es zur
Realisierung dieser Erlöse bis zum Jahre 2007 käme. Auch der von der Verwaltung
angenommene sog. Sanierungsstau bei den aufzugebenden Gebäuden sei
unangemessen hoch angesetzt worden, wie ein Arbeitspapier des Arbeitskreises gegen
die Schließung der GGS D Straße vom 15.11.2002 zeige. Die von der Verwaltung
behaupteten haushaltsrechtlichen Vorgaben für die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens
seien völlig überzogen. Denn dies würde bedeuten, das die Stadt verpflichtet wäre, auf
die Einzügigkeit hin tendierende Grundschulen zu schließen. Dies könne aber nur
falsch sein, da es alleiniger Entscheidung der Stadt unterliege und nicht der
Fachaufsicht, in welcher Zügigkeit die Stadt Grundschulen unterhalten wolle oder für
erforderlich halte. Im übrigen sei nicht ernsthaft diskussionsfähig, dass die
Aufrechterhaltung von nicht mehr ganz zweizügigen Grundschulen zur
haushaltsrechtlichen Zweckerreichung mit den Grundsätzen vernünftigen Wirtschaftens
schlechthin unvereinbar sei. Darüber sei anhand des Beispiels GGS D Straße
erkennbar, wie schnell Prognosen überholt seien. Für das Schuljahr 2005 / 2006 seien
dort 59 Schüler angemeldet worden, was im Ergebnis auf eine Dreizügigkeit
hinauslaufe und nicht auf die von der Verwaltung prognostizierte Einzügigkeit.
21
Die Kläger beantragen,
22
den Beklagten unter Aufhebung der Bescheide vom 07.08.2003 und vom 03.06.2004 zu
verpflichten, die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens „Gegen Grundschulschließungen"
festzustellen.
23
Der Beklagte beantragt,
24
die Klage abzuweisen.
25
Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor: Ein Kostendeckungsvorschlag sei nicht
entbehrlich. Soweit dieser von dem Bürgerbegehren dargestellt werde, entspreche er
nicht den gesetzlichen Bestimmungen. Bei Erfolg des Bürgerbegehrens komme es nach
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den zum Verwaltungsvorgang genommenen Berechnungen zu Belastungen, die sich
mit mindestens 4 Mio. Euro einmalig und jährlich wiederkehrend mit mindestens
430.000,00 Euro beziffern ließen. Bei der Finanzierung von Neu- und
Erweiterungsbauten komme es nicht - wie die Kläger behaupteten - zu Zinsbelastungen
zum Nachteil der Stadt, da zur Finanzierung ausschließlich Landesmittel (aus der
Schulpauschale) in Anspruch genommen würden. Beim Ansatz der Verkaufserlöse
seien konservative Berechnungen zugrunde gelegt worden. Die Kritik an den von der
Verwaltung in Ansatz gebrachten Sanierungskosten sei pauschal. Vielmehr müsse
anhand eines jeden Gebäudes im einzelnen der Sanierungsaufwand bestimmt werden;
dies habe die Verwaltung vorgenommen. Angesichts der weiterhin bestehenden
schwierigen Haushaltssituation der Stadt und dem bestehenden Regime der vorläufigen
Haushaltsführung sei der Erhalt und Weiterbetrieb der betroffenen Grundschulen
unzulässig. Auch die Kritik an den Prognosen zur Schulentwicklungsplanung,
besonders am Beispiel GGS D Straße sei unberechtigt. Diese Schule habe besonders
viele sog. „nichtzuständige" Schüler aus anderen Schulbezirken aufgenommen, 87 % im
Schuljahr 2003, 36 % im Schuljahr 2004 und 61 % im Schuljahr 2005 / 2006. Die Kläger
überschätzten zudem die Auswirkungen auf die Schülerentwicklung durch
Bautätigkeiten und Generationenwechsel in den betroffenen Schulbezirken.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der
Beteiligten im übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und des beigezogenen
Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.
27
Entscheidungsgründe:
28
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
29
Der Beklagte ist nicht verpflichtet, die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens „Gegen
Grundschulschließungen" festzustellen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Den Klägern steht
ein solcher Anspruch nicht zu, weil der Beklagte zu Recht festgestellt hat, dass das
Bürgerbegehren unzulässig ist.
30
Das Begehren genügt den Anforderungen des § 26 Abs. 2 Satz 1 GO NRW nicht, da es
„einen nach den gesetzlichen Bestimmungen durchführbaren Vorschlag für die Deckung
der Kosten der verlangten Maßnahme" nicht enthält.
31
Mit „Kosten der verlangten Maßnahme" nennt das Gesetz den finanziellen Aufwand, der
für die Gemeinde bei Verwirklichung des Begehrens im Ergebnis anfiele. Das ist nicht
nur die finanzielle Belastung, die erforderlich wäre, um das Begehren unmittelbar
umzusetzen, sondern schließt Folgekosten, den Verzicht auf Einnahmen sowie die
Kosten einer von dem Vorhaben indirekt erzwungenen Alternative ein. Letzteres gilt mit
der Einschränkung, dass die Kosten der Alternative mit einiger Zwangsläufigkeit
unmittelbar anfallen würden. Kosten, die sich erst über die Verwirklichung mehrerer
kaum kalkulierbarer Zwischenursachen ergeben würden, bleiben außer Betracht.
32
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 19.03.2004 - 15 B 522/04 -.
33
Ein Kostendeckungsvorschlag ist selbst dann erforderlich, wenn das Begehren keine
zusätzlichen Kosten auslösen, sondern nur eine von der Gemeinde angestrengte
Einsparung zu Fall bringen will. Dies folgt allgemein aus der nach § 26 Abs. 5 Nrn. 3
und 4 GO NRW dem Rat vorbehaltenen Budgethoheit und ergibt sich unabhängig
34
davon jedenfalls aus § 75 Abs. 2 GO NRW, wenn der gemeindliche Haushalt - wie in X -
nicht ausgeglichen ist.
Vgl. Urteil der Kammer vom 28.10.2005 - 1 K 5195/04 -.
35
Diese Sicht folgt auch aus der Funktion der Kostendeckungsvorschläge. Die Beteiligung
an einem Bürgerbegehren, das zur Ersetzung des Ratsbeschlusses durch
Bürgerentscheid führen soll (§ 26 Abs. 8 GO NRW) setzt bei den Gemeindebürgern in
besonderer Weise eine verantwortliche Entscheidungsfindung voraus. Ihre Mitwirkung
soll sich nach der gesetzlichen Konzeption nicht daran erschöpfen, Forderungen zu
definieren. Vielmehr soll auch das Bewusstsein der Bürger für die mit der Maßnahme
verbundenen Kosten geweckt und eine verantwortliche Abwägung ermöglicht werden.
36
Allerdings dürfen an den Inhalt des Kostendeckungsvorschlages keine überzogenen
Anforderungen gestellt werden. Der Kostendeckungsvorschlag nimmt am
Rechtssetzungsbefehl des Bürgerentscheides keinen Anteil,
37
- vgl. OVG NRW, Urteil vom 28.01.2003 - 15 A 203/02 -,
38
braucht also insbesondere die für eine Norm notwendige Bestimmtheit nicht
aufzuweisen. Er beruht im Wesentlichen auf Schätzungen, was prognostische
Unsicherheiten einschließt. Schließlich erwartet der Gesetzgeber bei den Initiatoren des
Bürgerbegehrens keine juristischen oder finanzwissenschaftlichen Fachkenntnisse.
Dementsprechend verlangt er keinen Kostendeckungsvorschlag, der ein solches
Anforderungsprofil voraussetzt.
39
Sind hiernach an die Begründungstiefe des Vorschlages keine überzogenen
Anforderungen zu stellen, so sind materiell aber alle Fakten zu erwähnen, die für eine
verantwortliche Entscheidung der Abstimmungsberechtigten bekannt sein müssen.
Ebenso muss den Bürgerinnen und Bürgern deutlich gemacht werden, dass es die
Maßnahme nicht umsonst gibt, sondern dass - und wie - sie bezahlt werden soll.
40
Vgl. hierzu im Einzelnen die Rechtsprechung der Kammer, etwa Urteil vom 26.02.1999 -
1 K 11023/96 -, NWVBl. 1999, S. 356 sowie Urteil vom 13.02.1998 - 1 K 5181/96 -,
NWVBl. 1998, S. 368, jeweils m.w.N. und Urteil vom 22.10.2004 - 1 K 2006/03 -.
41
Den hiernach zu stellenden Anforderungen genügt der Kostendeckungsvorschlag unter
mehreren Gesichtspunkten nicht. Nach dem Wortlaut des Bürgerbegehrens
42
- "Die Grundschulen sollen vielmehr unter Ausnutzung von Einsparmöglichkeiten der
oben geschilderten Art in der bisherigen Weise weitergeführt und weiterfinanziert
werden, so dass ein neuer Deckungsvorschlag für neu entstehende Kosten entfällt. -
43
ist schon fraglich, ob überhaupt ein Kostendeckungsvorschlag gemacht wird.
44
Ein Kostendeckungsvorschlag ist allenfalls dann entbehrlich, wo die beantragte
Maßnahme keine Kosten verursacht oder die billigere Alternative zu einem von der
Gemeinde beschlossenen Vorhaben darstellt, aber auch nur dann, wenn dies evident
ist.
45
Urteil der Kammer vom 28.10.2005 - 1 K 5195/04 -; Klenke, NWVBl. 2002, S. 45, 48.
46
Der von der Gemeinde gewählte Weg kann sich aber schon als der kostengünstigste
herausstellen. Damit kann die Gemeinde, wenn ihr dieser Weg durch Bürgerentscheid
versperrt wird, auf teurere Alternativen ausweichen müssen. Vor diesem Hintergrund
darf den Bürgern nicht einfach nahe gelegt werden, der Erfolg des Begehrens werde in
dem Fall billiger kommen. Vielmehr müssen die Abstimmungsberechtigten zu einem
Urteil über die Alternativen und ihre betriebswirtschaftliche Plausibilität befähigt werden.
47
Vgl. Urteile der Kammer vom 13.02.1998 - 1 K 5181/96 -, NWVBl. 1998, S. 368, vom
22.10.2004 - 1 K 2006/03 -, in: www.nrwe.de, und vom 28.10.2005 - 1 K 5195/04 -.
48
Zweifel am Einsparungseffekt einer Maßnahme erübrigen den Deckungsvorschlag
daher allenfalls, wenn sie - ex ante - evident oder zumindest so substantiiert sind, dass
sie von den Abstimmungsberechtigten nachvollzogen werden können, woran es hier
fehlt. Es enthält keinen für die Deckung der Kosten der verlangten Maßnahme
überschlägige, nachvollziehbare Kostenschätzung.
49
Vgl. dazu auch VG Düsseldorf, Urteil vom 26.02.1999 - 1 K 11023/96 -, NWVBl. 1999, S.
356 ff.
50
Die Initiatoren des Bürgerbegehrens beschränken sich darauf, die Berechnungen der
Stadtverwaltung zu kritisieren, ohne dabei eine Alternativberechnung - in einer
notwendigen, für den abstimmungsberechtigten Bürger nachvollziehbar kurzen, aber
zutreffenden Weise - auszubreiten. Es werden lediglich Wertungen und Meinungen
sowie eigene, nicht weiter begründete Wertungen dargestellt:
51
„Wir meinen, dass (...) sogar Mehraufwendungen bei Durchführung des
Grundschulentwicklungsplanes auf die Stadt zukommen. Wir sind weiterhin der
Überzeugung, dass geeignete Maßnahmen (...) einen effektiveren Schulbetrieb (...)
bewirken können. (...) Die Grundschulen sollen vielmehr unter Ausnutzung von
Einsparmöglichkeiten der oben geschilderten Art in der bisherigen Weise weitergeführt
und weiterfinanziert werden, so dass ein neuer Deckungsvorschlag für neu entstehende
Kosten entfällt."
52
Welche „Einsparmöglichkeiten der oben geschilderten Art" aber konkret erreicht werden
können und welche finanziellen Auswirkungen dies hat, wird nicht in der rechtlich
erforderlichen Weise ausgebreitet. Es reicht nicht aus, hinzuweisen auf die
53
„Überzeugung, dass geeignetere Maßnahmen, z.B. Bildung von Klassen gewünschter
Größe durch Einrichten flexibler Schulbezirke und/oder Kooperationsmodelle zwischen
benachbarten Schulen einen effektiveren Schulbetrieb vor dem Hintergrund der zu
erwartenden Schülerzahlen bewirken können."
54
Derartige Ausführungen befähigen die Abstimmungsberechtigten nicht zu einem Urteil
über die Alternative und ihre betriebswirtschaftliche Plausibilität. Da der
Grundschulentwicklungsplan nicht zuletzt aufgestellt worden ist, um auch der prekären
Haushaltslage gegenzusteuern, mithin durch Schließung von Schulen Kosten
eingespart werden sollen, hat sich das Bürgerbegehren im Hinblick auf die von ihr
vertretene Alternative (i.e. Grundschulbeibehaltung) auch bilanzierend mit der
Einnahmen-Ausgaben-Seite auseinander zu setzen. Die Voraussetzungen dafür, dass
ausnahmsweise ein Kostendeckungsvorschlag entfallen kann,
55
vgl. Klenke, NVWBl. 2002, S. 45, 48,
56
liegen hier nicht vor, da die beantragte Maßnahme eben doch Kosten verursacht und
nicht evident ist, dass sie die billigere Alternative zu dem von der Kommune
beschlossenen Vorhaben darstellt. Die Einzeldarstellung einer Einnahmen- Ausgaben-
Rechnung
57
- und insoweit auch die in der mündlichen Verhandlung geäußerte Auffassung der
Kläger, das Zahlenwerk des Beklagten treffe schon deshalb nicht zu, weil auch in der
Übergangszeit bis zur vollständigen Auflösung der Schulen nach Austritt der letzten
Schüler in der 4. Klasse Reparatur- / Sanierungskosten anfielen -
58
erfolgt erst im Klageverfahren und damit zu spät, da die erst nachträglich gemachten
Angaben nicht in die Entscheidungsfindung der Wahlberechtigten einfließen konnten.
59
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 29.04.2003 - 15 A 3916/02 -, NWVBl. 2003, S. 466 ff.
60
Für die entscheidenden Bürger ist keineswegs klar, welche der Alternativen günstiger
ist, damit die zum Zeitpunkt des Bürgerbegehrens unter Haushaltssicherungskonzept
stehende Stadt Wuppertal aus haushaltsrechtlichen Gründen Kosten einsparen kann.
Der vorgeschlagene Weg der Steuererhöhung
61
- "Im Zweifel mag die Stadt X denn von ihr errechneten, durchaus fragwürdigen
Haushaltsfehlbetrag durch moderate Steuererhöhungen ausgleichen: (...)" -
62
genügt den Anforderungen schon deshalb nicht, weil er haushaltsrechtlich nicht
gangbar ist. Insoweit wird verwiesen auf die Verfügung der Bezirksregierung E vom
22.11.2000 - 31.2.11.10 - (BA I, Bl. 57), mit der das Haushaltssicherungskonzept 2000
der Stadt X genehmigt wird. Darin heißt es unter Punkt 3:
63
„Mehreinnahmen dürfen nicht für über- oder außerplanmäßige Ausgaben, sondern
ausschließlich zur Minderung des originären Defizits beziehungsweise zur Reduzierung
der Altdefizite verwendet werden."
64
Die Bezirksregierung E weist zudem darauf hin, dass unter bestimmten
Voraussetzungen auf die Veräußerung von städtischem Vermögen nicht mehr verzichtet
werden kann.
65
Im Zusammenhang mit dem Bürgerbegehren werden diese Vorgaben von der
Bezirksregierung E auch später - zutreffenderweise - aufrechterhalten. Insoweit wird
verwiesen auf die (Beratungs-) Verfügung der Bezirksregierung E vom 10.06.2003 -
31.2.11.10 - (BA I, Bl. 96). Darin heißt es:
66
„Soweit Grundschulen unter fachrechtlichen Gesichtspunkten zu schließen sind, wäre
ein Erhalt und Weiterbetrieb entsprechender Schulen aus meiner Sicht als freiwillige
Leistung zu beurteilen, die gemäß § 81 der Gemeindeordnung im Rahmen der
vorläufigen Haushaltsführung unzulässig ist.
67
(...) Im Übrigen trifft es zu, dass die Stadt X angesichts ihrer außerordentlich schwierigen
Haushaltslage alles daran setzen muss, die Vorgaben des
68
Haushaltshaltssicherungskonzeptes umzusetzen und dadurch finanzielle Entlastungen
für den städtischen Haushalt zu erreichen. (...)
Und zum Vorschlag einer Erhöhung der Hebesätze für die Gewerbesteuer und die
Grundsteuer heißt es:
69
„.... müssen entsprechende Verbesserungen grundsätzlich zur Reduzierung der
Fehlbeträge verwendet werden, also als Mehreinnahmen dem städtischen Haushalt
zufließen ohne erweiterte Aufgaben zu finanzieren."
70
Die Ausführungen der Bezirksregierung zu § 81 GO in der bis zum 31.12.2004
geltenden Fassung, auf die sich der Beklagte letztlich stützt, sind haushaltsrechtlich
nicht angreifbar. Soweit aufgrund der Finanzsituation davon ausgegangen werden kann,
dass die Aufgaben als solche fortgeführt werden können und sollen, darf der laufende
Betrieb und die Unterhaltung u.a. kultureller und ähnlicher Einrichtungen nicht allein
durch das vorübergehende Fehlen der haushaltsrechtlichen Grundlagen gefährdet
werden.
71
Hamacher, in: Articus / Schneider, Erl. 2 zu § 81 GO; Rehn / Crohnauge, Erl. II.2. zu § 81
GO.
72
Daraus folgt zugleich, dass sich die Gemeinde, die dem Regime der vorläufigen
Haushaltsführung unterliegt, sich aufgrund der Finanzsituation derjenigen Aufgaben zu
entledigen hat, die als solche nicht fortgeführt werden können und sollen. So liegt der
Fall hier zum Zeitpunkt der Durchführung des Bürgerbegehrens, wohl aber sogar noch
heute. Dass die Haushaltslage der Stadt X auch weiterhin prekär ist - ohne dass es
insoweit auf den heutigen Stand ankäme -, bestreiten die Kläger nicht; entsprechendes
ergibt sich - nebenbei bemerkt - auch der Pressemitteilung der Stadt X vom 13.09.2005
zum neuen Doppelhaushalt 2006 / 2007 (www.X.de). Dass sich möglicherweise bis
heute die Schülerentwicklungszahlen anders darstellen, spielt ebenfalls keine Rolle, da
es auf den Zeitpunkt der Durchführung des Bürgerbegehrens ankommt.
73
Eine den Klägern günstigere Sicht ergäbe sich im übrigen selbst dann nicht, wenn jedes
- oder einzelne - der ins Spiel gebrachten Begründungselemente für sich genommen
tragfähig wäre. Dem Gebot, „einen" Kostendeckungsvorschlag zu machen, ist nach
Wortlaut und Sinn nicht genügt, wenn eine Vielzahl alternativer Deckungsmöglichkeiten
vor den Abstimmungsberechtigten ausgebreitet wird, ohne dass sich die Initiatoren auf
einen Lösungsvorschlag festlegen. Die Bürgerinnen und Bürger müssen wissen, womit
sie ggfs. den Erfolg ihres Begehrens bezahlen sollen. Daran fehlt es, wenn die
Initiatoren der politischen Diskussion letztlich ausweichen, indem sie im Unbestimmten
lassen, welche von zahlreichen „lästigen" Alternativen zum Tragen kommen soll, womit
bei jedem Abstimmungsberechtigtem der Eindruck erweckt werden kann, die letztlich
erfolgende Einsparung werde gerade ihn nicht treffen. Ebenso wenig übernimmt die
Bürgerschaft in einem solchen Fall die mit ihrem Votum verbundene politische
Verantwortung für die finanzielle Deckung des Lösungskonzepts.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 und Abs. 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr.
11, § 711 sowie § 709 Satz 2 ZPO.
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