Urteil des VG Düsseldorf vom 22.05.2007

VG Düsseldorf: verschlechterung des gesundheitszustandes, bundesamt für migration, kamerun, hiv, abschiebung, therapie, gefahr, ausländer, behandlung, verfügung

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 3 K 5382/06.A
Datum:
22.05.2007
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
3. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
3 K 5382/06.A
Tenor:
Die Beklagte wird verpflichtet, den Bescheid des Bundesamtes für
Migration und Flüchtlinge vom 26. September 2006 aufzuheben und
festzustellen, dass in der Person der Klägerin für Kamerun
Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 7 Satz 1 des
Aufenthaltsgesetzes vorliegen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden
Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung
Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand:
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Die Klägerin ist nach eigenen Angaben kamerunische Staatsangehörige. Nach der
Einreise in das Bundesgebiet angeblich auf dem Luftweg am 14. Juni 2002 beantragte
sie am 20. Juni 2006 die Anerkennung als Asylberechtigte.
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Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) lehnte den
Antrag mit Bescheid vom 12. Dezember 2002 als offensichtlich unbegründet ab und
stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG offensichtlich nicht sowie
Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorlägen. Zudem forderte das
Bundesamt die Klägerin unter Fristsetzung auf, die Bundesrepublik Deutschland zu
verlassen und drohte für den Fall der Nichtausreise die Abschiebung nach Kamerun
oder in einen anderen Staat an, in den sie einreisen dürfe oder der zu ihrer
Rückübernahme verpflichtet sei.
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Die hiergegen gerichtete Klage wurde durch Urteil des Verwaltungsgerichts
Gelsenkirchen abgewiesen (9 a K 6346/02.A); das Oberverwaltungsgericht für das Land
Nordrhein-Westfalen lehnte den Antrag auf Zulassung der Berufung mit Beschluss vom
1. Oktober 2004 ab (11 A 3933/04.A).
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Am 16. August 2006 beantragte die Klägerin unter Hinweis auf die weiterhin bei ihr
bestehende HIV-Infektion die Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7
AufenthG. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnte den Antrag unter
Hinweis darauf, dass die vorgetragenen Tatsachen nicht „neu" seien, ab.
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Die Klägerin hat am 14. Oktober 2006 Klage erhoben. Zur Begründung verweist sie auf
ihre Erkrankung und die bereits im Verwaltungsverfahren vorgelegte Stellungnahme des
St. K-Hospitals C vom 14. August 2006. Danach leidet die Klägerin an einer HIV-1-
Infektion im Stadium CDC A 2 mit fortgeschrittenem Immundefekt. Aufgrund der
Immunlage sei eine antiretrovirale Therapie erforderlich. Bei inadäquater medizinischer
Versorgung oder Unterbrechung der Therapie seien lebensgefährliche Komplikationen
denkbar. Das Gericht hat mit Verfügung vom 27. November 2006 bei den die Klägerin
behandelnden Ärzten im Krankenhaus weitere Auskünfte eingeholt. Das Krankenhaus
hat unter dem 5. Dezember 2006 eine zusätzliche umfassende ärztliche Stellungnahme
abgegeben. Danach ist bei der u.a. Klägerin eine lebenslange antiretrovirale Therapie
erforderlich. Diese diene dem Erhalt ihres Immunstatus. Ohne diese Therapie seien
lebensbedrohliche Komplikationen und das Auftreten lebensbedrohlicher
opportunistischer Infektionen in Kamerun zu erwarten.
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Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und
Flüchtlinge vom 26. September 2006 zu verpflichten, festzustellen, dass
Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bezogen auf ihre Person
und das Herkunftsland Kamerun gegeben sind.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und
insbesondere auf die vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen sowie der
Verwaltungsvorgänge der Beklagten und der Ausländerbehörde ergänzend Bezug
genommen (Beiakten Hefte 1 bis 3).
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist begründet.
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Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin
in ihren Rechten.
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In der Person der Klägerin liegen hinsichtlich des Herkunftslandes Kamerun
Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 7 AufenthG vor. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1
AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat
abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für
Leib, Leben oder Freiheit besteht. Wird die Gefahr für Leib und Leben durch eine
Krankheit des Ausländers hervorgerufen, stellt sich eine in diesem Sinne drohende
Gesundheitsgefahr für ihn dann als erheblich dar, wenn die gesundheitlichen
Beeinträchtigungen von besonderer Intensität sind, wenn also eine wesentliche bzw.
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lebensbedrohliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Ausländers bei
einer Rückkehr in sein Heimatland zu besorgen ist. Dabei werden durch § 60 Abs. 7
AufenthG auch solche Gefahren erfasst, die mit der Verschlimmerung einer Krankheit
einhergehen, unter welcher der Ausländer bereits in Deutschland leidet. Ob die Gefahr
der Verschlechterung der Gesundheit durch die individuelle Konstitution des Ausländers
bedingt oder mitbedingt ist, kommt es nicht an. Konkret besteht diese Gefahr dann, wenn
die Verschlechterung der Gesundheit alsbald nach der Rückkehr des Ausländers in sein
Heimatland eintritt.
Vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 29. Juli 1999 - 9 C 2/99 -; Verwaltungsgericht
Düsseldorf vom 23. Mai 2000 - 3 K 6084/98.A -; Verwaltungsgericht Düsseldorf, Urteil
vom 11. Mai 2001 - 3 K 4292/00.A - (ständige Rechtsprechung).
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Der Klägerin droht für den Fall einer Abschiebung nach Kamerun eine solche
Gesundheitsgefahr. Denn sie leidet nach den ärztlichen Bescheinigungen des St. K-
Hospitals C vom 14. August und vom 8. Dezember 2006 an einer HIV-Infektion im
Stadium CDC A2. Vor diesem Hintergrund ist nach aktuellen medizinischen
Erkenntnissen eine ununterbrochene antiretrovirale Therapie der HIV-Infektion dringend
geboten. Diese wird aus einer Kombination mit verschiedenen Medikamenten
durchgeführt. Die HIV-Vermehrung (ausgedrückt durch die Virusmenge im Blut) ist
dadurch jedoch nicht vollständig unterdrückt. Im Falle einer Abschiebung der Klägerin
nach Kamerun droht dieser eine lebensbedrohliche Verschlechterung ihres
Gesundheitszustandes. Zwar gibt es nach den umfassenden Ausarbeitungen des
Bundesamtes aus Dezember 2002 und März 2006 zum Gesundheitswesen in Kamerun
dort sowohl ärztliche Behandlungs- als auch medikamentöse
Versorgungsmöglichkeiten. Ebenfalls ist die Durchführung von sogenannten „Dreifach-
Therapien" für HIV-Patienten möglich. Spezielle Blutuntersuchungen zur
Verlaufskontrolle einer entsprechenden Behandlung können ebenfalls durchgeführt
werden. Behandlungsmöglichkeiten sind insbesondere in mehreren Krankenhäusern
der Hauptstadt möglich. Diese Behandlungsmöglichkeiten reichen unter
Berücksichtigung der dem Gericht vorliegenden Erkenntnisse im Zeitpunkt seiner
Entscheidung jedoch nicht aus, um bei der Klägerin eine lebensbedrohliche
Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes zu verhindern. Dabei lässt es das
Gericht offen, ob der Klägerin die finanziellen Mittel (knapp 4,60 Euro pro Monat) für eine
solche Behandlung zur Verfügung stehen. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass
Medikamente, die nicht ständig in Apotheken vorrätig sind, in Frankreich bestellt werden
müssen, wobei die Bestelldauer zwischen 10 Tagen und 3 Wochen beträgt. Dabei
können durchaus Lieferengpässe und Verzögerungen vorkommen. Dies hätte für die
Klägerin fatale Folgen, da sie auf eine dauerhafte (fortlaufende und ununterbrochene)
medikamentöse Therapie dringend angewiesen ist. Bei einer Unterbrechung der
Medikation muss mit einer Verschlechterung ihres Immunsystems gerechnet werden,
was zu einer deutlichen Verkürzung ihrer Lebenserwartung führen würde. So ist die
Einnahme der Medikamente zwingend erforderlich. Bei einer Nichtbehandlung oder
Verzögerung in der medizinischen Versorgung ist mit einer Lebensbedrohung und mit
einer Verkürzung der Lebenserwartung zu rechnen. Bei einer fortlaufenden Behandlung
ist demgegenüber von einer normalen Lebenserwartung auszugehen. Darüber hinaus
ist aber besonders entscheidend, dass aufgrund des eingeschränkten Immunstatus der
Klägerin eine erhöhte Empfindlichkeit gegenüber den im tropischen Heimatland der
Klägerin vorherrschenden Erkrankungen wie insbesondere Malaria und Tuberkulose
gegeben ist. So dürfte nach ärztlicher Beurteilung auch von einer erhöhten Anfälligkeit
gegenüber einer Malaria-Infektion auszugehen sein, wenngleich bisherige
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wissenschaftliche „Studien in den USA diesbezüglich keinen eindeutigen Hinweis"
gezeigt haben. Mithin besteht die konkrete Gefahr einer lebensbedrohlichen
Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Klägerin bei einer Rückkehr in ihr
Heimatland.
Vgl. zu den vorstehenden Ausführungen allgemein auch Urteile Verwaltungsgericht
Düsseldorf vom 23. Mai 2000 - 3 K 6084/98.A - und vom 11. Mai 2001 - 3 K 4292/00.A -.
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Die Regelung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG steht dem Abschiebungshindernis nicht
entgegen. Nach dieser Vorschrift werden Gefahren in dem Abschiebezielstaat, denen
die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein
ausgesetzt ist, bei einer Entscheidung nach § 60 a AufenthG berücksichtigt. Es mag auf
sich beruhen, ob eine allgemeine Gefahrenlage im Sinne dieser Vorschrift anzunehmen
ist, weil nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation ungefähr 5 % der sexuell
aktiven Bevölkerung Kameruns HIV-Infizierte sind. Jedenfalls gilt aufgrund
verfassungskonformer Auslegung § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG dann nicht, wenn die
Abschiebung dem Ausländer, dem ein anderweitiger Abschiebungsschutz nicht zur
Verfügung steht, eine extremen Gefahrenlage ausgesetzt würde. Eine derartige
Gefahrenlage ist dann anzunehmen, wenn der Ausländer bei einer Abschiebung
gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen
ausgeliefert würde. Dabei wird allerdings nicht vorausgesetzt, dass im Falle der
Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort eintreten.
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Vgl. Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 29. Januar 2005 - 9 B 617/98 -;
Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 23. Mai 2000 - 3 K 6084/98.A -; Verwaltungsgericht
Düsseldorf, Urteil vom 11. Mai 2001 - 3 K 4292/00.A - (jeweils zu § 53 AuslG).
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Vor diesem Hintergrund ist es unerheblich, dass die Erkrankung der Klägerin nicht neu
im Sinne von § 51 VwVfG ist. Die Klägerin darf allerdings nicht sehenden Auges einer
konkreten Todesgefahr ausgesetzt werden.
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Die Kostenentscheidung erfolgt gemäß § 155 Abs. 1, Abs. 2 VwGO.
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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 167 Abs. 1 und 2
VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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