Urteil des VG Düsseldorf vom 29.08.2003

VG Düsseldorf (politische verfolgung, amnesty international, verfolgung, abweisung der klage, russische föderation, bundesrepublik deutschland, recht auf arbeit, registrierung, bundesamt, anerkennung)

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 25 K 6919/01.A
Datum:
29.08.2003
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
25. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
25 K 6919/01.A
Tenor:
Die Klage wird als offensichtlich unbegründet abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der
außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen. Gerichtskosten werden
nicht erhoben.
Tatbestand:
1
Die am 00. 0. 1975 geborene Beigeladene ist Staatsangehörige der Russischen
Föderation ossetischer Volkszugehörigkeit. Sie hat mit ihrem Ehemann, dem
tschetschenischen Volkszugehörigen P, geboren 00. 0.1968, in Tschetschenien gelebt.
Das Ehepaar hat 1999 nach religiösem Ritus geheiratet, am 0. 0. 2001 wurde die
Eheschließung im Standesamt Prochladny beurkundet.
2
Der Ehemann der Beigeladenen reiste am 20. Mai 2001 in die Bundesrepublik
Deutschland ein und stellte am 22. Mai 2001 einen Asylantrag. Er gab an, nach einem
Studium am Erdölinstitut in Grosny dort bis 2000 beschäftigt gewesen zu sein, danach
sei er nicht mehr berufstätig gewesen. Am 28. April 2000 habe es in Grosny eine Razzia
der russischen Armee gegeben. Er sei mit einigen anderen Männern in einem Hof
festgenommen und in ein Lager verbracht worden, wo er in einer wassergefüllten Grube
und später in Zellen gehalten geworden und täglich verprügelt und gelegentlich mit
Elektroschocks gequält worden sei. Am 16. Oktober 2000 sei er entlassen worden; er
sei gegen russische Gefangene ausgetauscht worden auf Veranlassung eines
entfernten Verwandten, der tschetschenischer Kommandeur sei und für den Austausch
gesorgt habe. Deshalb habe er auch eine - vorgelegte - Bescheinigung erhalten, dass
gegen ihn kein Strafverfahren mehr laufe; ferner legte er eine Klinikbescheinigung über
Verletzungen vor. Im Dezember 2000 seien er und sein Vetter zur Kommandantur in
Grosny gebracht worden unter dem Vorwurf, sie hätten tschetschenische Kämpfer
beherbergt, was auch zugetroffen habe. Sie seien zwei Tage festgenommen und
geschlagen worden, um Namen tschetschenischer Kämpfer zu erfahren. Sie hätten die
Namen einiger Toten genannt und seien freigelassen worden. Einige Zeit danach seien
aber einige Bekannte als Kämpfer festgenommen und einige Zeit später tot aufgefunden
worden. Sie seien bei den Tschetschenen in Verdacht geraten, diese verraten zu haben.
3
Deshalb seien sie geflohen, zunächst nach Tolstoj-Jurt, im Februar 2001 nach
Prochladny in Kabardino-Balkarien. Am 9. Mai 2001 sei er mit seinem Vetter dort von
der Polizei wieder festgenommen worden; die Polizisten hätten sie in einen Wald
gebracht und dort mit ihnen russisches Roulette spielen wollen. Als einmal zwei
Polizisten zum Auto gegangen waren, sei es ihnen gelungen, den einen bei ihnen
befindlichen Polizisten niederzuschlagen und zu fliehen. Später habe er erfahren, dass
man seine Frau auch festgenommen habe. Danach hätte ein Schwager ihm die
Ausreise nach Deutschland ermöglicht.
Mit Bescheid vom 16. Oktober 2001 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) den Antrag auf Anerkennung als
Asylberechtigten ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG
für den Ehemann der Beigeladenen hinsichtlich der Russischen Föderation vorliegen. In
den Gründen des Bescheides wurde das Vorliegen einer Vorverfolgung offen gelassen,
da bei einer Rückkehr politische Verfolgung allein auf Grund der Volkszugehörigkeit
beachtlich wahrscheinlich sei.
4
Gegen diesen Bescheid hat der Kläger keine Klage erhoben; der Bescheid wurde
bestandskräftig.
5
Die Beigeladene reiste am 15. September 2001 mit einem griechischen Schengen-
Visum in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte am 26. September 2001
ihre Anerkennung als Asylberechtigte. Das Bundesamt sah mit Verfügung vom 1.
Oktober 2001 wegen der deutschen Zuständigkeit für das Verfahren des Ehemannes
davon ab, die Beigeladene auf Grund des Dubliner Übereinkommens an Griechenland
zu überstellen.
6
Zur Begründung ihres Asylbegehrens machte die Beigeladene geltend, bei der
Festnahme ihres Mannes im April 2000 habe sie versucht, ihren Mann zu verteidigen,
hierbei sei sie auch geschlagen worden. Kurz nachdem sie dann Anfang 2001 nach
Prochladny gegangen und dort am 0. 0. 2001 ihre Eheschließung legalisiert hätten, sei
ihr Mann am 9. Mai 2001 wieder festgenommen worden. Nach der Festnahme ihres
Mannes habe sie sich am 10. Mai 2001 an die Miliz gewandt, um den Aufenthalt ihres
Mannes in Erfahrung zu bringen. Sie sei daraufhin am 10. Mai 2001 selbst
festgenommen worden. Sie sei sechs Tage festgehalten und dabei geschlagen worden,
wobei sich zwei Wirbel verschoben hätten. Nach sechs Tagen sei sie ohne Angabe von
Gründen entlassen worden. Für ihre Entlassung sei von der Familie Geld bezahlt
worden.
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Mit Bescheid ebenfalls vom 16. Oktober 2001 erkannte das Bundesamt die Beigeladene
als Asylberechtigte an und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG
hinsichtlich der Russischen Föderation vorliegen. In den Gründen des Bescheides
wurde ebenfalls das Vorliegen einer Vorverfolgung offen gelassen, da bei einer
Rückkehr politische Verfolgung allein auf Grund der Volkszugehörigkeit beachtlich
wahrscheinlich sei; die Beigeladene habe, obgleich Ossetin, ihren Lebensmittelpunkt in
Tschetschenien gehabt und gelte für die russischen Kräfte als Tschetschenin.
8
Der Kläger hat am 30. Oktober 2001 Klage erhoben, zu deren Begründung er seine
Auffassung darlegt, es gebe eine inländische Fluchtalternative.
9
Der Kläger beantragt,
10
den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom
16. Oktober 2001 aufzuheben.
11
Die Beklagte stellt keinen Antrag.
12
Die Beigeladene verweist auf ihre Individualverfolgung und beantragt,
13
die Klage abzuweisen.
14
In der mündlichen Verhandlung vom 29. August 2003 wurde die Beigeladene mit Hilfe
einer Dolmetscherin für die russische Sprache zu ihren Asylgründen gehört. Ihre
Aussage wurde protokolliert.
15
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den
Inhalt der Gerichtsakten und der in diesem Verfahren beigezogenen
Verwaltungsvorgänge der Beklagten sowie der Ausländerbehörde Bezug genommen.
16
Entscheidungsgründe:
17
Die zulässige Klage des nach § 6 Abs. 2 Satz 3 AsylVfG klagebefugten Klägers ist
offensichtlich unbegründet im Sinne des § 30 Abs. 1 AsylVfG mit der Folge der
Unanfechtbarkeit dieses Urteils, weil nach vollständiger Erforschung des Sachverhalts
gemäß § 86 VwGO im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (§ 77
AsylVfG) an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen der Kammer
vernünftigerweise kein Zweifel besteht und bei diesem Sachverhalt nach allgemein
anerkannter Rechtsauffassung sich die Abweisung der Klage geradezu aufdrängt,
18
vgl. zuletzt Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 5. Februar 1993,
InfAuslR 1993, 196, 199.
19
Der angefochtene Bescheid des Bundesamts ist offensichtlich rechtmäßig. Die
Beigeladene hat einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte gegen die
Beklagte und auf die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG
vorliegen.
20
Ein Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter besteht nach Art. 16a Abs. 1 GG,
wenn der Asylbewerber die aus Tatsachen begründete Furcht hegen muss, in dem
Land, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt bzw. in dem er als Staatenloser seinen
gewöhnlichen Aufenthalt hat, wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit
zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung
verfolgt zu werden, und wenn er den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen
kann oder wegen dieser Befürchtung nicht in Anspruch nehmen will.
21
Der Begriff der Verfolgung meint dabei die Verletzung oder unmittelbare Gefährdung
von Leib, Leben oder persönlicher Freiheit sowie eine solche Beeinträchtigung anderer
Rechtsgüter wie der Religionsfreiheit, der beruflichen oder der wirtschaftlichen
Betätigung, die nach ihrer Schwere und Intensität die Menschenwürde verletzen und
über das hinausgehen, was die Bevölkerung des betreffenden Staates auf Grund des
dort herrschenden Systems allgemein hinzunehmen hat,
22
vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 2. Juli 1980, BVerfGE 54, Seite 341,
357; Urteil vom 1. Juli 1987, BVerfGE 76, Seite 143, 157, 158.
23
Die Verfolgung stellt sich als "politisch" dar, wenn sie auf die Rasse, Religion,
Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder auf die politische
Überzeugung des Betroffenen zielt,
24
ständige Rechtsprechung, siehe nur BVerwG, Urteil vom 17. Mai 1983, Buchholz,
Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts,
402.25 § 1 AsylVfG Nr. 7; ferner BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989, - 2 BvR 502,
1000, 961/86 -, Blatt 24 des Abdrucks.
25
Die Gefahr einer derartigen Verfolgung ist gegeben, wenn dem Asylsuchenden bei
verständiger Würdigung aller Umstände seines Falles politische Verfolgung mit
beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, wobei die insoweit erforderliche
Zukunftsprognose auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten gerichtlichen
Tatsachenentscheidung abstellt und auf einen absehbaren Zeitraum ausgerichtet sein
muss. Hat der Flüchtling bereits einmal politische Verfolgung erlitten, so kann ihm
asylrechtlicher Schutz grundsätzlich nur verwehrt werden, wenn im Rahmen der zu
treffenden Zukunftsprognose eine Wiederholung von Verfolgungsmaßnahmen mit
hinreichender Sicherheit ausgeschlossen ist,
26
BVerfG, Beschluss vom 1. Juli 1987, BVerfGE 76, 143, Bundesverwaltungsgericht,
Urteil vom 27. April 1982, BVerwGE 65, 250.
27
Das Asylrecht ist aber auch dann zuzuerkennen, wenn der Asylbewerber politische
Verfolgung begründet befürchten muss, d.h. wenn ihm bei verständiger, nämlich
objektiver Würdigung der gesamten Umstände seines Falles politische Verfolgung mit
beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, sodass ihm eine Rückkehr in seinen Heimatstaat
nicht zuzumuten ist. Ob eine derartige beachtliche Wahrscheinlichkeit besteht, ist durch
eine qualifizierende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller
festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung zu ermitteln. Maßgebend ist, ob in
Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen
in der Lage des Asylsuchenden Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Eine
in diesem Sinne wohlbegründete Furcht vor einem Ereignis kann deshalb auch dann
vorliegen, wenn auf Grund einer quantitativen oder statistischen Betrachtungsweise
weniger als 50 % Wahrscheinlichkeit für dessen Eintritt besteht,
28
BVerwG, Urteil vom 15. März 1988, BVerwGE 79, 143.
29
Der Asylbewerber ist auf Grund der ihm obliegenden prozessualen Mitwirkungspflicht
gehalten, umfassend die in seine eigene Sphäre fallenden Ereignisse zu schildern, die
seiner Auffassung zufolge geeignet sind, den Asylanspruch zu tragen und insbesondere
auch den politischen Charakter der Verfolgungsmaßnahmen festzustellen, wobei
allerdings der sachtypische Beweisnotstand hinsichtlich der Vorgänge im Verfolgerstaat
bei der Auswahl der Beweismittel sowie bei der Würdigung des Vortrags und der
Beweise angemessen zu berücksichtigen ist. Das Gericht darf hinsichtlich
asylbegründender Vorgänge im Verfolgerland (Vorfluchtgründe) keine unerfüllbaren
Beweisanforderungen stellen und keine unumstößliche Gewissheit verlangen, sondern
muss sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben
brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, der den Zweifeln Schweigen gebietet,
30
auch wenn sie nicht völlig auszuschließen sind. Soweit die Verfolgungsfurcht auf
Vorgänge im Heimatland des Asylbewerbers gestützt wird, genügt es für die
Überzeugungsbildung des Gerichts, dass die Asylgründe glaubhaft gemacht sind, wobei
die Glaubhaftmachung eine schlüssige, nachprüfbare Darlegung der Gründe mit
Einzelheiten voraussetzt. Widersprüchliches oder im Verfahren sich steigerndes
Vorbringen kann die Glaubwürdigkeit des Asylsuchenden in Frage stellen, falls die
Unstimmigkeit nicht überzeugend aufgelöst wurde;
zum Vorstehenden: BVerwG, Urteil vom 29. November 1979, BVerwGE 55, 82; Urteil
vom 16. April 1985, BVerwGE 71, 180, OVG NW, Urteil vom 25. August 1981, InfAuslR
1982, 43.
31
Die Verfolgungsprognose ist im Übrigen landesweit, d.h. für den gesamten Heimatstaat
des Asylbewerbers und nicht etwa begrenzt auf dessen ursprüngliche Heimatregion zu
treffen, denn des Schutzes vor politischer Verfolgung im Ausland bedarf nicht, wer zwar
in Teilen seines Heimatlandes politische Verfolgung erlitten hat, bzw. von
entsprechenden Verfolgungsmaßnahmen bedroht ist, aber in anderen Teilen des
eigenen Landes ohne Furcht vor politischer Verfolgung leben kann, sofern der
Aufenthalt dort für ihn nicht unzumutbar ist (so genannten inländische Fluchtalternative),
32
ständige Rspr. des BVerwG, etwa Urteil vom 6. Oktober 1987, Buchholz, a.a.O., § 1
AsylVfG Nr. 72, BVerfG, Beschluss vom 20. Dezember 1988, NVwZ 1989, 746, 747.
33
Eine Erstreckung des Asylgrundrechts auf nach der Flucht des Asylbewerbers aus
seinem Heimatland entstandenen Tatbestände (Nachfluchtgründe) kommt nur insoweit
in Betracht, als sie nach dem Sinn und Zweck der Asylverbürgung, wie sie dem
Normierungswillen des Verfassungsgebers entspricht, gefordert ist. Unter diesem
Gesichtspunkt lässt sich für so genannte objektive Nachfluchttatbestände, die durch
Vorgänge oder Ereignisse im Heimatland unabhängig von der Person des
Asylbewerbers ausgelöst werden, eine Asylrelevanz in Betracht ziehen. Subjektive
Nachfluchttatbestände, die der Asylbewerber nach Verlassen des Heimatstaates aus
eigenem Entschluss geschaffen hat, rechtfertigen in aller Regel nur dann eine
Anerkennung als Asylberechtigter, wenn sie sich als Ausdruck und Fortführung einer
schon während des Aufenthalts im Heimatstaat vorhandenen und erkennbar betätigten
festen Überzeugung darstellen, mithin als notwendige Konsequenz einer dauernden,
die eigene Identität prägenden und nach außen kundgegebenen Lebenshaltung
erscheinen,
34
BVerfG, Beschluss vom 26. November 1986, BVerfGE 74, 51.
35
Darüber hinaus ist ein subjektiver Nachfluchtgrund grundsätzlich nur dann asylrechtlich
beachtlich, wenn eine Kontinuität zwischen dem schon im Heimatstaat erkennbar
gewordenen Verhalten und dem Nachfluchtverhalten gegeben ist,
36
BVerwG, Urteil vom 27. Juni 1989, BVerwGE 82, 171.
37
Für Vorgänge innerhalb des Gastlandes ist - anders als bei Vorfluchttatbeständen - der
volle Nachweis durch den Asylbewerber zu fordern,
38
BVerfG, Beschluss vom 26. November 1986, a.a.O., BVerfG, Urteil vom 29. November
1979, BVerfGE 55, 82.
39
In Anwendung dieser Grundsätze kann ein Anspruch der Beigeladenen auf
Anerkennung als Asylberechtigte und auf Feststellung des Vorliegens der
Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG aus den Geschehnissen hergeleitet werden,
die sie zur Begründung ihrer Verfolgung als in der Russischen Föderation ihr
widerfahren dargestellt hat.
40
Die Beigeladene ist vorverfolgt aus der Russischen Föderation ausgereist. Als
vorverfolgt gilt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
(BVerfGE 54, 341; 80, 315) und des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwGE 85, 139; 87,
52), wer seinen Heimatstaat entweder vor eingetretener oder vor unmittelbar drohender
politischer Verfolgung verlassen hat. Unter einer eine Vorverfolgung begründenden
unmittelbar drohenden Verfolgung ist eine bei der Ausreise mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgung zu verstehen
41
BVerwG, Urteil vom 14.12.1993, DVBl. 1994, 524.
42
Als vorverfolgt gilt danach auch derjenige, dem bei der Ausreise mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht, was stets dann anzunehmen ist, wenn bei
qualifizierender Betrachtungsweise die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein
größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden
Tatsachen überwiegen. Die bei Anwendung dieses Maßstabs gebotene qualifizierende
Betrachtungsweise bezieht sich dabei nicht nur auf das Element der
Eintrittswahrscheinlichkeit, sondern auch auf das Element der zeitlichen Nähe des
befürchteten Ereignisses. Je unabwendbarer eine drohende Verfolgung erscheint, desto
unmittelbarer steht sie bevor. Je schwerer der befürchtete Verfolgungseingriff ist, desto
weniger kann es dem Gefährdeten zugemutet werden, mit der Flucht zuzuwarten, bis
der Verfolger unmittelbar zugreift. Das gilt auch dann, wenn der Eintritt der befürchteten
Verfolgung von reiner Willkür abhängt, das befürchtete Ereignis somit im Grunde
jederzeit eintreten kann, ohne dass allerdings im Einzelfall immer gesagt werden
könnte, dass dessen Eintritt zeitlich in nächster Nähe bevorsteht.
43
Asylerhebliche Gefährdungslagen können dabei auch im Übergangsbereich zwischen
anlassgeprägter Einzelverfolgung und gruppengerichteter Kollektivverfolgung vorliegen.
Diese Gefährdungslagen dürfen nicht in einer den Gewährleistungsinhalt des
Grundrechtes des Art. 16 a Abs. 1 GG verkürzenden Weise unberücksichtigt bleiben,
44
vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.1.1991, BVerfGE 83, 216-238.
45
Solchen tatsächlichen Gefährdungslagen in diesem Übergangsbereich ist im Rahmen
der Prüfung der Frage Rechnung zu tragen, ob ein Asylsuchender begründete Furcht
vor politischer Verfolgung hegt, weil es ihm nach verständiger Würdigung der gesamten
Umstände seines Falles nicht zuzumuten ist, in seinem Heimatstaat zu bleiben oder
dorthin zurückzukehren. Bei der gebotenen objektiven Beurteilung dieser Frage können
grundsätzlich auch Referenzfälle stattgefundener und stattfindender politischer
Verfolgung sowie ein Klima allgemeiner moralischer, religiöser und gesellschaftlicher
Verachtung begründete Verfolgungsfurcht bei einem Asylbewerber entstehen lassen,
sodass es ihm nicht zuzumuten ist, in seinem Heimatstaat zu bleiben oder dorthin
zurückzukehren. Allerdings müssen die für eine Verfolgung sprechenden Umstände
nach ihrer Intensität und Häufigkeit von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus
für den Asylbewerber bei objektiver Betrachtung die begründete Furcht ableiten lässt,
46
selbst Opfer solcher Verfolgungsmaßnahmen zu werden,
vgl. BVerwG, Urteil vom 23.7.1991, BVerwGE 88, 367-380.
47
In Tschetschenien, wo die Beigeladene mit ihrem Ehemann bis zum Jahre 2001 gelebt
hat, stellt sich die Situation folgendermaßen dar:
48
Im Oktober 1999 brachen erneute bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen
russischen Streitkräften, Verbänden des Innenministeriums und den nach
Unabhängigkeit der russischen Teilrepublik Tschetschenien strebenden bewaffneten
Gruppen aus. Die russische Seite setzte in großem Umfang Bodentruppen, Artillerie und
Luftstreitkräfte ein. Der massive großflächige Kriegseinsatz wurde durch einen mit
großer Härte geführten Partisanenkrieg abgelöst, durch den vor allem die
Zivilbevölkerung in Mitleidenschaft gezogen wird. Die tschetschenische Seite führt
weiterhin landesweit Feuerüberfälle, sowie Minen- und Bombenattentate gegen föderale
Einrichtungen und mit der russischen Seite kooperierende Tschetschenen durch
(Auswärtiges Amt, ad-hoc-Lagebericht vom 24.04.2001, Az.: 514- 516.80/3 RUS). In
diesem Militäreinsatz, den die russische Regierung als Terrorismusbekämpfung
bezeichnet, berichten russische und internationale Menschenrechtsorganisationen und -
gruppen über massive Menschenrechtsverletzungen durch die russischen Streitkräfte
und die tschetschenischen Kämpfer. Den russischen Kräften gelang es bisher nicht, die
Kontrolle über Tschetschenien herzustellen. Sie gehen mit zum Teil massivem
Gewalteinsatz vor. Berichte über Ausschreitungen, „Verschwindenlassen" von Zivilisten
und Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung bei sog. „Säuberungen" oder an
Straßensperren reißen nicht ab (Gesellschaft für bedrohte Völker: „Die aktuelle
menschenrechtliche und humanitäre Lage in Tschetschenien", Juni 2001; Human
Rights Watch: „World Report 2001 - The Russian Federation"; Human Rights Watch:
„Chechnya: It´s Urgent to Act", Bericht vom 02.04.2001; Human Rights Watch: „The Dirty
War in Chechnya: Forced Disappearances, Torture, and Summary Execution", Bericht
vom März 2001). Es wird auch von Plünderungen, Vergewaltigungen und Raub durch
russische Sicherheitskräfte berichtet. Bei wahllosen Angriffen wurden Tausende
Zivilisten getötet (amnesty international, Jahresbericht 2001). Auf der anderen Seite
kommt es zu massiven Verletzungen des humanitären Völkerrechts durch
tschetschenische Banden und Rebellen. Dazu gehören Folterungen und Ermordungen
russischer Soldaten und kooperationswilliger Tschetschenen (vgl. Human Rights
Watch: „World Report 2001 - The Russian Federation"), Verschleppung und
Vergewaltigung von Frauen, Plünderungen und die bewusste Kampfführung aus und in
zivilen Anlagen und Gebäuden. Die UN- Menschenrechtskonvention hat am 20.04.2001
Moskau wegen unverhältnismäßiger Gewalt russischer Streitkräfte in Tschetschenien
an den Pranger gestellt. Die Resolution kritisiert gleichzeitig auch die Angriffe gegen
Zivilisten und die Terroraktionen seitens der tschetschenischen Kämpfer (dpa-Meldung
vom 20.04.2001, 20:41 h). Ein Ende der Gewalt von beiden Seiten ist nicht absehbar
(Süddeutsche Zeitung vom 31.05.2001: „Tödliche Routine"). Obwohl Russlands
Präsident Putin schon im April 2000 den Sieg über die Separatisten verkündet hat, wird
mit unverminderter Grausamkeit weitergekämpft (Neue Zürcher Zeitung vom
12.05.2001: „Tschetschenien - Krieg ohne Ende", Neue Zürcher Zeitung vom 18.7.2001:
„Neue Indizien für Gräuel in Tschetschenien; Die Welt vom 11.1.2002:
„Menschenrechtler werfen Russland-Massaker in Tschetschenien vor"). Eine
militärische Lösung scheint es nicht zu geben, der Partisanenkrieg kann wohl von keiner
Seite gewonnen werden. Immer mehr Menschen - sogar in Russland - sehen die einzige
Möglichkeit zur Beendigung des Blutvergießens in der Aufnahme von Verhandlungen
49
(DW-Monitor Osteuropa vom 31.05.2001: „Der Krieg in Tschetschenien und die
Menschenrechtsverletzungen"; Neue Zürcher Zeitung vom 12.05.2001: „Tschetschenien
- Krieg ohne Ende"). Die humanitäre und menschenrechtliche Lage sind
besorgniserregend. In den von russischen Truppen kontrollierten Gebieten
Tschetscheniens ist die Sicherheit der Zivilbevölkerung wegen immer wieder neu
aufflammender Kampfhandlungen, Guerillaaktivitäten, Geiselnahmen, Plünderungen
und Übergriffen (auch durch russische Soldaten) nicht Gewähr leistet. In den von den
tschetschenischen Rebellen und Feldkommandeuren kontrollierten Gebieten gibt es
keine einheitliche Staatsgewalt. Die Zivilbevölkerung ist der Willkür eines
ungeordneten, an die Scharia angelehnten Rechtssystems und Übergriffen krimineller
Banden ausgesetzt.
In Tschetschenien hat sich ein System der Korruption und Ausbeutung herausgebildet,
das von Moskau aus nicht mehr kontrollierbar ist. Beide Seiten des Konflikts haben ein
existenzielles ökonomisches Interesse an der Aufrechterhaltung dieser
institutionalisierten Korruption. Die aus dem Zusammenwirken zwischen den russischen
Kräften und den aufständischen Tschetschenen entstandenen Verflechtungen werden
als „Tretja Sila" (Dritte Kraft) bezeichnet. Ihr Einfluss ist unübersehbar und macht
deutlich, dass die Nutznießer der tschetschenischen Katastrophe im Kaukasus sitzen.
Der Waffenhandel zwischen den russischen Soldaten und den tschetschenischen
Kämpfern blüht; ein Großteil der von der Regierung in Moskau für den Wiederaufbau
Tschetscheniens bereit gestellten Gelder versickern unauffindbar in einem Sumpf von
Korruption (Neue Zürcher Zeitung vom 12.05.2001: „Tschetschenien - Krieg ohne
Ende").
50
Die medizinische Versorgung in Tschetschenien ist völlig unzureichend. Durch die
Zerstörungen und Kämpfe - besonders in der Hauptstadt Grosny - sind medizinische
Einrichtungen in Tschetschenien weitgehend nicht mehr funktionstüchtig. Wichtige
medizinische Einrichtungen in Grosny und Umgebung sind nach
Augenzeugenberichten stark beschädigt oder zerstört; der Wiederaufbau verläuft
weiterhin sehr schleppend (Auswärtiges Amt, ad-hoc-Lagebericht vom 24.04.2001, Az.:
514-516.80/3 RUS).
51
Bei Wertung der Bekundungen der Beigeladenen in ihrer Anhörung vor dem Bundesamt
und in der mündlichen Verhandlung vom 28. August 2003 ergibt sich ein substantiierter,
nachvollziehbarer, in sich geschlossener und widerspruchsfreier Vortrag der
Beigeladenen zu denjenigen Geschehnissen in der Russischen Föderation, die zu ihrer
Gefährdung aus politischen Gründen geführt haben. Die Beigeladene war vor ihrer
Ausreise aus der Russischen Föderation von politischer Verfolgung betroffen bzw. hat
ihren Heimatstaat auf der Flucht vor unmittelbar drohender politischer Verfolgung
verlassen.
52
Die Beigeladene hat bereits beim Bundesamt eingehend geschildert, dass sie sich
zunächst persönlich im April 2000 gelegentlich der ersten Festnahme ihres Ehemannes
persönlich mit den russischen Militärs angelegt hat. Ihr Ehemann ist nach der ersten
Entlassung erneut mehrfach in das Blickfeld der Sicherheitskräfte geraten, insbesondere
bei seiner zweiten Festnahme im Dezember 2000 unter dem Vorwurf, tschetschenische
Kämpfer unterstützt zu haben - wobei der Ehemann in seiner Aussage vor dem
Bundesamt bestätigt hat, dass er dies auch getan habe. Nachdem das Ehepaar dann
Tschetschenien verlassen und nach Prochladny in die benachbarte Republik gezogen
ist, ist der Ehemann dort auch den Sicherheitskräften aufgefallen bei Vornahme der
53
regelmäßig zu wiederholenden Meldungen bei der Miliz; die Beigeladene hat bei ihrer
Anhörung vor dem Bundesamt erklärt, danach habe ihr Mann regelmäßig blaue Flecken
von Schlägen gehabt. Dies hat dann dazu geführt, dass Kontakte der Sicherheitskräfte
nach Tschetschenien aktiviert wurden, sodass es zur Festnahme des Ehemannes am 9.
Mai 2001 gekommen ist. Die Beigeladene selbst wurde, als sie sich am 10. Mai 2001
bei der Miliz nach ihrem Mann erkundigt hat, daraufhin selbst sofort festgenommen und
mehrere Tage festgehalten. Dies macht vor allem vor dem Hintergrund einen Sinn, dass
die Sicherheitskräfte sie ebenfalls verdächtigt haben, die Aktivitäten ihres Ehemannes
zu unterstützen und ebenfalls für die tschetschenische Seite tätig zu sein. Im Übrigen ist
aus Fernsehberichten und Printmedien allgemein bekannt, dass nach dem Verbleib von
Männern fragende Frauen regelmäßig nur schlecht behandelt, nicht aber selbst
gleichfalls langfristig festgenommen werden. Bei dieser Festnahme und während der
Gefangenschaft ist die Beigeladene so heftig geschlagen worden, dass sie eine
Wirbelsäulenverletzung erlitten hat; nach der Erklärung der Beigeladenen in der
mündlichen Verhandlung ist diese noch längere Zeit in der Bundesrepublik Deutschland
ärztlich behandelt worden.
Die Schilderung der Beigeladenen ist glaubhaft. Sie hat ihre Erlebnisse bereits beim
Bundesamt detailliert bekundet und in der mündlichen Verhandlung bestätigt. Die
Angaben sind frei von Widersprüchen und decken sich bis in die Einzelheiten mit den
Angaben ihres Ehemannes in dessen einige Zeit zuvor erfolgten Anhörung beim
Bundesamt.
54
Diese von der Beigeladenen beschriebenen Übergriffe einer mehrtägigen Haft und
erheblichen Körperverletzung sind nach Wertung des Einzelrichters angesichts von Art
und Ausmaß als asylerheblich zu qualifizieren. Bei Beeinträchtigungen der körperlichen
Unversehrtheit stellt generell jede derartige nicht ganz unerhebliche Maßnahme
staatlicher Stellen, die an die politische Überzeugung, Betätigung oder
Volkszugehörigkeit anknüpft, politische Verfolgung dar, ohne dass es insoweit noch auf
eine besondere Intensität oder Schwere des Eingriffs ankommt,
55
vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. Januar 1999, NVwZ-Beilage Nr. I 8/99 zu Heft 8/99 S.
82 f. .
56
Es besteht die Gefahr, dass die Beigeladene bei Rückkehr in die Russische Föderation
Gleiches erleiden muss.
57
Der Schutz nach Art. 16a Abs. 1 GG und nach § 51 Abs. 1 AuslG ist zuzuerkennen,
wenn der Ausländer politische Verfolgung begründet befürchten muss, das heißt wenn
ihm bei verständiger, nämlich objektiver Würdigung der gesamten Umstände seines
Falles politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, sodass ihm eine
Rückkehr in seinen Heimatstaat nicht zuzumuten ist. Ob eine derartige beachtliche
Wahrscheinlichkeit besteht, ist durch eine qualifizierende Betrachtungsweise im Sinne
einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung zu
ermitteln. Maßgebend ist, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig
denkenden besonnenen Menschen in der Lage des Ausländers Furcht vor Verfolgung
hervorgerufen werden kann. Eine in diesem Sinne wohl begründete Furcht vor einem
Ereignis kann deshalb auch dann vorliegen, wenn auf Grund einer quantitativen oder
statistischen Betrachtungsweise weniger als 50% Wahrscheinlichkeit für dessen Eintritt
besteht,
58
BVerwG, Urteil vom 15. März 1988, BVerwGE 79, 143.
59
Der Anspruch der Beigeladenen auf Anerkennung als Asylberechtigte und auf
Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG ist mithin begründet, weil sie
in keinem Teil ihres Heimatlandes vor erneuter politischer Verfolgung hinreichend
sicher wäre. Die Möglichkeit, der Gefährdung durch Aufenthaltsnahme in einem anderen
Teil der Russischen Föderation zu entgehen, besteht für die Beigeladene nicht:
60
Eine inländische Fluchtalternative ist nur dann zu bejahen, wenn der Asylsuchende in
den in Betracht kommenden Gebieten vor politischer Verfolgung hinreichend sicher ist
und ihm jedenfalls dort auch keine anderen Nachteile und Gefahren drohen, die nach
ihrer Intensität und Schwere einer asylerheblichen Rechtsgutverletzung aus politischen
Gründen gleichkommen, sofern diese existenzielle Gefährdung am Heimatort so nicht
bestünde,
61
BVerfG, Beschluss vom 2.7.1980, BVerfGE 54, 341 f.; BVerwG, Urteil vom 9.9.1997,
EZAR 203 Nr. 11.
62
Für die Annahme einer inländischen Fluchtalternative könnte die Größe des Landes
sprechen; die Russische Föderation ist territorial betrachtet der größte Staat der Erde.
Nach Auffassung des Einzelrichters kann nicht darauf abgestellt werden, dass zwei
Drittel aller Tschetschenen nicht in Tschetschenien, sondern in anderen russischen
Regionen leben, denn dies erfasst nicht die Zuspitzung der Situation infolge des
zweiten Tschetschenienkriegs. Auf Grund von Berichten der
Menschenrechtsorganisationen muss davon ausgegangen werden, dass in Moskau und
anderen Teil der Russischen Föderation Tschetschenen willkürlich festgenommen,
gefoltert und misshandelt werden. Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte
bejaht in einem Gutachten für das schleswig-holsteinische Verwaltungsgericht vom 20.
Dezember 2000 das Fehlen einer inländischen Fluchtalternative für Tschetschenen in
der Russischen Föderation; es wird ausgeführt, es könnten keine Gebiete in Russland
genannt werden, in denen Tschetschenen nicht benachteiligt werden. Es seien vor
allem staatliche Stellen Russlands - das Innenministerium und der russische
Sicherheitsdienst FSB -, die die meisten, die willkürlichsten und brutalsten Übergriffe
verübten, Tschetschenen festnähmen, schlügen und folterten. Infolge der intensiven
antitschetschenischen Regierungspropaganda verkörperten die Tschetschenen in den
Augen der russischen Gesellschaft den inneren Feind Russlands, weswegen deren
Verfolgung massenhaften Charakter trüge.
63
Ausweislich der Stellungnahme der Gesellschaft für bedrohte Völker zur Situation
tschetschenischer Flüchtlinge in der Russischen Föderation vom Juli 2001 an das
Bundesamt ist ebenfalls eine inländische Fluchtalternative nicht gegeben. Als
Begründung wird ausgeführt, dass die russische Gesetzgebung sowohl eine
Registrierung am Wohnort als auch am vorübergehenden Aufenthaltsort vorsehe. Hinzu
komme die Option der einzelnen nationalen Gebietseinheiten der Russischen
Föderation, zusätzlich eigene Verordnungen zu erlassen, die das Recht auf
Freizügigkeit und das Recht auf freie Wahl des Wohnsitzes stark einschränken könnten.
Speziell gegenüber Tschetschenen seien Befehle bzw. Regelungen erlassen worden -
interner Befehl des russischen Innenministers vom 17.9.1999 und Verordnung Nr. 42
des Föderalen Migrationsdienstes vom Dezember 1993 -, die darauf abzielten, deren
Registrierung außerhalb der Heimatregion zu erschweren oder zu verhindern. Die
fehlende Registrierung führe dazu, dass Tschetschenen ihr Recht auf Arbeit, Wohnraum
64
und medizinische Versorgung nicht wahrnehmen könnten. Massiv erschwert werde die
Lage der Tschetschenen durch eine gezielte Hetzkampagne von Politikern und Medien,
die sich pauschal gegen diese ethnische Gruppe richte und sie als Kriminelle und
Terroristen bezeichne. Neben der gesellschaftlichen Diskriminierung und Ächtung
würden Tschetschenen verstärkt Kontrollen durch die Sicherheitsbehörden ausgesetzt
und aufgefordert, in ihre Heimat zurückzukehren. Nach Wertung der Gesellschaft für
bedrohte Völker sind tschetschenische Volkszugehörige insgesamt betrachtet in der
Russischen Föderation massiv verfolgt.
Ebenso verneint der UNHCR eine inländische Fluchtalternative für tschetschenische
Volkszugehörige in der Russischen Föderation (UNHCR guidelines on asylum seekers
from chechnya (russian Federation) vom 21. August 2000).
65
Amnesty international führt in seiner Stellungnahme zum ad-hoc-Bericht über die asyl-
und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation (Tschetschenien) des
Auswärtigen Amtes vom 8. Oktober 2001 unter anderem Folgendes aus:
66
„Es ist jedoch festzustellen, dass durch die Verbindung einer anti- tschetschenischen
Feindseligkeit in der russischen Gesellschaft mit offiziellen Erklärungen russischer
Politiker und Handlungsweisen der Sicherheitskräfte eine Situation entstanden ist, in
der tschetschenische Volkszugehörige praktisch den Status einer ethnischen Gruppe
erhalten haben, die außerhalb des Schutzes durch das Gesetz steht und Opfer von
Verfolgung, Erpressung und staatlicher Willkür wird. Es ist darauf hinzuweisen, dass
Tschetschenen nicht nur in Tschetschenien selbst, sondern auch in anderen Teil der
Russischen Föderation wegen ihres kaukasischen Äußeren, der Angaben in ihren
Pässen oder fehlender Registrierung verhaftet, mehrere Tage festgehalten und gefoltert
oder misshandelt werden. Die so genannte Anti-Terrorismusoperation der moskauer
Polizei, die im September 1999 infolge der Bombenattentate initiiert wurde, dauert an.
Ähnliche so genannte Anti-Terrorismusoperationen werden auch aus anderen
russischen Großstädten berichtet. Tschetschenen und andere Personen aus dem
Kaukasus werden durch diese Polizeioperationen Opfer willkürlicher Festnahmen und
Misshandlungen. Belastendes Beweismaterial wie Drogen und Waffen wird den
Festgenommenen untergeschoben. Es wird von Fällen berichtet, in denen Folter
angewendet wurde, um Geständnisse zu erpressen. Auch im Jahr 2001 erhält amnesty
international wiederholt Kenntnis von Berichten über Übergriffe auf in verschiedenen
Gebieten Russlands lebende Tschetschenen. ... Vielmehr lassen sich aus den amnesty
international und anderen Organisationen vorliegenden Erkenntnissen Rückschlüsse
auf eine allgemeine Rückkehrgefährdung für tschetschenische Volkszugehörige ziehen.
Vor diesem Hintergrund vertrete amnesty international die Ansicht, dass nicht mit
hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden könne, dass Personen
tschetschenischer Volkszugehörigkeit außer in Tschetschenien auch in anderen Teilen
der Russischen Föderation Opfer von polizeilicher Willkür, Folter und Misshandlung
sowie Erpressung werden. Dieses erhöhte Risiko einer besonderen Gefährdung gilt
auch für Personen kaukasischer Abstammung, die sich nicht kämpferisch oder politisch
in der Tschetschenienfrage engagiert haben oder engagieren."
67
Amnesty international verneint somit eine zumutbare inländische Fluchtalternative für
Tschetschenen in der Russischen Föderation.
68
Das Auswärtige Amt stellt in seinem ad-hoc-Bericht über die asyl- und
abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation (Tschetschenien) vom 27.
69
November 2002 fest:
„Tschetschenen steht wie allen russischen Staatsbürgern das Recht auf Freizügigkeit,
der freien Wahl des Wohnsitzes und des zeitweiligen Aufenthalts in der russischen
Föderation außerhalb von Tschetschenien zu. Diese Rechte sind in der Verfassung
verankert. Jedoch wird in der Praxis an vielen Orten (u.a. in großen Städten wie Moskau
und St. Petersburg) der legale Zuzug von Personen aus den südlichen Republiken der
Russischen Föderation durch Verwaltungsvorschriften sehr stark erschwert. Diese
Zuzugsbeschränkungen gelten unabhängig von der Volkszugehörigkeit, wirken sich
jedoch im Zusammenhang mit anti-tschetschenischer Stimmung stark auf die
Möglichkeit rückgeführter Tschetschenen aus, sich legal dort niederzulassen. ... Auf
Grund der restriktiven Vergabepraxis von Aufenthaltsgenehmigungen haben
Tschetschenen erhebliche Schwierigkeiten, außerhalb Tschetschenien eine offizielle
Registrierung zu erhalten. In seinem Sonderbericht vom Oktober 2000 kritisiert der
Ombudsmann der russischen Föderation die regionalen Vorschriften, die im
Widerspruch zu den nationalen Vorschriften stehen sowie rechtswidrige
Vollzugspraktiken. Zahlreiche Nichtregierungsorganisationen berichten, dass
Tschetschenen, besonders in Moskau, häufig die Registrierung verweigert wird. ... Auch
eine Registrierung als Binnenflüchtling und die damit verbundene Gewährung von
Aufenthaltsrechten und Sozialleistungen wird in der russischen Föderation laut
Berichten von amnesty interational und UNHCR regelmäßig verwehrt. ...
70
Nach Moskau zurückgeführte Tschetschenen haben deshalb in der Regel nur dann eine
Chance, in der Stadt überhaupt Aufnahme zu finden, wenn sie auf ein Netzwerk von
Bekannten oder Verwandten zurückgreifen Können, Nach der Geiselnahme in Moskau
dürften sich administrative Schwierigkeiten und Behördenwillkür gegenüber
Tschetschenen im Allgemeinen und rückgeführten Tschetschenen im Besonderen bei
der Niederlassung verstärken. Eine verschärfte Neufassung des Aufenthaltsrechts
spezifisch für Tschetschenen ist dem Auswärtigen Amt jedoch nicht bekannt.
Tschetschenische Rückkehrer werden im Allgemeinen in andere russische Regionen
zur Registrierung als Binnenflüchtlinge verwiesen. Die Rücksiedlung nach
Tschetschenien wird nahe gelegt, ob auch zwangsweise rückgeführt wird, entzieht sich
der Kenntnis des Auswärtigen Amtes."
71
Dies ist diplomatisch vorsichtig zurückhaltend formuliert. Tatsächlich ergibt sich aus
diesen Ausführungen, dass tschetschenische Volkszugehörige außerhalb
Tschetscheniens keine Aufnahme finden können, wenn sie aus Deutschland in die
Russische Föderation zurückkehren. Eine Aufenthaltsgenehmigung wird bei einer
Rückkehr offenbar nur in Ausnahmefällen erteilt, wobei die großen Städte von
vornherein ausscheiden und auch in anderen Gebieten die Erteilung äußerst schwierig
zu sein scheint. Rückkehrer werden von Moskau aus zur Registrierung als
Binnenflüchtling in andere Landesteile verwiesen, erhalten als Tschetschenen aber
regelmäßig den Flüchtlingsstatus nicht. Da sich die Rückkehrer außerhalb
Tschetschenien nirgendwo legal niederlassen können, bedarf es auch keiner weiteren
Feststellung dazu, ob die Flüchtlinge zwangsweise nach Tschetschenien zurückgeführt
werden.
72
Weiter heißt es in dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 27. November 2002:
73
„Nach der Geiselnahme sind besonders in Moskau und anderen Großstädten
Tschetschenen, wie andere Personen kaukasischer Herkunft bzw. mit vermeintlich
74
südländisch/kaukasischen Aussehen verstärkten diskriminierenden
Kontrollmaßnahmen (Ausweiskontrollen, Hausdurchsuchungen usw.) ausgesetzt. Zwar
sind dem Auswärtigen Amt bisher keine konkreten Anweisungen und Befehle der
Innenbehörden bekannt, die sich spezifisch gegen die tschetschenische Ethnie richten.
Doch mündet die intensive Fahndungstätigkeit russischer Sicherheitskräfte nach den
Drahtziehern und Teilnehmern an dem Geiseldrama automatisch in einer
Diskriminierung kaukasisch aussehender Personen.
Auch hier manifestiert sich das allgemeine Phänomen, dass diese ethnische Gruppe auf
Grund der derzeitigen antitschetschenischen Stimmung verstärkt staatlicher Willkür
ausgesetzt ist."
75
Auch diesem Lagebericht lässt sich wie schon dem Lagebericht vom 28. August 2001
nicht entnehmen, wo tschetschnische Volkszugehörige bei einer Rückkehr nach
Russland Aufnahme und mit hinreichender Sicherheit Schutz vor politischer Verfolgung
finden könnten.
76
Die Gesellschaft für bedrohte Völker hat speziell zur inländischen Fluchtalternative von
Tschetschenen in der russischen Föderation zahlreiche Informationen
zusammengetragen. In ihrer Stellungnahme zur Situation tschetschenischer Flüchtlinge
auf dem Territorium der Russischen Föderation vom Oktober 2002 werden viele
Beispiele aus dem gesamten Gebiet der russischen Föderation angeführt, die auf eine
landesweite Diskriminierung und willkürliche Verfolgung von Tschetschenen durch den
russischen Staat schließen lassen. So werden tschetschenischen Volkszugehörigen
regelmäßig sowohl der Zwangsumsiedlerstatus als auch die Registrierung sowie die
Ausstellung von Papieren verweigert. Sogar die Ausstellung von Geburtsurkunden
wurde mit der Begründung verweigert, die Eltern hätten keine Registrierung. Da von den
Behörden in diesen Fällen unumwunden gefordert wird, die Betroffenen sollten nach
Tschetschenien zurückkehren, dürfte das Recht auf Freizügigkeit für Tschetschenen in
der Praxis in Russland nicht gelten. Eine Arbeitsstelle ist außerhalb Tschetscheniens für
Tschetschenen nur in Ausnahmefällen zu bekommen, u.a. weil Behördenvertreter die
Arbeitgeber unter Druck setzen, keine Tschetschenen einzustellen. Selbst langjährige
Mitarbeiter tschetschenischer Nationalität haben deswegen in den letzten Jahren
wiederholt Schwierigkeiten bekommen, sie sind entlassen worden oder ihre Löhne
wurden gekürzt. Medizinische Versorgung oder Kindergeld sowie die schulische
Ausbildung der Kinder werden an die Registrierung gebunden, sodass die Flüchtlinge
insoweit keine Ansprüche auf staatliche Unterstützung haben. Dass Tschetschenen in
der gesamten russischen Föderation wiederholt willkürlichen polizeilichen Aktionen
ausgesetzt sind und gezielt versucht wird, ihnen Straftaten anzuhängen und
Beweismaterial unterzuschieben, wird auch in dieser Stellungnahme berichtet. In
Inguschetien ermittelte die Gesellschaft für bedrohte Völker, dass in den
Flüchtlingslagern Spezialtruppen des Innenministeriums Kontrollen vornahmen.
Außerdem hat sich die politische Lage in Inguschetien insoweit für die Flüchtlinge
verschlechtert, als dort am 29. April 2002 der ehemalige Geheimdienstmitarbeiter Murat
Sjasikov zum Präsidenten gewählt wurde, der offen die Forderung aufgestellt hat, dass
die Flüchtlinge bis Oktober 2002 das Land verlassen haben müssten.
Dementsprechend wurde in den Flüchtlingslagern gezielt die Versorgung mit
Lebensmitteln sowie Strom und Wasser unterbrochen. Wie schon in den
vorangegangenen Jahren versucht offenbar die russische Administration, die
Flüchtlinge durch massiven Druck zur Rückkehr nach Tschetschenien zu bewegen.
Dementsprechend kommt die Gesellschaft für bedrohte Völker zu dem Schluss, dass ein
77
Tschetschene, der aus Deutschland nach Russland abgeschoben wird, dort nicht für
längere Zeit leben könne, sondern die Gefahr bestehe, dass er von den russischen
Behörden zur Rückkehr nach Tschetschenien gezwungen werde.
Erst recht ist diese Würdigung der Verneinung einer inländischen Fluchtalternative seit
der Geiselnahme tschetschenischer Terroristen in Moskau im Oktober 2002
gerechtfertigt. Diese Einschätzung bestätigt der Erlass des Innenministeriums NRW vom
14. November 2002 - 14/44.382 - R 4(Tschetschenien), in welchem es heißt, das
Bundesministerium des Innern habe seine Befürchtung mitgeteilt, dass die aktuellen
Ereignisse in Moskau den Druck, der von Seiten der russischen Behörden auf russische
Staatsbürger tschetschenischer Volkszugehörigkeit ausgeübt werde, erheblich erhöhen
und in der Bevölkerung vorhandene Antipathien soweit verstärken könnten, dass
Gefährdungssituationen denkbar seien. Die folgenden Ereignisse bestärken diese
Einschätzung: Ausweislich der IGFM-Pressemitteilung vom 29. Oktober 2002 „Massive
Säuberung in Tschetschenien angelaufen" werden Flüchtlinge gejagt, die
Zivilbevölkerung zermürbt und es erfolgen immer neue Säuberungen. Im Kampf gegen
den Terrorismus habe Russland offensichtlich auch den tschetschenischen Flüchtlingen
in Inguschetien den Krieg erklärt. Die Tat der Verschleppung des Leiters des Lagers für
tschetschenische Flüchtlinge in Karabulak/Inguschetien steht nach Auffassung der
Kaukasus-Expertin Wanda Wahnsiedler der in Frankfurt ansässigen IGFM in direktem
Zusammenhang zum angekündigten Feldzug gegen tschetschenische Terroristen
innerhalb und außerhalb Tschetscheniens. Säuberungen von Ortschaften
Tschetscheniens erfolgten, wobei die Behandlung der Zivilisten äußerst brutal war. Die
derzeitige Gefährdungslage von tschetschenischen Volkszugehörigen ergibt sich aus
weiteren Berichten: IGFM-Pressemitteilung „Moskaus Stadthalter in Tschetschenien
droht mit Schließung der Flüchtlingslager - Säuberungen von Ortschaften durch
russische Sondertruppen/Flächendeckende Bombardierungen"; Süddeutsche Zeitung
vom 29. Oktober 2002 „Putin kündigt Vergeltung für Geiselnahme an", Süddeutsche
Zeitung vom 31. Oktober 2002 „Russlands Reaktion wird hart sein".
78
In einer Gesamtwürdigung dieser Erkenntnisse ist eine inländische Fluchtalternative für
die Beigeladene nicht gegeben.
79
Der Anspruch der Beigeladenen auf Anerkennung als Asylberechtigte und auf
Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG ist mithin begründet, weil sie
in keinem Teil ihres Heimatlandes vor erneuter politischer Verfolgung hinreichend
sicher wäre.
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Diese Erwägungen gelten nicht nur für tschetschenische Volkszugehörige, sondern
auch für die Beigeladene als Ossetin, die in Tschetschenien gelebt hat; entsprechend
knüpft auch der Kläger in seiner Klagebegründung nicht an die Volkszugehörigkeit,
sondern an „Einwohner Tschetscheniens" an.
81
Die nach vorstehendem unbegründete Klage des Klägers war als offensichtlich
unbegründet abzuweisen, da sich nach Lage der Dinge die Abweisung der Klage
geradezu aufdrängt. Dies ergibt sich aus der Prozessführung des Klägers. Dieser hat
gegenüber dem Gericht mit einem in die mündliche Verhandlung eingeführten
Schriftsatz vom 11. April 2002 in einem anderen Verfahren - 25 K 6598, 6600/01.A -
ausgeführt, er nehme ebenfalls eine inländische Fluchtalternative nicht an bei direkt
Beteiligten am Kampf der Rebellen gegen die russischen Militärs, soweit sie bekannt
sind, und bei Personen, die schon einmal von russischen Militärs in ihrer Eigenschaft
82
als bewaffnete Rebellen aufgegriffen und in Lagern festgehalten worden sind. Dies trifft
auf die Beigeladene und ihren Ehemann zu. Der Ehemann ist - nach seinen Angaben
zu Recht - verdächtigt worden, die Rebellen zu unterstützen, und hat ein halbes Jahr in
einem Filtrationslager verbracht. Hiernach ist er mit seiner Familie den
Sicherheitskräften bestens bekannt. Demzufolge ist auch die Beigeladene selbst
offensichtlich als Unterstützerin am 10. Mai 2001 festgenommen und mehrere Tage
festgehalten worden. Diesen gesamten Vortrag der Beigeladenen und ihres Ehemannes
aus dessen beigezogener Verfahrensakte hat der Kläger in keiner Weise zur Kenntnis
genommen und in seine Entscheidung zur Klageerhebung einbezogen, sondern er hat
lediglich eine formularmäßige Klageschrift an das Gericht abgesandt, die hier aus vielen
Verfahren bekannt ist. Nach Abfassen der vorgenannten Stellungnahme vom 11. April
2002, spätestens bei Eingang der Ladung im vorliegenden Verfahren hätte es dem
Kläger oblegen, seine Äußerung in diesem Verfahren auch auf andere von ihm schon
anhängig gemachte Verfahren wie das vorliegende Verfahren der Beigeladenen
anzuwenden und diese zu überprüfen. Dies ist nicht geschehen und offenbart ebenso
die Nachlässigkeit der Prozessführung, wie dies schon die Klageschrift zum Ausdruck
bringt; diese datiert von Ende Oktober 2001, während die jüngste zur Frage der
inländischen Fluchtalternative zitierte Auskunft vom 25. Oktober 1999 stammt, mithin
damals zwei Jahre alt war. Neuere Erkenntnisse hat der Kläger nicht einbezogen und
auch in der Folgezeit während der Dauer des Verfahrens nicht erwogen. Schließlich hat
der Kläger auch auf den letzten Schriftsatz der Beigeladenen nicht mehr geantwortet,
obwohl hierzu auch eine Woche vor dem Termin noch Gelegenheit bestanden hätte.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die
Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83 b Abs. 1 AsylVfG.
83
Wegen des Gegenstandswertes der anwaltlichen Tätigkeit wird auf § 83 b Abs. 2
AsylVfG verwiesen.
84
Die Entscheidung ist unanfechtbar, § 78 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG.
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