Urteil des VG Düsseldorf vom 19.02.2003

VG Düsseldorf: medikamentöse behandlung, kosovo, gefahr, chefarzt, auskunft, skoliose, klinik, asylverfahren, kinderheilkunde, gefährdung

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 1 K 5734/00.A
Datum:
19.02.2003
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
1. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 K 5734/00.A
Tenor:
Soweit die Kläger die Klage zurückgenommen haben, wird das
Verfahren eingestellt.
Die Beklagte wird unter entsprechender Aufhebung des Bescheides des
Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 23.
August 2000 verpflichtet, festzustellen, dass hinsichtlich des Klägers zu
3) Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG vorliegen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Kläger zu 80 %, die Beklagte zu
20 %. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
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Die Kläger sind jugoslawische Staatsangehörige albanischer Volkszugehörigkeit aus
dem Kosovo. Sie führten bereits Asylverfahren in der Bundesrepublik Deutschland
durch, die mit Bescheiden des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer
Flüchtlinge (Bundesamt) vom 17. September und 30. September 1997 unanfechtbar
abgeschlossen wurden. Es wurde festgestellt, dass Abschiebungshindernisse nach §
53 AuslG nicht bestehen.
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Unter dem 10. Juli 2000 beantragten die Kläger die Durchführung weiterer
Asylverfahren. Zur Begründung führten sie aus, dass es im Kosovo zu gewalttätigen
Auseinandersetzungen zwischen albanischen und serbischen Volkszugehörigen
komme. Eine Rückkehr komme wegen der unsicheren Lage nicht in Betracht. Es fehle
an Wohnraum in der Heimat. Eine Rückkehr sei auch aus gesundheitlichen Gründen
nicht zumutbar.
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Mit Bescheid vom 23. August 2000 lehnte das Bundesamt die Durchführung weiterer
Asylverfahren ab und stellte fest, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht
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vorliegen. Außerdem forderte es die Kläger auf, die Bundesrepublik Deutschland binnen
einer Woche zu verlassen. Andernfalls drohte er die Abschiebung in die Bundesrepublik
Jugoslawien (Kosovo) bzw. in den Staat, in den sie einreisen dürfen oder der zu ihrer
Übernahme verpflichtet ist, an.
Nach Zustellung des Bescheides an die ehemaligen Prozessbevollmächtigten der
Kläger am 27. August 2000 haben die Kläger am 30. August 2000 Klage erhoben.
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Sie tragen erstmals vor, dass der Kläger zu 3) an dem sog. Marfan-Syndrom leide.
Diesbezüglich legten sie u.a. ärztliche Bescheinigungen des A, Arzt für
Kinderheilkunde, aus E1 vom 09. Juni 2000, 16. Oktober 2000, des T Spyth, Arzt für
Orthopädie, aus E1 vom 13. Juli 2000, des N der Universität E, Medizinische
Einrichtungen, vom 10. Oktober 2000 und 31. Juli 2001, des Priv.-Doz. L, Chefarzt, und
M, Kinderärztin/Kinderkardiologin, Oberärztin, der Klinik für Kinderkardiologie des
Herzzentrums E1, vom 18. September 2000, 21. September 2000 und 10. Oktober 2002.
In den Bescheinigungen wird dem Kläger zu 3) einhellig bestätigt, an dem Marfan-
Syndrom zu leiden. N der E, Medizinische Einrichtungen, führt in der Bescheinigung
vom 10. Oktober 2000 aus, dass das Marfan-Syndrom einher gehe mit einer
Bindegewebsschlaffheit, einer bereits ausgeprägten Skoliose
(Wirbelsäulenverkrümmung) sowie einem Herzfehler (Mittelklappenprolaps und
Ausweitung der Aorta). Wegen dieser Erweiterung der Aorta, welche in einem tödlichen
Aneurisma dissecans enden könne, müsse der Kläger zu 3) täglich Athenol einnehmen
und häufig kardiologisch überwacht werden. Nur so sei es möglich, rechtzeitig eine
Ruptur (Einreißen) der Aorta, welche tödlich ist, zu erkennen und eventuell zu
verhindern. Wegen der Skoliose seien tägliche krankengymnastische Übungen
erforderlich. In der Bescheinigung vom 31. Juli 2001 führt er aus, dass bei dem Marfan-
Syndrom in der Kindheit in aller Regel keine Gefahr drohe. Bei fehlender Behandlung
und ärztlicher Überwachung erfolge in der Regel eine meist tödliche Aortenruptur um
das 40. Lebensjahr. Dies ließe sich medikamentös wie chirurgisch gut beeinflussen.
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Priv.-Doz. L, Chefarzt, und M, Kinderärztin/Kinderkardiologin, Oberärztin, der Klinik für
Kinderkardiologie des Herzzentrums E1, führen in der Bescheinigung vom 18.
September 2000 aus, dass eine Einstellung auf Betablocker sinnvoll sei. In der
Bescheinigung vom 21. September 2000 wurde ausgeführt, dass der Kläger zu 3) auf
eine lebenslange Einnahme von Medikamenten angewiesen sein werde. In der
Bescheinigung vom 10. Oktober 2002 weisen sie darauf hin, dass die Fortführung der
Medikamenten Therapie mit Betablockern sinnvoll sei und die Dosierung von Athenol
auf 12,5/6,25 mg täglich gesteigert werden solle. Eine erneute kardiologische
Kontrolluntersuchung sei in 3-6 Monaten empfehlenswert.
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Darüber hinaus legten die Kläger eine Stellungnahme der T1, Kinderärztin,
Missionsärztliches Institut X, vom 17. Oktober 2002 vor, in der ausgeführt wird, dass die
z.Zt. nur leicht ausgeprägte Erweiterung der Aorta ascendens einen entscheidenden
Einfluss auf die Lebenserwartung habe. Therapeutisch komme der kontinuierlichen
Einnahme eines Beta-Rezeptoren Blockers, der Endocarditisprophylaxe bei
entzündlichen Erkrankungen, Zahn- und anderen Operationen, sowie den regelmäßigen
kardiologischen Kontrollen eine besondere Bedeutung zu. Zusammenfassend sei
festzuhalten, dass für den Kläger zu 3) keine akute Gefährdung bestehe, vorausgesetzt,
die empfohlene Therapie werde regelmäßig durchgeführt. Mit einer
operationsbedürftigen Aorten-Ektasie sei erst im höheren Alter zu rechnen.
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Des Weiteren legten sie nervenärztliche Bescheinigungen des C, Neurologie,
Psychiatrie, Psychotherapie, aus E1 vom 31. August 2000 und 23. Januar 2003 vor,
nach der die Klägerin zu 2) sich seit April 1999 in nervenärztlicher Behandlung befinde.
Es handele sich um eine schwere andauernde Persönlichkeitsstörung nach
Extrembelastung im Heimatland. Sie werde mit Antidepressiva Insidion und Aponal
behandelt.
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Nachdem die Kläger zunächst beantragt hatten, die Beklagte unter Aufhebung ihres
Bescheids vom 23. August 2000 zu verpflichten, sie die Kläger als Asylberechtigte
anzuerkennen und festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 AuslG vorliegen
und hilfsweise zu verpflichten, festzustellen dass die Voraussetzungen des § 53 AuslG
vorliegen, nahm der Prozessbevollmächtigte der Kläger im Termin zur mündlichen
Verhandlung den Hauptantrag zurück.
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Die Kläger beantragen nunmehr,
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die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 23. August 2000 zu verpflichten,
festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 AuslG vorliegen.
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Die Beklagte beantragt schriftlich,
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die Klage abzuweisen.
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Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verwaltungs- und
Gerichtsakten Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Soweit die Kläger die Klage zurückgenommen haben, war das Verfahren einzustellen, §
92 Abs. 3 VwGO.
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Soweit die Klage auf die Verpflichtung zur Feststellung von Abschiebungshindernissen
nach § 53 Abs. 6 AuslG hinsichtlich des Klägers zu 3) gerichtet ist, ist sie zulässig und
nach der gem. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG maßgeblichen Sach- und Rechtslage der
letzten mündlichen Verhandlung auch begründet.
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Hinsichtlich des Klägers zu 3) ist der Bescheid des Bundesamtes vom 23. August 2003
in dem noch streitigen Umfang rechtswidrig und verletzt ihn in seinen Rechten. Die
Beklagte hat es zu Unrecht abgelehnt, zu Gunsten des Klägers ein
Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG festzustellen (§ 113 Abs. 1 und
Abs. 5 VwGO).
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Nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG kann von der Abschiebung eines Ausländers in einen
anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche
konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gefahren im Sinne dieser
Vorschrift sind nicht zu erkennen. Allerdings kann die Gefahr, dass sich eine Erkrankung
des ausreisepflichtigen Ausländers in seinen Heimatstaat verschlimmert, weil die
Behandlungsmöglichkeiten dort unzureichend sind, ein Abschiebungshindernis iSd. §
53 Abs. 6 S. 1 AuslG darstellen
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BVerwG, Urteil vom 25.4.1997 - 9 C 58.96 -.
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Diese Voraussetzungen sind hinsichtlich des Klägers zu 3) erfüllt.
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Nach den in der Gerichtsakten befindlichen ärztliche Bescheinigungen des A, Arzt für
Kinderheilkunde, aus E1 vom 09. Juni 2000, 16. Oktober 2000, des T, Arzt für
Orthopädie, aus E1 vom 13. Juli 2000, des N der Universität E, Medizinische
Einrichtungen, vom 10. Oktober 2000 und 31. Juli 2001, des Priv.-Doz. L, Chefarzt, und
M, Kinderärztin/Kinderkardiologin, Oberärztin, der Klinik für Kinderkardiologie des
Herzzentrums E1, vom 18. September 2000, 21. September 2000 und 10. Oktober 2002
leidet der Kläger zu 3) an dem sog. Marfan-Syndrom. Den ärztlichen Bescheinigungen
zur Folge geht das Marfan-Syndrom bei dem Kläger zu 3) zur Zeit mit einer
Bindegewebsschlaffheit, einer bereits ausgeprägten Skoliose, einer Augenerkrankung
in Form des Linsenschlotterns und eines Herzfehlers in der Gestalt eines
Mittelklappenprolapses und einer Ausweitung der Aorta einher. Zu Behandlung muss er
täglich Athenol einnehmen und krankengymnastische Übungen absolvieren. Außerdem
muss er regelmäßig kardiologisch überwacht werden, um eine Ruptur (Einreißen) der
Aorta zu verhindern. An der Richtigkeit dieser ärztlichen Diagnose hat das Gericht
wegen der übereinstimmenden Stellungnahmen der Ärzte keinerlei Zweifel. Vorliegend
besteht schon wegen der zwingend gebotenen kardiologischen
Überwachungsmaßnahmen sowie weiterer Kontrollmaßnahmen - Laboruntersuchungen
- verbunden mit einem möglichen herzchirurgischen Eingriff, etwa bei Riss der Aorta
oder ähnlich gravierender Behandlungsmaßnahmen beim Auftreten von vergleichbaren,
gegenwärtig nicht konkret vorhersehbaren Komplikationen, eine dauernde
Behandlungsbedürftigkeit.
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Bedarf der Kläger mithin wegen seiner Erkrankung der oben beschriebenen
Behandlung, wäre ohne eine solche eine konkrete Gesundheitsgefährdung im Sinne
des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG zu befürchten.
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Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen ist die demnach in jedem Fall
erforderliche Behandlung des Herzfehlers des Klägers zu 3) im Kosovo derzeit nicht
sichergestellt. Eine kardilogische Behandlung und auch eine kardilogische
Überwachung ist nach den derzeitigen Auskünften nicht möglich
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G 7018 -7020 KIP vom 19.07.2001, 20.07.2001.
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Es gibt keinen Herzchirurgen und keine Abteilung für Herzchirurgie
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G 6283 - 6294 KIP vom 18.05.2001, 29.08.2001.
28
Herzchirurgische Eingriffe sind nicht möglich.
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Deutsches Verbindungsbüro im Kosovo, Auskunft vom 10.06.2002 an das Ordnungsamt
Waldshut, Gz.: RK 516.80.
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Es ist nicht möglich, ein Kind mit einem angeborenen Herzfehler zu behandeln
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G 16772 - 16775 KIP vom 25.10.2001, 07.11.2001.
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Einen Kinderherzchirurgen gibt es im Kosovo nicht
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G 14603 - 14604 KIP vom 19.09.2001.
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Damit kann nicht festgestellt werden, dass zumindest die erforderliche Behandlung des
Klägers bezogen auf seinen Herzfehler im Kosovo derzeit sichergestellt ist.
Dementsprechend wäre für den Fall der Rückkehr des Klägers zu 3) in den Kosovo und
den hierdurch bedingten Abbruch der Behandlung mit einer erheblichen
Verschlechterung seines Gesundheitszustands zu rechnen. Dem steht auch nicht die
Auskunft der T1 vom Missionsärztlichen Institut X vom 17.01.2001 entgegen, nach der
bei dem Kläger zu 3) akut keine Gefährdung bestehe, vorausgesetzt die Therapie werde
regelmäßig durchgeführt, und erst im Erwachsenenalter mit einer operationsbedürftigen
Aorten-Ektasie zu rechnen sei. Diese Auskunft erging allein auf der Grundlage, dass sie
zur Zeit durchgeführte Therapie regelmäßig weiter geführt wird. Ohne eine solche
Therapie, insbesondere ohne die medikamentöse Behandlung und die regelmäßigen
kardilogischen Kontrollen, ist aber im Rückschluss von einer konkreten Gefahr
auszugehen.
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Hinsichtlich des Begehrens der Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung von
Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 6 AuslG hinsichtlich der übrigen Kläger war
die Klage abzuweisen, da der Bescheid des Bundesamtes vom 23. August 2000 in dem
noch streitigen Umfang insoweit rechtmäßig ist und die übrigen Kläger nicht in ihren
Rechten verletzt. Hinsichtlich der Kläger zu 1), 4) und 5) sind schon keine Gründe für
das Vorliegen solcher Abschiebungshindernisse vorgetragen oder ersichtlich.
Hinsichtlich der von der Klägerin zu 2) vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen ist
festzustellen, dass diese nicht im Ansatz den Anforderungen entsprechen, die an
wissenschaftlich fundierte fachärztliche Bescheinigungen zu stellen sind und daher
vorliegend keinen Ausschlag dahin geben können, ein Abschiebungshindernis
hinsichtlich der Klägerin zu 2) festzustellen.
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Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 154, 155 Abs. 1 VwGO, über die
vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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