Urteil des VG Düsseldorf vom 11.11.2003

VG Düsseldorf: stadt, abfallentsorgung, satzung, juristische person, öffentlicher auftrag, gesellschaft, verordnung, unternehmen, ausschreibung, auflage

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 17 K 5472/02
Datum:
11.11.2003
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
17. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
17 K 5472/02
Tenor:
Der Grundbesitzabgabenbescheid des Beklagten vom 18. Januar 2002
und der hierzu ergangene Widerspruchsbescheid vom 15. Juli 2002
werden insoweit aufgehoben, als Abfallgebühren in Höhe von 175,20
Euro und Straßenreinigungsgebühren in Höhe von 27,72 Euro
festgesetzt sind.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte
darf die Vollstreckung durch Leistung einer Sicherheit oder Hinterlegung
in der Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der
Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
1
Die Klägerseite setzt sich gegen ihre Heranziehung zu Abfallbeseitigungs- und
Straßenreinigungsgebühren für das Jahr 2002 zur Wehr.
2
Der Beklagte, Oberbürgermeister einer Großstadt mit rund 220.000 Einwohnern,
erledigte seit dem Jahr 1993 zahlreiche Aufgaben der kommunalen Daseinsvorsorge
durch eine eigenbetriebsähnliche Einrichtung, die "Wirtschaftsbetriebe P" (WBP). Die
WBP umfassten sechs Betriebe, nämlich Zentrale Dienste, Bäderwesen,
Stadtentwässerung, Straßenunterhaltung, Grünflächenunterhaltung und
Stadtentsorgung. Der Betrieb der "Stadtentsorgung" übernahm Sammlung und
Transport der kommunal zu entsorgenden Abfälle sowie die Straßenreinigung.
3
Im Jahr 1995 plante der Beklagte, den städtischen Eigenbetrieb in eine privatrechtliche
Gesellschaft, die Wirtschaftsbetriebe P GmbH (WBP GmbH), zu überführen.
Alleingesellschafterin sollte die Stadtwerke P AG (STPAG) werden, deren Anteile
ausschließlich der Stadt P gehören. Die WBP GmbH sollte zu 49 % an einen privaten
Investor veräußert werden und dann die Aufgaben des ehemaligen städtischen
Eigenbetriebs auf der Grundlage langlaufender vertraglicher Vereinbarungen für die
4
Stadt P erbringen. Unter dem 27. Juni 1995 forderte der Beklagte zahlreiche
Unternehmen auf, ein verbindliches Angebot für den Kauf von 49 % der
Gesellschaftsanteile der noch zu gründenden WBP GmbH und einen Preis für die zu
erbringenden Dienstleistungen abzugeben. Die Angebotsaufforderung sah u. a.
folgende Bedingungen vor:
die zum Verkauf stehenden Gesellschaftsanteile von 49 % müssen von einem Bieter
oder von einer Bietergemeinschaft (Konsortium) übernommen werden
5
jeder Bieter muss einen Dienstleistungspreis für die jeweils von der WBP GmbH für den
Beklagten zu erbringende Dienstleistung abgeben
6
der Dienstleistungspreis ist in den gebührengebundenen Sparten für eine
Vertragslaufzeit von 15/20 Jahren, in den nicht gebührengebundenen Sparten für 5/10
Jahre abzugeben
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die Preise müssen in den gebührengebundenen Sparten die Anforderungen der
Leitsätze für die Preisermittlung auf Grund von Selbstkosten (LSP) über den
kalkulatorischen Gewinn einhalten
8
in den nicht gebührengebundenen Bereichen darf der Preis eine marktübliche Rendite
enthalten.
9
Die zu erbringenden Leistungen ergaben sich aus den vom Beklagten so genannten
"Standards 95". Die "Standards 95" zählten als Bestandsaufnahme die Leistungen der
eigenbetriebsähnlichen WBP im Jahr 1995 auf.
10
Aus der vom Beklagten vorgelegten Ergebnisauswertung durch U GmbH & Partner GbR
vom 17. Juli 1995 und den im Juli 1995 eingereichten Angeboten der Unternehmen ging
Folgendes hervor: Nur die Deutsche C AG bot einen Kaufpreis unter gleichzeitigem
Angebot eines "Dienstleistungspreises" für alle Leistungen. Im Übrigen gingen - unter
Außerachtlassung aller sonstigen Abweichungen von der Aufforderung - schon keine
Angebote ein, die für alle Betriebssparten "Dienstleistungspreise" enthielten.
11
Der Beklagte selbst beurteilte das Ergebnis der Markterkundung als ungeeignet und
verfolgte seine ursprünglichen Privatisierungspläne nicht weiter.
12
Die Stadt P gründete vielmehr im November 1995 die geplante WBP GmbH und schloss
mit ihr am 12. Januar 1996 einen Vertrag über die Gesamtheit der Leistungen, welche
zuvor von den eigenbetriebsähnlichen WBP erbracht worden waren. Der Beklagte
schrieb die Leistungen vor der Beauftragung der WBP GmbH nicht öffentlich aus und
führte auch sonst kein Vergabeverfahren durch.
13
Der geschlossene Vertrag besitzt in den Bereichen Müllabfuhr und Straßenreinigung
eine Laufzeit vom 1. Januar 1996 bis zum Ende des Jahres 2015. Für alle Leistungen
wurde für das Jahr 1996 ein einheitlicher Preis - im Vertrag "Marktpreis" genannt - in
Höhe von 101.873.549 DM vereinbart. Davon wurden Teilsummen den
Leistungsbereichen "zugeordnet", u. a. der Reinigung städtischer Gebäude 12.000.000
DM, der Grünflächenunterhaltung 10.000.000 DM, der Müllabfuhr 39.439.825 DM und
der Straßenreinigung 5.468.657 DM. Die reinen Entsorgungskosten (vorwiegend
Verbrennung) für die Abfälle beliefen sich für den Bereich Müllabfuhr im Jahr 1996 auf
14
rund 60 %, im Bereich Straßenreinigung auf rund 19 % der Teilsummen. Zum
Gesamtpreis wurde eine Preisgleitklausel vereinbart, die an einen Index des
Statistischen Bundesamtes gekoppelt wurde. Der im Jahr 1996 vereinbarte Preis sollte
über die gesamte Vertragslaufzeit indexiert werden und lediglich an Mehr- oder
Minderleistungen im Vergleich zum ursprünglichen Leistungsverzeichnis angepasst
werden.
Die Geschäftsanteile der WBP GmbH hielt zunächst die STPAG. 49 % wurden nach
erfolgter Ausschreibung im Jahr 1996 an die Gesellschaft für kommunale Dienste P
mbH (GKDP) veräußert. Gesellschafterinnen der GKDP sind die S Entsorgungs AG &
Co., M, und die RWE Umwelt AG (ehemals: U1), W. Zuvor war der RWE-Anteil
kurzzeitig von der Deutschen C AG gehalten worden.
15
Ausgehend hiervon ergab sich auf der Grundlage der Zahlenangaben des Beklagten
folgende Entwicklung der gebührengebundenen und nicht gebührengebundenen
Leistungen der WBP GmbH seit der Teilprivatisierung (ohne Betrachtung der teilweisen
Erweiterung des Leistungskataloges): Im Zeitraum zwischen 1995 und 2002 stiegen
nach den Angaben des Beklagten die den gebührengebundenen Leistungen
"zugeordneten" Kosten um 45,16 %, während die Kosten der von der WBP GmbH
erbrachten Leistungen in Sparten, die nicht durch Gebühreneinnahmen gedeckt sind, im
selben Zeitraum um 17,98 % gesunken sind. Dabei ist zu berücksichtigen, dass auf
Grund vertraglicher Abrede die Mehrwertsteuer (16 %) erstmals 1999 in den Preis
eingestellt werden durfte. Die Abfallgebühr für ein 120-Liter-Restmüllgefäß, das
wöchentlich geleert wird, stieg von 202,26 Euro im Jahr 1995, dem letzten Jahr vor der
Teilprivatisierung, um 73,25 % auf 350,40 Euro im Jahr 2002.
16
Zu den gebührengebundenen Leistungen zählen Entwässerung, Friedhöfe,
Abfallentsorgung und Straßenreinigung. Nichtgebührengebundene Leistungen werden
erbracht durch Reinigung städtischer Gebäude, allgemeine Werkstätten,
Schwimmbäder, Straßenunterhaltung, Grünflächenunterhaltung,
Sportanlagenunterhaltung und Kfz-Werkstätten.
17
Im Rahmen der überörtlichen Prüfung der Stadt P untersuchte das
Gemeindeprüfungsamt der Bezirksregierung E (Bericht Nr. 3048 vom 30. Dezember
2002) auch die WBP GmbH. Es stellte fest, dass die WBP GmbH in den Jahren 1996
und 1997 in den gebührengebundenen Bereichen Überschüsse erzielt hatte. Nach den
Erkenntnissen des Gemeindeprüfungsamtes verblieben die Überschüsse in der WBP
GmbH, um Unterdeckungen in nichtgebührenfinanzierten Sparten auszugleichen. Die
Überschüsse wurden mit folgenden Summen festgestellt: 1996 1997 Stadtentwässerung
137.668 DM (= 70.388 Euro) 456.404 DM (= 233.355 Euro) Müllabfuhr 1.088.212 DM (=
556.393 Euro) 1.422.591 DM (= 727.359 Euro) Das Gemeindeprüfungsamt konnte für
die Folgejahre den Kostendeckungsgrad und evtl. Überschüsse im
gebührengebundenen Bereich nicht mehr prüfen, da ihm Spartenabschlüsse für die
Folgejahre nicht mehr vom Beklagten zur Verfügung gestellt worden seien. Der
Beklagte habe dies damit erklärt, dass ihm selbst Spartenabschlüsse seitens der WBP
GmbH nicht mehr zugänglich gemacht würden. Das Gemeindeprüfungsamt fährt fort,
nach Auskunft der Stadt seien die Überschüsse in den gebührengebundenen Sparten
jedoch in den Folgejahren weiter gestiegen. Die WBP GmbH habe in den Jahren 1999
und 2000 einen Gewinn von 3,7 Millionen DM bzw. 5,54 Millionen DM erzielt. Nach
Presseberichten
18
Parallelverfahren 17 K 5448/02 GA Bl. 24 f.
19
verringerte die WBP GmbH ihr Personal von 1185 Mitarbeitern im Jahr 1996 um 18,9 %
auf 961 Mitarbeiter im Jahr 2000. Die WBP GmbH erzielt nach diesen Berichten 87 %
ihres Umsatzes mit der Stadt P.
20
Mit Bescheid vom 18. Januar 2002 setzte der Beklagte bezüglich des Grundstücks
Lstraße 156 für die Abfallentsorgung Gebühren in Höhe von 175,20 Euro, für die
Straßenreinigung in Höhe von 27,72 Euro. Gegen den Heranziehungsbescheid erhob
die Klägerseite am 13. Februar 2002 Widerspruch. Dieser wurde mit Bescheid vom 15.
Juli 2002 als unbegründet zurückgewiesen.
21
Am 13. August 2002 hat die Klägerseite Klage erhoben.
22
Sie rügt den unverhältnismäßigen Anstieg der Kosten für die gebührenfinanzierten
Leistungen. Außerdem sei bei der Auftragsvergabe an die WBP GmbH gegen das
öffentliche Preisrecht verstoßen worden. Es habe zudem an einer ordnungsgemäßen
Vergabe gefehlt. Die Angebotsaufforderung sei als bloße Erkundigung anzusehen; ein
Markt für die einst kommunalen Dienstleistungen habe damals nicht existiert. Der
Gebührenansatz der gebührengebundenen Bereich sei willkürlich, weil es keine
betriebliche Kostenrechnung gegeben habe. Die WBP GmbH erziele Umsätze durch
Teilnahme am allgemeinen Wirtschaftsverkehr, welche nicht ausgewiesen seien. Die
GMVA sei mit vier Kesseln überdimensioniert und produziere Leerkosten; importierte
Abfälle aus Neapel hätten zur Auslastung billigst angekauft werden müssen. Die
vereinbarte Preisgleitklausel sei zu beanstanden, da ein Zusammenhang zwischen dem
Index und den Kosten der WBP GmbH nicht erkennbar sei. Auch würden so
Rationalisierungsvorteile, etwa durch Personaleinsparungen, nicht an die
Gebührenpflichtigen weitergegeben.
23
Die Klägerseite beantragt,
24
den Grundbesitzabgabenbescheid vom 18. Januar 2002 und den hierzu ergangenen
Widerspruchsbescheid vom 15. Juli 2002 insoweit aufzuheben, als Abfallgebühren in
Höhe von 175,20 Euro und Straßenreinigungsgebühren in Höhe von 27,72 Euro
festgesetzt sind.
25
Der Beklagte beantragt,
26
die Klage abzuweisen.
27
Der Beklagte hält die Heranziehung für rechtmäßig. Die an die WBP GmbH gezahlten
Entgelte seien voll in der Gebührenkalkulation ansatzfähige Fremdleistungskosten. Es
habe zum Zeitpunkt der Beauftragung der WBP GmbH einen Markt für die Leistungen
gegeben. Alle Angebote hätten jedoch über dem Angebot der WBP GmbH gelegen.
Jedenfalls fehle es an einem eklatanten Missverhältnis zwischen den Leistungen der
WBP GmbH und den von der Beklagten gezahlten Entgelten. Die Koppelung an einen
Preisindex sei bei langlaufenden Verträgen üblich und sachgerecht. Die
Müllverbrennungsanlage sei nicht überdimensioniert; wenn gleichwohl private Abfälle
angenommen worden seien, habe dies zu gebührensenkenden Einnahmen geführt. Für
die Abfallbeseitigung bestehe auch nach Auffassung der Kartellbehörden ein Markt,
jedenfalls soweit es nicht um Verbrennung gehe, sondern nur um das Sammeln und den
28
Transport der Abfälle.
Hinsichtlich der Kosten der Winterwartung, die im Rahmen der
Straßenreinigungsgebühren in die Kalkulation eingestellt worden seien, sei der
Beklagte dabei, eine neue Satzung zu erlassen. Weil es hierdurch zu höheren
Belastungen kommen könne, fehle es am Rechtsschutzinteresse der
Gebührenpflichtigen.
29
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte, insbesondere des Leitverfahrens 17 K 5472/02 sowie der beigezogenen
Verwaltungsvorgänge des Beklagten ergänzend Bezug genommen.
30
Entscheidungsgründe:
31
Die Klage ist begründet.
32
Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen die Klägerseite in ihren
Rechten, § 113 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung
33
in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. März 1991 (BGBl. I S. 686), zuletzt
geändert durch Gesetz vom 20. Dezember 2001 (BGBl. I S. 3987) - im Folgenden:
VwGO.
34
Der Beklagte kann sich für die Erhebung der Abfallbeseitigungs- und
Straßenreinigungsgebühren nicht auf die Satzung über die Abfallentsorgung in der
Stadt P vom 9. Dezember 1996 in Verbindung mit der Satzung über die Erhebung von
Gebühren für die Abfallentsorgung in der Stadt P vom 9. Dezember 1996 bzw. auf die
Satzung über die Straßenreinigung und die Erhebung von Straßenreinigungsgebühren
der Stadt P in Verbindung mit der Abgabesatz-Satzung stützen.
35
Die Abgabesatz-Satzung kommt als Rechtsgrundlage nicht in Betracht, weil die
Gebührensätze unwirksam sind. Die diesen Gebührensätzen zu Grunde liegende
Gebührenkalkulation weist im Rahmen der Kostenermittlung unzulässige
Kostenansätze auf. Der Beklagte hat bei seiner Gebührenkalkulation eine Berechnung
nach preisrechtlichen Vorschriften gemäß § 5 Abs. 1 VO PR Nr. 30/53 nicht
vorgenommen. Trotz eines entsprechenden gerichtlichen Hinweises legte der Beklagte
eine Abrechnung, die den Anforderungen des öffentlichen Preisrechts zu
Selbstkostenpreisen genügt, auch später nicht vor.
36
Mängel der ursprünglichen Kalkulation - hier die fehlende Berechnung nach
öffentlichem Preisrecht - müssen nicht zwangsläufig zur Nichtigkeit der Gebührensätze
führen. Vielmehr ist in rechtlicher Hinsicht davon auszugehen, dass der Gebührensatz
lediglich im Ergebnis den Anforderungen der einschlägigen Gebührenvorschriften
entsprechen und nicht auf einer vom Rat beschlossenen (rechtmäßigen)
Gebührenkalkulation beruhen muss,
37
Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 5. August 1994 -
9 A 1248/92, in: GemHH 1994, 233.
38
Das bedeutet, dass fehlerhafte Kostenansätze ggfs. keine Auswirkungen auf die
Gültigkeit des Gebührensatzes und damit der Satzung insgesamt haben, wenn sich im
39
Rahmen einer umfassenden (ggfs. gerichtlichen) Prüfung herausstellt, dass zulässige
Kostenansätze unterblieben oder zu niedrig bemessen worden sind. Diese können die
fehlerhaften Ansätze im Rahmen ihrer Ansatzfähigkeit ausgleichen. Es ist insbesondere
zulässig, den Gebührensatz mit einer nach Abschluss der Gebührenperiode - noch im
Laufe des gerichtlichen Verfahrens - aufgestellten Betriebsabrechnung zu rechtfertigen,
vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 1. Juli
1997 - 9 A 3556/96, in: NWVBl 1998, 118.
40
Dass der Beklagte im Ergebnis gebührenrechtlich gerechtfertigte Kostenansätze in
seine Gebührenbedarfberechnung aufgenommen hat, konnte die Kammer nicht
feststellen.
41
Im Rahmen der von der Stadt bei der Aufstellung der Gebührenkalkulation zu treffenden
Prognoseentscheidung, welches die voraussichtlich ansatzfähigen Kosten nach § 6
Abs. 1 S. 3, Abs. 2 des Kommunalabgabengesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen
42
vom 21. Oktober 1969 [GV NRW S. 712], zuletzt geändert Artikel 74 d. EuroAnpG NRW
vom 25. September 2001 (GV. NRW. S. 708), im Folgenden: KAG NRW,
43
und des § 9 Abs. 2 des Abfallgesetzes
44
für das Land Nordrhein-Westfalen (LAbfG) vom 21. Juni 1988 (GV NRW S. 250), zuletzt
geändert durch Gesetz vom 9. Mai 2000 (GV NRW S. 439)
45
für die von ihr als öffentliche Einrichtung betriebene Abfallentsorgung bzw.
Straßenreinigung sein werden, hatte die Stadt u. a. gewissenhaft zu schätzen, wie hoch
die Entgelte für in Anspruch zu nehmende Fremdleistungen im Veranlagungsjahr sein
würden (§ 6 Abs. 2 S. 4 KAG NRW).
46
Bei Fremdleistungen handelt es sich um solche, die von einer von der öffentlich-
rechtlichen Körperschaft rechtlich getrennten juristischen Person für diese im Rahmen
von deren Pflichterfüllung erbracht werden. Der Fremdleistungscharakter geht nicht
dadurch verloren, dass es sich um eine juristische Person des Privatrechts handelt, an
der die Stadt mit Mehrheit beteiligt ist,
47
vgl. zu Abfallentsorgungsleistungen für die entsorgungspflichtige Kommune:
Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Teilurteil vom 15. Dezember
1994 - 9 A 2251/93, in: DVBl. 1995, 1147; Oberverwaltungsgericht für das Land
Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 1. Juli 1997 - 9 A 3556/91, in: StuG 1997, 356.
48
Bei der WBP GmbH handelt es sich um eine rechtlich von der Stadt P getrennte
Gesellschaft. Es ist unerheblich, dass die Stadt über ihre 100-prozentige Tochter
STOAG zu 51 % Mehrheitsgesellschafterin ist. Fremdleistungen, welche die WBP
GmbH im Rahmen der angegriffenen Gebührenbescheide für die Stadt P erbringt, sind -
soweit es hier von Interesse ist - Abfallentsorgungsleistungen und
Straßenreinigungsleistungen nach näherer Bestimmung des Leistungsverzeichnisses
Anlage 8 zu § 2 Abs. 1 des Leistungsvertrags vom 12. Januar 1996, sowie
Straßenreinigungsleistungen gemäß Anlage 10,
49
vgl. Anlage 8 (Abfall) und Anlage 10 (Straßenreinigung) zu § 2 Abs. 1 des
50
Leistungsvertrages vom 12. Januar 1996 (Verfahren 17 K 5472/02 Beiakte Heft 7
Trennblatt Ziffer 9).
Grundsätzlich sind damit ansatzfähige Fremdleistungen gegeben. Allerdings darf die
Stadt nicht jeden Preis, den das leistende Unternehmen fordert, in die
Gebührenkalkulation einstellen. Sie muss vielmehr prüfen, ob der geforderte Preis auf
Grund der vertraglichen Vereinbarungen in der Weise gerechtfertigt ist, dass er der
gebührenrechtlich der Kalkulation zu Grunde gelegt werden kann.
51
Gebührenrechtlich ansatzfähig sind nur betriebsnotwendige Kosten.
Betriebsnotwendige Kosten sind bei Fremdleistungen solche, die nach preisrechtlichen
Vorschriften - welche ohne Vereinbarung ex lege gelten - zulässigerweise gefordert und
angenommen werden dürfen,
52
Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 19. Juni 1997 - 9
A 652/95.
53
Nach § 1 Abs. 3 der Verordnung PR Nr. 30/53 über die Preise bei öffentlichen Aufträgen
54
vom 21. November 1953 (BAnz. Nr. 244), zuletzt geändert durch Verordnung PR Nr.
1/89 vom 13. Juni 1989 (BGBl. I S. 1094) - VO PR Nr. 30/53 -; zur
verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit des geltenden Preisrechts vgl. Thüringer
Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 13. April 1999 - 2 ZEO 18/99 mit weiteren
Nachweisen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts;
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 21.02.1995 - 1 C 36/92, in: NVwZ-RR 1995, S.
425 f.
55
dürfen für Leistungen auf Grund öffentlicher Aufträge höhere Preise u. a. nicht vereinbart
oder angenommen werden, als nach den Bestimmungen dieser Verordnung zulässig
sind.
56
Nach der Grundregel des § 1 Abs. 1 VO PR Nr. 30/53 ist für Leistungen auf Grund
öffentlicher Aufträge bei der Vereinbarung von Preisen grundsätzlich Marktpreisen
gemäß § 4 VO PR Nr. 30/53 vor Selbstkostenpreisen gemäß §§ 5 bis 8 VO PR Nr. 30/53
der Vorzug zu geben. Die marktwirtschaftliche Preisbildung findet jedoch ihre Grenzen,
wo der Wettbewerb keine übernehmbaren Preise liefert. Eine marktwirtschaftliche
Preisbildung scheidet aus, wenn für den in Auftrag zu gebenden Gegenstand ein Markt
nicht besteht und auch nicht auf vergleichbare Märkte zurückgegriffen werden kann.
57
Vgl. Ebisch/Gottschalk, Preise und Preisprüfungen bei öffentlichen Aufträgen, begründet
von Hellmuth Ebisch und Joachim Gottschalk, fortgeführt von Werner Knauss und
Johann K. Schmidt, 7. Auflage (2001), § 4 VO PR Nr. 30/53 Rn. 5 f.
58
Der Vertrag zwischen der Stadt P und der WBP GmbH vom 12. Januar 1996 betraf
seitens der von der WBP GmbH zu erbringenden Leistungen keine marktgängige
Leistung.
59
Die Marktgängigkeit der Leistung setzt voraus, dass für die angebotene oder
nachgefragte Leistung ein Markt besteht. Dies setzt weiter voraus, dass entweder
mehrere Anbieter oder mehrere Nachfrager am Markt agieren. Ein Markt im Sinne des
Preisrechts existiert nicht mehr, wenn einem Anbieter nur ein Nachfrager
60
gegenübersteht,
Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 5. April 2001 - 9 A
1795/99, UA Bl. 15; Verwaltungsgericht Köln, Urteil vom 25. Februar 2003 - 14 K
20010/99; vgl. auch Verwaltungsgericht Düsseldorf, Urteil vom 3. März 1999 - 16 K
6550/95, UA Bl. 14; Ebisch/Gottschalk, Preise und Preisprüfungen bei öffentlichen
Aufträgen, begründet von Hellmuth Ebisch und Joachim Gottschalk, fortgeführt von
Werner Knauss und Johann K. Schmidt, 7. Auflage (2001), § 4 VO PR Nr. 30/53 Rn. 47.
61
Entscheidend ist darauf abzustellen, wofür im Einzelnen der Markt vorhanden sein
muss. Nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-
Westfalen zu Abfallentsorgungsgebühren, ist im Rahmen des öffentlichen Preisrechts
"für die Frage der Marktgängigkeit der Leistung auf den gesamten Leistungsumfang
abzustellen",
62
Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 5. April 2001 - 9 A
1795/99, UA Bl. 16 (Hervorhebung durch die Kammer).
63
Die Literatur verlangt inhaltlich gleich bedeutend, dass "allein auf den Markt abzustellen
ist, der für den in Auftrag zu gebenden Gegenstand" besteht,
64
Ebisch/Gottschalk, Preise und Preisprüfungen bei öffentlichen Aufträgen, begründet von
Hellmuth Ebisch und Joachim Gottschalk, fortgeführt von Werner Knauss und Johann K.
Schmidt, 7. Auflage (2001), § 4 VO PR Nr. 30/53 Rn. 9 (Hervorhebung im
Ursprungstext).
65
Es ist also auf den konkret vergebenen bzw. zu vergebenden Auftrag abzustellen, der
hauptsächlich durch die zu erbringende Leistung und das dafür zu zahlende Entgelt
beschrieben wird.
66
Der "gesamte Leistungsumfang" bzw. der "in Auftrag zu gebende Gegenstand" im
preisrechtlichen Sinne muss getrennt von der (Einzel-)Leistung betrachtet werden, für
die gezahlte Entgelte gemäß § 6 Abs. 2 S. 4 KAG NRW zu den gebührenrechtlich
ansatzfähigen Kosten gerechnet werden können. Der erteilte öffentliche Auftrag im
Sinne des Preisrechts kann zwar mit den gebührenrechtlich ansatzfähigen
Fremdleistungen deckungsgleich sein, er muss es aber nicht sein. Der öffentliche
Auftraggeber ist nicht gehindert, verschiedene öffentliche Leistungen, die aus mehreren
Fremdleistungen im Sinne des § 6 Abs. 2 S. 4 KAG NRW bestehen, "im Paket" als
einen öffentlichen Auftrag zu vergeben. Wird ein solches Leistungspaket beauftragt,
beschreibt dieses den "gesamten Leistungsumfang" bzw. den "in Auftrag zu gebenden
Gegenstand" im dargestellten Sinne. Nur wenn für dieses Leistungspaket ein Markt
feststellbar ist, kann der am Markt erzielte Preis angesetzt werden. Nur in diesem Fall
muss nicht gemäß §§ 5 bis 8 VO PR Nr. 30/53 nach Selbstkosten abgerechnet werden.
67
In einigen Fällen, die den bereits zitierten Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts
für das Land Nordrhein-Westfalen und der 16. Kammer des erkennenden Gerichts zu
Grunde lagen,
68
Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 5. April 2001 - 9 A
1795/99; Verwaltungsgericht Düsseldorf, Urteil vom 3. März 1999 - 16 K 6550/95,
69
waren der vergebene Auftrag im Sinne des Preisrechts und die Fremdleistung im Sinne
des § 6 Abs. 2 S. 4 KAG NRW deckungsgleich. Es handelte sich (ausschließlich) um
das entgeltliche Verbrennen von städtisch zu entsorgendem Abfall in einer
Müllverbrennungsanlage.
70
Im vorliegenden Verfahren liegen die Dinge jedoch anders. Grundsätzlich ansatzfähige
Fremdleistung (Abfallentsorgung, Straßenreinigung) und vergebener öffentlicher Auftrag
fallen auseinander. Die WBP GmbH erhielt durch den Leistungsvertrag vom 12. Januar
1996 den Auftrag zur Ausführung eines ganzen Leistungspakets. Es handelte sich dabei
um die gesamten Aufgaben der ehemaligen eigenbetriebsähnlichen Einrichtung WBP,
71
vgl. § 2 Abs. 2 S. 1 des Vertrages: "Die in Absatz 1 genannten Leistungsverzeichnisse
geben den durch die eigenbetriebsähnliche Einrichtung WBP erbrachten
Leistungsumfang des Jahres 1995 wieder (Standard 1995)".
72
In "Auftrag zu gebender Gegenstand" bzw. "gesamter Leistungsumfang" ist die
Gesamtheit der in den vertraglichen Leistungsverzeichnissen niedergelegten Aufgaben
der ehemaligen eigenbetriebsähnlichen Einrichtung WBP. Es ist nicht bloß die
Abfallentsorgung bzw. Straßenreinigung, die (dem Grunde nach) gemäß § 6 Abs. 2 S. 4
KAG NRW als entgeltliche Fremdleistung gebührenwirksam ansatzfähig ist. Dass es der
Stadt P auch entscheidend darauf ankam, nur das gesamte Leistungspaket und nicht
Leistungsbereiche einzeln zu beauftragen, ergibt sich auch aus den - im Tatbestand
auszugsweise wiedergegebenen - Bedingungen, die der Angebotsaufforderung im
Jahre 1995 zu Grunde lagen. Sie hat die Angebote gerade danach beurteilt, ob auch
tatsächlich die Gesamtheit aller Leistungen von den Anbietern offeriert wurden.
Dementsprechend hat sie im späteren Vertrag mit der WBP GmbH in § 5 Abs. 1 auch
ein einheitliches Entgelt vereinbart.
73
Zu einem anderen Ergebnis gelangt man nicht, wenn man die Ergebnisse der vom
Beklagten vorgelegten gutachterlichen Stellungnahmen der BPG Beratungs- und
Prüfungsgesellschaft mbH aus L1 als zutreffend unterstellt. Wie bereits in der
gerichtlichen Hinweisverfügung dargelegt, behandelt das Gutachten vom 11. April 2003
die vorliegend unerhebliche Frage der Angemessenheit der Preisgestaltung. Auf die
Angemessenheit kommt es nur an, wenn der Kommune Fehler in der Ausschreibung
unterlaufen sind,
74
Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 1. September
1999 - 9 A 3342/98, UA Bl. 38, vgl. dazu auch Jasper, Rechtswidrige Gebühren bei
Vergabefehlern, in: Behörden Spiegel, März 1999.
75
Die Ausschreibung öffentliche Aufträge richtet sich nach dem Vergaberecht. Dessen
Grundsätze ergeben sich aus § 31 der Gemeindehaushaltsverordnung
76
Verordnung über die Aufstellung und Ausführung des Haushaltsplans der Gemeinden
vom 14. Mai 1995 (GV NRW S. 516) - Gemeindehaushaltsverordnung (GemHVO NRW)
-,
77
den jeweils einschlägigen Verdingungsordnungen und - nach heutiger Rechtslage - aus
§§ 97 ff. des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen
78
in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. August 1998 (BGBl. I S. 2546), zuletzt
79
geändert durch Gesetz vom 27. Juli 2001 (BGBl. I S. 1887) - GWB -.
Neben diesen vergaberechtlichen Vorschriften stehen jedoch diejenigen des
öffentlichen Preisrechts nach der Verordnung PR Nr. 30/53 über die Preise bei
öffentlichen Aufträgen. Diese preisrechtlichen Vorschriften sind wegen der
Besonderheiten der öffentlichen Aufträge notwendig. Die öffentliche Hand erfüllt im
Rahmen der Daseinsvorsorge zahlreiche Aufgaben, die nur von ihm nachgefragt
werden. Sie befindet sich - ob gewollt oder nicht - in einer monopolistischen Stellung.
Da der Staat nicht alle Aufgaben mit eigenen Einrichtungen erfüllen kann, muss er die
für die Aufgabenerfüllung notwendigen Leistungen extern beschaffen. Im Mittelpunkt
dabei steht die doppelte Fragestellung wie bzw. an wen er vergibt und zu welchem
Preis. Die Frage nach dem Wie und an wen behandelt das Vergaberecht, die Frage der
Preisbildung das davon zu unterscheidende öffentliche Preisrecht,
80
vgl. Ebisch/Gottschalk, Preise und Preisprüfungen bei öffentlichen Aufträgen, begründet
von Hellmuth Ebisch und Joachim Gottschalk, fortgeführt von Werner Knauss und
Johann K. Schmidt, 7. Auflage (2001), Einführung Rn. 7.
81
Unabhängig davon hat das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein- Westfalen -
soweit ersichtlich - in der Vergangenheit niemals erwogen, eine schwer justiziable
pauschale Angemessenheitsprüfung an die Stelle minutiöser Prüfung des Preisrechts
zu setzen. Es ist vielmehr so, dass sich ein erheblicher Anteil der obergerichtlich
entschiedenen Rechtsstreite mit einzelnen Berechnungsmodalitäten bestimmter
Kalkulationsposten innerhalb des Preisrechts befasst. Die Frage der bloßen
Angemessenheit wird in diesem Zusammenhang nicht diskutiert.
82
Auch die vom Beklagten zitierte Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln,
83
Verwaltungsgericht Köln, Urteil vom 25. Februar 2003 - 14 K 3507/00 (Parallelurteil in
juris zum Az. 17 K 20010/99): "Diese Grundsätze (nämlich OVG NRW 9 A 3324/98,
Anm. des Gerichts) sind nach Auffassung der Kammer auf Grund der vergleichbaren
Interessenlage auf die Überprüfung von nach LSP ermittelten Selbstkosten
entsprechend anzuwenden."
84
weicht hiervon nicht ab. Denn die Urteilspassage, der dieser Satz entnommen ist,
behandelt gerade die Rüge fehlerhafter Ausschreibung von
Müllverbrennungsleistungen, welche offenbar nach LSP gegenüber der Stadt
abgerechnet wurden (Vergaberecht). Die weiter gehenden Schlussfolgerungen, die der
Beklagte aus dem Satz ziehen will, teilt die Kammer nicht. Das Verwaltungsgericht Köln
hat sich mit der Frage des differenziert geregelten Preisrechts und seines "Aushebelns"
durch eine pauschale Angemessenheitsprüfung überhaupt nicht befasst.
85
Das ergänzende Gutachten der BPG vom 28. August 2003 behandelt ebenfalls die
preisrechtlich unerhebliche Frage, ob die Teilleistung der Abfallentsorgung marktgängig
war. Da nach der zitierten Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land
Nordrhein-Westfalen bei der Frage der Marktgängigkeit auf den "gesamten
Leistungsumfang" der zu beauftragenden Leistung abzustellen ist, hat eine
Untersuchung, die sich nur auf eine Teilleistung aus einem umfänglichen
Leistungspaket beschränkt, keine Aussagekraft für dieses.
86
Für den - individuellen, nirgendwo anders nachgefragten - Vertragsgegenstand, nämlich
87
sämtliche vom ehemaligen eigenbetriebsähnlichen Betrieb WBP erbrachte Leistungen,
lässt sich ein Markt im Januar 1996 nicht feststellen. Auf das Jahr 1996 kommt es an,
weil der der Abfallentsorgung bzw. Straßenreinigung "zugeordnete" Preis dieses Jahres
indexiert bis zum Jahr 2015 zugrundegelegt wird. Im Übrigen gibt es aber auch keine
Anhaltspunkte dafür, dass in den Folgejahren für das beauftragte Leistungspaket ein
Markt bestand.
Sogar nur für bestimmte Teilleistungen auf dem Gebiet der Abfallentsorgung ist bereits
entschieden, dass sie - jedenfalls bis 1996 einschließlich - nicht marktgängig waren. In
der Rechtsprechung ist etwa anerkannt, dass es an der Marktgängigkeit von
Müllverbrennungsleistungen für einen öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger fehlte,
88
Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 5. April 2001 - 9 A
1795/99 (Regierungsbezirk Köln); Verwaltungsgericht Düsseldorf, Urteil vom 3. März
1999 - 16 K 6550/95 (Regierungsbezirk Düsseldorf, GMVA Niederrhein).
89
Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen hat darüber
hinausgehend zuvor allgemein für die Leistungen der Straßenreinigung und der
Abfallentsorgung, die für einen öffentlichen Entsorgungsträger erbracht werden,
festgestellt, dass "vorgegebene 'Marktpreise' für die zu erstellende Leistung" fehlen,
90
Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 15. Dezember
1994 - 9 A 2251/93, in: OVGE 44, 211.
91
In der Literatur wird noch weiter gehend vertreten, dass überhaupt die Erfüllung von
Entsorgungsaufgaben durch ganz oder teilweise verwaltungseigene
Kapitalgesellschaften nicht als marktgängige Leistung angesehen werden kann,
92
Schulte/Wiesemann, in: Driehaus (Hrsg.), Kommunalabgabenrecht, Loseblatt (Stand:
Januar 2002), § 6 Rn. 197a; Gottschalk, in: Brede, Preise und Gebühren in der
Entsorgungswirtschaft (1998), "Auswirkungen der Rechtsstellung von
Entsorgungseinrichtungen auf die Entgeltbemessung (Gebühren, Beiträge, Preise)", S.
79, 94: "Im Übrigen stellt die umfassende Sicherstellung der örtlichen Entsorgung durch
eine Eigengesellschaft oder eine gemischtwirtschaftliche Gesellschaft keine
marktgängige Leistung dar. Die Kalkulation und Preisbildung der Gesellschaft hat
demzufolge nach den Grundsätzen der VO PR Nr. 30/53 und ferner nach den Leitsätzen
für die Preisermittlung auf Grund von Selbstkosten - LSP - zu erfolgen."
93
Dies entsprach auch dem Verständnis des Beklagten selbst bei seiner
Angebotsaufforderung im Jahr 1995, in die er als Bedingung aufnahm:
94
"Die Preise müssen in den gebührengebundenen Sparten die Anforderungen der
Leitsätze für die Preisermittlung auf Grund von Selbstkosten (LSP) über den
kalkulatorischen Gewinn einhalten."
95
Für die beauftragte Gesamtleistung (alle Leistungen der ehemaligen WBP), die
individuell auf die Stadt P zugeschnitten war und die in dieser Form nirgendwo anders
nachgefragt wird, ist ein Markt nicht feststellbar. Eine Ausschreibung des später an die
WBP GmbH vergebenen Leistungspakets fand vor der Auftragsvergabe im Jahr 1996
nicht statt.
96
Ein Markt ist auch auf der Grundlage der Ergebnisse der Angebotsaufforderung, welche
die Stadt P im Jahr 1995 durchführte, nicht feststellbar. Von den aufgeforderten 35
Unternehmen gaben nur 13 überhaupt Angebote ab. Von diesen gab nur die Deutsche
C AG ein Angebot für die Dienstleistungen aller Aufgabenbereiche der ehemaligen
WBP ab. Damit stand selbst bei rein formaler Betrachtung einem Nachfrager höchstens
ein Anbieter gegenüber, was bereits für die Bildung eines Marktes im preisrechtlichen
Sinne nicht ausreichend ist.
97
Deswegen konnte die Kammer offen lassen, ob die Deutsche C AG überhaupt ein
Angebot zu den von der Stadt P gestellten Bedingungen abgegeben hat. Denn nach
dem Angebotsschreiben der Deutsche C AG vom 13. Juli 1995 Anlage "Konzept"
98
Verfahren 17 K 5472/02 Beiakte Heft 9 Trennblatt Ziffer 1/"Angebote Preisanfrage"
99
wich es von den städtischen Bedingungen insofern erheblich ab, als es voraussetzte,
dass die Kosten für die Stadtentwässerung, die Abfallentsorgung und die
Straßenreinigung nicht nach LSP, also nach Preisrecht, abgerechnet werden müssen.
100
Die Kammer lässt weiter gehend offen, ob die konkret verwendete
Angebotsaufforderung überhaupt ein geeignetes Instrument gewesen wäre, um einen
Markt für das vergebene Leistungspaket festzustellen. Denn Grundlage der
Aufforderungsbedingungen war eine Kombination von zwei Vertragsgegenständen. Es
sollte der 49-%ige Anteil an der zu gründenen WBP GmbH gekauft und gleichzeitig ein
langlaufendes Angebot für die WBP-Dienstleistungen abgegeben werden. Eine
Angebotsaufforderung nur bezogen auf die Dienstleistungen - so wie sie später an die
WBP GmbH beauftragt wurden - ohne Gesellschaftsanteilskauf erfolgte gerade nicht.
101
Mit ihrer Beurteilung, dass es an einem Markt für die Gesamtheit der Leistungen der
ehemaligen WBP gefehlt habe, befindet sich die Kammer in Übereinstimmung mit dem
Ergebnis des Gemeindeprüfungsamts der Bezirksregierung E (Bericht Nr. 3048 vom 30.
Dezember 2002). Das Gemeindeprüfungsamt stellt fest, dass keine marktgängige
Leistung im Sinne des Preisrechts vorlag und demzufolge nach den Leitsätzen für die
Preisermittlung auf Grund von Selbstkosten - LSP - abzurechnen gewesen wäre,
102
Verfahren 17 K 5472/02 Beiakte Heft 8 Trennblatt Ziffer 9, Prüfbericht S. 39 f.
103
Darüber hinaus muss die Kammer auch zu den aufgeworfenen weiteren
vergaberechtlichen Fragen nicht Stellung nehmen. Die freihändige Vergabe des
Leistungspakets an die WBP GmbH im Jahr 1996 ohne Beachtung der
Ausschreibungspflicht des § 31 Abs. 1 GemHVO dürfte sich jedoch nach der
obergerichtlichen Rechtsprechung als gebührenrechtlich zulässig erweisen, weil die
WBP GmbH gerade zu dem Zweck der Übernahme der ehedem unmittelbar städtisch
erbrachten Leistungen der Daseinsvorsorge gegründet worden war und die
kommunalen Mitarbeiter und - soweit möglich - Sachmittel der ehemaligen
eigenbetriebsähnlichen Einrichtung übernehmen sollte,
104
vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 15.
Dezember 1994 - 9 A 2251/93, in: OVGE 44, 211; zu den heute geltenden Regelungen
des Vergaberechts in §§ 97 ff. GWB wird vertreten, dass die Leistungsvergabe durch
eine Kommune, selbst wenn sie zusammen mit der Gründung einer
gemischtwirtschaftlichen Gesellschaft erfolgt, den Vergaberechtsnormen unterfällt:
105
Vergabekammer bei der Bezirksregierung Düsseldorf, Beschluss vom 7. Juli 2000 - VK
12/2000 - L (sub. II.1); Vergabekammer bei der Bezirksregierung Lüneburg, Beschluss
vom 04. August 1999 - 203 - VgK - 6/99, in: Zeitschrift für Vergaberecht 1999, S. 282
(285); Opitz, Kontraktive Privatisierung und Kartellvergaberecht, in: Zeitschrift für
Vergaberecht 2000, S. 97 (106).
Weil die Unwirksamkeit der Gebührensätze bereits feststeht, hat die Kammer die von
dem Beklagten an die Müllverbrennungsanlage GMVA gezahlten und in die
Gebührenkalkulation eingestellten Entgelte keiner Überprüfung unterzogen. Sie weist
jedoch darauf hin, dass der zwischen der Stadt P und der GMVA geschlossene Vertrag
in § 7 Ziffer 6
106
Vereinbarung über die Abnahme und Verbrennung von Abfällen vom 13. Mai 2000 in
der Fassung der 1. Nachtragsvereinbarung vom 30. Oktober 2001, Verfahren 17 K
5472/02 Beiakte Heft 12 Trennblatt Ziffer 0, 1
107
eine Abrechnung nach preisrechtlichen Vorschriften vorsieht. Eine solche wurde nach
Auskunft des Beklagten aber mindestens seit 1998 nicht mehr erstellt. Selbst wenn für
Sammlung und Transport der Abfälle ein Markt im preisrechtlichen Sinne vorhanden
wäre, fehlt dieser für die einkalkulierten Verbrennungsleistungen. Der
Abfallwirtschaftsplan für den Regierungsbezirk E - Teilplan Siedlungsabfälle - vom April
1998 ist durch §§ 1, 3 Abs. 3 der ordnungsbehördlichen Verordnung vom 9. April 1998
108
der Bezirksregierung Düsseldorf, Az. 52.01.21, in: Amtsblatt für den Regierungsbezirk
Düsseldorf Nr. 15 vom 16. April 1998
109
hinsichtlich der reaktiven Restabfälle für den Beklagten für verbindlich erklärt worden.
Diese müssen bei der GMVA entsorgt werden. Insofern konnte es aus Rechtsgründen
keinen Markt für Verbrennungsleistungen geben. Das bedeutet, dass es beim Abfall für
rund 60 %, bei der Straßenreinigung (Kehricht) für rund 19 % der Gesamtkosten keinen
Markt gab und gibt, sodass allein deswegen eine Abrechnung nach Preisrecht
erforderlich ist.
110
Ob die Verknüpfung des ursprünglich vereinbarten Preises mit einem Kostenindex
zulässig ist, muss die Kammer nicht entscheiden.
111
Klarstellend weist die Kammer darauf hin, dass mit diesem Urteil nicht festgestellt ist,
dass es dem Beklagten grundsätzlich verwehrt ist, die von der WBP GmbH erbrachten
Leistungen gebührenwirksam anzusetzen. Der Beklagte muss jedoch eine
Preisermittlung nach dem öffentlichen Preisrecht, insbesondere nach den Leitsätzen für
die Preisermittlung auf Grund von Selbstkosten (LSP) vorlegen. Da es ihm auf diese
Weise ermöglicht wird, die für die gebührengebundenen Leistungen aufgewandten
Kosten durch Gebührenerhebung - einschließlich eines preisrechtlich zulässigen
Unternehmergewinns - zu refinanzieren, wird die Erledigung öffentlicher Aufgaben
durch gemischtwirtschaftliche Unternehmen (sogeanntes "Public-Private- Partnership")
nicht verhindert. Grundsätzlich werden in Deutschland Preise frei von staatlichem
Einfluss durch Konsens der Marktteilnehmer festgelegt. Für den Ausnahmefall, dass es
bei Leistungen, welche der Staat nachfragt, an einem solchen
Preisbildungsmechanismus durch die "unsichtbare Hand"
112
vgl. Adam Smith, An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations,
113
Edinburgh 1776, Book IV: Of Systems of Political Economy, Chapter II,
des Marktes fehlt, hat der Gesetzgeber die Regelungen des Preisrechts vorgesehen. An
diese Regelungen muss sich die öffentliche Hand insbesondere dann halten, wenn sie -
wie bei gebührenfinanzierten Monopolaufgaben - die Aufträge faktisch auf Kosten
Dritter, nämlich der Gebührenpflichtigen, vergibt.
114
Unabhängig von den obigen Feststellungen war der Bescheid hinsichtlich der
festgesetzten Straßenreinigungsgebühren aufzuheben, weil die
Straßenreinigungssatzung und die Abgabesatzsatzung hinsichtlich der
gebührenwirksam angesetzten Winterwartung gegen § 6 Abs. 3 S. 1 KAG NRW
verstößt. Wegen der vom Beklagten eingeräumten unterschiedlichen Prioritäten der
Straßen bei der Winterwartung musste er eine danach differenzierte Regelung in seiner
Satzung vornehmen, um dem unterschiedlichen Maß der Inanspruchnahme der
Winterwartungsleistungen gerecht zu werden,
115
vgl. dazu Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 27. Mai
2003 - 9 A 4716/00 UA Bl. 7 ff und den gerichtlichen Hinweis hierauf.
116
Der Umstand, dass der Beklagte für die Zukunft eine neue Satzung vorbereitet und
danach ggfs. höhere Gebühren festsetzen kann, lässt im vorliegenden Verfahren weder
das Rechtsschutzbedürfnis entfallen, noch hat er heilende Kraft für die Vergangenheit.
117
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 2 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 der
Zivilprozessordnung.
118