Urteil des VG Düsseldorf vom 14.04.2010

VG Düsseldorf (eltern, anwaltliche vertretung, begründung, anhörung, schule, verwaltungsgericht, bundesrecht, teilnahme, verweis, beschwerde)

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 18 K 4441/09
Datum:
14.04.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
18. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
18 K 4441/09
Schlagworte:
Versetzung in parallele Lerngruppe Anhörungsrecht Teilnahme
Rechtsanwalt an Anhörung
Normen:
SchulG NRW § 53 Abs. 3 Nr. 2 SchulG NRW § 53 Abs 6 VwVfG NRW §
2 Abs 3 Nr 3 VwVfG NRW § 14 BRAO § 3 GG Art 31
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder
Hinterlegung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages ab-
wenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in
gleicher Höhe leistet.
Die am 00.0.1995 geborene Klägerin besuchte im Schuljahr 2008/2009 die Klasse 7c
der Beklagten. Mit Schreiben vom 26. März 2009 lud die Schulleiterin die Eltern für den
21. April 2009 zu einer Konferenz im Rektorat ein; es solle ein Beschluss über eine
Ordnungsmaßnahme ergehen, da die Klägerin durch massive Unterrichtsstörungen,
respektloses Verhalten gegenüber Lehrkräften, Leistungsverweigerung und
Missachtung allgemeiner Regeln die Erfüllung der Aufgaben der Schule und die Rechte
anderer gefährde.
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Die Eltern der Klägerin beauftragten ihren Prozessbevollmächtigten mit der
Interessenwahrnehmung. Dieser kündigte sein Erscheinen zu der Konferenz an. Die
Schulleiterin teilte dem Prozessbevollmächtigten mit, dass die Teilnahme eines
Rechtsanwalts an einer solchen Konferenz rechtlich nicht zulässig sei. Als der
Prozessbevollmächtigte dessen ungeachtet am 21. April 2009 mit der Klägerin und
deren Eltern in der Schule erschien, verweigerte die Schulleiterin ihm die Teilnahme.
Die Eltern erklärten, dass sie unter diesen Umständen ebenfalls nicht an der Konferenz
teilnehmen würden, und verließen mit ihrer Tochter das Schulgebäude.
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Die Konferenz fand daraufhin ohne die Klägerin und deren Eltern statt. Die Schulleiterin
beschloss, die Klägerin mit Wirkung vom 4. Mai 2009 in eine parallele Lerngruppe zu
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versetzen. Diese Maßnahme wurde den Eltern mit Bescheid vom 23. April 2009 bekannt
gegeben. Zur Begründung führte die Beklagte im Wesentlichen aus: Die Klägerin habe
am 13. Januar, 16. Januar und 21. Februar 2009 den Unterricht versäumt; trotz
mehrfacher Nachfragen der Klassenlehrerin, auch bei den Eltern, sei keine
Entschuldigung für die Fehlzeiten beigebracht worden. Ferner habe die Klägerin
vielfach den Unterricht gestört und Lehreranweisungen missachtet, was zu erheblichen
Behinderungen der Unterrichtsabläufe geführt habe. Die Störungen seien in
unterschiedlichem Fachunterricht bei verschiedenen Lehrkräften vorgekommen. So
habe die Klägerin am 16. Februar 2009 lautstark im Chemieunterricht geredet und die
Leistungsabfrage eines anderen Schülers durch Zwischenrufe gestört; auch nach
mehrfachen Ermahnungen habe sie dies nicht unterlassen. Am 17. Februar 2009 habe
sie sich im Chemieunterricht der Aufforderung der Lehrkraft wiedersetzt, ihren
Kaugummi aus dem Mund zu nehmen. Weitere Beispiele seien Störungen des
Mathematik-, Physik- und Erdkundeunterrichts; auch hier habe die Klägerin trotz
mehrfacher Ermahnungen durch lautes Reden und Lachen gestört; schließlich habe sie
zeitweise aus dem Klassenraum verwiesen werden müssen. Ihre Reaktionen auf
Ermahnungen seien häufig respektlos; so habe sie u.a. am 25. März 2009 auf eine
Ermahnung der Mathematiklehrerin geäußert: "Ich muss kotzen". Ferner habe die
Klägerin wiederholt gegen das an der Schule geltende Handy- und MP3-Player-Verbot
verstoßen und dadurch die Unterrichtsabläufe gestört; so habe sie am 26. Februar und
20. März 2009 im Mathematik- bzw. Deutschunterricht mit dem Handy gespielt und im
Kunstunterricht mit dem MP3-Player Musik gehört. Wegen der Vielfalt und Anzahl der
Verstöße sei eine Ordnungsmaßnahme dringend erforderlich. Pädagogische
Maßnahmen wie Gespräche über das Fehlverhalten oder Nacharbeit in Form
schriftlicher Reflexion hätten nicht den erhofften Erfolg gebracht, weil die Klägerin zu
den abgesprochenen Terminen nicht erschienen sei. Bis heute zeige sie keine Einsicht
in ihr Fehlverhalten; ein schriftlicher Verweis, der keine spürbare Konsequenz darstelle,
sei daher ungeeignet. Auch wegen der Vielzahl der Verstöße sei ein Verweis
unzureichend; die Klägerin habe in erheblichem Maße das Lernumfeld der Mitschüler
gestört sowie die Erziehungs- und Bildungsarbeit der Schule behindert. Die
Überweisung in eine parallele Lerngruppe sei die geeignete und angemessene
Maßnahme, um der Klägerin deutlich vor Augen zu führen, dass ihr Verhalten nicht
länger geduldet werde.
Die Klägerin erhob hiergegen Widerspruch. Ferner beantragte sie bei dem
Verwaltungsgericht Düsseldorf die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes. Zur
Begründung machte sie im Wesentlichen geltend, wegen des Ausschlusses des
Prozessbevollmächtigten von der Konferenz liege keine ordnungsgemäße Anhörung
vor. Die Überweisung in die parallele Lerngruppe sei unverhältnismäßig; es hätte
zunächst ein milderes Mittel, der schriftliche Verweis, gewählt werden müssen.
Abgesehen davon seien die angeführten Gründe überwiegend unzutreffend.
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Mit Beschluss vom 29. Mai 2009 (18 L 742/09) lehnte das Verwaltungsgericht den
Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs ab. Auf die
Beschwerde der Klägerin fand am 27. August 2009 vor dem Oberverwaltungsgericht für
das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW) ein Erörterungstermin statt. Dabei wies der
dortige Berichterstatter darauf hin, dass die verhängte Ordnungsmaßnahme in der
Sache wohl rechtmäßig und insbesondere auch verhältnismäßig sei, dass jedoch in
formeller Hinsicht die Nichtzulassung des Prozessbevollmächtigten zur Anhörung im
Hinblick auf bundesgesetzliche Regelungen zur Vertretung durch einen
Bevollmächtigten problematisch sein könne. Die Klägerin nahm in dem
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Erörterungstermin die Beschwerde zurück.
Bereits zuvor, mit Widerspruchsbescheid vom 22. Juni 2009, hatte die Bezirksregierung
Düsseldorf den Widerspruch zurückgewiesen.
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Die Klägerin hat am 6. Juli 2009 Klage erhoben. Zur Begründung wiederholt sie ihre
Ausführungen aus dem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes. Vertiefend trägt sie
vor, im Klageverfahren sei unter Berücksichtigung der vom OVG NRW geäußerten
Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Ausschlusses des Prozessbevollmächtigten
abschließend zu klären, ob im Rahmen der Anhörung zu Schulordnungsmaßnahmen
eine anwaltliche Vertretung von der Schule zuzulassen sei.
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Die Klägerin beantragt,
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die mit Bescheid der Beklagten vom 23. April 2009 bekannt gegebene
Ordnungsmaßnahme (Überweisung in eine parallele Lerngruppe) vom
21. April 2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung
Düsseldorf vom 22. Juni 2009 aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung verweist sie auf ihre Ausführungen im zugehörigen Verfahren des
vorläufigen Rechtsschutzes.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den sonstigen
Inhalt der Gerichtsakten (einschließlich derjenigen des Verfahrens des vorläufigen
Rechtsschutzes 18 L 742/09) und der in den gerichtlichen Verfahren jeweils
beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten ergänzend Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.
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Die mit Beschluss vom 21. April 2009 verfügte und unter dem 23. April 2009 bekannt
gegebene Schulordnungsmaßnahme - Überweisung in eine parallele Lerngruppe - in
Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Düsseldorf vom
22. Juni 2009 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin daher nicht in ihren Rechten,
§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Zur Begründung verweist das Gericht zwecks Vermeidung
von Wiederholungen auf die Gründe des den Antrag auf Gewährung vorläufigen
Rechtsschutzes ablehnenden Beschlusses vom 29. Mai 2009 (18 L 742/09), die es nach
wie vor für zutreffend hält.
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Insbesondere ist in diesem Beschluss unter Bezugnahme auf die einschlägige
Rechtsprechung des OVG NRW im Einzelnen dargelegt, dass die Weigerung der
Schulleiterin, den Prozessbevollmächtigten der Klägerin an der persönlichen Anhörung
teilnehmen zu lassen, auf keinen Verfahrensfehler führt. Das Gericht hält unter
Berücksichtigung der Ausführungen des Prozessbevollmächtigten zu § 3 der
Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) an dieser Rechtsauffassung fest. Zwar trifft es zu,
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dass nach § 3 Abs. 2 BRAO das Recht des Rechtsanwalts, in Rechtsangelegenheiten
aller Art vor Gerichten, Schiedsgerichten oder Behörden aufzutreten, nur durch ein
Bundesgesetz beschränkt werden kann, und dass nach Abs. 3 der Vorschrift jedermann
im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften das Recht hat, sich in Rechtsangelegenheiten
aller Art durch einen Rechtsanwalt seiner Wahl beraten und vor Gerichten,
Schiedsgerichten oder Behörden vertreten zu lassen. Hieraus ergibt sich in der Tat ein
Normenkonflikt mit § 2 Abs. 3 Nr. 3 VwVfG NRW und § 53 Abs. 6 Satz 1 und Satz 3
SchulG NRW, die für den Bereich der Schulen die allgemeinen Vorschriften des § 14
VwVfG NRW über Bevollmächtigte und Beistände für nicht anwendbar erklären und für
Ordnungsmaßnahmen der hier vorliegenden Art das Anhörungsrecht auf den Schüler,
die Eltern, den Klassenlehrer sowie den Jahrgangsstufenleiter beschränken. Entgegen
der Ansicht des Prozessbevollmächtigten ist dieser Konflikt aber nicht dadurch
aufzulösen, dass Art. 31 GG (Bundesrecht bricht Landesrecht) zur Anwendung kommt.
Art. 31 GG ist eine Kollisionsnorm, die bestimmt, welches Recht gilt, wenn Bundes- und
Landesrecht jeweils denselben Sachverhalt regeln. Da durch diese Vorrangregel nicht
die bundesstaatliche Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern unterlaufen
werden darf, kann sie nur für kompetenzgemäßes Bundesrecht gelten.
Kompetenzwidriges Bundesrecht vermag entgegenstehendes Landesrecht nicht zu
brechen.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. Juni 1998 - 2 BvL 2/97 -, BVerfGE 98, 145 ff. (159);
Dreier, Grundgesetz, Bd. II 1998, Art. 31 Rz. 23; Huber, in: Sachs, Grundgesetz, 5. Aufl.
2009, Art. 31 Rz. 15; Böckenförde/Grawert, Kollisionsfälle und Geltungsprobleme im
Verhältnis von Bundesrecht und Landesverfassung, DÖV 1971, 119 ff. (122).
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Das Schulwesen (einschließlich des zugehörigen Verfahrensrechts) liegt in der
ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz der Länder. Hieraus folgt, dass der
Bundesgesetzgeber gehindert ist, Vorschriften zu erlassen, die direkt oder mittelbar die
Teilnahme an persönlichen Anhörungen vor dem Erlass von
Schulordnungsmaßnahmen regeln. Demgemäß ist § 3 BRAO verfassungskonform
einschränkend auszulegen.
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Da die einzelnen zu der Ordnungsmaßnahme führenden Vorkommnisse hinreichend
substanziiert in den Verwaltungsvorgängen belegt sind und die Verhältnismäßigkeit der
Maßnahme ebenfalls keinen Bedenken begegnet
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- vgl. hierzu auch die Ausführungen des Berichterstatters des zuständigen Senats des
OVG NRW in dem nach der Beschwerde im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes
durchgeführten Erörterungstermin vom 27. August 2009, denen die Klägerin im weiteren
Verlauf des Verfahrens nicht entgegen getreten ist -,
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ist die Versetzung in eine parallele Lerngruppe auch in der Sache nicht zu beanstanden.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch zur vorläufigen
Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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