Urteil des VG Düsseldorf vom 15.02.2006

VG Düsseldorf: aufschiebende wirkung, vertreter, bundesamt, anzeige, eltern, ausländer, altersgrenze, unverzüglich, einreise, geburt

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 1 L 125/06.A
Datum:
15.02.2006
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
1. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
1 L 125/06.A
Tenor:
Der Antrag auf Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des
Rechtsanwaltes H wird abgelehnt.
Die aufschiebende Wirkung der Klage 1 K 309/06.A gegen die
Abschiebungsandrohung im Bescheid des Bundesamtes für Migration
und Flüchtlinge vom 10.01.2006 wird angeordnet.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens, für das
Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Gründe:
1
Der Antrag auf Prozesskostenhilfe war abzulehnen, weil die Voraussetzungen des §
166 VwGO i.V.m. § 117 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht vorliegen. Die
Prozessbevollmächtigten des Antragstellers haben trotz Ankündigung und darauf
ergangener Aufforderung durch das Gericht keine Erklärung des Antragstellers über die
persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie entsprechende Belege vorgelegt.
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Der am 20.01.2006 innerhalb der Wochenfrist aus § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG gestellte,
aus dem Tenor ersichtliche Antrag hat Erfolg. An der Rechtmäßigkeit des
angefochtenen Bescheides bestehen ernstliche Zweifel, so dass gem. § 36 Abs. 4 Satz
1 AsylVfG die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen ist.
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Die erlassene Abschiebungsandrohung ist nach der im Verfahren des einstweiligen
Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung rechtswidrig. Die
Tatbestandsvoraussetzungen des § 34 Abs. 1 AsylVfG für den Erlass einer
Abschiebungsandrohung nach §§ 59 und 60 Abs. 10 AufenthG dürften nicht gegeben
sein.
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Dies ergibt sich daraus, dass es für den am 00.00.2001 in S/Bundesrepublik
Deutschland geborenen Antragsteller keinen Asylantrag gegeben hat, so dass ein
Asylverfahren nicht durchgeführt werden durfte.
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Vom Antragsteller bzw. seinen Vertretern wurde kein Asylantrag i.S.d. § 13 Abs. 1
AsylVfG gestellt.
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Ein fiktiver Asylantrag des Antragstellers gemäß § 14a Abs. 1 AsylVfG scheidet schon
aus, weil der Antragsteller zum Zeitpunkt der letzten Asyl(folge)anträge seiner Eltern
1995 bzw. 1997 noch nicht geboren war.
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Ein fiktiver Asylantrag nach § 14a Abs. 2 Satz 1 Alt. 2, Satz 3 AsylVfG scheidet ebenso
aus. Allerdings wurde der Antragsteller i.S.d. § 14a Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 AsylVfG nach
der Stellung des Asylantrags seitens der Vertreter im Bundesgebiet geboren, und dies
wurde seitens der zuständigen Ausländerbehörde dem Bundesamt angezeigt. Der
gemäß Art. 3 Nr. 10, Art. 15 Abs. 3 des Zuwanderungsgesetzes vom 30. Juli 2004
(BGBl. I S. 1950) mit Wirkung zum 01. Januar 2005 in Kraft getretene § 14a Abs. 2
AsylVfG dürfte jedoch nur dann anwendbar sein, wenn nach dessen Inkrafttreten das
Kind des Ausländers in das Bundesgebiet einreist oder hier geboren wird.
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Dies folgt aus dem eindeutigen, im Präsens gehaltenen Wortlaut, wonach das Kind des
Ausländers nach dessen Asylantragstellung „einreist" oder „hier geboren wird" (§ 14a
Abs. 2 AsylVfG) . Die Formulierungen in Abs. 2 („Reist ... ein ... oder wird es hier
geboren ... „) des § 14a AsylVfG sind schon vom Wortlaut her nicht auf solche
Sachverhalte ausgerichtet, die in der Vergangenheit liegen. Nach ihrer sprachlichen
Fassung bezieht die Vorschrift des Abs. 2 sich nur auf Kinder, die in das Bundesgebiet
einreisen oder im Bundesgebiet geboren werden, und nicht auf solche, die bereits in
das Bundesgebiet eingereist oder hier geboren sind. Der in der Formulierung auf die
Zukunft ausgestaltete Tatbestand des § 14a Abs. 2 S. 1 AsylVfG erfasst nach seinem
Wortsinn unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Vorschrift erst zum 1. Januar
2005 in Kraft getretenen ist, mithin nicht Kinder von Ausländern, die zu diesem Zeitpunkt
bereits in das Bundesgebiet eingereist oder hier geboren waren. Auf solche Fälle dürfte
der Anwendungsbereich des § 14a Abs. 2 S. 1 AsylVfG über seinen Wortlaut hinaus
auch nicht im Wege der Auslegung zu erstrecken sein. Hätte der Gesetzgeber eine
solche rückwirkende Anknüpfung an vergangene Tatbestände beabsichtigt, hätte es
zumindest nahegelegen, eine entsprechende vergangenheitsbezogene Zeitform im
Normtext zu verwenden. Dass der Gesetzgeber dies nicht tat, spricht auch vor dem
Hintergrund, dass er in andere Teile des Zuwanderungsgesetzes solche Zeitformen hat
einfließen lassen (s. z.B. § 87a Abs. 1 Satz 2 AsylVfG. § 104 Abs. 3 AufenthG), gegen
eine solche Auslegung.
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So im Ergebnis auch VG Göttingen, Beschluss vom 17. März 2005 - 3 B 272/05 -, AuAS
2005, 117; VG Münster, Beschluss vom 13. Juni 2005 - 4 L 361/05.A -; VG
Gelsenkirchen, Urteil vom 23. November 2005 - 1a K 2319/05.A; VG Hannover,
Beschluss vom 16. September 2005 - 6 B 5284/05 -; VG Oldenburg, Beschluss vom 22.
Juni 2005 - 11 B 2465/05 -; VG Lüneburg, Beschluss vom 01. August 2005 - 4 B 31/05 -;
VG Braunschweig, Urteil vom 08. Juli 2005 - 6 A 151/05 - ; VG Düsseldorf, Beschluss
vom 13. Juli 2005 - 15 L 1308/05.A -, Beschluss vom 20. Juni 2005 - 20 L 1113/05.A -,
Beschluss vom 22. Juli 2005 - 8 L 1346/05.A, Urteil vom 14. Oktober 2005 - 8 K
3434/05.A, Beschluss vom 14. Juli 2005 - 24 L 1241/05.A, Gerichtsbescheid vom 02.
November 2005 - 15 K 4264/05.A; OVG NRW, Beschluss vom 13. Juni 2006 - 18 B
901/05 in einem obiter dictum.
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Dies wird zum einen noch dadurch deutlich, dass die Obliegenheit der unverzüglichen
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Anzeige in § 14a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG („... so ist dies dem Bundesamt unverzüglich
anzuzeigen...") für Kinder, die vor dem 01. Januar 2005 eingereist oder in der
Bundesrepublik Deutschland geboren sind, bei einer Anwendung auf diese in der
Vergangenheit liegenden Fälle keinen Sinn machte. Eine unverzügliche Anzeige eines
möglicherweise mehrere Jahre in der Vergangenheit liegenden Ereignisses ist
begrifflich nicht möglich.
Zum anderen stellt die Altersgrenze (16 Jahre) ersichtlich auf § 12 Abs. 1 AsylVfG ab.
Bei einer Anwendung der Regelung auf Kinder, die vor dem 01. Januar 2005 eingereist
oder in der Bundesrepublik Deutschland geboren sind, ergäbe sich bei anderem
Verständnis aber, dass auch die Einreise eines damals noch unter 16jährigen Kindes
oder bei langem Zeitablauf auch die Geburt eines Kindes durch die Eltern angezeigt
werden müsste und ein Asylantrag als gestellt gilt, obwohl der betreffende Ausländer
mittlerweile 16 Jahre oder älter und damit gem. § 12 Abs. 1 AsylVfG selbst
handlungsfähig ist. Da der Gesetzgeber in § 14a Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 AsylVfG
davon ausgeht, dass der betreffende Ausländer von seinem gesetzlichen Vertreter
vertreten wird, dem die Verfahrensherrschaft über den Asylantrag zukommt, kann sich
die Regelung nicht auf asylmündige Personen beziehen. Dann verbietet sich eine
rückwirkende Anwendung der Regelung auf solche Fälle und damit grundsätzlich auf
vor dem 01. Januar 2005 geborene oder in die Bundesrepublik Deutschland eingereiste
Kinder.
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Auch aus der als § 87b AsylVfG durch Art. 3 Nr. 48 des Zuwanderungsgesetzes
eingefügten Übergangsregelung ergibt sich nicht, dass eine Rückwirkung des § 14a
AsylVfG gewollt wäre.
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Dass dem Gesetzgeber das Erfordernis einer eindeutigen zeitlichen Formulierung oder
der Aufnahme einer umfassenden Übergangsvorschrift aber bekannt gewesen sein
dürfte, wird durch die Entstehungsgeschichte des § 14a AsylVfG bestätigt.
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Vgl. VG Göttingen, Beschluss vom 17. März 2005 - 3 B 272/05 -, a.a.O..
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylVfG.
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Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).
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