Urteil des VG Düsseldorf vom 25.07.2006

VG Düsseldorf: familie, genfer konvention, widerruf, blutrache, wiederholungsgefahr, unbeteiligter dritter, persönliches interesse, bundesamt, erkenntnis, persönlichkeit

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 26 K 1761/06.A
Datum:
25.07.2006
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
26. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
26 K 1761/06.A
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht
erhoben werden.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf
die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110%
des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor
Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand:
1
Der am 00.00.1973 in Varto/Türkei geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger
kurdischer Volkszugehörigkeit und sunnitisch-moslemischen Bekenntnisses. Eigenen
Angaben zufolge war er am 17. Oktober 1997 auf dem Luftweg in die Bundesrepublik
Deutschland eingereist, wo er Asyl beantragt hatte. Er sei wiederholt festgenommen und
gefoltert worden, u.a. weil man ihm - teils zurecht, teils zuunrecht - die Unterstützung der
Guerilla vorgeworfen habe. Mit Bescheid vom 14. Januar 1998 hatte das Bundesamt für
die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge den Asylantrag abgelehnt, jedoch
zugunsten des Klägers das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG
festgestellt. Der Bescheid ist zugunsten des Klägers am 3. Februar 1998 bestandskräftig
geworden. Die von ihm selbst erhobene Klage, mit der er seine Einreise auf dem
Luftweg behauptet hatte, hatte er zurückgenommen.
2
Mit seit dem 21. April 2004 rechtskräftigem Urteil vom 7. Juli 2003 verurteilte das
Landgericht E (Schwurgericht, Aktenzeichen KS 000 Js 000/02) den Kläger und zwei
zur Tatzeit 26 und 31 Jahre alte Cousins wegen Mordes in zwei Fällen, tateinheitlich
begangen mit versuchtem Mord in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung in einem
weiteren Fall und - ebenfalls tateinheitlich - wegen gefährlicher Körperverletzung in
einem weiteren Fall zu lebenslanger Freiheitsstrafe. Der Kläger und seine Cousins
hatten am 00.0.2002 zur Mittagszeit in einer belebten Geschäftsstraße in E drei
Mitglieder der Großfamilie C mit Schusswaffen angegriffen und davon 2 getötet, ein
3
Dritter wurde lebensgefährlich verletzt und wird auf Grund erlittener
Querschnittslähmung lebenslänglich an den Rollstuhl gefesselt bleiben. Zusätzlich
wurde durch abirrende Schüsse ein an der zugrunde liegenden Familienfehde
unbeteiligter Dritter schwer verletzt. Dieser wird Zeit seines Lebens nicht mehr richtig
laufen können und erleidet dadurch schwere wirtschaftliche und psychische Folgen,
weil er seinem Hobby (Sport) nicht mehr nachgehen kann. Ein damals 11 ½ jähriges
Mädchen, welches die Tat beobachtet hat und dessen Mutter einem Querschläger nur
knapp entging, litt ein Jahr später ebenfalls noch an psychischen Folgewirkungen.
Der Mittäter D1 hatte nicht selbst geschossen, während der Kläger und D2 jeweils die
neun Patronen fassenden Magazine ihrer Pistolen leerschossen und jeder von ihnen
mindestens sieben Schüsse abgab. Der Kläger war noch am Abend der Tat
festgenommen und in Untersuchungshaft verbracht worden.
4
Der Kläger ist seit 1996 mit einer Cousine verheiratet, die ihm im Juni 2002, wenige
Wochen vor der Straftat, in die Bundesrepublik Deutschland nachgereist ist. Seine Frau
ist die Tochter des D3, seines Onkels. Aus der Ehe sind zwei 1997 und 1998 und ein
drittes, in der Bundesrepublik Deutschland geborenes Kind hervorgegangen.
5
Nach den Feststellungen der Strafkammer hatte sich der Vater des Klägers kurze Zeit
nach der Hochzeit von seiner ersten Frau - der Mutter des Klägers - getrennt und einer
zweiten Frau zugewandt. Der Kläger sei dann im Haus seines Onkels D3
aufgewachsen, der gewissermaßen die Vaterrolle übernommen habe und zu dem der
Kläger eine besonders intensive Beziehung gehabt habe. Später soll der leibliche Vater
ihn und seine Mutter in das Haus der zweiten Ehefrau nachgeholt haben, jedoch nur, um
diese als Arbeitskräfte auszunutzen.
6
Hintergrund der Tat ist eine Fehde zwischen der Großfamilie D, der der Kläger
entstammt und die ihrerseits Teil des Clans (Sippe) der N1 ist, während die Opfer
Angehörige der Großfamilie C sind, die ihrerseits Teil des Clans der B ist. Angehörige
beider Familien, die in der Türkei seit mindestens 1990 verfeindet sind, leben sowohl in
der Türkei, dort teilweise in Dorfnachbarschaft, als auch in der Bundesrepublik
Deutschland. In der Heimatregion des Klägers fühlte sich die Großfamilie D. von der
angeblich nach Köpfen und wirtschaftlich stärkeren Großfamilie der C ständig
unterdrückt. Nach den unbelegten Angaben des Klägers und der Mittäter soll es in der
Türkei wiederholt zu Übergriffen der Familie der C auf Angehörige der Familie D.
gekommen sein, die staatlicherseits angeblich nie sanktioniert wurden. Auf Grund des
Konfliktes sollen Angehörige der Familie D. ihr Dorf aus Angst vor
Vergeltungsmaßnahmen der C nicht mehr verlassen haben. Wegen der weiteren
Einzelheiten insoweit wird auf das Strafurteil verwiesen. Am 22. Juni 2002 soll in der
Türkei eine förmliche Beilegung des zuletzt schwelenden Konfliktes („Mädchenstreit")
zwischen den Familien stattgefunden haben. Daraufhin soll sich D3, Onkel aller
Angeklagten und zugleich Schwiegervater und Mentor des Klägers, am Morgen des
00.0.2002 erstmals nach Jahren wieder in die nächstgelegene Stadt W gewagt haben.
Dort wurde er durch C1 gegen 7:30 Uhr mit zunächst zwei Schüssen niedergeschossen
und, als er nicht sofort tot war, durch sämtliche restlichen Schüsse aus der Waffe tödlich
niedergestreckt. Dieses Ereignis wurde telefonisch binnen kürzester Zeit nach
Deutschland mitgeteilt und löste die weiteren Ereignisse aus. Hinsichtlich des Klägers
stellte das Schwurgericht wörtlich fest: „Obschon auch er in Deutschland erkannt hatte,
dass das System der Vergeltung die Gefahr ständiger wechselseitiger Verfolgung und
Unsicherheit für alle Beteiligten beinhaltet, lebte er auch hier in der Vorstellung, dass
7
das System der Blutrache auch hier wirksam werden könnte."
Nach den Erwägungen des Schwurgerichts hatte dieses bei den beiden anderen Tätern
- neben dem von allen Tätern verwirklichten Merkmal der Heimtücke - auch das
Merkmal „niedrige Beweggründe" festgestellt, weil diese allein aus Gründen der
Blutrache gehandelt hätten. Für den Kläger hatte das Schwurgericht dies verneint, weil
bei diesem nicht die Wiederherstellung der Familienehre im Vordergrund gestanden
habe. Das Schwurgericht habe „nicht ausschließen können, dass in seiner Person die
Tat mehr noch aus Hass wegen elementarer persönlicher Betroffenheit über den Tod
des Onkels in der Türkei begangen wurde".
8
Bereits vor dieser Verurteilung war der Kläger in der Bundesrepublik Deutschland
strafrechtlich in Erscheinung getreten.
9
- Am 0.0.1999 verurteilte ihn das Amtsgericht E wegen Urkundenfälschung in Tateinheit
mit Beförderungserschleichung zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen, weil er mit
einem verfälschten Fahrschein den öffentlichen Personennahverkehr benutzt hatte;
10
-
11
- Am 00.00.2001 verurteilte ihn das Amtsgericht C2 wegen Beihilfe zum Verstoß gegen
das Ausländergesetz zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen.
12
-
13
Unter dem 16. September 2004 teilte die Ausländerbehörde der Stadt C2 dem
Bundesamt die Verurteilung mit und das beabsichtigt sei, den Kläger auszuweisen und
dessen Aufenthalt zu beenden, allerdings nur, soweit die Feststellung zu § 51 AuslG
widerrufen werde. Daraufhin leitete das Bundesamt am 15. März 2005 ein auf Widerruf
der Feststellungen zu § 51 AuslG gerichtetes Verfahren ein und gab dem Kläger
Gelegenheit zur Äußerung, die dieser nicht wahrnahm.
14
Mit auf § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG gestütztem, am 2. August 2005 zur Post
aufgegebenem Bescheid vom 28. Juli 2005 widerrief das Bundesamt die mit Bescheid
vom 14. Januar 1998 getroffene Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs.
1 AuslG vorliegen (Ziffer 1) und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1
AufenthG offensichtlich (Ziffer 2) und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 des
AufenthG nicht (Ziffer 3) vorliegen.
15
Am 5. August 2005 hat der Kläger bei dem vormals zuständigen Verwaltungsgericht
Gelsenkirchen Klage erhoben.
16
Er trägt vor, der Widerruf sei verfahrensfehlerhaft ergangen, weil nicht von dem kraft
Gesetz zuständigen Bediensteten und zu spät eingeleitet. Die Ermächtigung zum
Widerruf sei mit Art. 16a Abs. 1 GG unvereinbar, weil sich der einzig zulässige Vorbehalt
aus Art. 18 GG ergebe, dessen Voraussetzungen aber nicht vorlägen. Der Widerruf sei
auch deshalb unzulässig, weil sich die ihn allein rechtfertigenden Verhältnisse in der
Türkei nicht geändert hätten. Zuletzt gehe von ihm auch keine Wiederholungsgefahr
aus, weil er sich in der Haft mit der Tat und ihren Hintergründen auseinandergesetzt
habe und weil er haftbedingt noch erhebliche Zeit an Straftaten gehindert sei.
17
Der Kläger beantragt,
18
Ziffer 1. des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 28. Juli
2005 aufzuheben,
19
hilfsweise;
20
die Beklagte unter Aufhebung zu Ziffer 3 des Bescheides des Bundesamtes für
Migration und Flüchtlinge vom 28. Juli 2005 zu verpflichten, festzustellen, dass
Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 3, 5 und 7 Aufenthaltsgesetz vorliegen.
21
Die Beklagte verteidigt den Bescheid und beantragt,
22
die Klage abzuweisen.
23
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie der beigezogenen Gerichtsakten des früheren Verfahrens des
Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des
Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge und der Ausländerbehörde sowie auf die
auszugsweise beigezogene Strafakte verwiesen.
24
Entscheidungsgründe:
25
Die zulässige Klage ist unbegründet.
26
Der Bescheid des Bundesamtes vom 28. Juli 2005, mit dem die - mit Bescheid vom 14.
Januar 1998 erfolgte - Feststellung, dass in der Person des Klägers die
Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG (jetzt § 60 Abs. 1 AufenthG) vorliegen,
widerrufen wird, ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. §
113 Abs. 1 VwGO).
27
Bei der Überprüfung des Bescheides stellt das Gericht auf die Sach- und Rechtslage
zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ab (§ 77 Abs. 1 S. 1 AsylVfG). Dies gilt
abweichend von den allgemeinen verwaltungsprozessualen Regeln auch für
Anfechtungsklagen, insbesondere gegen Widerrufsbescheide.
28
Vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 1. November 2005, - 1 C 21.04 -, DVBl 2006,
511ff.
29
In der dem Bescheid zugrunde gelegten, seit dem 1. Januar 2005 geltenden
Gesetzesfassung lässt § 73 Abs. 1 S. 1 AsylVfG nach seinem Wortlaut nicht mehr den
Widerruf der Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen,
zu. An die Stelle der Angabe "§ 51 Abs. 1 des Ausländergesetzes" ist vielmehr die
Angabe "§ 60 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes" getreten (Art. 3 Nr. 46 Buchst. a des
Zuwanderungsgesetzes). Allein dadurch wird die Widerrufsentscheidung der Beklagten
aber nicht rechtswidrig. Die Beklagte ist auch nach der neuen Gesetzesfassung zum
Widerruf der Feststellungen zu § 51 Abs. 1 AuslG ermächtigt. Dies ergibt sich schon
daraus, dass § 73 Abs. 1 S. 1 AsylVfG nicht schlechthin auf die gesetzlichen
Vorschriften, sondern auf deren Voraussetzungen abstellt. Die Voraussetzungen des
neuen § 60 Abs. 1 AufenthG, soweit sie hier von Interesse sind, sind mit denen des § 51
Abs. 1 AuslG identisch.
30
Vgl. Verwaltungsgericht Düsseldorf, Urteil vom 17. Januar 2005, - 4 K 553/04.A -, Juris-
Dokument Nr. MWRE105000500.
31
Erhebliche Verfahrensfehler liegen nicht vor. Ob der Widerruf unverzüglich i.S.v. § 73
Abs. 1 Satz 1 AsylVfG erfolgt ist, ist unerheblich, weil die Vorschrift nach gefestigter
Rechtsprechung, der sich die Kammer anschließt, nicht dem Schutz des betroffenen
Ausländers dient, sondern allein dem öffentlichen Interesse an der alsbaldigen
Beseitigung seiner Rechtsposition.
32
Vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 23. Juli 2004, - 2 BvR 1056/04 -, Juris-
Dokument Nr. KVRE324700401 und Marx, AsylVfG, 6 Auflage 2005 § 73 Rn. 44 bis 46
und 236, m.w.N..
33
§ 73 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG, wonach über den Widerruf der Leiter des Bundesamtes
oder ein von ihm beauftragter Beamter entscheidet, stellt (ebenfalls) nur eine
Ordnungsvorschrift dar, die nicht dem Schutz des Ausländers dient. Sinn und Zweck der
Vorschrift ist es vor allem bei generellen Änderungen im Herkunftsland eine einheitliche
und zugleich effektive sowie zügige Verfahrensweisen zu ermöglichen. Hierzu überträgt
§ 73 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG die Entscheidung über den Widerruf von dem nach § 5 Abs.
2 Satz 1 AsylVfG weisungsungebundenen Einzelentscheider auf den Leiter des
Bundesamts oder auf von diesem beauftragte, weisungsgebundene Bedienstete. Damit
wird eine einheitliche Behandlung vergleichbarer Sachverhalte ermöglicht. Eine
Verbesserung der Rechtsstellung des Statusinhabers ist dagegen mit der
Verfahrensvorschrift ersichtlich weder bezweckt noch erreicht worden.
34
Vgl. VG Sigmaringen, Urteil vom 2. Dezember 2003, - 4 K 11498/01 - Juris-Dokument
Nr. MWRE103160400
35
Ungeachtet dessen hat die Beklagte mit Schreiben vom 3. Mai 2006 schlüssig
dargelegt, dass die Legitimation des verfahrenseinleitenden Beamten ausreichend auf
den Leiter des Bundesamtes zurückzuführen ist.
36
Der Widerruf ist materiell rechtmäßig. Er findet seine Rechtsgrundlage in § 73 Abs. 1
Satz 1 AsylVfG. Die Vorschrift ist verfassungsgemäß.
37
Vgl. nur Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 1. November 2005, - 1 C 21.04 -, a.a.O.
38
Voraussetzung für den danach bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen
ohne Ermessen
39
- der am 1. Januar 2005 in Kraft getretene § 73 Abs. 2 a AsylVfG galt zwar im Zeitpunkt
des Erlasses des Bescheides, begründet eine Überprüfungspflicht für Altfälle - wenn
überhaupt - jedoch nicht vor Ablauf von drei Jahren nach seinem Inkrafttreten, vgl.
BayVGH, Beschluss vom 22. März 2006, - 13a B 05.30749 -, Juris-Dokument Nr.
JURE060085294,
40
zu verfügenden Widerruf der Feststellung der Flüchtlingseigenschaft ist, dass sich die
zum Zeitpunkt der Anerkennung maßgeblichen Verhältnisse nachträglich erheblich und
nicht nur vorübergehend so verändert haben, dass bei einer Rückkehr des Ausländers
in seinen Herkunftsstaat eine Wiederholung der für die Flucht maßgeblichen
41
Verfolgungsmaßnahmen auf absehbare Zeit mit hinreichender Sicherheit
ausgeschlossen ist und nicht aus anderen Gründen erneut Verfolgung droht.
Vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 1. November 2005, - 1 C 21.04 -, a.a.O.
42
Eine nachträgliche Änderung der Sachlage, die nicht auf eine Veränderung der
Umstände im Heimat- bzw. Verfolgerstaat beschränkt ist, sondern auch darin liegen
kann, dass nach Feststellung der Voraussetzungen der Flüchtlingseigenschaft in der
Bundesrepublik Deutschland neue Tatsachen eintreten, auf Grund derer der Ausländer
als Risiko für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist,
43
vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 4.
Dezember 2003, - 8 A 3766/03.A -, NVWBl 2004, 231f,
44
liegt vor. Nach Rechtskraft des (nunmehr aufgehobenen) Bescheides ist der Kläger
durch Urteil des Landgerichts E vom 0.0.2003 rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe
verurteilt worden. Damit liegt der erforderliche Widerrufsgrund vor. Denn die
Feststellung, dass in der Person des Klägers die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1
AufenthG (ehemals § 51 Abs. 1 AuslG) vorliegen, dürfte zum heutigen Zeitpunkt nicht
mehr getroffen werden. Gemäß § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthaltsG findet Absatz 1 keine
Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für
die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist (1. Alternative) oder eine
Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder eines
besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens
drei Jahren verurteilt worden ist (2. Alternative). Verfassungsrechtliche Bedenken an §
60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG bestehen nicht. Eine vermeintliche Unvereinbarkeit der
Vorschrift mit Art. 16a und Art. 18 GG wäre vorliegend unerheblich, weil der Kläger zu
keiner Zeit als Asylberechtigter anerkannt worden ist. Er ist vielmehr rechtskräftig
abgelehnter Asylbewerber, zu dessen Gunsten nur das Vorliegen der Voraussetzungen
des § 51 Abs. 1 AuslG a.F., also die in nationales Recht umgesetzte
Flüchtlingseigenschaft nach der Genfer Konvention, festgestellt worden war. Dass die
Vorschrift des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG, soweit es hier (2. Alt.) auf sie ankommt, mit
der Ermächtigung in Art. 33 Abs. 2 der Genfer Konvention übereinstimmt, bezweifelt
auch der Kläger nicht. Im übrigen geht es entgegen der Auffassung des Klägers gerade
nicht um „alles oder nichts". Bei Einschlägigkeit des § 60 Abs. 8 AufenthG ist nur dessen
Absatz 1 ausgeschlossen; Abschiebungsverbote nach Absatz 2, 3, 5 und 7 sind
grundsätzlich zu beachten.
45
Der Kläger stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit dar, weil er wegen eines Verbrechens
oder eines besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von
mindestens drei Jahren verurteilt worden ist (§ 60 Abs. 8 Satz 1, 2. Alt. AufenthG). Er ist
rechtskräftig zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden; das erforderliche
Mindestmaß von drei Jahren Freiheitsstrafe ist daher weit überschritten. Von ihm geht
auch eine Gefahr für die Allgemeinheit aus. Aus den Umständen seiner Straftat ergibt
sich eine konkrete Wiederholungsgefahr zukünftiger Straftaten von gleichem oder
ähnlichem Gewicht.
46
Vgl. zum Erfordernis einer Wiederholungsgefahr und dem - dem angefochtenen
Bescheid zutreffend zugrunde gelegten - einschlägigen Maßstab der „konkreten"
Wiederholungsgefahr: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 16. November 2000, - 9 C
6.00 -, BverwGE 112, 185 ff.
47
Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten ernsthaft droht, sind
die besonderen Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe
der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer
Begehung und das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts ebenso wie
die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zu dem
maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt. Dabei ist die der gesetzlichen Regelung
zugrunde liegende Wertung zu beachten, dass Straftaten, die so schwerwiegend sind,
dass sie zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren geführt haben,
typischerweise mit einem hohen Wiederholungsrisiko verknüpft sind.
48
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 16. November 2000, a.a.O.
49
Im Hinblick auf die spezialpräventive Zielsetzung der Vorschrift ist im Einzelfall zu
prüfen, ob der Ausländer -etwa wegen der Einmaligkeit der Tatsituation, einer
ernsthaften sozialen oder politischen Neuorientierung oder sonstiger Umstände - künftig
keine Gefahr für die Allgemeinheit mehr darstellt.
50
Vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 8.
November 2004, - 8 A 4331/04.A -, Juris-Dokument Nr. MWRE204012239, zur insoweit
inhaltsgleichen früheren Regelung in § 51 Abs. 3 AuslG.
51
Das gegen den Kläger verhängte Strafmaß ist das höchste in der Bundesrepublik
Deutschland zu verhängende Strafmaß. Die konkrete Tat zeichnet sich als besonders
schwere Tat aus auf Grund der extrem brutalen Umstände ihrer Ausführung. Vom Kläger
und seinen Mittätern wurden Menschen auf offener Straße regelrecht niedergemetzelt,
dies unter sehender Inkaufnahme der Verletzung und auch Tötung Unbeteiligter. Dass
die Strafkammer keinen ausreichenden (bedingten) Tötungsvorsatz in Bezug auf die
naheliegende Möglichkeit nicht nur der Verletzung, sondern auch der Tötung Dritter
durch abirrende Geschosse feststellen konnte, ist zur vollen Überzeugung der Kammer
angesichts der Schilderung der Tat im Strafurteil fern liegend und nur dadurch zu
erklären, dass die übrigen Tathandlungen „ein ausreichendes Strafmaß Gewähr
leisteten". Durch die Tat wurde das höchstwertige Rechtsgut Leben mehrfach zerstört.
Darüberhinaus hat die Tat mehr oder weniger existenzvernichtende Folgen für die
überlebenden Beteiligten. Zwei Menschen sind körperlich dauerhaft beschädigt und
weitere Menschen psychisch dauerhaft geschädigt worden. Zuletzt beschwört die Tat
die Gefahr, dass Angehörige der Opferfamilie nunmehr ihrerseits auf dem Boden der
Bundesrepublik Deutschland zur Blutrache greifen. Mit Rücksicht auf den Grundsatz,
dass das Risiko des erneuten Schadenseintritts um so kleiner sein kann, je höher der
Wert des bedrohten Rechtsgutes ist, sind daher an die Wiederholungsgefahr nicht allzu
hohe Anforderungen zu stellen.
52
Soweit auch die Persönlichkeit des Klägers und seine Entwicklung und
Lebensumstände bis zu dem maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt mit zu
berücksichtigen sind, bieten die bekannten Umstände insoweit keine hinreichenden
Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger zukünftig nicht erneut straffällig wird.
53
Ausgehend von den Motiven, die den Kläger zur Tat veranlasst haben - Blutrache und
persönliche Betroffenheit - ist die Wiederholungsgefahr hinreichend konkret. Nach
Auffassung der Kammer liegt der Straftat auch in der Person des Klägers das Motiv der
Wiederherstellung verletzter Familienehre (= Blutrache) zugrunde. Nach den gesamten
54
Umständen der Tat und deren Hintergrund liegt bei ihm eine Gemengelage der Motive
vor, die sich sowohl aus individuell-persönlicher Rache betreffend den Tod des Onkels
als auch aus verletzter Familienehre zusammensetzt. Ob das Motiv der Blutrache dabei
für den Kläger so stark war, dass es die Feststellung des Mordmerkmals „niedrige
Beweggründe" erlaubte, ist ordnungsrechtlich unerheblich. Für die Kammer steht zur
Überzeugung fest, dass der Kläger - neben persönlichen Rachegründen - auch „zur
Wiederherstellung der Familienehre" gehandelt hat. Dafür spricht sowohl, dass er sich
nicht an dem unmittelbaren Täter (Mörder seines Onkels) gerächt hat (allein dies hätte
die individuelle Vergeltung des Todes des Onkels geboten) als auch, dass er die Tat
zusammen mit seinen Cousins begangen hat, die wiederum keinen persönlichen Bezug
zu dem Getöteten hatten, sondern ihrerseits „allein" aus dem Motiv der Blutrache
gehandelt haben.
Beide Motive - Herstellung der Familienehre und persönliche Betroffenheit - bieten die
Besorgnis zukünftiger Straftaten durch den Kläger; auf Grund der Hintergründe der Tat
ist die erforderliche Wiederholungsgefahr in der Person des Klägers zu bejahen. Die
Kammer verweist insoweit auf die zutreffenden Ausführungen des angefochtenen
Bescheides (ebenda Seite 3 Mitte bis Seite 4 Mitte), die sie sich zu eigen macht, § 117
Abs. 5 VwGO.
55
Der Vortrag des Klägers entkräftet die Annahme einer Wiederholungsgefahr in der
erforderlichen Höhe im Ansatz nicht. Einen „Sinneswandel" hat der Kläger nicht
glaubhaft gemacht. Gegen den behaupteten Sinneswandel spricht wesentlich, dass der
Kläger ausweislich der Gründe des Strafurteils für sich bereits vor der Tat erkannt hatte,
dass das System der Vergeltung die Gefahr ständiger wechselseitiger Verfolgung und
Unsicherheit für alle Beteiligten beinhaltet, er jedoch auch hier in der Vorstellung lebte,
dass das System der Blutrache auch hier wirksam werden könnte. Er hatte mithin
Einsicht in die Unrechtmäßigkeit der Blutrache und deren schrecklichen Folgen für alle
Beteiligten durch ständige Perpetuierung von Aktion und Reaktion. Wie die Tat belegt,
war er jedoch nicht in der Lage, sein Handeln an seiner Erkenntnis auszurichten. Es
geht daher nicht um die Frage der Erkenntnis - diese hatte der Kläger bereits früher -,
sondern um die mangelnde Fähigkeit des Klägers, sein Handeln und vor allem auch
sein Unterlassen auch in extremen Situationen an der vorhandenen Erkenntnis
auszurichten, was wiederum vor allem eine Frage der Persönlichkeit und des
Charakters ist. Dass sich die Persönlichkeit und der Charakter des Klägers durch die
Strafhaft und weitere neue Umstände derart massiv zum Positiven geändert haben
könnten, dass der Kläger nunmehr in der Lage sein könnte, sein Handeln auch in
extremen Belastungssituationen nach seiner Erkenntnis auszurichten, kann nicht
angenommen werden. Es mag zutreffen, dass der Kläger in der Strafhaft seine
Allgemeinbildung sowie seine beruflichen Kenntnisse verbessert, Kontakt mit Menschen
außerhalb seiner Großfamilie hat, sich von der Großfamilie D. fern hält und den
Ausgleich mit den Opfern sucht, den diese jedoch bislang ablehnen. All dies belegt
unter Berücksichtigung der Schwere der Tat und ihren Folgen noch keine Charakter-
bzw. Persönlichkeitsänderung von einem solchen Gewicht, wie sie notwendig wäre, um
in zukünftigen Belastungssituationen die hinreichende Gewähr zu bieten, dass der
Kläger die Rechtsordnung beachtet. Der Kläger hat im übrigen durch zwei weitere -
wenn auch weder einschlägige noch besonders gewichtige - Vorstrafen belegt, dass er
insgesamt wenig Wert auf die Einhaltung der staatlichen Rechtsordnung legte, sondern
er vielmehr sein persönliches Interesse nicht nur in Extremsituationen, sondern bereits
in banalen Alltagssituationen darüber einordnete.
56
Seine behaupteten Bemühungen um Ausgleich und Versöhnung sowie seine
Lossagung von seiner Großfamilie lassen ungeachtet dessen auch nicht zwingend den
Schluss auf einen Sinneswandel zu. Sie können naheliegend allein taktisch motiviert
sein. Der Kläger will nicht nur den Widerruf abwenden, sondern muss auch seine
Kernfamilie (Frau und Kinder) bis zu seiner Haftentlassung vor der Rache der Familie
der C zu schützen trachten. Anders als durch die Behauptung von
Versöhnungsbereitschaft kann er dies aus der Haft nicht.
57
Unerheblich sind die familiären Bindungen des Klägers an Frau und Kinder. Sie
sprechen nicht für, sondern gegen ihn, weil sie ihn bereits in der Vergangenheit nicht
von seiner Tat abhalten konnten. Die Folgen der Tat für seine Frau und seine Kinder,
insbesondere dass diese lange Jahre ohne regelmäßigen engen Kontakt mit ihm leben
müssen und abstrakt durch Übergriffe der Familie der C bedroht sein können, waren für
ihn ohne weiteres vor der Tat absehbar.
58
Dass der Kläger durch die von ihm gegenwärtig verbüßte Strafhaft an unmittelbarer
Tatbeteiligung an zukünftigen Straftaten noch einige Jahre gehindert sein wird, ist ein in
die Gesamtwürdigung einzubeziehender Aspekt, der jedoch im Ergebnis nicht
zugunsten des Klägers ausschlägt. Denn der Kläger kann sich aus der Haft heraus auch
mittelbar an einschlägigen Delikten beteiligen, z.B. indem er Dritte anstiftet. Im übrigen
ist die vom Kläger benannte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts
59
Urteil vom 5. Mai 1998, - 1 C 17/97 -, BverwGE 106, 351 ff
60
nicht unmittelbar einschlägig, weil ihr ein Fall eines anderen, zugunsten des dortigen
Ausländers höher anzusetzenden, Maßstabes der Wiederholungsgefahr zugrunde liegt.
Ungeachtet dessen bezieht sich die hier anzustellende Prognose der von ihm
ausgehenden Wiederholungsgefahr wesentlich auf sein zu erwartendes Verhalten in
Freiheit.
61
Der Hilfsantrag ist zulässig, aber unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf
Verpflichtung der Beklagten zu dem Ausspruch, dass in seiner Person in Bezug auf die
Türkei Abschiebungsverbote vorliegen; Ziffer 3 des angefochtenen Bescheides ist
rechtmäßig, § 113 Abs. 5 VwGO.
62
Der Antrag ist zulässig. Der Kläger hat mit der Klageschrift den gesamten Bescheid
innerhalb der Klagefrist zur Überprüfung des Gerichts gestellt und damit zu verstehen
gegeben, dass er die Feststellung des Nichtvorliegens von Abschiebungsverboten nicht
gegen sich gelten lassen will; Ziffer 3 des angefochtenen Bescheides ist daher nicht in
Bestandskraft erwachsen. Die insoweit in der mündlichen Verhandlung erstmals
formulierte Verpflichtungsklage gibt sein Begehren zutreffend wieder; soweit darin eine
Klageänderung zu sehen ist, lässt die Kammer diese als sachdienlich zu. Im Rahmen
des Widerrufs von Feststellungen zu § 51 Abs. 1 AuslG/§ 60 Abs. 1 AufenthG ist das
Bundesamt auch berechtigt, erstmals Feststellungen über das Vorliegen von
Abschiebungsverboten zu treffen.
63
Vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 20. April 1999, - 9 C 29/98 -, InfAuslR 1999,
373f.
64
Das hier allein ernsthaft in Betracht zu ziehende zielstaatsbezogene
Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt nicht vor. Dass dem Kläger
65
bei einer Rückkehr in der Türkei zum gegenwärtigen Zeitpunkt mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit eine Gefahr für Leib und Leben droht, kann nicht festgestellt werden,
weder auf Grund zu befürchtender Blutrache noch auf Grund des Sachverhaltes, der
damals die Zuerkennung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG (vermeintlich)
rechtfertigte.
Zwar kommt durchaus in Betracht, dass der Kläger selbst zukünftig Opfer von Blutrache
durch die Familie C werden wird. Hiervor ist er jedoch in der Bundesrepublik
Deutschland dem Grunde nach ebensowenig sicher wie in der Türkei, nachdem er
selbst die Blutrache in die Bundesrepublik Deutschland getragen hat und nicht nur in
der Türkei, sondern auch hier weitere Angehörige der geschädigten Familie leben. Eine
zukünftige Abschiebung des Klägers in die Türkei bedeutet im Hinblick auf die übrigen,
das Risiko begründenden Umstände insoweit keine wesentliche Gefahrerhöhung.
Relative Sicherheit bietet dem Kläger derzeit nicht der Aufenthalt in der Bundesrepublik
Deutschland, sondern die Unterbringung in der Justizvollzugsanstalt. Ungeachtet
dessen hat der Kläger in der Türkei eher die Möglichkeit, den Schutz seiner Großfamilie
in Anspruch nehmen zu können, als in der Bundesrepublik Deutschland. Darauf kann er
verwiesen werden, ob er dies selbst will oder nicht. Diese Möglichkeit kompensiert den
potentiellen Nachteil, näher an einem größeren Teil der Opferfamilie leben zu müssen.
66
Dass dem Kläger wegen seiner vermeintlichen Vorverfolgungsgründe heute noch in der
Türkei mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Gefahr für Leib und Leben drohen
könnte, hat er selbst im Widerrufsverfahren zu keiner Zeit behauptet und kann wegen
des Zeitablaufs seit seiner Ausreise auch nicht angenommen werden. Die Kammer lässt
offen, ob die vom Kläger Ende Oktober 1997 beim Bundesamt behaupteten
Vorfluchtgründe einer Prüfung auf Schlüssigkeit und Glaubwürdigkeit standhalten. Denn
es bestehen Zweifel am Vortrag des Klägers, er sei im Juli 1997 für acht Tage
festgehalten und mit dem Ziel gefoltert worden, die Bereitschaft zur Übernahme des
Dorfschützeramtes zu erklären. Wenn überhaupt, hätte nahegelegen, den Kläger zur
Erlangung eines Geständnisses einer vermeintlichen oder tatsächlichen Unterstützung
der PKK zwecks anschließender Verurteilung zu foltern, nicht aber zwecks Übernahme
des Dorfschützeramtes. Ein solches Verhalten entspricht nach der aus vielen
Asylverfahren gewonnenen Erfahrung der Kammer nicht den damaligen (illegalen)
Verhaltensmustern der Sicherheitskräfte. Dem geht die Kammer jedoch nicht näher
nach. Denn auch bei Annahme eines wahr vorgetragenen Sachverhaltes kann der
Kläger heute in die Türkei zurückkehren, ohne ernsthaft wahrscheinlich befürchten zu
müssen, deshalb heute noch Schaden an Leib oder Leben zu erleiden. Er war zu keiner
Zeit offiziell staatlich verfolgt in dem Sinne, dass er durch Haftbefehl gesucht wurde. Das
Interesse an seiner Person hielt sich vielmehr unterhalb der Schwelle des förmlichen
Strafverfahrens und war zudem regional begrenzt. Stichhaltige Beweise gegen den
Kläger hatte man ersichtlich nicht, weil er durch die zuständige Staatsanwaltschaft Ende
Juli 1997 wieder freigelassen worden war. Bei einer Gesamtwürdigung war der Kläger
wohl - wie viele andere Dorfbewohner auch - in den Generalverdacht der Unterstützung
der PKK geraten. Dass ihm hieraus heute noch, also 9 Jahre später, mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit Schwierigkeiten erwachsen könnten, drängt sich nicht auf, zumal er
nicht alsbald in die Türkei zurückkehrt, sondern noch einen weiteren, nicht
unerheblichen Teil seiner Freiheitsstrafe wird verbüßen müssen.
67
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung hinsichtlich
der vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Der Gegenstandwert folgt aus § 30 RVG.
68
69