Urteil des VG Düsseldorf vom 18.05.2004

VG Düsseldorf: europäisches recht, unternehmen, beitragspflicht, eugh, industrie, handelskammer, zwangsmitgliedschaft, betriebsstätte, belastung, vollstreckung

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 3 K 5882/03
Datum:
18.05.2004
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
3. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
3 K 5882/03
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf
die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des
beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der
Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand:
1
Die Klägerin ist eine Gesellschaft nach englischem Recht mit Hauptniederlassung in D.
Gegenstand des Unternehmens ist der Betrieb eines Ton- und Videostudios sowie
Dienstleistungen in diesem Zusammenhang. Unter dem 07.01.2003 meldete die
Klägerin die Aufnahme eines Gewerbes mit einer Betriebsstätte in S beim
Oberbürgermeister der Stadt S an.
2
Die Beklagte zog die Klägerin mit Bescheid vom 16.06.2003 zu einem Mitgliedsbeitrag
für das Jahr 2003 in Höhe von 153,00 Euro heran. Dem widersprach die Klägerin mit
Schreiben vom 03.07.2003 mit der Begründung, nach geltenden europäischen Recht
sei sie als in Großbritannien ordentlich installiertes Dienstleistungsunternehmen zur
Zahlung von Mitgliedsbeiträgen in einer deutschen Industrie- und Handelskammer nicht
verpflichtet. Dies ergebe sich insbesondere aus der Entscheidung des Europäischen
Gerichtshofs vom 03.10.2000 - Josef Corsten - Rs C-58/98 - .
3
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 01.08.2003 mit
folgender Begründung zurück: Der Beitragsbescheid sei zu Recht ergangen. Die
Mitgliedschaft der Klägerin bei der Beklagten verstoße nicht gegen europäisches Recht.
Die zitierte Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs betreffe einen Fall, in der ein
niederländisches Handwerksunternehmen über die Grenze in Deutschland Leistungen
erbracht habe, ohne in der Bundesrepublik Deutschland eine Niederlassung begründet
zu haben. Die Klägerin sei dagegen in Deutschland niedergelassen und unterliege
4
damit - wie jedes andere im Inland ansässige Unternehmen - den deutschen
Vorschriften.
Mit der fristgerecht erhobenen Klage ergänzt die Klägerin ihr Vorbringen wie folgt: Die
Pflichtmitgliedschaft und Beitragspflicht verstoße gegen geltendes europäisches Recht,
insbesondere den Grundsatz der Dienstleistungsfreiheit. Die Beitragspflicht stelle für
ihre wirtschaftliche Betätigung in Deutschland ein Hindernis dar, welches nach den
Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs vom 08.06.2000 - Rs. C-264/99 - und
03.10.2000 - Rs. C-58/98 - in einem anderen Mitgliedsstaat niedergelassenen
Unternehmen nicht auferlegt werden könne. Solche Verpflichtungen behinderten den
freien Dienstleistungsverkehr zwischen den Mitgliedsländern, weil sie für die in anderen
Mitgliedsstaaten niedergelassenen Unternehmen eine doppelte Belastung mit sich
brächten.
5
Der Kläger beantragt,
6
den Beitragsbescheid der Beklagten vom 16.06.2003 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 01.08.2003 aufzuheben.
7
Die Beklagte beantragt,
8
die Klage abzuweisen.
9
Sie wiederholt im Wesentlichen ihr bisheriges Vorbringen.
10
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
11
Entscheidungsgründe:
12
Die Klage ist unbegründet.
13
Der angegriffene Beitragsbescheid ist rechtmäßig. Er findet seine Grundlage in §§ 3
Abs. 2, 3 IHKG in der sich aus Art. 2 des Gesetzes vom 23. Juli 1998, BGBl. I S. 1887
ergebenden Fassung i.V.m. der Beitragsordnung und der Haushaltssatzung der
Beklagten.
14
Die Klägerin ist insbesondere kammerzugehörig im Sinne des § 3 Abs. 2 IHKG. Nach §
2 Abs. 1 IHKG gehören zur Industrie- und Handelskammer u.a. juristische Personen des
Privatrechts, sofern sie - wie die Klägerin -, zur Gewerbesteuer veranlagt sind und eine
Betriebsstätte im Kammerbezirk unterhalten.
15
Die Mitgliedschaft zur Industrie- und Handelskammer ergibt sich unmittelbar aus dem
Gesetz, ohne dass Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit,
16
(vgl. BVerfGE 15, 235 (239 ff), bestätigt durch Beschluss vom 7. Dezember 2001, 1 BvR
1806/98, NVwZ 2002, 335 ff.),
17
dieser Pflichtmitgliedschaft bestünden.
18
Diese Zwangsmitgliedschaft ist auch mit europäischen Recht, insbesondere dem
19
Grundsatz des freien Dienstleistungsverkehrs nach Art. 49 EG (früher Art. 59 EGV),
vereinbar,
ebenso Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 04.03.2003 - 8 UZ 1385/02
-, VG Darmstadt, Urteil vom 08.05.2002 - 3 E 2167/01 -, NVwZ 2002, 1398, Jahn, „IHK
statt Staat - Das Bundesverfassungsgericht und die IHK- Pflichtmitgliedschaft",
GewArch, 2002, 98, 101, und Frentzel/Jäkel/Junge, Industrie- und
Handelskammergesetz, 6. Aufl. § 2 Rn. 7, jeweils m.w.Nachweisen.
20
Eine andere Einschätzung ergibt sich insbesondere auch nicht aus der von der Klägerin
angeführten Entscheidung des EuGH vom 03.10.2000 - Rs. C-58/98 (D1),
21
NVwZ, 2001, S. 182 ff.
22
In dieser Entscheidung hat der EuGH für einen Fall, in dem ein niederländisches
Handwerksunternehmen ohne Niederlassung in der Bundesrepublik Deutschland
Leistungen in Deutschland erbracht hat, im Hinblick auf den Grundsatz des freien
Dienstleistungsverkehrs Bedenken gegen das Erfordernis der Eintragung in die
Handwerksrolle und der Pflichtmitgliedschaft in der Handwerkskammer und der damit
verbundenen Beitragspflicht erhoben. Abweichend hiervon erbringt die Klägerin ihre
Leistungen in Deutschland von einer festen Niederlassung. Allerdings lässt sich im
Hinblick hierauf die Beachtung des Grundsatzes des freien Dienstleistungsverkehrs
nicht alleine mit der Argumentation begründen, die Belastung der Klägerin knüpfe an
den Sitz im Kammerbezirk an und treffe alle inländischen und niedergelassenen
ausländischen Gewerbetreibenden gleichermaßen, sodass § 2 Abs. 1 IHKG keine
diskriminierende Wirkung entfalte. Art. 49 EG verlangt nämlich nicht nur die Beseitigung
jeder Diskriminierung des in einem anderen Mitgliedsstaat ansässigen Dienstleistenden
auf Grund seiner Staatsangehörigkeit, sondern auch die Aufhebung aller
Beschränkungen - selbst wenn sie unterschiedslos für inländische Dienstleistende, wie
für solche aus anderen Mitgliedsstaaten gelten -, sofern sie geeignet sind, die
Tätigkeiten des Dienstleistenden, der in einem anderen Mitgliedsstaat ansässig ist und
dort rechtmäßig entsprechende Dienstleistungen erbringt, zu unterbinden, zu behindern
oder weniger attraktiv zu machen. Beschränkungen dieses Grundsatzes können nur
durch Regelungen gerechtfertigt werden, die auf zwingenden Gründen des
Allgemeininteresses beruhen und für alle im Hoheitsgebiet des Aufnahmelandes tätigen
Personen oder Unternehmen gelten, und soweit dieses Interesse nicht durch die
Vorschriften geschützt wird, denen der Dienstleistende in dem Mitgliedsstaat unterliegt,
in dem er ansässig ist.
23
ständige Rechtsprechung des EuGH, Nachweise im Urteil vom 03.10.2000 - Rs. C-
58/98 (Josef Corsten), a.a.O., Nr. 33 und 35.
24
Vorliegend lässt sich bereits nicht feststellen, dass die gewerbliche Tätigkeit der
Klägerin in Deutschland durch ihre Zwangsmitgliedschaft bei der Beklagten behindert
oder weniger attraktiv gemacht wird. Zwar ist diese Mitgliedschaft mit einer
Beitragspflicht verbunden. Jedoch ist zu bedenken, dass dieser Beitrag eine
Gegenleistung für die Vorteile darstellt, die das Mitglied aus seiner
Kammermitgliedschaft zieht,
25
vgl. BVerwG, Urteil vom 21.07.1998 - 1 C 32.97 -, E 107, 169, 176.
26
Diese Vorteile dürften zwar einem Dienstleistenden, der von einem anderen
Mitgliedsstaat aus nur gelegentlich oder einziges Mal in Deutschland tätig ist, versperrt
sein. Für ein Unternehmen, dass in Deutschland eine Niederlassung hat, dort also wie
ein inländischer Dienstleistender wirtschaftet, gilt dieses aber nicht.
27
Unabhängig davon hat der EuGH in seiner Entscheidung vom 03.10.2000 ausdrücklich
klargestellt, dass Pflichtmitgliedschaft und Beitragspflicht im Fall einer Niederlassung im
Aufnahmeland gerechtfertigt sein können,
28
a.a.O., Nr. 45.
29
Davon ist auch hier auszugehen. Die Pflichtmitgliedschaft der in Deutschland
niedergelassenen Angehörigen der gewerblichen Wirtschaft findet seine Rechtfertigung
in dem Anliegen des Gesetzgebers, die Wirtschaft im Interesse einer sachgerechten
Aufgabenerfüllung einzubinden. Hierfür stellt nur die Zwangsmitgliedschaft ein
geeignetes Mittel dar, weil eine auf freier Mitgliedschaft beruhende Vereinigung das
Gesamtinteresse der Angehörigen der gewerblichen Wirtschaft gegenüber staatlichen
und kommunalen Entscheidungsträgern nicht gleichwirksam vertreten könnte,
30
ständige Rechtsprechung, vgl. BVerfG, Beschluss vom 07.12.2001 - 1 BvR 1806/98 -,
NWvZ 2002, 335, m.w.N., und BVerwG, Urteil vom 21.07.1998, a.a.O., m.w.N.
31
Bedenken gegen die Richtigkeit der Beitragsberechnung macht die Klägerin nicht
geltend. Sie sind auch sonst nicht ersichtlich.
32
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
33
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 167 VwGO, 708
Nr. 11, 711 ZPO.
34
Gründe für eine Zulassung der Berufung gem. §§ 124a Abs. 1, 124 Abs. 2 Nr. 3, 4
VwGO liegen nicht vor.
35
36