Urteil des VG Düsseldorf vom 04.11.2009

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Verwaltungsgericht Düsseldorf, 19 K 2212/09
Datum:
04.11.2009
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
19. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
19 K 2212/09
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. Die außergerichtlichen
Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin
kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 %
des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die jeweilige
Vollstreckungsgläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit in glei-cher
Höhe leistet.
Die Klägerin betreibt ein Unternehmen, dessen Gegenstand das Verteilen von
Prospekten ist. Das Unternehmen unterhält mehrere Filialen. Die Beigeladene war seit
dem 2. Mai 2007 bei der Beigeladenen als Mitarbeiterin im Verkaufsaußendienst in der
Niederlassung in S beschäftigt. Das erste Kind der Beigeladenen wurde am 0.0.2008
geboren, die Beigeladene beantragte am 29. September 2008 Elternzeit für den
Zeitraum von zwei Jahren.
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Unter dem 29. Oktober 2008 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Zustimmung
zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit der Beigeladenen und führte zur
Begründung aus, es sei entscheiden worden, die Niederlassung in S zu schließen. Die
nächste Niederlassung befände sich in 200 km Entfernung, allen Mitarbeitern der
Niederlassung S sei deshalb gekündigt worden. Andere Tätigkeiten, auf die die
Klägerin umgesetzt werden könnte, stünden nicht zur Verfügung.
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Die Beigeladene bestritt in ihrer Stellungnahmen, dass die Niederlassung S insgesamt
geschlossen werde. Außerdem seien die Aufgaben, die die Klägerin bisher gehabt
habe, nicht entfallen, sondern würden von Mitarbeitern in den anderen Niederlassungen
übernommen. Einige Mitarbeiter seien auch in die Holding bzw. in den Bereich Regio-
Service übernommen worden. Außerdem überreichte sie eine Stellenanzeige, in der ein
Sales Manager von der Holding der Klägerin für die Niederlassung in L gesucht wurde.
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Die Klägerin trug dazu vor, im Außenlager in H seien 3 Mitarbeiter beschäftigt zur
Warenannahme und Kommissionierung der Prospekte sowie 4 Mitarbeiter als
Lagerarbeiter bzw. Reinigungskräfte auf 400,- Euro-Basis. Aus der Niederlassung S
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seien 3 Mitarbeiter in das Außenlager in H gewechselt, sie hätten im Rahmen der
Sozialauswahl bedeutend höher gelegen als die Beigeladene. Im Außenlager in H
seien überwiegend Arbeitnehmer beschäftigt, die schon vor der Schließung der
Niederlassung in S dort beschäftigt gewesen seien. Ein formale Übertragung des
Arbeitsverhältnisses der Beigeladenen sei nicht möglich, weil keine anderen
Arbeitsplätze im Unternehmen vorhanden seien. Die nächste Niederlassung befinde
sich in M in sei ungefähr 200 km entfernt. Auch in anderen Niederlassungen seien
bereits betriebsbedingte Kündigungen ausgesprochen worden.
Mit Bescheid vom 25. Februar 2009, zugestellt am 27. Februar 2009, lehnte die
Beklagte den Antrag der Klägerin auf Zulässigerklärung der Kündigung des
Arbeitsverhältnisses mit der Beigeladenen ab und führte zur Begründung aus, eine
überzeugende Prüfung der Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung könne naturgemäß
erst dann geprüft werden, wenn das Ende der Elternzeit bevorstehe. Im vorliegenden
Fall ende die Elternzeit erst nahezu zwei Jahre nach dem Stilllegungsbeschluss. Auch
habe die Klägerin nicht überzeugend dargelegt, dass für die Klägerin keine
Weiterbeschäftigungsmöglichkeit bestanden habe. Die Ausführungen im Hinblick auf
Sozialauswahl seien unsubstantiiert und erläuterten nicht, aufgrund welcher Kriterien
die Sozialauswahl stattgefunden habe und warum gerade einer in der Elternzeit
befindlichen Arbeitnehmerin gekündigt werden müsse. Im Hinblick darauf, dass der
Klägerin in der Elternzeit keine Kosten durch das Arbeitsverhältnis mit der
Beigeladenen entstünden sowie darauf, dass die Holding der Klägerin eine Mitarbeiterin
suche, deren Anforderungsprofil exakt dem der Klägerin entspreche, könne die
Weiterbeschäftigungsmöglichkeit am Ende der Elternzeit nicht ausgeschlossen werden.
Es liege deshalb kein besonderer Fall im Sinne des § 18 BEEG vor. Selbst wenn man
das Vorliegen eines besonderen Falles bejahen würde, komme sie, die Beklagte, im
Rahmen des ihr eingeräumten Ermessens unter Berücksichtigung der oben dargelegten
Umstände zu dem Ergebnis, dass das Interesse der Klägerin an der Kündigung nicht
höher zu bewerten sei als das Interesse der Beigeladenen an der Erhaltung ihres
Arbeitsplatzes.
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Am 27. März hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben. Sie ist der Auffassung, es
liege jedenfalls ein besonderer Fall im Sinne des § 18 BEEG vor, weil der Arbeitsplatz
der Beigeladenen ersatzlos weggefallen sei. Die Beklagte habe auch die Grenzen des
ihr eingeräumten Ermessen überschritten. Das Interesse des Arbeitgebers an
Rechtsklarheit und Sicherheit überwiege das Interesse der Beigeladenen an einer
beitragsfreien Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung. Die
Niederlassung sei aufgelöst, lediglich die Beigeladene stehe einer endgültigen
administrativen Auflösung bzw. Löschung der Kostenstelle entgegen. Das Außenlager
in H sei nach der Schließung in S organisatorisch der Niederlassung M zugeordnet
worden. Aus der Niederlassung in S sei lediglich Frau S1 in das Außenlager versetzt
worden, deren Bruttoverdienst jedoch etwa 1/3 unter dem der Beigeladenen liege.
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Die Klägerin ist weiter der Auffassung, dass eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit
lediglich für den Betrieb in S zu prüfen sei. Die Niederlassungen seien so organisiert,
dass sie jeweils eine eigene Leitungsmacht und Administration hätten und deshalb
jeweils eigene Betriebe darstellten. Eine Sozialauswahl sei nach der Rechtsprechung
der Arbeitsgerichte aber nur innerhalb eines Betriebes zu treffen. Auf die Frage, ob in
anderen Niederlassungen Stellen frei seien, komme es daher nicht an.
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Die Klägerin beantragt,
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den Bescheid der Beklagten vom 25. Februar 2009 aufzuheben und die
Beklagte zu verpflichten, der Kündigung der Beigeladenen zuzustimmen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie ist der Auffassung, bei einer Teilbetriebsstilllegung wie im vorliegenden Fall müsse
mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden können, dass der Beigeladenen
kein anderer Arbeitsplatz im Unternehmen angeboten werden könne. Dies habe die
Klägerin bisher nicht nachgewiesen. Insbesondere sei nicht ersichtlich, dass im
Unternehmen keine anderen Arbeitsplätze für die Beigeladene vorhanden seien. Im
Internet seien Stellenanzeigen geschaltet, in denen Arbeitnehmer mit dem
Anforderungsprofil der Beigeladenen für die Klägerin gesucht würden. Dies werde als
Indiz dafür gewertet, dass Aufgaben, wie sie die Beigeladene ausführen könne, auch
weiterhin im Unternehmen vorhanden seien und es nach der Elternzeit auch eine
Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für die Beigeladene gebe. Außerdem habe die
Klägerin die Kriterien, nach denen die Sozialauswahl vorgenommen worden sei, nicht
dargelegt.
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Die Beigeladene beantragt ebenfalls,
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die Klage abzuweisen.
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Sie ist ebenfalls der Auffassung, dass ihr die Klägerin einen anderen Arbeitsplatz
anbieten könne, falls der in Ratingen entfallen sei. Zum Beweis legt sie einen Ausdruck
der Internetseite www.u.de vom 10. Juni 2009 vor, aus dem sich ergibt, dass die
Klägerin für ihre Niederlassungen in Berlin, Hamburg und Magdeburg Mitarbeiter im
Verkaufsaußendienst sucht. Außerdem ergibt sich aus dieser Internetseite, dass die U
GmbH für den Standort in S zwei Stellen im Verkauf anbietet.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der
Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Verfahrensakte und der beigezogenen
Verwaltungsvorgänge der Beklagten ergänzend Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Der ablehnende Bescheid der Beklagten ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in
ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO). Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, dass die
Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit der Beigeladenen für zulässig erklärt wird.
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Rechtsgrundlage für die Zulässigerklärung der Kündigung ist § 18 BEEG. Nach § 18
Abs. 1 Satz 1 BEEG darf der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis ab dem Zeitpunkt, von
dem an Elternzeit verlangt worden ist, und während der Elternzeit nicht kündigen. Die
Beigeladene befindet sich nach der Geburt ihres ersten Kindes in der Elternzeit mit der
Folge, dass das Kündigungsverbot eingreift.
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Nach § 18 Abs.1 Satz 2 BEEG kann in besonderen Fällen ausnahmsweise eine
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Kündigung für zulässig erklärt werden. Ein besonderer Grund im Sinne dieser Vorschrift
liegt nach der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Kündigungsschutz bei Elternzeit
vom 1. Januar 2007 – BAnz. 2007, S. 247 – (Verwaltungsvorschrift) u.a. dann vor, der
Betrieb, in dem der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin beschäftigt ist, stillgelegt wird
und der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin nicht in einem anderen Betrieb des
Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann (Ziff. 2.1.1 der Verwaltungsvorschrift),
wenn die Betriebsabteilung, in der der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin
beschäftigt ist, stillgelegt wird und der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin nicht in
einer anderen Betriebsabteilung des Betriebes oder in einem anderen Betrieb des
Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann (Ziff. 2.1.2 der Verwaltungsvorschrift) und
wenn der Betrieb oder die Betriebsabteilung, in denen der Arbeitnehmer oder die
Arbeitnehmerin beschäftigt ist, verlagert wird und der Arbeitnehmer oder die
Arbeitnehmerin an dem neuen Sitz des Betriebes oder der Betriebsabteilung und auch
in einer anderen Betriebsabteilung oder in einem anderen Betreib des Unternehmens
nicht weiterbeschäftigt werden kann (Ziff. 2.1.3 der Verwaltungsvorschrift).
Diese Voraussetzungen hat die Klägerin hier nicht dargelegt. Dabei kann dahinstehen,
ob es sich bei der Niederlassung in S um einen Betrieb oder eine Betriebsabteilung der
Klägerin handelt. Die Klägerin hat nicht dargelegt, dass die Beigeladene nicht in einem
anderen Betrieb bzw. in einem anderen Betriebsteil nach dem Ende der Elternzeit
beschäftigt werden kann. Wie die Beigeladene durch ihren Hinweis auf die Internetseite
des Unternehmens substantiiert vorgetragen und die Klägerin auch zugestanden hat,
werden für andere Niederlassungen Mitarbeiter für den Verkauf gesucht. Es ist daher
davon auszugehen, dass die Beigeladene in einem anderen Betrieb oder Betriebsteil
der Klägerin nach dem Ende der Elternzeit weiterbeschäftigt werden kann.
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Etwas anderes ergibt sich hier auch nicht aus dem Einwand des Vertreters der Klägerin
in der mündlichen Verhandlung, dass eine Weiterbeschäftigung der Beigeladenen in
einer weit entfernten Niederlassung eine Änderungskündigung voraussetze. Eine
Änderungskündigung wäre nur erforderlich, wenn die Beigeladene einer Versetzung
nicht zustimmen würde. Die Klägerin hat jedoch nicht dargelegt, dass sie der
Beigeladenen eine Weiterbeschäftigung in einer der anderen Niederlassungen
angeboten hätte und dieses Angebot abgelehnt worden wäre.
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Schließlich ist auch nicht der Auffassung der Klägerin zu folgen, im vorliegenden Fall
sei nur zu prüfen, ob ein anderer Arbeitsplatz in der Niederlassung S für die
Beigeladene vorhanden ist, und auf die Frage, ob ein anderer Arbeitsplatz im
Unternehmen vorhanden sei, komme es nicht an. Schon aus der Formulierung der
Verwaltungsvorschrift ergibt sich, dass es nicht nur auf die Beschäftigungssituation in
dem betroffenen Betrieb oder Betriebsteil, sondern in dem gesamten Unternehmen
ankommt.
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Der Begriff des Betriebes ist entgegen der Auffassung der Klägerin insoweit auch dann
nicht mit dem des Unternehmens gleichzusetzen, wenn der Betrieb organisatorisch
weitgehend selbständig ist. Vielmehr ist, wie sich aus der Formulierung der
Verwaltungsvorschrift ergibt, der Begriff des Unternehmens umfassender zu sehen als
der des Betriebs. Im Hinblick auf die Intention des Gesetzgebers ist davon auszugehen,
dass eine Kündigung des betroffenen Arbeitnehmers nur dann in Betracht kommen soll,
wenn der jeweilige Arbeitgeber für ihn keine andere Beschäftigung mehr hat.
Arbeitgeber ist hier die U1 GmbH insgesamt und nicht nur die Niederlassung in S.
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Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung. Die
Vorschriften des Kündigungsschutzes haben eine andere Intention als die des BEEG.
Die Rechtsprechung der Arbeitsgerichte zu § 1 KSchG kann daher nicht ohne weiteres
auf die Rechtsprechung zu § 18 BEEG übertragen werden.
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Es gibt für die Gesamtrechtsordnung weder einen einheitlichen Betriebsbegriff noch
einen einheitlichen Unternehmensbegriff. Vielmehr ist die Bedeutung dieser Begriffe
jeweils aus dem Sinn und Zweck des jeweiligen Gesetzes zu ermitteln.
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Vgl. Schaub/Vogelsang, ArbR-Hdb. § 18 RN 1 und 10.
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Für das Gesetz zum Elterngeld und zur Elternzeit ist dabei vor allem zu berücksichtigen,
dass das Gesetz einen möglichst umfassenden Schutz der betroffenen Eltern vor einer
Kündigung gewährleisten will. Das Gesetz soll dazu beitragen, die Vereinbarkeit von
Berufstätigkeit und Kindererziehung zu verbessern. Es hat neben der Förderung der
Betreuung des Kindes in der ersten Lebensphase auch das Ziel, Wahlmöglichkeiten
zwischen Tätigkeiten in der Familie und außerhäuslicher Erwerbstätigkeit zu schaffen.
Dieses Ziel lässt sich nach Einschätzung des Gesetzebers nur erreichen, wenn die
Mutter oder der Vater während der Zeit der Elternzeit keine Kündigung zu befürchten
braucht.
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Vgl. Buchner/ Becker, Mutterschutzgesetz und Bundeselterngeld- und
Elternzeitgesetz, Kommentar, Anm. 1 zu § 18 BEEG
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Um diese Sicherheit zu gewährleisten, ist das generelle Verbot einer Kündigung in das
Gesetz aufgenommen worden. Die dazu in der Verwaltungsvorschrift definierten
Ausnahmen sind daher eher eng auszulegen. Im Hinblick auf die gesetzgeberische
Intention eines möglichst umfassenden Schutzes der betroffenen Eltern erscheint es
auch für den Arbeitgeber zumutbar, eine bei ihm frei gewordene Stelle zunächst den
unter dem Schutz des § 18 BEEG stehenden Eltern anzubieten als sie mit externen
Bewerbern zu besetzen. Die Möglichkeit, eine Kündigung ausnahmsweise für zulässig
erklären zu lassen, soll in den Fällen eine Lösung finden, in denen die
Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses unbillig erscheint.
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Vgl. Buchner/ Becker, Mutterschutzgesetz und Bundeselterngeld- und
Elternzeitgesetz, Kommentar, Anm. 23 zu § 18 BEEG
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Die Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses erscheint aber dann nicht unbillig, wenn
der Arbeitgeber dem betroffenen Arbeitnehmer noch eine andere Stelle anbieten kann.
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Vgl. insoweit BVerwG, Urteil vom 18. August 1977 – V C 8.77 -, BverwGE 54, S. 276;
OVG NW, Urteil vom 8. August 1997 – 24 A 1763/94 -, in juris veröffentlicht.
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Das ist hier jedoch – wie sich aus den von der Klägerin geschalteten Stellenanzeigen
zwanglos ergibt – der Fall. Auf die Frage, ob auch solche Stellen zu berücksichtigen
sind, die die Holding und damit ein andere GmbH des Gesamtkonzerns anbietet, kommt
es daher im vorliegenden Verfahren nicht mehr an.
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Da kein besonderer Fall im Sinne des § 18 Abs. 1 Satz 2 BEEG vorliegt, war die
Möglichkeit einer Ermessensentscheidung für die Beklagte nicht eröffnet.
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Aber selbst wenn man davon ausgeht, dass hier allein schon die Stilllegung einer
Niederlassung einen besonderen Fall in diesem Sinne darstellt, erscheinen die dazu
angestellten Ermessenserwägungen der Beklagten rechtmäßig. Die der Behörde
eingeräumte Ermessensentscheidung kann vom Gericht nur im Rahmen des § 114
VwGO überprüft werden, d.h. daraufhin, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens
überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht
entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde. Diese Grenzen des Ermessens sind
hier eingehalten. Wie bereits dargelegt, ist der Sinn des § 18 BEEG darin zu sehen, den
Eltern eine Betreuung des Kindes in der ersten Lebensphase ohne Sorge um den
Arbeitsplatz zu ermöglichen. Unter diesen Umständen hat die Beklagte hier die
Interessen der Beigeladenen am Erhalt ihres Arbeitsplatzes höher bewertet als das
Interesse der Klägerin an der Auflösung des Arbeitsverhältnisses zum jetzigen
Zeitpunkt. Es ist der Klägerin im Hinblick darauf, dass ihr zur Zeit keine Kosten durch
das Arbeitsverhältnis anfallen, durchaus zuzumuten, daran festzuhalten, um dann gegen
Ende der Elternzeit zu prüfen, ob für die Beigeladene eine freie Arbeitsstelle im
Unternehmen vorhanden ist. Das Interesse an Rechtssicherheit und Klarheit, wie es die
Klägerin in der Klageschrift angesprochen hat, überwiegt hier nicht das Interesse der
Beigeladenen an dem Erhalt ihres Arbeitsplatzes. Die Klägerin befindet sich insoweit in
keiner anderen Position als ein anderer Arbeitnehmer, der einem Arbeitnehmer, der
Elternzeit genommen hat, über mehrere Jahre einen Arbeitsplatz freihalten muss. Diese
Unsicherheit hat der Gesetzgeber in Kauf genommen. Dies ist auch nicht unzumutbar,
denn es ist dem Arbeitgeber unbenommen, rechtzeitig vor dem Ende der Elternzeit die
Zulässigerklärung der Kündigung zu beantragen, wenn feststeht, dass keine Möglichkeit
mehr besteht, den Arbeitnehmer bzw. die Arbeitnehmerin nach dem Ende der Elternzeit
zu beschäftigen. Solange dies aber noch nicht feststeht, ist es ermessensgerecht, die
Zulässigerklärung zu verweigern.
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Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Es
entspricht der Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen für
erstattungsfähig zu erklären, weil diese einen Antrag gestellt und sich damit selbst
einem Kostenrisiko ausgesetzt hat (§§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO). Die
Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO in Verbindung
mit §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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