Urteil des VG Düsseldorf vom 19.08.2010

VG Düsseldorf (grundstück, terrasse, grenze, höhe, tiefe, abstand, bestandteil, abweichung, grenzabstand, dach)

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 9 K 8349/08
Datum:
19.08.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
9. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 K 8349/08
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf
die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des
beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der
Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
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Die Klägerin war bis zum Jahr 2006 Eigentümerin des Grundstücks E 189 b
(Gemarkung G1, Flurstück 646) in N. Dieses Grundstück grenzt im Nordosten an das
Grundstück E 189 c (Flurstück 645) und im Südwesten an das Grundstück E 189 a
(Flurstück 647), das seinerseits im Südwesten an das Grundstück E 189 (Flurstück 648)
grenzt. Die Grundstücke E 189 – 189 c, die im Südosten an die Straße "E" grenzen, sind
aufgrund einer Baugenehmigung der Beklagten vom 12. Januar 1968 mit einer ca. 26 m
breiten, zweigeschossigen Hausgruppe mit Satteldach bebaut. Die einzelnen Häuser
haben eine Breite von jeweils 6,56 m. Die nordöstliche Giebelwand des Hauses E 189 b
und die südwestliche Giebelwand des Hauses E 189 c sind deckungsgleich aneinander
gebaut; die südwestliche Giebelwand des Hauses E 189 b und die nordöstliche
Giebelwand des Hauses E 189 a sind um ca. 1,50 m versetzt aneinander gebaut. Das
Grundstück E 189 c grenzt im Nordosten an das Grundstück E 191 (Flurstück 777), das
mit einem ca. 33 m breiten Wohnhaus bebaut ist, dessen südwestliche Giebelwand
unmittelbar an die nordöstliche Giebelwand des Hauses E 189 c angebaut ist. Die
Grundstücke E 189 191 liegen nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplans.
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Mit Bauantrag vom 7. Juni 2006, bei der Beklagten eingegangen am 19. Juni 2006, und
Ergänzung vom 14. August 2006 begehrte die Klägerin eine Baugenehmigung für den
Ausbau des Dachgeschosses, die Errichtung einer Gaube und die Erweiterung der
Terrasse im Erdgeschoss des Hauses E 189 b. In der Baubeschreibung wird ausgeführt,
dass diese Umbau- und Erweiterungsmaßnahmen bereits im Jahr 1989 ausgeführt
worden seien und nun im Zuge eines Verkaufs eine nachträgliche Genehmigung erlangt
werden solle. Ausweislich der Bauvorlagen befindet sich der Dachaufbau in der
nordwestlichen (rückwärtigen) Dachhälfte und hat eine Breite von 5,40 m sowie eine
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Tiefe von ca. 4,50 m. In der nordwestlichen Außenwand des Dachaufbaus befinden sich
4 Fenster. Der Abstand der nordöstlichen Seitenwand des Dachaufbaus zur Grenze
zwischen den Grundstücken E 189 b und 189 c beträgt 0,26 m. Der Abstand der
südwestlichen Seitenwand des Dachaufbaus zur Grenze zwischen den Grundstücken E
189 b und 189 a beträgt 0,89 m. Die Terrasse hat eine Höhe (OKF) von 99,95 m; die
Geländehöhe am Fuß der Terrasse beträgt 98,28 m. Die Terrasse ist auf der Grenze
zum Grundstück E 189 a errichtet; ihr Abstand zur Grenze zwischen den Grundstücken
E 189 b und 189 c beträgt 1,28 m.
Nachdem die Eigentümer des Grundstücks E 189 c ihre Zustimmung zur
Baumaßnahme der Klägerin verweigert hatten, versagte die Beklagte mit Bescheid vom
29. Januar 2007 die Erteilung der von der Klägerin beantragten Baugenehmigung. Zur
Begründung führte sie aus: Die von der Klägerin durchgeführten Baumaßnahmen
verstießen gegen die Abstandflächenbestimmungen des § 6 der Bauordnung für das
Land Nordrhein-Westfalen (BauO NRW). Danach seien vor Außenwänden von
Gebäuden Flächen von oberirdischen Gebäuden freizuhalten; die Tiefe der
Abstandfläche müsse mindestens 3 m betragen und auf dem Grundstück selbst liegen.
Die Abstandflächen der Dachgaube und der Terrasse lägen größtenteils auf den
Nachbargrundstücken. Bezüglich der Dachgaube liege südwestlich (zum Grundstück E
189 a) eine Unterschreitung der Abstandfläche von 2,70 m und nordöstlich (zum
Grundstück E 189 c) eine Unterschreitung der Abstandfläche von 3,33 m vor. Die
erweiterte Terrasse unterschreite den notwendigen Abstand von mindestens 3 m
südwestlich um 3 m sowie nordöstlich um 1,70 m. Die Erteilung einer Abweichung
gemäß § 73 BauO NRW sei nicht möglich, da die Eigentümer des Grundstücks E 189 c
Einwendungen erhoben hätten. Ferner liege hinsichtlich der Dachgaube ein Verstoß
gegen die Brandschutzanforderungen des § 35 Abs. 6 BauO NRW vor, da sie die
gesetzlich geforderte Entfernung von mindestens 1,25 m von
Gebäudeabschlusswänden gegenüber dem Grundstück E 189 c nicht einhalte.
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Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin mit Schriftsatz vom 28. Februar 2007
Widerspruch ein, den die Bezirksregierung E1 mit Widerspruchsbescheid vom
23. Oktober 2008, zugestellt am 3. November 2008, als unbegründet zurückwies.
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Die Klägerin hat am 3. Dezember 2008 Klage erhoben, zu deren Begründung sie
vorträgt: Bezüglich der Dachgaube liege keine Verletzung von
Abstandflächenvorschriften vor, da die seitlichen äußeren Begrenzungen der
Dachgaube im vorliegenden Fall keine eigenen Abstandflächen auslösten. Sei ein
Dachaufbau bloßer Bestandteil des Daches, auf dem er errichtet sei, so machten nach
der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen
seine äußeren Begrenzungen die Einhaltung eigener Abstandflächen nicht erforderlich.
Das sei hier der Fall. Der Dachaufbau mit der Fensterfront springe hinter die
Außenmauer zurück; er sitze auch nicht auf dem Dach auf, sondern füge sich in die
Konturen des Daches ein, das ohne weiteres als solches erkennbar bleibe. Die
Dachgaube stelle sich bei wertender Betrachtung als Bestandteil des Daches dar und
trete nicht als dominanter selbständiger Bauteil in Erscheinung. Hierbei sei auch zu
berücksichtigen, dass lediglich auf der zum Garten hin gerichteten Dachhälfte eine
Dachgaube errichtet worden sei, die nur einen Teil der Dachfläche überdecke. Auch auf
der Grundlage des § 35 Abs. 6 BauO NRW ergebe sich kein Verstoß gegen die
Vorgabe zur Einhaltung von Abständen zu Gebäudeabschlusswänden. Soweit
brandschutztechnische Anforderungen auf anderem Wege erfüllt würden, sei die
entsprechende Anforderung nicht einzuhalten. Vorliegend sei die Dachgaube gegen
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Brandübertragung und insbesondere gegen ein Übergreifen eines Brandes auf das
unmittelbar angrenzende Gebäude geschützt. Hinsichtlich der Terrasse sei darauf
hinzuweisen, dass die bauliche Anlage schon seit längerer Zeit bestehe, ohne dass es
zu irgendwelchen Beschwerden von Nachbarn gekommen sei; von der Terrasse gehe
keine spürbare Beeinträchtigung der Nachbarn aus.
Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung ihres Versagungsbescheides vom 29. Januar
2007 und des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung E1 vom 23.
Oktober 2008 zu verpflichten, ihr (der Klägerin) die Baugenehmigung zum
Ausbau des Dachgeschosses und zur Erweiterung der Terrasse im
Erdgeschoss des Hauses E 189 b gemäß Antrag vom 19. Juni 2006 und
14. August 2006 zu erteilen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen,
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und trägt zur Begründung vor: Im vorliegenden Fall diene der Dachaufbau eindeutig der
Wohnraumerweiterung über fast die gesamte Gebäudebreite, so dass von dem
Dachaufbau als einem untergeordneten Teil des Daches nicht die Rede sein könne.
Nach aktueller Rechtsprechung des OVG NRW unterlägen Dachaufbauten, deren
Gesamtbreite mehr als die Hälfte der darunterliegenden Gebäudewand betrage, nicht
den Privilegierungsvorschriften des § 6 BauO NRW. Da sich die Klägerin darüber
hinaus entschlossen habe, die Dachgaube mit seitlichem Grenzabstand zu errichten, sei
eine bauordnungsrechtlichen Erfordernissen genügende Abstandfläche einzuhalten.
Sowohl hinsichtlich des Dachgeschosses als auch hinsichtlich der Terrasse, die mehr
als 1 m über der Geländehöhe liege, seien die erforderlichen
Mindestgrenzabstandflächen nicht eingehalten. Eine Abweichung gemäß § 73 Abs. 1
Satz 2 BauO NRW könne hier nicht erteilt werden, weil die dafür erforderliche
grundstücksbezogene Atypik nicht gegeben sei.
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Der Einzelrichter hat die örtlichen Verhältnisse am 22. Dezember 2009 in Augenschein
genommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Niederschrift
über den Ortstermin sowie wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und
Streitstandes ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen
Verwaltungsvorgänge der Beklagten und der Bezirksregierung E1 Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage hat keinen Erfolg; sie ist als Verpflichtungsklage zulässig, aber nicht
begründet.
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Der ablehnende Bescheid der Beklagten vom 29. Januar 2007 ist rechtmäßig und
verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO); die Klägerin hat
keinen Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung.
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Gemäß § 75 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW ist die Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem
Vorhaben öffentlich-rechtliche Vorschriften nicht entgegenstehen. Diese Voraussetzung
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ist hier nicht erfüllt. Denn dem – bereits ausgeführten – Bauvorhaben der Klägerin
(Ausbau des Dachgeschosses, Errichtung einer Gaube und Erweiterung der Terrasse
im Erdgeschoss des Hauses E 189 b) stehen bauordnungsrechtliche Vorschriften
entgegen.
Die Errichtung eines Dachaufbaus ("Gaube") auf der nordwestlichen Dachhälfte
verstößt gegen die Vorschriften des § 6 BauO NRW betreffend Abstandflächen. Nach §
6 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW sind vor den Außenwänden von Gebäuden Abstandflächen
von oberirdischen Gebäuden freizuhalten, wobei unter "Außenwänden" die äußeren
Begrenzungen eines Gebäudes zu verstehen sind, die weder Dach noch Fußboden
darstellen.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 13. Januar 2004 – 10 B 1811/03 –,
Baurechtssammlung (BRS), Band 67 Nr. 127; zum Begriff der Außenwand auch OVG
NRW, Beschluss vom 17. November 2009 7 B 1350/09 –, BauR 2010, S. 749.
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Nach dieser Vorschrift ist vor der nordöstlichen und der südwestlichen Seitenwand des
Dachaufbaus jeweils eine Abstandfläche von den Gebäuden E 189 c bzw. 189 a
freizuhalten, weil die seitlichen Begrenzungen des Dachaufbaus nicht Bestandteil des
Daches, sondern Außenwände sind.
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Ob die vorderen beziehungsweise seitlichen äußeren Begrenzungen eines auf einer
geneigten Dachfläche errichteten Dachaufbaus die Einhaltung eigener Abstandflächen
erforderlich machen oder jedenfalls bei der Berechnung der vor den Außenwänden des
Gebäudes einzuhaltenden Abstandflächen berücksichtigt werden müssen, hängt davon
ab, wie sie im Einzelfall bei wertender Betrachtung rechtlich zu qualifizieren sind. Ist der
fragliche Dachaufbau bloßer Bestandteil des Daches, auf dem er errichtet ist, machen
seine äußeren Begrenzungen – einschließlich etwaiger Fensterfronten – die Einhaltung
eigener Abstandflächen nicht erforderlich. Allenfalls kann in einem solchen Fall der
Dachaufbau allein oder zusammen mit weiteren Dachaufbauten – dazu führen, dass die
Höhe des Daches bei der Bemessung der Tiefe der Abstandfläche zu berücksichtigen
ist, die vor der darunter liegenden Außenwand von Bebauung freigehalten werden
muss. Das ergibt sich aus § 6 Abs. 4 Satz 6 Nr. 2 BauO NRW. Die vorstehenden
Überlegungen gelten allerdings nur für Dachgaupen – die von der Rechtsprechung als
Dachaufbauten für stehende Fenster definiert werden, welche gegenüber der darunter
liegenden Außenwand zurückspringen und mit allen ihren Teilen auf der Dachfläche
errichtet sind – und (sonstige vergleichbare) Dachaufbauten, die sich unter die Vorschrift
des § 6 Abs. 4 Satz 6 Nr. 2 BauO NRW subsumieren lassen.
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Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 13. Januar 2004 – 10 B 1811/03 –, a.a.O., und vom
14. Mai 2007 – 7 A 2327/06 –, juris, Rn. 4.
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Ob ein Bauteil im Einzelfall ein Dachaufbau im Sinne des § 6 Abs. 4 Satz 6 Nr. 2 BauO
NRW ist, hängt davon ab, ob er bei wertender Betrachtung (noch) als Bestandteil des
Daches anzusehen ist oder ob er als weitgehend selbständiger Bauteil in Erscheinung
tritt. Als mögliche Kriterien für die vorzunehmende Wertung kommen beispielsweise in
Betracht: die Unterordnung des Dachaufbaus nach Ausmaß und Gestaltung im
Verhältnis zum Dach, die Funktion des Dachaufbaus und der Umfang der zusätzlichen
Auswirkungen, die der Dachaufbau auf die durch die Abstandflächenvorschriften
geschützten Belange haben kann.
22
Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 13. Januar 2004 – 10 B 1811/03 –, a.a.O., und vom
14. Mai 2007 – 7 A 2327/06 –, juris, Rn. 6.
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Ein derart eingeschränktes Verständnis des § 6 Abs. 4 Satz 6 Nr. 2 BauO NRW ergibt
sich aus dem Regelungszusammenhang der Abstandflächenvorschriften und ist
geboten, um Missbrauch zu verhindern. Ansonsten wäre auch ein Dachaufbau, der der
Definition der Dachgaupe lediglich formal entspricht, weil er geringfügig gegenüber der
darunter liegenden Außenwand zurücktritt und mit seiner oberen äußeren Begrenzung
unterhalb der Höhe des Firstes bleibt, abstandflächenrechtlich bevorzugt zulässig,
obwohl er in Wirklichkeit von seinen Ausmaßen, seiner Funktion und seinen Wirkungen
einem Staffelgeschoss gleicht, dessen äußere Begrenzungen bei der Berechnung des
Maßes H höhenmäßig voll in Ansatz gebracht werden müssten.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 13. Januar 2004 – 10 B 1811/03 –, a.a.O..
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Erweist sich danach ein Dachaufbau als ein vom Dach losgelöster selbständiger
Bauteil, sind seine äußeren Begrenzungen – einschließlich etwaiger Fensterfronten –
regelmäßig als Außenwände oder als Teil von Außenwänden des Gebäudes
anzusehen, die eigene Abstandflächen nach § 6 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW auslösen.
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Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 13. Januar 2004 – 10 B 1811/03 –, a.a.O., und vom
29. April 2010 – 7 B 201/10 –, juris, Rn. 9.
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Ausgehend von diesen Grundsätzen handelt es sich bei dem Dachaufbau auf dem
Haus E 189 b zwar bei formaler Betrachtung um eine Dachgaupe, weil es ein Aufbau für
stehende Fenster ist, der gegenüber der darunter liegenden Außenwand allerdings nur
geringfügig – zurückspringt und mit allen seinen Teilen auf der Dachfläche errichtet ist.
Seine äußeren Begrenzungen lösen jedoch eigene Abstandflächen aus, weil er bei
wertender Betrachtung nicht als Bestandteil des Daches anzusehen ist, sondern als
weitgehend selbständiger Bauteil in Erscheinung tritt. Für diese Qualifizierung sprechen
vor allem die Ausmaße des Dachaufbaus, dessen Breite (5,40 m) 82 % der Hausbreite
und dessen Grundfläche etwa 75 % der Grundfläche der nordwestlichen Dachhälfte
beträgt. Auch die äußere Gestaltung des Dachaufbaus mit einer 2,13 m hohen
Fensterfront, sein erhebliches Bauvolumen und seine Funktion als
Wohnraumerweiterung lassen ihn als selbständigen Bauteil erscheinen. Schließlich
handelt es sich nach dem Eindruck, den der Einzelrichter im Ortstermin gewonnen hat,
bei dem Dachaufbau, der fast die gesamte Breite des Hauses einnimmt, um einen
dominanten und wuchtigen Bauteil, der die Wirkung eines selbständigen
Staffelgeschosses vermittelt und sich dem Dach, das kaum noch als solches zu
erkennen ist, keineswegs unterordnet.
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§ 6 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe b) BauO NRW greift nicht zugunsten der Klägerin ein. Nach
dieser Vorschrift ist innerhalb der überbaubaren Grundstücksfläche eine Abstandfläche
nicht erforderlich gegenüber Grundstücksgrenzen, gegenüber denen nach
planungsrechtlichen Vorschriften ohne Grenzabstand gebaut werden darf, wenn
gesichert ist, dass auf dem Nachbargrundstück ohne Grenzabstand gebaut wird. Zwar
befindet sich der Dachaufbau innerhalb der überbaubaren Grundstücksfläche und darf
auf dem Grundstück E 189 b gegenüber den seitlichen Grundstücksgrenzen (zu den
Grundstücken E 189 a und 189 c) nach planungsrechtlichen Vorschriften ohne
Grenzabstand gebaut werden, weil das Grundstück im unbeplanten Innenbereich mit
teils geschlossener Bebauung (E 189 – 191) liegt. Eine Abstandfläche ist aber nur dann
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nicht erforderlich, wenn der Baukörper grenzständig errichtet wird, was auf den
Dachaufbau nicht zutrifft.
§ 6 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe b) BauO NRW lässt es nur dann zu, auf die Einhaltung der
landesrechtlich an sich erforderlichen Abstandfläche zu verzichten, wenn sich der
Bauherr in Ausnutzung der bauplanungsrechtlichen Möglichkeiten dafür entscheidet,
ohne Grenzabstand zu bauen. Macht der Bauherr in den Fällen des § 6 Abs. 1 Satz 2
Buchstabe b) BauO NRW bauplanungsrechtlich zulässigerweise nur teilweise – sei es
bezüglich der Tiefe der Bebauung, sei es bezüglich ihrer Höhe – von der Option einer
grenzständigen Bebauung Gebrauch, müssen die nicht grenzständig errichteten Teile
der Außenwand ihrerseits die landesrechtlichen Abstanderfordernisse einhalten.
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Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 17. Juli 2008 – 7 B 195/08 –, BRS 73 Nr. 119, und
vom 17. November 2009 – 7 B 1350/09 –, a.a.O..
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Da die seitlichen Außenwände des Dachaufbaus nicht unmittelbar an den seitlichen
Grundstücksgrenzen, sondern gegenüber der Grenze zum Grundstück E 189 c mit
einem Abstand von 0,26 m und gegenüber der Grenze zum Grundstück E 189 a mit
einem Abstand von 0,89 m errichtet worden sind, sind sie nicht nach § 6 Abs. 1 Satz 2
Buchstabe b) BauO NRW von der Einhaltung der landesrechtlichen
Abstanderfordernisse freigestellt.
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Die Tiefe der somit vor den Seitenwänden des Dachaufbaus freizuhaltenden
Abstandflächen beträgt nach § 6 Abs. 6 Satz 1 BauO NRW mindestens 3 m, so dass die
Abstandflächen nicht auf dem Baugrundstück, sondern teilweise auf den Grundstücken
E 189 a und 189 c liegen. Der Dachaufbau verstößt daher gegen § 6 Abs. 2 Satz 1
BauO NRW, der bestimmt, dass die Abstandflächen auf dem Grundstück selbst liegen
müssen.
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Dieser Verstoß kann auch nicht durch die Erteilung einer Abweichung nach § 73 Abs. 1
Satz 1 und 2 BauO NRW ausgeräumt werden. § 73 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW lässt eine
solche Abweichung regelmäßig nur bei einer grundstücksbezogenen Atypik zu, für die
hier nichts ersichtlich ist. Insbesondere gibt eine Vergleichsbetrachtung, wonach die
Nachbarn durch eine zulässige vollständige Grenzbebauung im Dachgeschoss eine
größere Beeinträchtigung hinnehmen müssten, nichts für eine grundstücksbezogene
Atypik her.
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Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 17. Juli 2008 – 7 B 195/08 –, und vom 17. November
2009 – 7 B 1350/09 –, jeweils a.a.O..
35
Darüber hinaus verstößt der hier in Rede stehende Dachaufbau gegen die Vorschrift
des § 35 Abs. 6 Satz 2 BauO NRW, wie die Beklagte im Versagungsbescheid zutreffend
dargelegt hat. Das Vorbringen der Klägerin, die Dachgaube sei gegen
Brandübertragung und insbesondere gegen ein Übergreifen eines Brandes auf das
unmittelbar angrenzende Gebäude geschützt, ist unsubstantiiert.
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Der Erweiterung der Terrasse im Erdgeschoss des Hauses E 189 b stehen ebenfalls die
Vorschriften des § 6 BauO NRW entgegen. Nach § 6 Abs. 10 Satz 1 Nr. 2 BauO NRW
gelten gegenüber Gebäuden und Grundstücksgrenzen die Absätze 1 bis 7
entsprechend für Anlagen, die nicht Gebäude sind, soweit sie höher als 1 m über der
Geländeoberfläche sind und dazu geeignet sind, von Menschen betreten zu werden.
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Das trifft auf die Terrasse zu, die ausweislich der Bauvorlagen eine Höhe von 1,67 m
über der Geländeoberfläche aufweist. Vor den seitlichen Stützwänden der Terrasse sind
nach § 6 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 6 BauO NRW Abstandflächen mit einer Tiefe von
mindestens 3 m freizuhalten. Ob das mit Blick auf die insoweit grenzständige Errichtung
der Terrasse auch gegenüber der Grenze zum Grundstück E 189 a gilt, kann offen
bleiben, weil jedenfalls gegenüber der Grenze zum Grundstück E 189 c eine
Abstandfläche freizuhalten ist, die entgegen § 6 Abs. 2 Satz 1 BauO NRW nicht
vollständig auf dem Baugrundstück liegt. Eine Abweichung nach § 73 Abs. 1 BauO
NRW kommt mangels grundstücksbezogener Atypik und wegen der von den
Eigentümern des Grundstücks E 189 c erhobenen Einwendungen nicht in Betracht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO
i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung.
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