Urteil des VG Düsseldorf vom 04.12.2002

VG Düsseldorf: wissenschaft und forschung, beamtenverhältnis, ausnahme, probe, hochschulreife, altersgrenze, angestelltenverhältnis, informatik, zivildienst, gymnasium

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 2 K 3439/00
Datum:
04.12.2002
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
2. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 K 3439/00
Tenor:
Das beklagte Land wird unter Aufhebung des Bescheides der
Bezirksregierung E1 vom 14.03.2000 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 26.04.2000 verpflichtet, über den Antrag
des Klägers auf Einstellung in das Beamtenverhältnis auf Probe unter
Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten gegen eine Sicherheitsleistung in Höhe
des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
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Der am 00.00.1964 geborene Kläger verließ nach Erlangung der Fachoberschulreife im
Jahr 1980 das Gymnasium und absolvierte eine dreijährige Berufsausbildung zum
Landwirt. Im Anschluss besuchte er von 1983 bis 1985 die Höhere Landbauschule L
und erwarb dort den Abschluss eines staatlich geprüften Landwirtes. Danach war er von
1985 bis 1987 im elterlichen landwirtschaftlichen Betrieb tätig. Von 1987 bis 1988
besuchte er die Fachoberschule in der Landwirtschaftschule L und erwarb dort die
Fachhochschulreife. Vom 01.03.1989 bis 31.10.1990 leistete der Kläger seinen
Zivildienst. Im Anschluss hieran studierte er bis 1993 an der N Universität
Gesamthochschule E den Diplomstudiengang Mathematik mit dem Nebenfach
Informatik. Am 12.10.1993 erwarb der Kläger das Vordiplom und damit verbunden die
fachgebundene Hochschulreife für die Lehramtsstudiengänge Mathematik und
Informatik (Sek. I und II). Im Anschluss hieran begann der Kläger sein Lehramtsstudium
und bestand am 22.04.1997 die Erste und am 23.09.1999 die Zweite Staatsprüfung für
das Lehramt für die Sekundarstufe II und I in den Fächern Mathematik und Informatik.
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Am 17.01.2000 bewarb sich der Kläger um eine Einstellung in den öffentlichen
Schuldienst des beklagten Landes. Mit Schreiben vom 28.02.2000 teilte die
Bezirksregierung E1 (Bezirksregierung) dem Kläger mit, dass sie in Aussicht genommen
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habe, ihn zum nächstmöglichen Zeitpunkt am Städtischen Gymnasium in T einzustellen.
Gleichzeitig wurde mitgeteilt, dass die Einstellung bei Vorliegen der laufbahn- und
sonstigen dienstrechtlichen Voraussetzungen in ein Beamtenverhältnis auf Probe
erfolgen solle. Ansonsten sei ein unbefristetes Angestelltenverhältnis vorgesehen. Mit
Arbeitsvertrag vom 31.03.2000 wurde der Kläger von der Bezirksregierung zum
17.03.2000 in ein unbefristetes Angestelltenverhältnis eingestellt und der Kläger trat
seinen Dienst am Gymnasium in T an.
Bereits während seines Vorbereitungsdienstes hatte der Kläger der damals für ihn
zuständigen Bezirksregierung L1 unter dem 07.09.1999 ein Schreiben zugesandt, mit
welchem er für den Fall seiner Einstellung seine Übernahme in das Beamtenverhältnis
beantragt hatte. Dieser Antrag war zunächst unbeschieden geblieben. Am 08.03.2000
übermittelte der Kläger der Bezirksregierung E1 eine Kopie dieses Antrages. Diese
lehnte mit Bescheid vom 14.03.2000 eine Übernahme des Klägers in ein
Beamtenverhältnis auf Probe mit der Begründung ab, der Kläger überschreite die
einschlägige Höchstaltersgrenze von 35 Jahren. Zwar gelte gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1
LVO eine Ausnahme hiervon als erteilt, wenn der Bewerber an dem Tage, an dem er
den Antrag gestellt habe, die Höchstaltersgrenze nicht überschritten habe und die
Einstellung innerhalb eines Jahres erfolge. Auch habe der Kläger am 07.09.1999, also
vor Überschreitung der Höchstaltersgrenze seine Einstellung beantragt. Zu diesem
Zeitpunkt hätte der Kläger aber die Einstellungsvoraussetzungen nicht erfüllt. Den
Widerspruch gegen diese Entscheidung wies die Bezirksregierung mit
Widerspruchsbescheid vom 26.04.2000 zurück.
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Hiergegen richtet sich die fristgerecht erhobene Klage, mit der der Kläger über sein
bisheriges hinaus Vorbringen geltend macht: Es sei zu berücksichtigen, dass er ohne
seinen Zivildienst von 20 Monaten die Höchstaltersgrenze nicht überschritten hätte. Das
Ableisten des Zivildienstes dürfe sich nicht zu seinem Nachteil auswirken.
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Der Kläger beantragt schriftsätzlich,
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das beklagte Land wird verpflichtet, ihn unter Aufhebung des Bescheides der
Bezirksregierung E1 vom 14.03.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
26.04.2000 in das Beamtenverhältnis auf Probe zu übernehmen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er beruft sich auf die ergangenen Bescheide und trägt weiter vor: Die Ableistung des
Zivildienstes sei hier kein anzuerkennender Verzögerungstatbestand, weil dieser nicht
ursächlich für die verspätete Einstellung geworden sei. Ursächlich sei vielmehr zum
einen die zunächst auf ein anderes Ziel gerichtete Lebensplanung des Klägers vor dem
Zivildienst gewesen. Auch danach habe der Kläger zunächst nicht die Lehrerausbildung
angestrebt, sondern den Diplomstudiengang begonnen. Diese Verzögerungen im
schulischen und beruflichen Werdegang, die vom Kläger selbst zu vertreten seien,
rechtfertigten gerade nicht die Zulassung einer Ausnahmegenehmigung nach § 84 Abs.
1 Nr. LVO.
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Hierauf erwidert der Kläger u.a., dass er nach der Ableistung des Zivildienstes sofort das
Lehramtsstudium aufnehmen wollte, jedoch nicht die allgemeine Hochschulreife
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besessen habe. Deshalb hätte er zunächst das Vordiplom erlangen müssen, um das
Lehramtsstudium beginnen zu können.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis zu einer Entscheidung ohne mündliche
Verhandlung durch den Berichterstatter erklärt (§§ 101 Abs. 2, 87 a Abs. 2 und 3
VwGO).
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den
Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Der
Bescheid der Bezirksregierung E1 vom 14.03.2000 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 26.04.2000 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in
seinen Rechten, § 113 Abs. 5 S. 1 VwGO. Weil die Sache nicht spruchreif ist, hat aber
nur das in dem Klageantrag als Minus enthaltene Bescheidungsbegehren Erfolg, § 113
Abs. 5 S. 2 VwGO.
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Nach § 6 Abs. 1 S. 1 LVO darf als Laufbahnbewerber, zu denen gemäß den §§ 5 Abs. 1
a, 50 Abs. 1 LVO NRW auch der Kläger gehört, in das Beamtenverhältnis auf Probe
grundsätzlich nur eingestellt werden, wer das 35. Lebensjahr noch nicht vollendet hat.
Diese Altersgrenze hatte der am 00.00.1964 geborene Kläger zwar bereits mit Ablauf
des 22. Oktober 1999 erreicht, weswegen zum Zeitpunkt seiner unbefristeten
Einstellung am 17.03.2000 die Höchstaltersgrenze um rund fünf Monate überschritten
war.
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Dem Kläger ist aber gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 LVO eine
Ausnahme von der Höchstaltersgrenze erteilt. Nach dieser Vorschrift können auf Antrag
der obersten Dienstbehörde - heute: Ministerium für Schule und Weiterbildung,
Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen - das Innenministerium
und das Finanzministerium eine Ausnahme von dem Höchstalter gemäß § 6 LVO
zulassen. Der Verordnungsgeber hat die Erteilung einer derartigen Ausnahme an keine
besonderen Voraussetzungen gebunden, sondern es einer sachgerechten
Ermessensausübung überlassen, ob und in welchem Umfang Abweichungen von der
grundsätzlich gebotenen Einhaltung der Höchstaltersgrenze zugelassen werden. Die
zuständigen Ministerien haben sich zwischenzeitlich aber durch eine Reihe von
Erlassen gebunden. Vorliegend hat das Finanzministeriums (im Einvernehmen mit dem
Innenministerium) im Rundschreiben vom 18. August 1995 (Az. B 1112-6.1 - IV B 3;
zitiert im Rundschreiben des Ministeriums für Schule und Weiterbildung vom 18.
September 1995, Az. - Z B 1 - 22/03 - 1157/95) folgende Ausnahme erteilt:
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„Soweit Bewerberinnen oder Bewerber in das Beamtenverhältnis auf Probe berufen
werden sollen, die die für sie maßgeblichen Altersgrenzen des § 6 Abs. 1 Sätze 1 und 2
LVO (...) überschritten haben, erteile ich die für die Übernahme in das
Beamtenverhältnis auf Probe erforderliche Ausnahme gemäß § 84 Abs. 1 Nr. 1 LVO (...)
hiermit generell zu Gunsten der Bewerberinnen und Bewerber, deren Einstellung sich
infolge Ableistens des Wehrdienstes, Zivildienstes oder eines freiwilligen sozialen oder
ökologischen Jahres um nicht mehr als die tatsächliche Zeitdauer dieser Dienste
verzögert hat, sofern sie im Zeitpunkt der vorgesehenen Verbeamtung die für sie
maßgebliche laufbahnrechtliche Altersgrenze um nicht mehr als die tatsächliche
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Zeitdauer dieser Dienste überschritten haben. Haben sich die Bewerberinnen oder
Bewerber (...) vor dem Erreichen des danach individuell maßgeblichen Lebensalters um
die Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe beworben und erfolgt die
Verbeamtung innerhalb eines Jahres seit dieser Antragstellung, gilt diese
Generalausnahme in entsprechender Anwendung des § 84 Abs. 1 Satz 2 LVO ebenfalls
als erteilt. Zur Notwendigkeit der Prüfung der Kausalität zwischen der Ableistung der
genannten Dienste und der verspäteten Einstellung verweise ich auf das Urteil des OVG
Münster vom 6. Juli 1994 - ZBR 1995 S. 202 ff."
Der Kläger erfüllt die Voraussetzungen des Satzes 1 dieses Rundschreibens, denn zum
Zeitpunkt seiner vorgesehenen Verbeamtung, dem Zeitpunkt seiner unbefristeten
Einstellung als Angestellter am 17.03.2000, hatte er die mit Ablauf des 22.10.1999
erreichte Höchstaltersgrenze um ca. fünf Monate und damit um weniger als die
tatsächliche Zeitdauer seines Zivildienstes (20 Monate) überschritten.
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Auch die in der Ausnahmeregelung geforderte Prüfung der Ursächlichkeit des
Zivildienstes für die verspätete Einstellung fällt hier zu Gunsten des Klägers aus. Das
Finanzministerium nimmt hier Bezug auf die obergerichtliche Rechtsprechung zur
Kausalitätsprüfung von Kinderbetreuungszeiten im Rahmen des § 6 LVO. Hieraus folgt,
dass die Ableistung des Zivildienstes die entscheidende (unmittelbare) Ursache für die
verzögerte Einstellung sein muss. Vermeidbare Verzögerungen zwischen diesem
Sachverhalt und der Einstellung, z.B. eine für die Einstellung nicht erforderliche
Ausbildung, unterbrechen den Kausalzusammenhang,
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vgl. Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 6. Juli 1994 -
6 A 1725/93 -, ZBR 1995, S. 202 f., sowie Beschluss vom 28. März 2002 - 6 A 5712/00 -,
amtlicher Abdruck S. 4
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Anderes gilt aber für Sachverhalte, die vor dem Verzögerungstatbestand liegen,. Diese
vermögen den Kausalzusammenhang schon denklogisch nicht zu unterbrechen,
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st. Rspr. der Kammer, vgl. nur Urteil vom 25.05.2001 - 2 K 965/97 - .
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Der Umstand, dass der Kläger in der Zeit vor der Ableistung des Zivildienstes keine auf
den Lehrerberuf gerichtete Lebensplanung gezeigt hat, gereicht ihm also nicht zum
Nachteil. Nach Ableistung des Zivildienstes hat der Kläger dann seine Einstellung ohne
vermeidbare Verzögerungen angestrebt. Der Umstand, dass er zunächst einen
Diplomstudiengang begonnen und mit dem Vordiplom abgeschlossen hat, gereicht ihm
nicht zum Nachteil. Der Kläger weist hier zutreffend daraufhin, dass er nicht die
allgemeine Hochschulreife besessen habe und deshalb zunächst das Vordiplom habe
erlangen müssen, um das Lehramtsstudium beginnen zu können. Damit war der
Diplomstudiengang für den Kläger auf dem Weg zur Erlangung der Laufbahnbefähigung
eine notwendige Station und damit keine vermeidbare Verzögerung.
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Das Gericht vermag auch nicht festzustellen, dass die hier in Rede stehende Kausalität
aus anderen Gründen ausgeschlossen ist. Insbesondere kann nicht festgestellt werden
und wird auch vom Beklagten nicht behauptet, dass der Kläger auch ohne die
Ableistung seines Zivildienstes nicht früher hätte eingestellt werden können, etwa weil
seine Fächerkombination in den vorangegangenen Jahren nicht einstellungsrelevant
gewesen wäre. Die hier in Frage kommenden Einstellungserlasse weisen vielmehr
bestimmte Fächerkombinationen nicht mehr auf.
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Die unterlassene Einstellung in das Beamtenverhältnis führt allerdings nicht zur
Spruchreife. Daher hat nur das im Verpflichtungsbegehren enthaltene
Bescheidungsbegehren Erfolg, § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO. Art. 33 Abs. 2 GG und die
zur Konkretisierung dieser Norm ergangenen beamtenrechtlichen Vorschriften (vgl. §§
5,7 LBG) gewähren nämlich keinen unmittelbaren Anspruch auf Übernahme in ein
Beamtenverhältnis. Die Entscheidung über die Einstellung eines Beamten liegt im
pflichtgemäßen Ermessen des Dienstherrn, der dabei den Grundsatz des gleichen
Zugangs zu jedem öffentlichen Amt nach Eignung, Befähigung und fachlicher Eignung
zu beachten hat. Der Kläger hat somit nur einen Anspruch auf eine erneute
Entscheidung seines Antrages, wobei der Beklagte aber zu beachten hat, dass dem
Kläger eine Ausnahme von der Höchstaltersgrenze erteilt ist. Im Übrigen ist aber das
Ermessen des Beklagten nicht zu Gunsten des Kläger reduziert. Er kann deshalb nur
eine Verpflichtung des Beklagten zu einer erneuten Entscheidung über seinen
Einstellungsanspruch beanspruchen, wobei sonstige Auswahlgesichtspunkte - mit
Ausnahme der Altersgrenze - erheblich werden könnten. Unter Berücksichtigung der
Tatsache, dass der Kläger bereits in einem Angestelltenverhältnis tätig ist, misst das
Gericht denkbaren Versagungsgründen aber kein besonderes Gewicht bei, so dass es
im Rahmen der Kostenentscheidung gerechtfertigt erscheint, von einem nahezu
vollständigen Obsiegen des Klägers auszugehen. Die Kostenentscheidung beruht
daher auf §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §
709 S. 1 und 2 ZPO.
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Das Gericht lässt die Berufung nicht gemäß § 124 a Abs. 1 Satz 1 VwGO zu, weil es die
Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 Nr. 3 und 4 VwGO für nicht gegeben erachtet.
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