Urteil des VG Düsseldorf vom 11.03.2005

VG Düsseldorf: unechte rückwirkung, zukunft, vertrauensschutz, besoldung, öffentlich, rechtsstaatsprinzip, versorgung, bekanntmachung, erlass, rechtssicherheit

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 26 K 2609/04
11.03.2005
Verwaltungsgericht Düsseldorf
26. Kammer
Beschluss
26 K 2609/04
Das Verfahren wird ausgesetzt, um eine Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts nach Art. 100 Abs. 1 GG einzuholen, ob Art. I
§ 6 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 10 des Gesetzes über die Gewährung einer
Sonderzahlung und über die Bezüge der Staatssekretäre und
entsprechender Versorgungsempfänger in den Jahren 2003 und 2004 für
das Land Nordrhein-Westfalen vom 20. November 2003 bezogen auf
Beamte ab Besoldungsgruppe A 7 und auf das Jahr 2003 mit
Bundesrecht unvereinbar und deshalb ungültig ist.
Gründe:
I.
Der Deutsche Bundestag hat am 10. September 2003 das Gesetz über die Anpassung von
Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern 2003/2004 sowie zur Änderung
dienstrechtlicher Vorschriften - Bundesbesoldungs- und - versorgungsanpassungsgesetz
2003/2004 - BBVAnpG 2003/2004 - (BGBl. I S. 1798) beschlossen. Dessen Art. 13 Nr. 7
ändert § 67 des Bundesbesoldungsgesetzes (BBesG) in der Fassung der
Bekanntmachung vom 6. August 2002 (BGBl. I S. 3020) dahingehend, dass der Bund und
die Länder durch Gesetz jährliche Sonderzahlungen gewähren dürfen. Darüber hinaus
hebt Artikel 18 Abs. 1 Nr. 1 BBVAnpG 2003/2004 das Gesetz über die Gewährung einer
jährlichen Sonderzuwendung - Sonderzuwendungsgesetz (SZuwG) - in der Fassung der
Bekanntmachung vom 15. Dezember 1998 (BGBl. I S. 3642), zuletzt geändert durch Gesetz
vom 16. Februar 2002 (BGBl. I S. 686) auf. Artikel 18 Abs. 2 BBVAnpG 2003/2004 bestimmt
weiter, dass das bisher anzuwendende Sonderzuwendungsgesetz bis zum Inkrafttreten
bundes- oder landesgesetzlicher Regelungen zur Gewährung von jährlichen
Sonderzahlungen weiter anzuwenden ist.
Der Landtag des Landes Nordrhein-Westfalen hat am 20. November 2003 das auf der sog.
Öffnungsklausel in § 67 BBesG beruhende Gesetz über die Gewährung einer
Sonderzahlung und über die Bezüge der Staatssekretäre und entsprechender
Versorgungsempfänger in den Jahren 2003 und 2004 für das Land Nordrhein- Westfalen
beschlossen. Dessen Artikel I enthält das Gesetz über die Gewährung einer
Sonderzahlung an Beamte, Richter und Versorgungsempfänger für das Land Nordrhein-
Westfalen - Sonderzahlungsgesetz NRW - SZG NRW - (GVBl. NRW 2003 S. 696) -, das
nach Artikel VIII am 30. November 2003 in Kraft tritt.
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Artikel I § 6 [Grundbetrag für Beamte und Richter] Abs. 1 Satz 1 SZG NRW bestimmt: "Der
Grundbetrag wird in den Jahren 2003, 2004 und 2005 für die Beamtinnen und Beamten der
Besoldungsgruppen A 2 bis A 6 in Höhe von 84,29 vom Hundert, für die Beamtinnen und
Beamten der Besoldungsgruppen A 7 und A 8 sowie für die Empfängerinnen und
Empfänger von Anwärterbezügen in Höhe von 70 vom Hundert und im Übrigen in Höhe
von 50 vom Hundert aus den nach dem Besoldungsrecht für den Monat Dezember
maßgebenden Bezügen berechnet und gewährt ... "
Artikel I § 6 Abs. 3 Sätze 1 bis 3 SZG NRW bestimmen: "Hat die/der Berechtigte nicht
während des gesamten Kalenderjahres auf Grund einer Tätigkeit im Dienst eines öffentlich-
rechtlichen Dienstherrn (§ 29 Abs. 1 des Bundesbesoldungsgesetzes) Bezüge oder aus
einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis Versorgungsbezüge (§ 3 Abs. 2) erhalten, so
vermindert sich der Grundbetrag für die Zeiten, für die ihr/ihm keine Bezüge zugestanden
haben. Die Minderung beträgt für jeden vollen Monat ein Zwölftel. Dabei werden mehrere
Zeiträume zusammengezählt und in diesem Falle der Monat zu 30 Tagen gerechnet."
Artikel I § 9 SZG NRW [Stichtag] bestimmt: "Für die Gewährung und Bemessung der
Sonderzahlung sind die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse am 1. Dezember des
jeweiligen Kalenderjahres maßgebend, soweit in diesem Gesetz keine anderen
Regelungen getroffen sind."
Artikel I § 10 SZG NRW [Zahlungsweise] bestimmt: "Die Sonderzahlung ist mit den
laufenden Bezügen für den Monat Dezember zu gewähren."
Die drei letztgenannten Regelungen entsprechen den bundesrechtlichen Regelungen des
bis zum Inkrafttreten des Sonderzahlungsgesetzes Nordrhein- Westfalen geltenden
Sonderzuwendungsgesetzes (§§ 6 Abs. 2 S. 1 - 3, 10, 11 SZuwG).
In der Begründung zum Gesetzentwurf der Landesregierung vom 15. September 2003 (vgl.
Beiakte Heft 2 zu 26 K 2609/04) heißt es unter anderem:
"A. Problem
Die Lage der öffentlichen Haushalte im Lande ist insbesondere aufgrund der negativen
wirtschaftlichen Entwicklung und der hohen Steuerausfälle äußerst angespannt.
Entlastungen sind daher zwingend geboten. Hiervon können die Personalkosten als
größter Ausgabenblock und damit die Besoldung und Versorgung nicht ausgenommen
werden.
B. Lösung
Das Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetz 2003/2004 ermächtigt Bund
und Länder, anstelle der bisherigen Sonderzuwendung und des Urlaubsgeldes jeweils für
ihren Bereich durch Gesetz die Gewährung einer Sonderzahlung für die Besoldungs- und
Versorgungsempfänger vorzusehen. Dabei kann auch das bisherige Niveau von
Sonderzuwendungen und Urlaubsgeld abgesenkt werden. Mit dem Gesetz über die
Gewährung einer Sonderzahlung wird von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Die
bisherige Sonderzuwendung wird ab 2003 deutlich abgesenkt und das Urlaubsgeld ab
2004 gestrichen.
C. Alternativen
Keine.
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D. Kosten
Das Gesetz führt zu Minderausgaben, die für das Jahr 2003 381,7 Mio. Euro und für das
Jahr 2004 unter Berücksichtigung der Streichung des Urlaubsgeldes 431,7 Mio. Euro
betragen.
...
F. Auswirkungen auf die Selbstverwaltung und die Finanzlage der Gemeinden und
Gemeindeverbände
Einsparungen entsprechend dem jeweiligen Besoldungs- und Versorgungshaushalt in
Höhe von insgesamt ca. 80 Mio. Euro.
G. Finanzielle Auswirkungen auf die Unternehmen und die privaten Haushalte
Angesichts der Größenordnung allenfalls geringe Auswirkungen.
..."
Mit einem an die Beamten und Richter des Landes Nordrhein-Westfalen gerichteten
Schreiben vom 17. Juli 2003 hatte der Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen
persönlich unter anderem darauf hingewiesen, dass aufgrund der finanziellen Situation des
Landes die Regierungskoalition Entscheidungen festgelegt hätte, die "vor allem die
Beamtinnen und Beamten belasten" würden. Dort heißt es u.a.:
"Wir haben uns statt dessen entschlossen, das Weihnachtsgeld mit einer sozialen
Komponente abzusenken. Es wird ab 2003 für die aktiven Beamten und die
Versorgungsempfänger auf 50 Prozent, im einfachen und mittleren Dienst jedoch nur auf 60
Prozent gekürzt. Ab 2004 muss außerdem das Urlaubsgeld gestrichen werden. Diese
Entscheidungen treffen nur die Beamtinnen und Beamten unter Ihnen (und die
außertariflich Beschäftigten). Die Tarifbeschäftigten können wegen der unterschiedlichen
Rechtslage nicht einbezogen werden. Allerdings sind die Zuwendungs- und
Urlaubsgeldtarifverträge durch die Tarifgemeinschaft deutscher Länder bereits gekündigt
worden.
Mir ist durchaus bewusst, dass Sie bereits in den zurückliegenden Jahren Einbußen
hinnehmen mussten. Ich weiß auch, dass es Versäumnisse in den vergangenen
Jahrzehnten gab, z.B. keine Rücklagen für zu leistende Pensionen zu bilden. Das mögen
Sie beklagen. Ich widerspreche dem nicht. Nur: Das führt nicht zu Mehreinnahmen und
nicht zu einer besseren Haushaltslage. Daher müssen wir jetzt handeln."
II.
Der Kläger ist Staatsanwalt des beklagten Landes und bezieht Bezüge nach der
Besoldungsgruppe R 1. Unter dem 23. Dezember 2003 wandte er sich gegen die
(gekürzte) Sonderzahlung für das Jahr 2003 und beantragte beim Landesamt für
Besoldung und Versorgung des Landes Nordrhein-Westfalen (LBV) die Auszahlung des
Weihnachtsgeldes entsprechend der Rechtslage, wie sie im November/ Dezember 2002
bestand. Zur Begründung wies er im Wesentlichen darauf hin, dass die der Kürzung des
Weihnachtsgeldes zugrundeliegenden Gesetze verfassungswidrig seien. Sie würden
zunächst gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 GG verstoßen, weil Beamte
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gegenüber Angestellten schlechter gestellt würden. Auch liege eine Ungleichbehandlung
mit Beamten anderer Bundesländer und des Bundes vor. Die erfolgte Kürzung sei
geradezu willkürlich erfolgt. Ferner verstoße die Neuregelung mit ihrem Inkrafttreten zum
30. November 2003 gegen das Rechtsstaatsprinzip/Rückwirkungsverbot des Art. 20 GG.
Denn der Weihnachtsgeldanspruch entstehe nicht schlagartig mit der Zahlung der
Dezembergehälter, sondern verdichte sich im Verlauf des Jahres immer mehr zu einer
gesicherten Rechtsposition bis hin zu einem Anspruch am Ende des Monats November.
Das LBV wertete dieses Schreiben als Widerspruch und wies diesen mit
Widerspruchsbescheid vom 8. April 2004 zurück. Zur Begründung führte es im
Wesentlichen aus, dass auf Grund der zu beachtenden Rechtslage ein Anspruch des
Klägers auf Zahlung einer höheren Sonderzahlung nicht gegeben sei. Das neu erlassene
Sonderzahlungsgesetz sei auch ordnungsgemäß zustande gekommen und verstoße nicht
gegen höherrangiges Recht. Insbesondere sei die Höhe der Absenkung nicht
unverhältnismäßig.
Mit seiner am 16. April 2004 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Zur
Begründung verweist er auf die Ausführungen in seinem vorgenannten Schreiben vom 23.
Dezember 2003 und führt ergänzend im Wesentlichen aus: Streichungen bzw. Kürzungen
des Urlaubs- und des Weihnachtsgeldes seien nicht isoliert zu betrachten. Aus Art. 33 Abs.
5 GG ergebe sich, dass ein Beamter einen Anspruch darauf habe, in angemessener Weise
an der allgemeinen Einkommensentwicklung beteiligt zu werden. Angesichts der
bisherigen zahlreichen Kürzungen sei eine weitere Beschneidung des Einkommens
unzulässig. Der Hinweis des LBV auf die schlechte Haushaltslage könne das Land nicht
von seiner Fürsorgepflicht entlasten.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Widerspruchsbescheides des Landesamtes für
Besoldung und Versorgung NRW vom 8. April 2004 zu verpflichten, ihm für das Jahr 2003
einen Betrag in Höhe von 1.730,56 Euro als weitere Sonderzuwendung nebst 5 v.H. Zinsen
über dem Basiszinssatz nach § 1 Diskontsatzüberleitungsgesetz seit dem 16. April 2004 zu
gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, dass eine gesetzliche Grundlage für das
Begehren des Klägers nicht bestehe. Das Sonderzahlungsgesetz sei ordnungsgemäß zu
Stande gekommen und verstoße auch nicht gegen höherrangiges Recht. Insbesondere
habe sich der Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen mit seinem Schreiben
vom 17. Juli 2003 an alle Beamtinnen und Beamten des Landes gewandt und sie über die
geplanten Einsparungen auf Grund der bestehenden schwierigen Haushaltslage informiert.
Darüber hinaus genieße eine Sonderzahlung nicht den gleichen verfassungsrechtlichen
Schutz wie die Grundalimentation.
Der Präsident des Landtages Nordrhein-Westfalen hat dem Gericht die entsprechenden
Gesetzesmaterialien übersandt.
Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird ergänzend auf den
beigezogenen Verwaltungsvorgang des LBV verwiesen (Beiakte Heft 1)
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III.
Nach Artikel 100 Abs. 1 Grundgesetz (GG) hat ein Gericht das Verfahren auszusetzen und
eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen, wenn es ein
Landesgesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, wegen Verstoßes
gegen das Grundgesetz oder ein Bundesgesetz für unwirksam hält.
Die Entscheidung des erkennenden Gerichts hängt von der Gültigkeit von Artikel I Gesetz
über die Gewährung einer Sonderzahlung und über die Bezüge der Staatssekretäre und
entsprechender Versorgungsempfänger in den Jahren 2003 und 2004 für das Land
Nordrhein-Westfalen vom 20. November 2003 betreffend die Sonderzahlung für das Jahr
2003 ab. Verstößt Artikel I dieses Gesetzes, also das Sonderzahlungsgesetz-NRW,
insoweit gegen höherrangiges Recht und hält das Bundesverfassungsgericht insoweit das
Sonderzahlungsgesetz für mit dem Grundgesetz unvereinbar, so steht dem Kläger ein
Anspruch auf Gewährung einer jährlichen Sonderzuwendung nach dem dann für 2003
weitergeltenden Sonderzuwendungsgesetz in Höhe von 84,29 vom Hundert der für den
Monat Dezember 2003 maßgebenden Bezüge zu und nicht nur in dem vom LBV gewährten
Umfang von 50 vom Hundert. Denn wenn das Sonderzahlungsgesetz NRW insoweit nicht
mit der Verfassung vereinbar und damit nichtig wäre, hätte der Landesgesetzgeber für das
Jahr 2003 von der Öffnungsklausel des § 67 BBesG nicht Gebrauch gemacht und es würde
nach Artikel 18 Abs. 2 des BBVAnpG 2003/2004 das Gesetz über die Gewährung einer
jährlichen Sonderzuwendung in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. Dezember
1998 (BGBl. I S. 3642), zuletzt geändert durch Artikel 3 des Gesetzes vom 16. Februar
2002 (BGBl. I S. 686), weiter anzuwenden sein. Wenn demgegenüber das zur Beurteilung
stehende Gesetz über die Gewährung einer Sonderzahlung und über die Bezüge der
Staatssekretäre und entsprechender Versorgungsempfänger in den Jahren 2003 und 2004
für das Land Nordrhein-Westfalen vom 20. November 2003 betreffend die Sonderzahlung
für das Jahr 2003 mit der Verfassung vereinbar wäre, stünde dem Kläger der von ihm
geltend gemachte zusätzliche Anspruch auf Gewährung einer jährlichen
Sonderzuwendung vom Jahre 2003 an nicht (mehr) zu.
Das Gesetz über die Gewährung einer Sonderzahlung an Beamte, Richter und
Versorgungsempfänger für das Land Nordrhein-Westfalen (= Artikel 1 des Gesetzes über
die Gewährung einer Sonderzahlung und über die Bezüge der Staatssekretäre und
entsprechender Versorgungsempfänger in den Jahren 2003 und 2004 vom 20. November
2003) ist insoweit verfassungswidrig, als danach der Grundbetrag der Sonderzahlung
bereits für das Jahr 2003 für Beamtinnen und Beamte der Besoldungsgruppen A 7 und A 8
sowie für die Empfängerinnen und Empfänger von Anwärterbezügen in Höhe von 70 vom
Hundert und im Übrigen in Höhe von 50 vom Hundert aus den nach dem Besoldungsrecht
für den Monat Dezember (2003) maßgebenden Bezügen berechnet und gewährt worden
ist. Denn die im vorliegenden Fall erfolgte Verringerung der Sonderzuwendung auf 50 vom
Hundert stellt einen Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip dar, konkret einen Verstoß
gegen den zu beachtenden Vertrauensschutz eines Beamten bei Erlass eines Gesetzes
mit unechter Rückwirkung bzw. tatbestandlicher Rückanknüpfung.
Indem § 6 Abs. 1 Satz 1 SZG NRW den sogenannten Grundbetrag auf 70 und im Übrigen
auf 50 vom Hundert der für den Monat Dezember maßgebenden Bezüge festgesetzt und
damit gegenüber dem zuvor einheitlich gewährten Grundbetrag von 84,29 vom Hundert
reduziert hat und gemäß § 10 SZG NRW diese (reduzierte) Sonderzahlung bereits für das
Jahr 2003 mit den laufenden Bezügen für den Monat Dezember 2003 zu gewähren war, hat
der Landtag des Landes Nordrhein-Westfalen mit seinem Gesetz vom 20. November 2003
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nachträglich in einen noch nicht abgeschlossenen Lebenssachverhalt eingegriffen und
eine bereits weitgehend entwickelte Rechtsposition des Klägers nachträglich entwertet.
Denn er hat den zu beachtenden Vertrauensschutz des Klägers verletzt. Weil der
Gesetzgeber durch das Gesetz vom 20. November 2003 bereits für das Jahr 2003 einen
neuen reduzierten Grundbetrag für Beamte und Richter festgesetzt hat (vgl. § 6 Abs. 1 Satz
1, § 10 SZG NRW), hat er nachträglich in den Zeitraum Januar bis (jedenfalls) November
2003 eingegriffen. Zwar war nach dem Sonderzuwendungsgesetz in der Fassung der
Bekanntmachung vom 15. Dezember 1998 eine der Anspruchsvoraussetzungen, dass die
Berechtigten am 1. Dezember eines jeweiligen Jahres in einem der in § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3
bezeichneten Rechtsverhältnisse gestanden haben müssen (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 1 SZuwG).
Für die Höhe des Grundbetrages war aber maßgebend, in welchem Umfang der
Berechtigte in dem betreffenden Kalenderjahr eine Tätigkeit im Dienst eines öffentlich-
rechtlichen Dienstherrn ausgeübt hat. Ein Berechtigter konnte nämlich gemäß § 6 Abs. 2
Satz 1 SZuwG den vollen Grundbetrag (und damit 84,29 vom Hundert der maßgeblichen
Dezemberbezüge) - nur - dann erhalten, wenn er vom 1. Januar bis zum 31. Dezember hier
des Jahres 2003, mithin also volle 12 Monate, in einem öffentlich- rechtlichen
Beschäftigungsverhältnis gestanden hat. Erhielt der Berechtigte nicht während des
gesamten Kalenderjahres Bezüge, so verminderte sich der Grundbetrag für jeden vollen
Monat um 1/12. Dies zeigt hinreichend deutlich, dass die Sonderzahlung an eine erbrachte
Dienstleistung anknüpft. Zeiten, in denen der Berechtigte nicht für die Arbeits-/
Dienstleistung zur Verfügung stand, konnten nicht berücksichtigt werden. Im Regelfall des
Lebenszeitbeamten entstand der Anspruch auf eine Sonderzahlung mithin bereits im
Januar eines Jahres und entwickelte sich über die Monate hinweg vom Umfang her weiter,
und dies auf der Grundlage derjenigen Rechtslage, die in den jeweiligen Monaten galt und
auf deren Fortbestand der Berechtigte grundsätzlich vertrauen durfte. Auch wenn § 10
SZuwG als "Stichtag" für die Gewährung und Bemessung der Zuwendung auf die
rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse am 1. Dezember des jeweiligen Kalenderjahres
maßgebend abgestellt hat (ebenso § 9 SZG-NRW), kann hieraus nicht der Schluss
gezogen werden, dass allein auf die aktuelle Gesetzeslage zu diesem Zeitpunkt (und damit
bereits auf das neu erlassene Sonderzahlungsgesetz) abzustellen ist. Vor diesem
Hintergrund durfte ein betroffener Beamter somit (jedenfalls) bis zur Verkündung des hier
streitigen Sonderzahlungsgesetzes NRW darauf vertrauen, dass ihm mit den Bezügen für
den Monat Dezember 2003 das sogenannte "Weihnachtsgeld" in Höhe von 84,29 vom
Hundert gewährt würde, soweit er während des gesamten Jahres 2003 in einem öffentlich-
rechtlichen Beschäftigungsverhältnis gestanden hat.
Das Schreiben des Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen vom 17. Juli
2003 vermag das entstandene und zu beachtende schutzwürdige Vertrauen des Klägers
nicht zu beseitigen (vgl. hierzu S. 14 dieses Vorlagebeschlusses).
Der Grundsatz des Vertrauensschutzes eines Betroffenen gegenüber dem Gesetzgeber ist
vom Bundesverfassungsgericht ausführlich herausgearbeitet und begründet worden,
vgl. an dieser Stelle als Übersicht nur: Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik
Deutschland, Kommentar, 6. Auflage, 2002, Artikel 20 Randnrn. 68 bis 73; Pieroth, Die
neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Grundsatz des
Vertrauensschutzes, JZ 1990, 279 ff.,
und gilt auch für Beamte.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kommt es wegen der
unterschiedlichen Rechtsfolgen maßgeblich auf die Unterscheidung zwischen echter und
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unechter Rückwirkung an. Diese Terminologie, die weiterhin vom 1. Senat des
Bundesverfassungsgerichts vertreten wird, lautet im Wesentlichen: Eine echte (retroaktive)
Rückwirkung von Gesetzen liegt dann vor, wenn ein Gesetz nachträglich in bereits
abgewickelte und der Vergangenheit angehörende Tatbestände ändernd eingreift.
Demgegenüber wird als unechte (retrospektive) Rückwirkung der Fall bezeichnet, in dem
ein Gesetz auf gegenwärtige und noch nicht vollständig abgeschlossene Sachverhalte und
Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt. In der Vergangenheit hat demgegenüber der 2.
Senat des Bundesverfassungsgerichts teilweise eine neue Begriffsbestimmung aufgestellt,
ohne damit allerdings im Ergebnis von der grundsätzlichen vorgenannten Unterscheidung
abzuweichen. Hiernach entfaltet ein Gesetz dann Rückwirkung, wenn der Beginn seines
zeitlichen Anwendungsbereichs normativ auf einen Zeitpunkt festgelegt ist, der vor dem
Zeitpunkt liegt, zu dem die Norm rechtlich existent, d. h. gültig geworden ist. Alle anderen
Fälle mit Vergangenheitsberührung hat der 2. Senat als tatbestandliche Rückanknüpfung
bezeichnet und anderen verfassungsrechtlichen Maßstäben als die (echte) Rückwirkung
unterworfen.
Vgl. hierzu die Darstellung bei Pieroth, a.a.O., JZ 1990, 279, 280.
Mithin ist eine echte Rückwirkung bzw. eine Rückwirkung von einer unechten Rückwirkung
bzw. einer tatbestandlichen Rückanknüpfung zu unterscheiden.
Vgl. nur Jarass/Pieroth, a.a.O., Artikel 20, Randnrn. 68 und 69.
Dabei ist eine (echte) Rückwirkung grundsätzlich durch das Rechtsstaatsprinzip verboten
bzw. bedarf einer besonderen Rechtfertigung im Einzelfall; eine unechte Rückwirkung bzw.
eine tatbestandliche Rückanknüpfung ist verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässig.
Vgl. nur Jarass/Pieroth, a.a.O., Artikel 20, Randnrn. 70 ff., 73.
Im vorliegenden Fall wurde mit der geänderten Regelung der Sonderzahlung für das Jahr
2003 durch das Gesetz vom 20. November 2003 nicht in einen bereits in der Vergangenheit
vollständig abgeschlossenen Sachverhalt eingegriffen, weil der Anspruch des Berechtigten
erst mit dem 1. Dezember (vollständig) entstand, so dass hier kein Fall einer (verbotenen)
echten (retroaktiven) Rückwirkung vorliegt.
Vgl. zur unechten (retrospektiven) Rückwirkung: BVerfG, Beschluss vom 31. Mai 1960 - 2
BvL 4/59 -, BVerfGE 11, 139, 146: wenn ein Gesetz nachträglich auf gegenwärtige, noch
nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt;
Beschluss vom 11. Oktober 1962 - 1 BvL 22/57 -, BVerfGE 14, 288, 297: unechte
Rückwirkung bei Normen, die zwar unmittelbar nur auf gegenwärtige, noch nicht
abgeschlossene Sachverhalte für die Zukunft einwirken, damit aber zugleich die betroffene
Rechtsposition nachträglich im Ganzen entwerten; Beschluss vom 19. Juli 1967 - 2 BvL
1/65 -, BVerfGE 22, 241, 248: unechte Rückwirkung, wenn ein Gesetz nur auf
gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die
Zukunft einwirkt; ebenso Beschluss vom 16. Oktober 1968 - 1 BvL 7/62 -, BVerfGE 24, 220,
230, und Beschluss vom 21. Januar 1969 - 2 BvL 11/64 -, BVerfGE 25, 142, 154; Beschluss
vom 23. März 1971 - 2 BvL 2/66 u.a. -, BVerfGE 30, 367, 387: unechte (retrospektive)
Rückwirkung bei einer Einwirkung auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene
Sachverhalte und Rechtsbeziehungen; Beschluss vom 22. Januar 1975 - 2 BvL 51/71 und
10, 14/73 -, BVerfGE 39, 128, 143 f.: unechte (retrospektive) Rückwirkung einer Norm,
wenn sie zwar nicht auf vergangene, aber auch nicht nur auf zukünftige, sondern auf
gegenwärtige noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die
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Zukunft einwirkt und damit zugleich die betroffene Rechtsposition nachträglich im Ganzen
entwertet; Urteil vom 14. Juli 1981 - 1 BvL 28/77 u.a. -, BVerfGE 57, 361, 391: unechte
Rückwirkung, wenn ein Gesetz auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene
Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt und damit zugleich die betroffenen
Rechtspositionen nachträglich beeinträchtigt; Beschluss vom 10. April 1984 - 2 BvL 19/82 -,
BVerfGE 67, 1, 15: (zu) Grenzen für Gesetze, die auf gegenwärtige, noch nicht
abgeschlossene Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirken und damit zugleich die
betroffenen Rechtspositionen nachträglich entwerten; Beschluss vom 5. Mai 1987 - 1 BvR
724, 1000, 1015/81 -; - 1 BvL 16/82 und 5/84 -, BVerfGE 75, 246, 279 f.: unechte
Rückwirkung, wenn eine Norm auf gegenwärtige noch nicht abgeschlossene Sachverhalte
und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt und damit zugleich die betroffene
Rechtsposition nachträglich entwertet; Urteil vom 23. November 1999 - 1 BvF 1/94 -,
BVerfGE 101, 239, 263: eine Norm wirkt auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene
Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft ein und entwertet damit zugleich die
betroffene Rechtsposition nachträglich;
zur Terminologie des 2. Senats vgl. insbesondere: Beschluss vom 14. Mai 1986 - 2 BvL
2/83 -, BVerfGE 72, 200, 241 f.; vgl. auch Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-
Westfalen (OVG NRW), Urteil vom 31. August 1990 - 9 A 739/88 -, NWVBl. 1991, 163 ff.
(zur Rechtsprechung des 2. Senats);
vgl. zur Terminologie echte und unechte Rückwirkung: Bundesverwaltungsgericht
(BVerwG), Urteil vom 3. Juli 2003 - 2 C 36/02 -, BVerwGE 118, 277 ff.; auch Urteil vom 19.
Dezember 2002 - 2 C 32/01 -, NWVBl. 2003, 213 f.; ebenso Oberverwaltungsgericht für das
Land Nordrhein- Westfalen (OVG NRW), Urteil vom 4. August 2004 - 6 A 619/04 - und Urteil
vom 4. August 2003 - 6 A 1459/04 -: eine unechte Rückwirkung betrifft nicht den zeitlichen,
sondern den sachlichen Anwendungsbereich einer Norm, wobei die Rechtsfolgen der
Norm erst nach ihrer Verkündung eintreten, ihr Tatbestand aber Sachverhalte erfasst, die
bereits vor der Verkündung ins Werk gesetzt und als solche noch nicht abgeschlossen
sind.
Dabei wird vom Bundesverfassungsgericht die unechte Rückwirkung bzw. die
tatbestandliche Rückanknüpfung grundsätzlich für zulässig erachtet. Verfassungsrechtliche
Grenzen ergeben sich zwar auch hier aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes,
insbesondere wenn eine Regelung geeignet ist, ein Vertrauen auf ihr Fortbestehen zu
begründen und Entscheidungen - insbesondere Vermögensdispositionen - aus diesem
Vertrauen herbeizuführen, die sich bei einer Änderung der Rechtslage als nachteilig
erweisen.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. Juni 1961 - 1 BvL 26/58 -, BVerfGE 13, 39, 45 f.; Beschluss
vom 16. Oktober 1968 - 1 BvL 7/62 -; Beschluss vom 23. März 1971 - 2 BvL 2/66 u.a. -,
BVerfGE 30, 367, 389.
Aus dem rechtsstaatlichen Prinzip der Rechtssicherheit ergeben sich nämlich
verfassungsrechtliche Grenzen einer unechten Rückwirkung. Für den Betroffenen bedeutet
Rechtssicherheit in erster Linie Vertrauensschutz. Auch in Fällen unechter Rückwirkung ist
es durchaus denkbar, dass der Vertrauensschutz verletzt wird. Dies ist dann der Fall, wenn
das entsprechende Gesetz einen entwertenden Eingriff vornimmt, mit dem der Betroffene
nicht zu rechnen brauchte, den er also bei seinen (getroffenen) Dispositionen (noch) nicht
berücksichtigen konnte. Das Vertrauen in den Bestand des geltenden Rechts ist danach
erst von dem Zeitpunkt ab nicht mehr schutzwürdig, in dem der Gesetzgeber - mithin das für
die getroffene Entscheidung zuständige Organ - ein in die Vergangenheit zurückwirkendes
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Gesetz beschlossen hat. Dabei geht der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz allerdings
nicht soweit, dem Staatsbürger jegliche Enttäuschung zu ersparen. Für die Frage, ob der
Betroffene mit einer Änderung der Rechtslage rechnen musste, kommt es aber nicht auf
seine subjektiven Vorstellungen an, sondern darauf, ob die bisherige Regelung bei
objektiver Betrachtung geeignet war, ein Vertrauen in ihren Fortbestand zu begründen.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 11. Oktober 1962 - 1 BvL 22/57 -, BVerfGE 14, 288, 297 ff.;
BVerwG, Urteil vom 22. März 2001 - 2 CN 1/00 -, NVwZ-RR 2001, 671, 673 und Urteil vom
19. Dezember 2002 - 2 C 32/01 -, NVwZ-RR 2003, 515, 516.
Bei einer unechten Rückwirkung ist das Ausmaß eines Vertrauensschadens bei einem
Betroffenen insbesondere im Hinblick auf bereits veranlasste Rechtspositionen mit der
Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens abzuwägen. Allein die bloße Enttäuschung
von Hoffnungen kann dabei nicht ins Gewicht fallen, da der verfassungsrechtliche
Vertrauensschutz ja gerade nicht soweit geht, dem Betroffenen jegliche Enttäuschung zu
ersparen.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Juli 1967 - 2 BvL 1/65 -, BVerfGE 22, 241, 252; Beschluss
vom 16. Oktober 1968 - 1 BvL 7/62 -, BVerfGE 24, 220, 230; Beschluss vom 23. März 1971
- 2 BvL 2/66 u.a. -, BVerfGE 30, 367, 389.
Falsche Vorstellungen eines Betroffenen sind nicht geschützt.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Dezember 1967 - 2 BvL 4/65 -, BVerfGE 23, 12, 33.
Insbesondere muss es einem Gesetzgeber möglich sein, aus Gründen des Allgemeinwohls
Neuregelungen zu treffen, die modernen (bzw. geänderten) Erfordernissen Rechnung
tragen. Bei einer solchen Neuregelung ist stets abzuwägen zwischen dem Ausmaß eines
Vertrauensschadens und der Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens für das Wohl
der Allgemeinheit.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. Oktober 1968 - 1 BvL 7/62, BVerfGE 24, 220, 230 sowie
234; zur Abwägung mit der Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens, vgl. auch
Beschluss vom 21. Januar 1969 - 2 BvL 11/64 -, BVerfGE 25, 142, 154; ebenso Beschluss
vom 23. März 1971 - 2 BvL 2/66 u.a. -, BVerfGE 30, 367, 391.
Im Ergebnis werden sachlich begründete Gesetzesänderungen, wenn durch sie kein oder
ein nur ganz unerheblicher Schaden verursacht worden ist, für gerechtfertigt erachtet.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. März 1971 - 2 BvL 2/66 u.a. -, BVerfGE 30, 367, 389.
Dabei ist allerdings eine nachteilige Regelung auch dann am Rechtsstaatsprinzip zu
messen, wenn sie nur Wenige betrifft oder nur für wenige Betroffene eine nicht
unerhebliche Verschlechterung ihrer Rechtslage darstellt.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. März 1971 - 2 BvL 2/66 u.a. -, BVerfGE 30, 367, 390.
Ein Betroffener kann sich nicht auf den Fortbestand einer gesetzlichen Regelung berufen,
wenn die weitere Aufrechterhaltung dieser Regelung durch den Gesetzgeber billigerweise
nicht beansprucht werden kann, wenn dieser gesetzgeberisch das Wohl der Allgemeinheit
beachtet hat.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. Januar 1975 - 2 BvL 51/71 und 10, 14/73 -, BVerfGE 39,
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128, 144 ff.
Der Gesetzgeber darf grundsätzlich bestehendes Recht an veränderte Gegebenheiten
anpassen oder aus politischen Gründen einen Wandel der Verhältnisse bewirken; dabei
hat er allerdings eine Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem
Gewicht und der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe unter Berücksichtigung der
Zumutbarkeit vorzunehmen.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. April 1984 - 2 BvL 19/82 -, BVerfGE 67, 1, 15 ff.
Insbesondere im Beamten(versorgungs)recht kann ein Betroffener nicht darauf vertrauen,
dass eine für ihn günstige gesetzliche Regelung in aller Zukunft bestehen bleibt, wobei
aber auch hier stets eine Abwägung zwischen dem Vertrauen des Einzelnen in den
Fortbestand der für ihn günstigen Rechtslage und der Bedeutung des gesetzgeberischen
Anliegens für das Wohl der Allgemeinheit erfolgen muss.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 15. Mai 1985 - 2 BvL 24/82 -, BVerfGE 70, 69, 84 f.; ebenso
Beschluss vom 10. Dezember 1985 - 2 BvL 18/83 -, BVerfGE 71, 255, 272 f.
Schutzwürdig ist aber ein betätigtes Vertrauen, also eine Vertrauensinvestition, wobei der
verursachte Vertrauensschaden im Verhältnis zur Bedeutung des gesetzgeberischen
Anliegens hinreichend gewichtig sein muss.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. Mai 1987 - 1 BvR 724, 1000, 1015/81; 1 BvL 16/82 und 5/84
-, BVerfGE 75, 246, 280 f.
Der Schutz des Vertrauens in den Bestand alten Rechts endet jedoch in jedem Fall mit
dem Beschluss des neuen Rechts; bei der Anordnung einer unechten Rückwirkung ist
zudem auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit abzustellen.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 15. Oktober 1996 - 1 BvL 44, 48/92 -, BVerfGE 95, 64, 87 f;
Urteil vom 23. November 1999 - 1 BvF 1/94 -, BVerfGE 101, 239, 263, wobei das
Bundesverfassungsgericht auch hier die Zubilligung von Vertrauensschutz ablehnt, wenn
überragende Belange des Gemeinwohls, die dem Prinzip der Rechtssicherheit vorgehen,
eine rückwirkende Beseitigung von Normen erfordern (Seite 263 f.).
Im vorliegenden Fall ist zunächst festzustellen, dass das Schreiben des
Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen vom 17. Juli 2003 das grundsätzliche
Vertrauen des Klägers auf das Fortbestehen der für ihn günstigen Regelung hinsichtlich
der Gewährung des Weihnachtsgeldes für das Jahr 2003 nicht beseitigen konnte. Denn der
Vertrauensschutz könnte allenfalls dann entfallen, wenn das zuständige
Gesetzgebungsorgan im Vorfeld auf eine Änderung der Gesetzeslage hingewiesen hätte.
Die bloße Ankündigung des Ministerpräsidenten reicht hierfür nicht aus, da nicht er,
sondern der Landtag des Landes Nordrhein- Westfalen für den Erlass des hier streitigen
Gesetzes allein zuständig war.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Dezember 2002 - 2 C 32/01 -, NWVBl. 2003, 213 f.; Urteil vom
22. März 2001 - 2 CN 1/00 -, NVwZ-RR 2001, 671 (673); OVG NRW, Urteil vom 4. August
2003 - 6 A 619/04 - (S. 17 UA).
Bei der vorliegend vorzunehmenden Abwägung ist insbesondere zu berücksichtigen, dass
das Weihnachtsgeld nicht über die Vorschrift des Artikel 33 Abs. 5 GG als hergebrachter
Grundsatz des Berufsbeamtentums geschützt und dass diesbezüglich eine jederzeitige
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Änderung grundsätzlich möglich ist, ohne dass dadurch das Alimentationsprinzip betroffen
wäre.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. März 1977 - 2 BvR 1039, 1045/75 -, BVerfGE 44, 249, 263;
BVerwG, Urteil vom 15. Juli 1977 - VI C 24.75 -, Buchholz § 90 LBG Baden-Württemberg
237.0 Nr. 1 (zur Weihnachtszuwendung bzw. Sonderzuwendung); Battis,
Bundesbeamtengesetz, Kommentar, 3. Auflage 2004, § 83 BBG Randnr. 8; Sachs,
Grundgesetz, Kommentar, 3. Auflage 2003, Artikel 33 Randnr. 72.
Dem Gesetzgeber ist es nicht verwehrt, die Struktur der beamtenrechtlichen Besoldung und
die Zahlungsmodalitäten innerhalb des verfassungsrechtlich garantierten
Alimentationsprinzips für die Zukunft zu ändern; in diesem Rahmen ist er auch befugt, die
Besoldung zu kürzen, solange sie nicht an der unteren Grenze einer amtsangemessenen
Alimentierung liegt. Denn es gibt keinen verfassungsrechtlich gesicherten Anspruch auf
Erhaltung des erlangten Besitzstandes in Bezug auf ein einmal erreichtes Einkommen.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 15. Juli 1999 - 2 BvR 544/97 -, NVwZ 1999, 1328,1329.
Dem Gesetzgeber steht in der Frage der Alimentation - und damit auch im vorliegenden
Fall bezüglich einer Veränderung des "Weihnachtsgeldes" - ein weitgehendes Ermessen
zu.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. September 2001 - 2 BvR 2442/94 -, NVwZ 2002, 463;
auch Beschluss vom 30. September 1987 - 2 BvR 933/82 -, BVerfGE 76, 256, 347 ff.
So ist es ihm auch nicht über Artikel 33 Abs. 5 GG verwehrt, die Höhe der einem Beamten
zu zahlenden Bezüge aus sachlich vertretbaren Gründen regional zu differenzieren.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Februar 2003 - 2 BvL 3/00 -, NvWZ 2003, 1364.????
??????? ???Insbesondere darf ein Gesetzgeber aus konjunkturell bedingten Gründen, im
Interesse des Allgemeinwohls bzw. um bestimmte soziale Gegebenheiten in einem
gewissen Sinn beeinflussen zu können, die Rechtsordnung ändern.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. September 1987 - BvR 933/82 -, BVerfGE 76, 256, 347 ff.
Demgegenüber ist allerdings zu berücksichtigen, dass das besondere Treueverhältnis den
Beamten nicht dazu verpflichtet, mehr als andere zur Konsolidierung der öffentlichen
Haushalte beizutragen.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Dezember 2002 - 2 C 34.01 -, ZBR 2003, 212, 213.
Denn der Gesetzgeber hat die Attraktivität des Beamtenverhältnisses für qualifizierte Kräfte
und das Ansehen des Amtes in der Gesellschaft zu festigen und dabei die Beanspruchung
und Verantwortung des Amtsinhabers zu berücksichtigen, sowie dafür Sorge zu tragen,
dass jeder Beamte außer den Grundbedürfnissen ein Minimum an Lebenskomfort
befriedigen kann.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. November 1998 - 2 BvL 26/91 u.a. -, BVerfGE 99, 300, 314
f. (zum Alimentationsprinzip).
Hinsichtlich der Weihnachtszuwendung (bzw. jährlichen Sonderzuwendung) ist zu
berücksichtigen, dass diese eine zusätzliche besondere Zahlung an den Beamten, eine
Anerkennung für geleistete Dienste und eine auch in die Zukunft gerichtete Treueprämie
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darstellt. Dies ergibt sich aus der historischen Entwicklung und aus dem Zeitpunkt der
Zahlung sowie aus den oben angeführten Anspruchsvoraussetzungen. Sie ist mithin auch
eine Sonderleistung zur Deckung des im Weihnachtsmonat Dezember entstehenden
besonderen Bedarfs.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Juli 1977 - VI C 24.75 -, Buchholz, § 90 LBG Baden-
Württemberg 237.0 Nr. 1.
Vor dem Hintergrund dieser Vorgaben der Rechtsprechung ist das erkennende Gericht der
Überzeugung, dass der Landesgesetzgeber für den Zeitraum ab 2004, also in die Zukunft
gerichtet, die jährliche Sonderzuwendung in der Höhe verändern und insbesondere kürzen
durfte. Da jedoch auf Grund von Sinn und Zweck dieser Weihnachtszuwendung und auf
Grund der Tatsache, dass nach der allgemeinen Lebenserfahrung jeder betroffene Beamte
diese zusätzliche Zuwendung am Jahresende bereits am Anfang - jedenfalls aber während
- des betreffenden Jahres in seine finanziellen Planungen und Dispositionen einbezieht
und berücksichtigt (beispielsweise Verplanung für die üblicherweise zu Jahresbeginn
fälligen Kraftfahrzeugversicherungen, für Sondertilgungsbeträge im Rahmen bestehender
Baufinanzierungen bzw. für einen Winterurlaub oder Aufwendungen für bestimmte
Weihnachtsgeschenke), ist diesbezüglich von einem schützenswerten Vertrauen hier für
das Jahr 2003 auszugehen. Denn der betroffene Beamte hat erst mit Erlass des Gesetzes
über die Gewährung einer Sonderzahlung und über die Bezüge der Staatssekretäre und
entsprechender Versorgungsempfänger in den Jahren 2003 und 2004 für das Land
Nordrhein-Westfalen vom 20. November 2003 verlässlich von der Kürzung der jährlichen
Sonderzuwendung erfahren, ohne dass er sich in der verbleibenden Zeit von lediglich 10
Tagen bis zur Auszahlung hierauf entsprechend noch einstellen konnte.
Die hier in Rede stehende Kürzung von 84,29 auf 50 vom Hundert ist auch keine nur
unerhebliche Einkommensminderung. Hierbei kommt es nicht auf eine jahresbezogene
Betrachtung an. Da nämlich das sog. Weihnachtsgeld nach der Lebenserfahrung nicht auf
das Folgejahr verteilt ausgegeben, sondern ganz gezielt für konkrete Vorhaben im
Dezember bzw. im Januar des Folgejahres ausgegeben wird, ist insoweit dieser Zeitraum
als maßgeblich zu betrachten. Dabei ist eine Zuwendung in Höhe von 1.730,56 Euro als
erheblich anzusehen.
Der Gesetzgeber hat sich demgegenüber als Begründung für sein Gesetz
(zulässigerweise) auf haushaltswirtschaftliche und konjunkturelle Gründe berufen. Auf
Grund der vorzunehmenden Abwägung mit den Belangen der betreffenden Beamten für
das Jahr 2003 war die erfolgte Kürzung unter Berücksichtigung der Grundsätze des
Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit jedoch nicht gerechtfertigt. Dies gilt
insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Reduzierung der Weihnachtszuwendung nicht
isoliert betrachtet werden darf, sondern im Zusammenhang mit einer Vielzahl weiterer
Kürzungen im Bereich der Beamtenbesoldung und -versorgung zu sehen ist. Zu nennen
sind hier insbesondere die sich in der Diskussion befindlichen bzw. schon konkret
umgesetzten (weiteren) Restriktionen im Bereich der Alimentation und/oder ergänzenden
Fürsorgeleistungen des Dienstherrn, zum Beispiel die eingeführten und auch bereits
einmal angehobenen Sätze der Kostendämpfungspauschale nach § 12 a BVO NRW sowie
die Kürzungen im Versorgungsrecht.
Ausdrücklich hierzu: OVG NRW, Urteil vom 12. November 2003 - 1 A 4755/00 - (S. 38, 39
Urteilsabdruck).
Auf Grund einer Gesamtschau dieser Einschnitte mag zwar der Gesetzgeber zur
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Überzeugung des Gerichts berechtigt sein, weitere Kürzungen auf Grund der aktuellen
Haushaltslage vorzunehmen, bezüglich der Weihnachtszuwendung 2003 war er hierzu
allerdings nicht schon (rückwirkend) für das Jahr 2003 berechtigt.
Im Übrigen sind für das Gericht keine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit
ersichtlich. Das Gesetz ist ordnungsgemäß zu Stande gekommen. Der Anspruch auf
Besoldung nach § 3 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 BBesG ist nicht verletzt worden. Wenn
nämlich § 3 Abs. 5 Satz 1 BBesG bestimmt, dass die Dienstbezüge monatlich im Voraus
gezahlt werden, heißt es, dass sie spätestens am 1. des in Betracht kommenden Monats,
mithin hier am 1. Dezember 2003 fällig geworden sind.
Vgl. nur Gesamtkommentar Öffentliches Dienstrecht (GKÖD), Stand: November 2004, § 3
BBesG Randnr. 32; Schütz/Maiwald, Beamtenrecht des Bundes und der Länder,
Kommentar, Stand: September 2004, § 94, Randnr. 366.
Wenn mithin nach Artikel 7 Abs. 1 Gesetz über die Gewährung einer Sonderzahlung und
über die Bezüge der Staatssekretäre und entsprechender Versorgungsempfänger in den
Jahren 2003 und 2004 vom 20. November 2003 sein Artikel 1 (Gesetz über die Gewährung
einer Sonderzahlung an Beamte, Richter und Versorgungsempfänger) am 30. November
2003 in Kraft getreten ist, hat der Beklagte nicht höhere fällige Bezüge dem Kläger
vorenthalten.
Soweit der Kläger eine Ungleichbehandlung zwischen ihm und Beamten anderer Länder
sowie Beamten des Bundes bzw. zwischen ihm und Angestellten unter dem Gesichtspunkt
von Artikel 3 Abs. 1 GG rügt, liegt eine Verletzung des Gleichheitsgebotes bereits deshalb
nicht vor, weil zum einen die verschiedenen Beamtengesetze des Bundes und der Länder
und das Bundesangestelltenrecht unterschiedliche Rechtsmaterien darstellen, die
hinsichtlich einzelner Gewährungen unterschiedliche Regelungen enthalten dürfen; zum
anderen hat das Bundesverfassungsgericht wie bereits ausgeführt unterschiedliche
Besoldungshöhen in unterschiedlichen Bundesländern für rechtmäßig erachtet.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Februar 2003 - 2 BvL 3/00 -, NVwZ 2003, 1364 (ff.).
Soweit der Gesetzgeber in § 6 Abs. 1 Satz 1 SZG NRW eine Staffelung der Höhe der
Sonderzahlung vorgenommen hat, liegt eine solche soziale Gewichtung zur Überzeugung
des Gerichts in dem bestehenden sehr weiten Spielraum des Gesetzgebers und ist
sachlich gerechtfertigt, jedenfalls nicht willkürlich.
Schließlich ist § 6 Abs. 1 SZG NRW auch nicht einer verfassungskonformen Auslegung
zugänglich, da sein (ausdrücklicher) Wortlaut einer solchen Auslegung entgegensteht.
Das Gericht setzt deshalb das Verfahren bezüglich der Sonderzahlung für das Jahr 2003
aus und legt es dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung hinsichtlich der aus dem
Tenor dieses Beschlusses ersichtlichen Frage vor. Insbesondere hält sich das erkennende
Gericht nicht für berechtigt, das Sonderzahlungsgesetz als mit höherrangigem Recht
unvereinbar zu verwerfen, da es als förmliches Gesetz des Landtages des beklagten
Landes geschaffen worden ist.