Urteil des VG Düsseldorf vom 23.11.2005

VG Düsseldorf: besondere härte, krankenkasse, zahnärztliche behandlung, zahnbehandlung, werkstatt, behinderung, unterbringung, kostenbeitrag, verfügung, sozialhilfe

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 20 K 4392/04
Datum:
23.11.2005
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
20. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
20 K 4392/04
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht
erhoben werden.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird
nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder
Hinterlegung in Höhe des beizutreibenden Betrages abzuwenden, wenn
nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe
leistet.
Tatbestand:
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Der am 31. März 1962 geborene Kläger leidet an einer geistigen Behinderung. Er steht
unter Betreuung seiner Mutter und ist war von 1987 bis November 2004 im
Heilpädagogischen Wohndorf des U-Werkes in N untergebracht. Die Kosten der
Unterbringung und der Betreuung trug der Beklagte im Rahmen der Eingliederungshilfe.
Sie beliefen sich im Jahr 2004 auf monatlich zwischen ca. 3.100 und 3.700 EUR. Der
Kläger geht tagsüber einer beruflichen Tätigkeit in einer Arbeitsgruppe der Werkstatt für
behinderte Menschen nach und bezieht hieraus monatliche Einkünfte in Höhe von ca.
90 EUR. Diese Einkünfte und das vom Beklagten monatlich gewährte Taschengeld
werden auf einem Sparbuch angesammelt. Soweit der Kläger sich an einzelnen
Wochenenden bei seiner Mutter aufhält, erhält er für diese Zeit Hilfe zum
Lebensunterhalt.
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Am 28. April 2003 verstarb der Vater des Klägers und wurde von der Mutter des Klägers
zu einem halben Anteil und vom Kläger und seinem Bruder zu je einem Viertel Anteil
beerbt. Mit Schreiben vom 9. Juli 2003 teilte die Betreuerin des Klägers dies dem
Beklagten mit und wies daraufhin, dass der Kläger eine kleinere Geldsumme geerbt
habe, die sie später mit 3.693,10 EUR angab. Ausweislich einer vorgelegten
Sparbuchkopie wurde dieser Betrag am 27. Mai 2003 auf das Sparbuch des Klägers
überwiesen. Zum 1. Juni 2003 wies das Sparbuch ein Guthaben von 5.570,61 EUR auf.
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Mit Bescheid vom 9. Februar 2004 forderte der Beklagte den Kläger - vertreten durch
seine Betreuerin - auf, für die Unterbringung im Wohnheim einen Kostenbeitrag in Höhe
von 3.091,96 EUR zu zahlen. Zur Begründung führte der Beklagte aus: Seit Jahren
erbringe er Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz für die wohnheimmäßige
Unterbringung. Nachdem der Kläger seinen Vater beerbt habe, übersteige das
vorhandene Vermögen den Vermögensschonbetrag um eben den nun als Kostenbeitrag
geforderten Betrag. Es seien keine Erkenntnisse vorhanden, die dazu führen könnten,
auf den Vermögenseinsatz zu verzichten. Eine besondere Härte sei nicht erkennbar.
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Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger - vertreten durch seine Betreuerin -
Widerspruch, den er unter Vorlage verschiedener Heil- und Kostenpläne des
Zahnarztes Dr. Q und eines Kostenvoranschlags des Anästhesisten Dr. L wie folgt
begründete: Er benötige für eine anstehende Zahnbehandlung, welche nicht von der
Krankenkasse getragen werde, einen größeren Geldbetrag. Deshalb sei es unbillig,
Kostenersatz zu fordern.
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Mit Schreiben vom 5. April 2004 äußerte sich der Beklagte wie folgt: Der Kläger sei in
der gesetzlichen Krankenversicherung wegen Zahnbehandlungen abgesichert, sodass
die Kosten für einfache und angemessene Behandlungen abgesichert seien. Sofern
darüber hinaus eine Kostenübernahme durch Sozialhilfemittel begehrt werde, müsse
ein entsprechender Antrag gestellt werden. Es werde dann geprüft, ob die Behandlung
medizinisch unausweislich sei und ob die Kosten, die durch die Krankenkasse nicht
übernommen würden, tatsächlich zwangsläufig seien. Sofern sich herausstelle, dass die
Kosten nicht zwangsläufig seien, sei die Zahnbehandlung ausschließlich aus dem
Schonvermögen zu finanzieren. Eine Zahlung der Kosten aus dem ungeschützten und
daher einzusetzenden Vermögen sei gleichbedeutend mit einer Kostenübernahme
durch die Sozialhilfe. Dies werde nicht akzeptiert. Soweit der Kläger weiterhin auf dem
Standpunkt stehe, dass die Behandlung unabdingbar sei, müsse eine Untersuchung bei
dem zuständigen Gesundheitsamt durchgeführt werden.
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Nachdem die Prozessbevollmächtigten des Klägers unter Hinweis darauf, dass kein
Zahnarzt die medizinisch notwendige Behandlung zu verringerten - im Rahmen der
Sozialhilfe angemessenen - Sätzen durchführen werde, mitteilten, dass der Widerspruch
aufrecht erhalten bleibe, wies der Beklagte nach beratender Beteiligung sozial
erfahrener Personen den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 16.
Juni 2004 als unbegründet zurück. Der Beklagte führte hierin aus, dass die
Voraussetzungen des § 88 Abs. 3 BSHG für eine Freilassung des den Schonbetrag
übersteigenden Vermögens nicht vorlägen. Eine besondere Härte läge bei der Hilfe in
besonderen Lebenslagen nur vor, soweit eine angemessene Lebensführung oder die
Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung wesentlich erschwert würde.
Eine angemessene Lebensführung werde insbesondere dann wesentlich erschwert,
wenn das Verlangen auf Einsatz des Vermögens zu einer Verschlechterung der
bisherigen Lebensverhältnisse des Hilfeempfängers führen würde. In der Regel werde
die angemessene Lebensführung jedoch aus dem Einkommen sichergestellt. Die
Härtebestimmung komme deshalb nur zum Tragen, wenn nicht unwesentliche Teile des
bisherigen, zur Bestreitung des Lebensunterhaltes notwendigen Einkommens aus dem
Vermögen fließen würden. Dies sei hier jedoch nicht der Fall. Der verlangte
Kostenbeitrag führe nicht zu einer Verschlechterung der bisherigen Lebensführung, weil
der Kläger aufgrund seines Behinderungsbildes lebenslang auf einen beschützenden
Rahmen, wie ihn eine Einrichtung biete, angewiesen sein werde. Zudem sei das
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Interesse der Allgemeinheit an einer sparsamen Verwendung öffentlicher Mittel mit zu
berücksichtigen. Nach den eingereichten Unterlagen sei für die umfangreiche
Zahnbehandlung mit einer Kostenbelastung von rund 1.445 EUR zu rechnen. Der
Kläger sei jedoch gesetzlich krankenversichert und habe einen Anspruch gegenüber
der Krankenkasse auf Kostenübernahme einer zahnärztlichen Behandlung, die nach
den Regeln der zahnärztlichen Kunst ausreichend und zweckmäßig sei. Werde eine
darüber hinausgehende Versorgung gewählt, sei diese vom Versicherten selbst zu
tragen. An diesen Maßstäben orientiere sich auch die Sozialhilfe. Gemäß § 37 BSHG in
der ab 2004 gültigen Fassung würden Leistungen zur Krankenbehandlung
entsprechend dem SGB V gewährt. Aus sozialhilferechtlicher Sicht sei daher eine
Versorgung, wie sie die gesetzliche Krankenkasse anbiete, ausreichend und
angemessen. Der Wunsch, eine darüber hinausgehende Zahnbehandlung durchführen
zu lassen, könne nicht anerkannt werden. Es bleibe dem Kläger unbenommen, die
hierfür aufzubringenden Mittel aus seinem Schonvermögen zu entnehmen, welches zur
Realisierung individueller Wünsche zur Verfügung stehe.
Der Kläger hat am 7. Juli 2004 Klage erhoben.
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Er trägt vor: Nach § 88 Abs. 3 BSHG liege bei der Eingliederungshilfe zur Beschäftigung
in einer Werkstatt für Behinderte Menschen in der Regel eine Härte vor, wenn das
einzusetzende Vermögen den zehnfachen Wert des Grundbetrages nicht übersteige.
Dies sei hier der Fall. Im Übrigen sei die Zahnbehandlung dringend notwendig, werde
aber von der Krankenkasse nicht übernommen. Er leide an einem Kieferdefekt. Eine
normale Zahnprothese könne nicht angepasst werden. Es müssten Implantate gesetzt
werden. Die Behandlung sei inzwischen auch schon durchgeführt worden. Hierbei
seien Kosten in Höhe von 6.427,76 EUR für zahnärztliche Behandlung zuzüglich
481,14 EUR für Anästhesieleistungen entstanden. Bei der Krankenkasse sei wegen der
Kostenübernahme angefragt worden. Diese habe jedoch erklärt, dass sie nicht für eine
Implantatbehandlung zahle.
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Der Kläger beantragt,
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den Bescheid des Beklagten vom 9. Februar 2004 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 16. Juni 2004 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er bleibt bei seiner im Verwaltungsverfahren geäußerten Auffassung und führt
ergänzend aus: Ein Anspruch auf Kostenübernahme bestehe gegenüber der
Krankenkasse auch bei Versicherten mit schwerwiegenden Kieferanomalien. Bisher sei
nicht nachgewiesen, warum im Falle des Klägers eine Kostenübernahme durch die
Krankenkasse nicht in Betracht komme. Bisher sei auch nicht dargelegt worden, warum
die geplante Behandlung medizinisch unbedingt notwendig sei. Ein objektiver
Härtegrund sei nicht erkennbar. Eine Vielzahl von Menschen befinde sich in der
Situation, eine optimale Zahnbehandlung nicht aus eigenen Mitteln finanzieren zu
können. Soweit sich der Kläger auf einen erhöhten Vermögensfreibetrag berufe,
verkenne er, dass der Kostenbeitrag nicht für den Besuch der Werkstatt für behinderte
Menschen, sondern für die Unterbringung im Wohnheim gefordert werde, so dass hier
der Vermögensfreibetrag von 2.301 EUR gelte.
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Das Verwaltungsgericht hat unter dem eine ärztliche Stellungnahme des Zahnarztes Dr.
Q zur Frage der medizinischen Notwendigkeit der Behandlung des Klägers eingeholt.
Auf die schriftliche Stellungnahme vom 29. September 2005 wird ergänzend Bezug
genommen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und den der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten
ergänzend Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Klage ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid des Beklagten ist
rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, vgl. § 113 Abs. Abs. 1 S. 1
VwGO.
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Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Bescheides ist die Sach- und
Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung.
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Ermächtigungsgrundlage für die angefochtene Entscheidung ist somit § 43 Abs. 1
BSHG in der Fassung vom 27. April 2002. Nach S. 1 dieser Vorschrift ist die Hilfe,
erfordert die Behinderung Gewährung der Hilfe in einer Anstalt, einem Heim oder einer
gleichartigen Einrichtung, einer Tageseinrichtung für behinderte Menschen oder
ärztliche oder ärztlich verordnete Maßnahmen, auch dann in vollem Umfang zu
gewähren, wenn den in § 28 BSHG genannten Personen die Aufbringung der Mittel zu
einem Teil zuzumuten ist. Gemäß S. 2 der Vorschrift haben sie in Höhe dieses Teils zu
den Kosten der Hilfe beizutragen, mehrere Verpflichtete haften als Gesamtschuldner.
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Dabei ist davon auszugehen, dass der Ersatzanspruch nach der genannten
gesetzlichen Regelung nur für den Fall entsteht, dass die Eingliederungshilfe zu Recht
gewährt worden ist. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 43 Abs. 1 BSHG.
Denn die Behinderung "erfordert" die Hilfegewährung nur dann, wenn die gesetzlichen
Voraussetzungen hierfür vorliegen.
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Vgl. dazu u.a. OVG NRW, Urteil vom 27. November 1997 - 8 A 4279/95 - NWVBl 1998,
28 mit weiteren Nachweisen.
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Dass der Kläger zu dem in § 39 Abs. 1 BSHG genannten Personenkreis gehört, der
grundsätzlich Anspruch auf Eingliederungshilfe hat und dass seine Behinderung auch
schon im hier maßgeblichen Beurteilungszeitraum die Gewährung der Hilfe in einem
Heim erforderte, steht nicht in Streit und kann vernünftigerweise auch nicht bezweifelt
werden. Dem Kläger ist außerdem die Aufbringung eines Teils der Mittel zumutbar,
sodass er in Höhe dieses Teils zu den Kosten beizutragen hat. Ob die Aufbringung von
Mitteln zumutbar ist, richtet sich nach den Bestimmungen des 4. Abschnitts (§§ 76 ff
BSHG). Da der Kläger in dem hier zur Beurteilung stehenden Zeitraum als regelmäßige
Einkünfte monatlich nur den Barbetrag und das Werkstatteinkommen zur Verfügung
hatte, mithin nur über Einkommen unterhalb der Einkommensgrenze und der
Mindestbedarfsgrenze verfügte, vgl. §§ 81 und 85 BSHG, ist ein Einsatz des
Einkommens nicht zumutbar und wird im Übrigen vom Beklagten in dem angefochtenen
Bescheid auch nicht verlangt. Vielmehr kommt es entscheidend darauf an, ob der Kläger
über einzusetzendes Vermögen verfügte. Dies ist vorliegend der Fall. Das vorhandene
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Vermögen in Höhe von 5.570,61 EUR überstieg am 1. Juni 2003 das als kleinerer
Barbetrag vom Einsatz ausgenommene sog. Schonvermögen um 3.269,61 EUR. Denn
nach § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 1 b) der Verordnung zur Durchführung
des § 88 Abs. 2 Nr. 8 des Bundessozialhilfegesetzes (DVO) war für den Kläger ein
kleiner Barbetrag von 2.301,00 EUR maßgeblich. Dem standen im Juni 2003 Kosten für
den Heimaufenthalt in Höhe von 3.399,10 EUR gegenüber. Der Monat Juni 2003 ist aus
folgenden Gründen maßgeblich: Das oben ermittelte, einzusetzende Vermögen stand
dem Kläger bei Gewährung der Eingliederungshilfe für den Monat Mai 2003 zur
Bedarfsdeckung noch nicht zur Verfügung, denn die geerbte Geldsumme wurde seinem
Sparbuch erst am 27. Mai 2003 gutgeschrieben. Erst mit Eingang des Betrages auf
seinem Sparbuch erhielt der Kläger die Verfügungsmöglichkeit, sodass der das
Schonvermögen übersteigende Geldbetrag erst mit Beginn des neuen
Bewilligungsabschnitts, also zum 1. Juni 2003, einzusetzen war.
Sonstige Gründe im Sinne von § 88 Abs. 2 BSHG, die dem Einsatz oder der Verwertung
des Vermögens entgegenstehen könnten, sind weder ersichtlich noch geltend gemacht.
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Gemäß § 88 Abs. 3 BSHG darf die Sozialhilfe ferner nicht vom Einsatz oder von der
Verwertung eines Vermögens abhängig gemacht werden, soweit dies für den, der das
Vermögen einzusetzen hat, und für seine unterhaltsberechtigten Angehörigen eine
Härte bedeuten würde. Dies ist bei der Hilfe in besonderen Lebenslagen vor allem der
Fall, soweit eine angemessene Lebensführung oder die Aufrechterhaltung einer
angemessenen Alterssicherung wesentlich erschwert würde. Hierfür gibt es jedoch
keine Anhaltspunkte. Der Einsatz des Vermögens in der vom Beklagten geforderten
Höhe (3.091,96 EUR) stellt für den Kläger keine solche Härte dar. Insoweit wird zur
Vermeidung von Wiederholungen zunächst auf die Ausführungen des Beklagten in dem
Widerspruchsbescheid vom 16. Juni 2004 (S. 3 am Ende bis S. 4) verwiesen.
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Auch unter Berücksichtigung des klägerischen Vortrags im Klageverfahren und der
schriftlichen Auskunft des Zahnarztes Dr. Q ist daran festzuhalten, dass der Ansicht des
Klägers, der Einsatz des Vermögens stelle eine Härte dar, weil mit dem Geldbetrag eine
dringend erforderliche Zahnbehandlung bezahlt werden solle, nicht gefolgt werden
kann. Eine angemessene Lebensführung war durch den Einsatz des (überwiegenden
Teils des) geerbten Vermögens nicht wesentlich erschwert. Auch vergleichbar
schwerwiegende Härtegründe lagen nicht vor. Zunächst bestand seitens der Mutter, wie
die tatsächliche Finanzierung der zahnärztlichen Behandlung zeigt, die Bereitschaft,
dem Kläger mit eigenen Mitteln beizustehen. Die Durchführung der zahnärztlichen
Maßnahme war zu keinem Zeitpunkt gefährdet. Dass die Mutter nur als „Nothelferin"
eingesprungen ist, um einen sozialhilferechtlich notwendigen Bedarf anstelle des
Sozialhilfeträgers zu befriedigen, kann mit Blick auf die zahnärztliche Stellungnahme
vom 29. September 2005 nicht angenommen werden. Der behandelnde Zahnarzt Dr. Q
hat in seiner schriftlichen Stellungnahme ausgeführt, dass eine Ausnahmeindikation für
besonders schwere Fälle, in denen die Krankenkasse diese Leistung einschließlich der
Suprakonstruktion als Sachleistung im Rahmen einer medizinischen
Gesamtbehandlung erbringt (§ 28 Abs. 2 S. 9 und § 30 Abs. 1 S. 5 SGB V in der bis zum
31. Dezember 2004 gültigen Fassung), nicht vorgelegen hat. Er hat ferner ausgeführt,
dass die Funktions- und Adaptionsfähigkeit eines schleimhautgetragenen Zahnersatzes
aufgrund der geistigen Behinderung des Klägers zwar fraglich gewesen sei,
andererseits jedoch eine solche Regelversorgung nicht ausprobiert und durchgeführt
wurde, weil seitens der Mutter des Klägers eine Implantatversorgung angestrebt wurde.
Aber selbst wenn man davon ausgehen wollte, die Mutter des Klägers sei nur in
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„Vorleistung" getreten, in der Erwartung, das Geld vom Sozialhilfeträger erstattet zu
bekommen, führt dies nicht zu einer Härte im Sinne des Gesetzes. Der Wunsch des
Klägers bzw. seiner Mutter nach bestmöglicher zahnärztlicher Versorgung ist zwar
verständlich, begründet jedoch keine Härte im Sinne des § 88 Abs. 3 S. 2 BSHG, weil
weder die angemessene Lebensführung wesentlich erschwert wird noch der Kläger auf
andere Weise vergleichbar hart getroffen wird, wenn er das geerbte Vermögen nicht für
die Begleichung von Zahnarztkosten für eine über die Regelversorgung hinausgehende
Behandlung zur Verfügung hat, sondern es zur Begleichung von Kosten einsetzen
muss, die für seine (notwendige) Unterbringung und Betreuung in einer Einrichtung
entstehen. Denn gerade der kleinere Barbetrag gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 b) DVO dient
dazu, den Hilfebedürftigen in die Lage zu versetzen, sich Wünsche jenseits des
sozialhilferechtlichen Bedarfs zu erfüllen.
Schließlich liegt auch keine Härte im Sinne von § 88 Abs. 3 S. 3 BSHG vor. Nach dieser
Vorschrift liegt bei der Eingliederungshilfe zur Beschäftigung in einer Werkstatt für
behinderte Menschen im Regelfall auch dann eine Härte vor, wenn das einzusetzende
Vermögen den zehnfachen Betrag des Geldwertes nicht übersteigt, der sich bei der Hilfe
in besonderen Lebenslagen aus § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 b) der VO zur Durchführung des §
88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG ergibt. Um eine derartige Fallgestaltung handelt es sich hier
jedoch nicht. Der Beklagte fordert nämlich den Kostenbeitrag nicht für von ihm geleistete
Eingliederungshilfe zur Beschäftigung in einer Werkstatt für Behinderte, sondern zur
Wohnheimunterbringung des Klägers. Soweit die Nichtanwendung von S. 3 in Fällen
der vorliegenden Art dazu führt, dass ein in der Werkstatt für behinderte Menschen
Beschäftigter nicht in den Genuss des höheren Schonvermögens kommen kann, wenn
er (auf Kosten des Sozialhilfeträgers) im Wohnheim untergebracht ist, während der
Werkstattbeschäftigte, der zuhause untergebracht ist, den zehnfachen Betrag ansparen
darf, ohne ihn für Sozialhilfezwecke einsetzen zu müssen, liegt hierin keine willkürliche
Ungleichbehandlung im Sinne des Art. 3 GG. Denn derjenige Werkstattbeschäftigte, der
in einer Einrichtung untergebracht ist, verursacht höhere Kosten als derjenige, der zu
Hause wohnt und betreut wird. Aus diesem Grunde ist es nicht zwingend geboten, den
aus seiner Tätigkeit in der Werkstatt für behinderte Menschen erzielten Lohn zu
verschonen, was Sinn und Zweck der durch Gesetz zur Reform der agrarsozialen
Sicherung vom 19. Mai 1994 eingefügten Vorschrift des § 88 Abs. 3 S. 3 BSHG ist.
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Schließlich scheitert eine Heranziehung des Klägers zu den Kosten nicht daran, dass
das einzusetzende Vermögen nicht mehr vorhanden wäre. Wie die Betreuerin des
Klägers in der mündlichen Verhandlung vom heutigen Tage erklärt hat, ist der am 25.
März 2004 abgehobene Betrag in Höhe von 3.700,00 EUR nicht etwa verbraucht
worden, sondern eben gerade im Hinblick auf die Kostenforderung des Beklagten
angelegt worden. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob der Auffassung zu folgen
ist, etwaige Änderungen des Vermögensstandes vor Erlass des
Widerspruchsbescheides seien unbeachtlich und vom Sozialhilfeträger nicht zu
berücksichtigen,
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so aber VG Göttingen, Urteil vom 25. November 2003 - 2 A 2242/02 - JURIS.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.
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Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§
708 Nr. 11, 711 ZPO.
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