Urteil des VG Düsseldorf vom 12.07.2006

VG Düsseldorf: politische verfolgung, russische föderation, bundesamt, asylbewerber, festnahme, abschiebung, wahrscheinlichkeit, anerkennung, heimatstaat, eltern

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 25 K 1650/06.A
Datum:
12.07.2006
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
25. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
25 K 1650/06.A
Tenor:
Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Klage durch Einschränkung
des Klageantrags zurückgenommen worden ist.
Die Klage im Übrigen wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht
erhoben werden.
Tatbestand:
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Der am 00.0.1973 in B geborene Kläger ist Staatsangehöriger der Russischen
Föderation und tschetschenischer Volkszugehörigkeit.
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Er reiste am 26. Oktober 2001 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte
am 29. Oktober 2001 die Anerkennung als Asylberechtigter.
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Mit Bescheid vom 13. Dezember 2001 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) den Asylantrag ab, stellte fest, dass die
Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG nicht vorliegen, stellte ferner fest, dass
Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen und forderte den Kläger auf,
die Bundesrepublik Deutschland innerhalb eines Monats nach unanfechtbarem
Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen; für den Fall der Nichteinhaltung der
Ausreisefrist drohte es die Abschiebung in die Russische Föderation an unter Hinweis
darauf, dass die Abschiebung auch in einen anderen Staat erfolgen könne, in den der
Kläger einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei.
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Der Kläger hat am 11. Februar 2002 Klage erhoben, mit welcher er das
Anerkennungsbegehren weiterverfolgt.
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Der Kläger beantragt,
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die Beklagte unter entsprechender teilweiser Aufhebung des Bescheids des
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Bundesamts vom 13. Dezember 2001 zu verpflichten, festzustellen, dass die
Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG gegeben sind bzw. dass
Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen.
Die Beklagte tritt der Klage entgegen und beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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In der mündlichen Verhandlung vom 12. Juli 2006 wurde der Kläger mit Hilfe einer
Dolmetscherin für die russische und tschetschenische Sprache zu seinen Asylgründen
gehört. Seine Aussage wurde protokolliert.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den
Inhalt der Gerichtsakten und der in diesem Verfahren beigezogenen
Verwaltungsvorgänge der Beklagten sowie der Ausländerbehörde Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Das Verfahren war einzustellen, soweit die Klage durch Einschränkung des
Klageantrags zurückgenommen worden ist (§ 92 VwGO).
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Die zulässige Klage im Übrigen ist unbegründet.
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Der angefochtene Bescheid des Bundesamts ist rechtmäßig und verletzt den Kläger
mithin nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Kläger
hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf die Feststellung, dass die
Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen, bzw. auf Feststellung des
Vorliegens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG und ist von der
Beklagten zu Recht unter Abschiebungsandrohung zum Verlassen der Bundesrepublik
Deutschland innerhalb der in dem Bescheid genannten Frist aufgefordert worden.
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Ein Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter besteht nach Art. 16a Abs. 1 GG -
gleiches gilt für die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG -, wenn der
Asylbewerber die aus Tatsachen begründete Furcht hegen muss, in dem Land, dessen
Staatsangehörigkeit er besitzt bzw. in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen
Aufenthalt hat, wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer
bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung verfolgt zu
werden, und wenn er den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder
wegen dieser Befürchtung nicht in Anspruch nehmen will.
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Der Begriff der Verfolgung meint dabei die Verletzung oder unmittelbare Gefährdung
von Leib, Leben oder persönlicher Freiheit sowie eine solche Beeinträchtigung anderer
Rechtsgüter wie der Religionsfreiheit, der beruflichen oder der wirtschaftlichen
Betätigung, die nach ihrer Schwere und Intensität die Menschenwürde verletzen und
über das hinausgehen, was die Bevölkerung des betreffenden Staates auf Grund des
dort herrschenden Systems allgemein hinzunehmen hat,
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vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 2. Juli 1980, BVerfGE 54, Seite 341,
357; Urteil vom 1. Juli 1987, BVerfGE 76, Seite 143, 157, 158.
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Die Verfolgung stellt sich als "politisch" dar, wenn sie auf die Rasse, Religion,
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Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder auf die politische
Überzeugung des Betroffenen zielt,
ständige Rechtsprechung, siehe nur BVerwG, Urteil vom 17. Mai 1983, Buchholz,
Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts,
402.25 § 1 AsylVfG Nr. 7; ferner BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989, - 2 BvR 502,
1000, 961/86 -, Blatt 24 des Abdrucks.
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Die Gefahr einer derartigen Verfolgung ist gegeben, wenn dem Asylsuchenden bei
verständiger Würdigung aller Umstände seines Falles politische Verfolgung mit
beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, wobei die insoweit erforderliche
Zukunftsprognose auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten gerichtlichen
Tatsachenentscheidung abstellt und auf einen absehbaren Zeitraum ausgerichtet sein
muss. Hat der Flüchtling bereits einmal politische Verfolgung erlitten, so kann ihm
asylrechtlicher Schutz grundsätzlich nur verwehrt werden, wenn im Rahmen der zu
treffenden Zukunftsprognose eine Wiederholung von Verfolgungsmaßnahmen mit
hinreichender Sicherheit ausgeschlossen ist,
21
BVerfG, Beschluss vom 1. Juli 1987, BVerfGE 76, 143, Bundesverwaltungsgericht,
Urteil vom 27. April 1982, BVerwGE 65, 250.
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Das Asylrecht ist aber auch dann zuzuerkennen, wenn der Asylbewerber politische
Verfolgung begründet befürchten muss, d.h. wenn ihm bei verständiger, nämlich
objektiver Würdigung der gesamten Umstände seines Falles politische Verfolgung mit
beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, sodass ihm eine Rückkehr in seinen Heimatstaat
nicht zuzumuten ist. Ob eine derartige beachtliche Wahrscheinlichkeit besteht, ist durch
eine qualifizierende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller
festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung zu ermitteln. Maßgebend ist, ob in
Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen
in der Lage des Asylsuchenden Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Eine
in diesem Sinne wohlbegründete Furcht vor einem Ereignis kann deshalb auch dann
vorliegen, wenn auf Grund einer quantitativen oder statistischen Betrachtungsweise
weniger als 50 % Wahrscheinlichkeit für dessen Eintritt besteht,
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BVerwG, Urteil vom 15. März 1988, BVerwGE 79, 143.
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Der Asylbewerber ist auf Grund der ihm obliegenden prozessualen Mitwirkungspflicht
gehalten, umfassend die in seine eigene Sphäre fallenden Ereignisse zu schildern, die
seiner Auffassung zufolge geeignet sind, den Asylanspruch zu tragen und insbesondere
auch den politischen Charakter der Verfolgungsmaßnahmen festzustellen, wobei
allerdings der sachtypische Beweisnotstand hinsichtlich der Vorgänge im Verfolgerstaat
bei der Auswahl der Beweismittel sowie bei der Würdigung des Vortrags und der
Beweise angemessen zu berücksichtigen ist. Das Gericht darf hinsichtlich
asylbegründender Vorgänge im Verfolgerland (Vorfluchtgründe) keine unerfüllbaren
Beweisanforderungen stellen und keine unumstößliche Gewissheit verlangen, sondern
muss sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben
brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, der den Zweifeln Schweigen gebietet,
auch wenn sie nicht völlig auszuschließen sind. Soweit die Verfolgungsfurcht auf
Vorgänge im Heimatland des Asylbewerbers gestützt wird, genügt es für die
Überzeugungsbildung des Gerichts, dass die Asylgründe glaubhaft gemacht sind, wobei
die Glaubhaftmachung eine schlüssige, nachprüfbare Darlegung der Gründe mit
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Einzelheiten voraussetzt. Widersprüchliches oder im Verfahren sich steigerndes
Vorbringen kann die Glaubwürdigkeit des Asylsuchenden in Frage stellen, falls die
Unstimmigkeit nicht überzeugend aufgelöst wurde;
zum Vorstehenden: BVerwG, Urteil vom 29. November 1979, BVerwGE 55, 82; Urteil
vom 16. April 1985, BVerwGE 71, 180, OVG NW, Urteil vom 25. August 1981, InfAuslR
1982, 43.
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Die Verfolgungsprognose ist im Übrigen landesweit, d.h. für den gesamten Heimatstaat
des Asylbewerbers und nicht etwa begrenzt auf dessen ursprüngliche Heimatregion zu
treffen, denn des Schutzes vor politischer Verfolgung im Ausland bedarf nicht, wer zwar
in Teilen seines Heimatlandes politische Verfolgung erlitten hat, bzw. von
entsprechenden Verfolgungsmaßnahmen bedroht ist, aber in anderen Teilen des
eigenen Landes ohne Furcht vor politischer Verfolgung leben kann, sofern der
Aufenthalt dort für ihn nicht unzumutbar ist (so genannte inländische Fluchtalternative),
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ständige Rspr. des BVerwG, etwa Urteil vom 6. Oktober 1987, Buchholz, a.a.O., § 1
AsylVfG Nr. 72, BVerfG, Beschluss vom 20. Dezember 1988, NVwZ 1989, 746, 747.
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Eine Erstreckung des Asylgrundrechts auf nach der Flucht des Asylbewerbers aus
seinem Heimatland entstandenen Tatbestände (Nachfluchtgründe) kommt nur insoweit
in Betracht, als sie nach dem Sinn und Zweck der Asylverbürgung, wie sie dem
Normierungswillen des Verfassungsgebers entspricht, gefordert ist. Unter diesem
Gesichtspunkt lässt sich für so genannte objektive Nachfluchttatbestände, die durch
Vorgänge oder Ereignisse im Heimatland unabhängig von der Person des
Asylbewerbers ausgelöst werden, eine Asylrelevanz in Betracht ziehen. Subjektive
Nachfluchttatbestände, die der Asylbewerber nach Verlassen des Heimatstaates aus
eigenem Entschluss geschaffen hat, rechtfertigen in aller Regel nur dann eine
Anerkennung als Asylberechtigter, wenn sie sich als Ausdruck und Fortführung einer
schon während des Aufenthalts im Heimatstaat vorhandenen und erkennbar betätigten
festen Überzeugung darstellen, mithin als notwendige Konsequenz einer dauernden,
die eigene Identität prägenden und nach außen kundgegebenen Lebenshaltung
erscheinen,
29
BVerfG, Beschluss vom 26. November 1986, BVerfGE 74, 51.
30
Darüber hinaus ist ein subjektiver Nachfluchtgrund grundsätzlich nur dann asylrechtlich
beachtlich, wenn eine Kontinuität zwischen dem schon im Heimatstaat erkennbar
gewordenen Verhalten und dem Nachfluchtverhalten gegeben ist,
31
BVerwG, Urteil vom 27. Juni 1989, BVerwGE 82, 171.
32
Für Vorgänge innerhalb des Gastlandes ist - anders als bei Vorfluchttatbeständen - der
volle Nachweis durch den Asylbewerber zu fordern,
33
BVerfG, Beschluss vom 26. November 1986, a.a.O., BVerfG, Urteil vom 29. November
1979, BVerfGE 55, 82.
34
Ausgehend von diesen Grundsätzen und auf Grund der eigenen Angaben des Klägers,
der beigezogenen Akten sowie der in das Verfahren eingeführten Erkenntnisse über die
politische Situation im Heimatland des Klägers hat der Kläger keinen Anspruch auf
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Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG.
Dem persönlichen Vorbringen des Klägers und dessen Würdigung kommt für die Frage,
ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG zu bejahen sind, besondere
Bedeutung zu. Sein Tatsachenvortrag kann nur zum Erfolg führen, wenn seine
Behauptungen in dem Sinne glaubhaft sind, dass sich das Gericht von ihrer Wahrheit
überzeugen kann,
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BVerwG, Urteil vom 16. April 1985, BverwGE 71, 180 folgende.
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Die demnach über die Überzeugungsbildung des Gerichts zentrale Glaubhaftigkeit
erfordert ein in sich geschlossenes und auch in den Einzelheiten widerspruchsfreies
Vorbringen, dessen Schilderungen zumindest einleuchtend sind und über ganz
allgemein gehaltene, lediglich an bekannte Vorgänge anknüpfende Angaben
hinausgehen sowie eine hinlängliche Individualisierung im Hinblick auf den jeweiligen
Kläger aufweisen,
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BVerwG, Urteil vom 18. Oktober 1983, Entscheidungen zum Asylrecht (EZAR) 630 Nr.
8.
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In Anwendung dieser Grundsätze ist ein Anspruch des Klägers auf Feststellung der
Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG zu verneinen, denn ihm droht auf Grund
seines individuellen Vorbringens in der Russischen Föderation keine politische
Verfolgung.
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Es fehlt nämlich an einem substantierten, nachvollziehbaren, in sich geschlossenen und
widerspruchsfreien Vorbringen des Klägers zu dem Geschehenskomplex in der
Russischen Föderation, der zu seiner Gefährdung aus politischen Gründen geführt
haben soll.
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Das Vorbringen des Klägers ist von deutlichen Widersprüchen gekennzeichnet, die
dazu führen, seine Bekundungen als unglaubhaft zu werten bzw. den Rückschluss
darauf zulassen, dass es sich nicht um wirklich erlebte Umstände handelt. So hat der
Kläger bei seiner Befragung durch das Bundesamt am 30. Oktober 2001 ausgeführt, er
habe den tschetschenischen Rebellen geholfen, in dem er ihnen wichtige Informationen
gegeben habe. Er habe seinen Landsleuten Stellungen der russischen Truppen
bekannt gegeben; dies habe er über Funkgerät getan. Wenn die Russen in ihr Dorf
gekommen wären, so hätten sie immer über Funk weitergegeben, wo sich die Russen
gerade aufhielten. Von weiteren Unterstützungen berichtete der Kläger bei seiner
Anhörung vor dem Bundesamt am 30. Oktober 2001 nicht. Demgegenüber schildert er in
der mündlichen Verhandlung vom 12. Juli 2006 seine Unterstützungshandlungen
grundsätzlich anders. Auf Befragen der Einzelrichterin hat der Kläger in der mündlichen
Verhandlung vom 12. Juli 2006 erklärt, die Rebellen hätten sich oft bei ihm aufgehalten
und er habe ihnen zu essen gegeben; dies sei nach der Einnahme des Dorfes durch die
Russen geschehen. Wer von den Kämpfern zurückgeblieben sei, habe sich oft bei ihm
aufgehalten. Er habe auch Waffen an die tschetschenischen Kämpfer weitergegeben.
Dies sei während der Einnahme des Dorfes im Herbst 1999 geschehen. Auch während
der Einnahme des Dorfes hätten sich 50 bis 60 Leute bei ihm aufgehalten und die
Nächte bei ihm verbracht. Er habe ihnen zu essen gegeben. Nachts seien die
tschetschenischen Rebellen gekommen. Sie hätten sich ca. eine Woche, vielleicht auch
zwei, bei ihm aufgehalten und seien dann gegangen. Wiederholt nachgefragt hat die
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Einzelrichterin in der mündlichen Verhandlung vom 12. Juli 2006, ob damit alle
Unterstützungshandlungen aufgezählt sind, die der Kläger geleistet hat. Der Kläger hat
ausdrücklich bejaht, dies sei alles, was er gemacht habe. Damit besteht ein deutlicher
Widerspruch zu seinen Bekundungen bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt; die
jeweiligen Ausführungen sind nicht miteinander in Einklang zu bringen. Dies ist auch
nicht damit zu erklären - worauf der Prozessbevollmächtigte des Klägers hingewiesen
hat -, dass der Kläger möglicherweise Schwierigkeiten hat, Geschehenes schildern zu
können. Dies würde eine Erklärung dafür geben, dass der Kläger möglicherweise
Umstände nur verkürzt wiedergibt, nicht aber für gänzlich gegensätzliche
Schilderungen. Bei den erheblichen Widersprüchen handelt es sich nicht nur um
unerhebliche Abweichungen, sondern diese Widersprüche treffen den Kern des geltend
gemachten Verfolgungsschicksals, weil es sich um die Unterstützung tschetschenischer
Rebellen handelt, die den behaupteten Zugriff der russischen Sicherheitskräfte
veranlasst haben.
Unter Zugrundelegung der der Kammer zur Verfügung stehenden Auskünfte und
Erkenntisse erweisen sich weiter die Schilderungen des Klägers die Verhältnisse in B
betreffend als detailarm, sodass sie der Einzelrichterin nicht den Eindruck zu vermitteln
vermochten, der Kläger habe sich zu dieser Zeit, nämlich von 1999 bis 2001 tatsächlich
in B aufgehalten. Auf die Bitte, konkret zu schildern, wie sich die Verhältnisse in B
dargestellt hätten, vermochte der Kläger nur zu antworten, es sei alles durcheinander
gewesen und es sei dort sehr schwer gewesen. Fast jeden Tag seien Durchsuchungen
durchgeführt und Jugendliche mitgenommen worden, diese seien später spurlos
verschwunden. Fast jeden Tag sei B bombardiert worden. Bevor die Russen da
gewesen seien, wären die Rebellen da gewesen. Dann sei der Krieg ausgebrochen.
Dann seien die Russen dort gewesen. Damit gibt der Kläger allenfalls pauschale
Antworten, die über allgemein bekannte Kriegsgeschehnisse nicht hinausgehen. Auch
die Einnahme von B seitens der Russen wusste der Kläger nicht konkret zu benennen,
obgleich es sich um ein für jeden Bewohner einschneidendes Ereignis gehandelt haben
müsste; darüber hinaus erweist sich das von ihm genannte Datum, dessen er sich nicht
sicher ist, als falsch. Ferner wusste der Kläger besondere Ereignisse um B nicht zu
nennen. Demgegenüber sind im Februar 2000 Präsident Maschadov, das Parlament
und ein großer Teil der tschetschenischen Streitkräfte ausgebrochen und haben Grosny
verlassen. Beim Überqueren eines Minenfeldes bei B kamen mehr als 3.000 Kämpfer
um; C wurde der Fuß abgerissen.
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Widersprüche sind ferner auch bei weiteren Angaben des Klägers zu verzeichnen. So
hat er bezüglich seiner ersten Festnahme bei seiner Befragung in der mündlichen
Verhandlung vom 12. Juli 2006 ausgeführt, während seiner einmonatigen Festnahme
sei er sehr viel beleidigt und geschlagen worden. Die Russen hätten ihn brutal
geschlagen und alles gemacht, was man mit einem Menschen habe anstellen können.
Demgegenüber hat der Kläger bei seiner Anhörung durch das Bundesamt ausgeführt,
man habe ihm körperlich nichts weiter zugefügt, habe ihn jedoch beschimpft und
versucht, ihn psychisch fertig zu machen. Dabei handelt es sich ebenfalls um nicht
miteinander zu vereinbarende Bekundungen.
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Für nicht glaubhaft hält die Einzelrichterin ferner die Erklärungen des Klägers in der
mündlichen Verhandlung vom 12. Juli 2006, er habe bei seiner Festnahme seinen
Eltern gesagt, sie sollten das Geld nicht bezahlen, obwohl diese dazu bereit waren, und
so sei er - der Kläger - mitgenommen worden. Der Kläger war nach seinen
Bekundungen denunziert worden, tschetschenische Kämpfer zu unterstützen, musste
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mithin bei seiner Festnahme damit rechnen, dass er entsprechend der Handhabung bei
Säuberungsaktionen gefoltert und verschwinden würde. Dann ist nicht erklärlich, dass
er diesem ihm drohenden Schicksal nicht dadurch zu entgehen versucht, dass die Eltern
den russischen Sicherheitskräften wie üblich Geld anbieten. Seine dafür gegebene
Erklärung, wenn die Eltern ihn einmal freigekauft hätten, passiere es immer wieder, man
müsse immer wieder bezahlen und er habe Angst gehabt, dass die Russen immer
wiederkämen, vermag nicht zu überzeugen, denn dem hätte der Kläger durch seine
sofortige Ausreise bzw. dadurch, dass er sich vor einer weiteren Festnahme versteckt,
entgehen können. Kaum nachvollziehbar ist schließlich auch, dass - wie der Kläger in
der mündlichen Verhandlung vom 12. Juli 2006 ausgeführt hat - er nach der
einmonatigen Festnahme und den behaupteten Misshandlungen ohne weiteres
freigelassen worden ist, obwohl die russischen Sicherheitskräfte ihn der Unterstützung
tschetschenischer Kämpfer verdächtigten. Den üblichen Gepflogenheiten würde
entsprechen, dass er nur gegen Lösegeldzahlung freigelassen worden wäre, zumal
seine Eltern bereits zuvor diese Geldleistung angeboten hatten.
Das Vorbringen des Klägers ist damit insgesamt gewürdigt zu wechselnd, vage und
ungereimt, um glaubhaft zu sein. Nach der bereits aufgezeigten Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts muss auch in Asylstreitigkeiten das Gericht die volle
Überzeugung von der Wahrheit - und nicht etwa nur von der Wahrscheinlichkeit - des
von dem Asylbewerber behaupteten individuellen Verfolgungsschicksals erlangen, aus
dem er seine Furcht vor politischer Verfolgung herleitet. Die richterliche
Überzeugungsbildung vom Vorhandensein des entscheidungserheblichen Sachverhalts
vollzieht sich in der Weise, dass sich das Gericht schlüssig werden muss, ob es dem
Asylsuchenden glaubt. Dazu sieht sich im vorliegenden Fall das Gericht auf Grund der
Darstellungen des Klägers außer Stande. In der Gesamtschau stellen die zahlreichen
Ungereimtheiten, Widersprüche und Steigerungen im Vortrag die Glaubhaftigkeit des
geltend gemachten Verfolgungsschicksals in entscheidungserheblicher Weise in
Zweifel, weil sie schon angesichts ihrer Vielzahl ins Gewicht fallen und zudem gerade
den Kernbereich des angeblichen Verfolgungsschicksals betreffen und nicht etwa nur
Nebensächlichkeiten.
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Ebenfalls zu Recht hat das insoweit nach § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG zuständige
Bundesamt festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG
nicht vorliegen. Die Abschiebung nach dieser Vorschrift hindernde konkrete Tatsachen
hat der Kläger nicht vorgetragen; solche sind auch sonst nicht ersichtlich. Insoweit wird
ergänzend auf die Ausführungen des Bundesamtes Bezug genommen, denen die
Kammer folgt (§§ 117 Abs. 5 VwGO, 77 Abs. 2 AsylVfG).
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Schließlich hat das Bundesamt zu Recht den nach § 50 Abs. 1 AufenthG
ausreisepflichtigen Kläger, der nicht im Besitz eines Aufenthaltstitels ist, zur Ausreise
aufgefordert und ihm nach § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG i.V.m. § 59 AufenthG die
Abschiebung in die Russische Föderation angedroht; der Hinweis auf die Möglichkeit
der Abschiebung in einen anderen Staat beruht auf § 59 Abs. 2 AufenthG. Die gesetzte
Frist beruht auf § 38 Abs. 1 AsylVfG und ist rechtlich nicht zu beanstanden.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83b AsylVfG.
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Wegen des Gegenstandswertes der anwaltlichen Tätigkeit wird auf § 30 RVG
verwiesen.
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