Urteil des VG Düsseldorf vom 11.04.2002

VG Düsseldorf: körperschaden, anerkennung, behandlungskosten, rezept, lehrerkonferenz, anschluss, dienstzeit, vollstreckung, wahrscheinlichkeit, facharzt

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 23 K 5198/99
Datum:
11.04.2002
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
23 Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
23 K 5198/99
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die
Vollstreckung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn
nicht das beklagte Land vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher
Höhe leistet.
Tatbestand:
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Der Kläger steht als Lehrer seit 1979 im Dienst des beklagten Landes und unterrichtet
an dem Gymnasium Tstraße in X.
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Unter dem 5. April 1999 beantragte der Kläger die Anerkennung eines während der
Lehrerkonferenz am 1. Februar 1999 eingetretenen Vorfalls und seiner Folgen als
Dienstunfall. Er gab an, während der in der Mensa der Schule abgehaltenen Konferenz
sei es durch eine Rückkopplung der eingesetzten Verstärkeranlage zu einem
ohrenbetäubenden Pfeifen gekommen. Der am nächsten Tag aufgesuchte Arzt Dr. R
habe ein Lärmtrauma des rechten Ohres festgestellt. Der Kläger legte zwei schriftliche
Zeugenaussagen von Kollegen vor, die die Auslösung eines längeren,
ohrenbetäubenden Rückkopplungstones bestätigten. Weiter gab eine Zeugin an, der
Kläger habe im Anschluss im Gespräch erhebliche Schwierigkeiten gehabt, sie zu
verstehen. Außerdem legte der Kläger eine Bescheinigung des Ohrenarztes Dr. R vom
19. April 1999 vor, wonach der Kläger bei ihm vom 2. bis 5 Februar 1999 wegen
Lärmtraumas in medikamentöser Behandlung gewesen sei. Die durchgeführten
Spielgeluntersuchungen seinen unauffällig gewesen, das Reintonaudiogramm habe
keine Veränderung gegenüber den bereits bekannten Werten erbracht.
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In der Folgezeit reichte der Kläger bei der Bezirksregierung E eine Rechnung des Herrn
Dr. R vom 30. März 1999 für ärztliche Untersuchungen am 2. und 5. Februar 1999 über
365,30 DM sowie ein Rezept des Herrn Dr. R vom 2. Februar 1999 ein, mit dem der
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Kläger Medikamente zum Preis von 58,29 DM erworben hatte.
Mit Bescheid vom 27. Mai 1999 lehnte die Bezirksregierung E die Anerkennung des
Vorfalls vom 1. Februar 1999 und die darauf zurückgeführten Folgen als Dienstunfall
nach § 31 Abs. 1 des ?eamtenversorgungsgesetzes (BeamtVG) ab. Auf Grund der
ärztlichen Bescheinigung des Herrn Dr. R sei davon auszugehen, dass beim Kläger
bereits vor dem 1. Februar 1999 ein entsprechendes Leiden vorhanden gewesen sei.
Der Umstand, dass nicht auch bei anderen Kollegen entsprechende Beschwerden
aufgetreten seien, lasse darauf schließen, dass das Unfallereignis vom 1. Februar 1999
nur von untergeordneter Bedeutung für den eingetretenen Körperschaden gewesen sei.
Lärmbelästigungen bei Verrichtungen des täglichen Lebens hätten jederzeit denselben
Schaden herbeiführen können.
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Am 18. Juni 1999 legte der Kläger Widerspruch gegen den ablehnenden Bescheid vom
27. Mai 1999 ein. Zur Begründung führte er aus, er habe in seinem Leben noch kein
weiteres Lärmtrauma erlitten, sodass nicht davon ausgegangen werden könne, dass
„jedes andere ähnliche, alltäglich vorkommende Ereignis denselben Erfolg
herbeigeführt hätte". Vielmehr sei der Rückkopplungston sehr wohl wesentliche
Ursache für den Körperschaden.
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Mit Bescheid vom 7. Juli 1999 wies die Bezirksregierung E den Widerspruch des
Klägers unter Wiederholung der Argumentation aus dem Ausgangsbescheid zurück.
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Die vom Kläger zur Erstattung eingereichte Arztrechnung sowie das zum
Medikamentenerwerb verwendete Rezept gab die Bezirksregierung E dem Kläger unter
Bezugnahme auf die Widerspruchsentscheidung zurück.
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Der Kläger hat am 6. August 1998 Klage erhoben. Zur Begründung trägt er vor, die
Ursächlichkeit des Ereignisses während der Lehrerkonferenz am 1. Februar 1999 für
das Lärmtrauma könne nicht in Zweifel gezogen werden, da er nie zuvor unter
vergleichbaren Beschwerden gelitten habe. Zur Untermauerung legt er eine ärztliche
Bescheinigung des Herrn Dr. R vom 8. März 2001 vor, wonach 1995 und im Oktober
1997 beim Kläger eingetretene Hörstürze nach entsprechender Behandlung folgenlos
verheilt seien. Am 2. Februar 1999 habe nur ein leichtes Absinken der Hörschwelle
festgestellt werden können.
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In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger ergänzend darauf hingewiesen, dass es
sich bei dem durch die 200-Watt-Verstärkeranlage ausgelösten
Rückkopplungsgeräusch um einen extrem lauten und länger anhaltenden Ton
gehandelt habe.
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Der Kläger beantragt,
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den Bescheid der Beklagten vom 27. Mai 1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 7. Juli 1999 aufzuheben und den in der Dienstunfallanzeige näher beschriebenen
Vorfall am 1. Februar 1999 und das im Anschluss festgestellte Lärmtrauma als
Dienstunfall anzuerkennen sowie die Beklagte zu verpflichten, ihm im Rahmen der
Unfallfürsorge Behandlungskosten in Höhe von 423,59 DM zu erstatten.
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Das beklagte Landes beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung nimmt das beklagte Land auf die vom Kläger vorgelegte ohrenärztliche
Bescheinigung vom 8. März 2001 Bezug, die belege, dass der geltend gemachte
Körperschaden auf eine anlagebedingte Anfälligkeit des Hörorganes zurückzuführen
sei.
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Das Gericht hat eine Stellungnahme des den Kläger behandelnden Ohrenarztes Dr. R
eingeholt. Danach wurde der Kläger u.a. in den Jahren 1995 und 1997 wegen
Hörsturzes, im Jahr 1998 wegen subjektiver Hörstörung und im Jahr 1999 wegen
Lärmtraumas behandelt. Im Hinblick auf den wiederholten Hörsturz könne eine
anlagebedingte Schwäche sowie ein erhöhtes Risiko für den Eintritt von Erkrankungen
dieser Art beim Kläger nicht ausgeschlossen werden. Eine besondere Empfindlichkeit
des Klägers gegenüber starken akustischen Reizen wie Lärm müsse als sehr
wahrscheinlich angesehen werden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Bezirksregierung E
Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage hat keinen Erfolg.
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Die angegriffenen Bescheide der Bezirksregierung E vom 27. Mai und 7. Juli 1999 sind
rechtmäßig. Der Kläger hat weder einen Anspruch auf Anerkennung des Geschehens
am 1. Februar 1999 und des nachfolgenden Lärmtraumas als Dienstunfall noch auf
Übernahme der in diesem Zusammenhang angefallen Behandlungskosten durch die
Unfallfürsorge.
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§ 31 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG definiert einen Dienstunfall als ein Ereignis, das in
Ausübung des Dienstes eingetreten ist und einen Körperschaden verursacht hat. Ein
dienstunfallbedingter Körperschaden liegt vor, wenn das als Dienstunfall in Betracht
kommende Ereignis bei dem Beamten allein oder als wesentliche, zumindest
gleichgewichtige Ursache neben anderen einen vom gesundheitlichen Normalzustand
abweichenden Zustand herbeigeführt hat. Wesentliche (Teil-)Ursache in diesem Sinne
kann ein äußeres Ereignis auch dann sein, wenn es ein anlagebedingtes Leiden
auslöst oder beschleunigt, wenn es nicht gegenüber anderen Bedingungen - wozu auch
die vorhandene Anlage gehört - von untergeordneter Bedeutung ist. Danach sind sog.
Gelegenheitsursachen, bei denen zwischen dem Dienst und dem eingetretenen
Schaden eine nur zufällige Beziehung besteht, weil eine krankhafte Veranlagung oder
ein anlagebedingtes Leiden so leicht ansprechbar war, dass auch ein anderes im
alltäglichen Leben vorkommendes ähnliches Ereignis denselben Erfolg herbeigeführt
hätte, nicht als Ursachen im dienstunfallrechtlichen Sinne anzusehen.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juni 1988 - 2 C 77.86 -, ZBR 1989,57; OVG NRW, Urteile
vom 17. Januar 1990 - 6 A 2506/87 -, vom 30. Januar 1990 - 1 A 129/88 - und vom 6.
April 1995 - 6 A 1203/94 -, Schütz/Maiwald, Beamtenrecht, Entscheidungssammlung C
II 3.1 Nr. 36, 38, 56.
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Demnach scheitert die vom Kläger begehrte Dienstunfallanerkennung jedenfalls
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deshalb, weil das angeschuldigte Ereignis - hohe Geräuschentwicklung durch
Rückkopplung der schulischen Verstärkeranlage - nicht als wesentliche Ursache im
dienstunfallrechtlichen Sinne für das am nächsten Tag durch einen Facharzt
diagnostizierte Lärmtrauma angesehen werden kann.
Nach den vorliegenden ärztlichen Bescheinigungen des den Kläger behandelnden
Ohrenarztes Dr. R muss davon ausgegangenen werden, dass es beim Kläger bereits
vor dem 1. Februar 1999 mehrfach zu pathologischen Zuständen im Bereich des
Hörorganes gekommen ist. Nach Einschätzung von Herrn Dr. R können sowohl eine
anlagebedingte Schwäche als auch eine (mittlerweile) erhöhte Anfälligkeit für
Beschwerden im Bereichs des Ohres nicht ausgeschlossen werden und muss mit hoher
Wahrscheinlichkeit von einer besonderen Empfindlichkeit des Klägers für akustische
Reize ausgegangen werden. Gegenteiliges hat der Kläger, der zunächst lediglich
behauptet hatte, nie vergleichbare Beschwerden gehabt zu haben, nicht überzeugend
dargelegt. Es ist von daher davon auszugehen, dass neben der extremen
Geräuschbelastung durch die Rückkopplung der Verstärkeranlage auch eine besondere
Empfindlichkeit des Klägers ursächlich für das eingetretene Lärmtrauma war. Für diese
Schlussfolgerung spricht auch der Umstand, dass keine vergleichbaren Beschwerden
bei anderen der etwa hundert anwesenden Kollegen des Klägers bekannt geworden
sind.
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Darüber hinaus sieht das Gericht das angeschuldigte Unfallereignis als ein Ereignis an,
das so oder in nach der Geräuschentwicklung vergleichbarer Weise auch jederzeit im
alltäglichen Leben auftreten kann. Zum einen besteht bei jeder größeren Veranstaltung
(Konzert, Tanzveranstaltung, Vereinsversammlung u.ä.), bei der eine Verstärkeranlage
größeren Zuschnitts benutzt wird, die realistische Möglichkeit einer ungewollt
übermäßigen Lärmentwicklung. Zum anderen kommt es auch in vielen anderen
alltäglichen Situationen (im Straßenverkehr, in der Nähe von Baustellen, beim Einsatz
größerer Maschinen) unerwartet zu hohen Lärmbelastungen. Konkrete Anhaltspunkte
dafür, dass der vom Kläger beklagte Körperschaden stattdessen nur auf Grund der
besonderen, unersetzlichen Eigenart des angeschuldigten Unfallereignisses erklärbar
wäre, sind weder ersichtlich noch vom Kläger plausibel dargelegt. Auf diesem
Hintergrund muss es als eher zufällig angesehen werden, dass die erhöhte
Lärmbelastung und die auf Grund der besonderen Empfindlichkeit des Klägers für
akustische Reize nachfolgenden Hörprobleme während der Dienstzeit und nicht bei
einer vergleichbaren anderen Gelegenheit außerhalb des Dienstes aufgetreten sind.
Damit kann das in die Dienstzeit fallende Unfallereignis nicht neben der besonderen
Disposition des Klägers als wesentliche Ursache des Lärmtraumas im
dienstunfallrechtlichen Sinne angesehen werden.
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Hat demnach die Bezirksregierung E zu Recht die Anerkennung des Vorfalls am 1.
Februar 1999 und des nachfolgenden Lärmtraumas als Dienstunfall nach § 31 Abs. 1
BeamtVG abgelehnt, ist für eine Übernahme der im Zusammenhang mit dem
Lärmtrauma entstandene Behandlungskosten durch die Unfallfürsorge nach § 33
BeamtVG kein Raum.
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Die Klage war von daher in vollem Umfang mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO
abzuweisen.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§
708 Nr. 11, 711 ZPO.
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