Urteil des VG Düsseldorf vom 17.03.2010

VG Düsseldorf (treu und glauben, kläger, indien, ausreise, aufenthaltserlaubnis, sicherung, diplomatische vertretung, zeitpunkt, ausländer, bremen)

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 7 K 5686/09
Datum:
17.03.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
7. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
7 K 5686/09
Schlagworte:
Lebensunterhalt Niederlassungserlaubnis Verpflichtungserklärung
Zeitpunkt maßgeblicher Zeitpunkt
Normen:
AufenthG § 51 Abs 1 Nr 7 AufenthG § 51 Abs 2 S 1 AufenthG § 2 Abs 3
Leitsätze:
Die Sicherung des Lebensunterhalts im Sinne von §§ 51 Abs. 2 Satz 1,
2 Abs. 3 AufenthG kann nicht durch eine erst für die Zukunft nach der
Wiedereinreise des Ausländers dargetan werden, wenn der Ausländer
bis zur Wiedereinreise nach mehr als sechs Monaten öffentliche Mittel
zur Bestreitung des Lebensunterhalts bezogen hat.
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig voll¬streckbar.
Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder
Hin¬terlegung in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages abwen-
den, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher
Höhe leistet.
Die am 00.0.1948 (Ehemann) bzw. 0.0.1957 (Ehefrau) geborenen Kläger sind indische
Staatsangehörige. Der Kläger reiste erstmals im Jahr 1978 als Asylbewerber in das
Bundesgebiet ein. Er gab damals an, mit Frau L, geb. 1952, verheiratet zu sein.
Nachdem sein Asylantrag keinen Erfolg gehabt hatte, heiratete er am 22. April 1981 in
Dänemark die deutsche Staatsangehörige T. Zuvor hatte er ein "affidavit" der Frau L,
Tochter des Herrn T1, vom 29. Januar 1981 vorgelegt, wonach seine Ehe mit dieser am
24. Dezember 1981 geschieden worden war. Zur Führung der ehelichen
Lebensgemeinschaft mit seiner deutschen Ehefrau wurde dem Kläger erstmals am 6.
Mai 1981 eine Aufenthaltserlaubnis erteilt, die zunächst bis zum 19. September 1989
verlängert wurde. Am 7. Oktober 1988 erhielt er eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis.
Die Ehe des Klägers mit Frau T wurde am 9. August 1990 geschieden.
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Die Klägerin kam erstmals im April 1982, ebenfalls als Asylbewerberin, nach
Deutschland. Nachdem auch ihr Asylantrag erfolglos geblieben war, reiste sie wohl im
Mai 1984 wieder aus. Einen weiteren Asylantrag stellte sie im Jahr 1985, nachdem sie
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nach eigenen Angaben im April 1985 wieder eingereist war. Nachdem auch dieser
Antrag erfolglos geblieben war, wurde sie im Februar 1988 von der damals zuständigen
Ausländerbehörde in E "registerbereinigt".
Am 15. August 1990 heirateten die Kläger in Indien. Die Braut – die Klägerin – war nach
der Heiratsurkunde bei der Eheschließung 33 Jahre alt und Tochter des Herrn T1. Im
April 1991 reiste die Klägerin als Touristin wieder in das Bundesgebiet ein. Am 7.
Oktober 1991 erhielt sie eine befristete Aufenthaltserlaubnis, die fortlaufend verlängert
wurde, zuletzt am 24. Juni 2008 bis zum 22. Juni 2010. War mit dem
Verlängerungsantrag im Jahr 1994 noch ein Erwerbseinkommen des Klägers aus
Gewerbebetrieb glaubhaft gemacht worden, so konnte bei den nachfolgenden
Verlängerungsanträgen im Dezember 1996, November 1998, Mai 2000, Juni 2002
sowie den Jahren 2004 und 2006 als Familieneinkommen jeweils nur ein solches aus
Sozialhilfemitteln bzw. nach SGB II angezeigt werden. Bei der Verlängerung im Jahr
1996 war vermerkt worden, das Geschäft des Klägers sei in Konkurs gegangen.
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Am 27. Juni 2008 flogen die Kläger - zusammen mit ihrer Schwiegertochter und deren
Kind – nach Indien. Dort wurden sie – nach Angaben der Schwiegertochter auf eine von
ihr erstattete Strafanzeige – festgenommen und waren zeitweise in Haft. Ihre Pässe
wurden beschlagnahmt und wurden ihnen erst im Januar 2009 gegen Kaution wieder
ausgehändigt. Nach einem von den Klägern dazu vorgelegten Dokument wollten ihnen
die indischen Behörden Gelegenheit geben, sich für längstens vier Monate in
Deutschland aufzuhalten, damit sie sich u.a. um ihr Geschäft kümmern könnten. Nach
ihren eigenen Angaben kamen die Kläger am 18. Januar 2009 nach Deutschland
zurück. Der Beklagte hielt zunächst in einem Vermerk fest, die Aufenthaltstitel der
Kläger seien durch ihren Auslandsaufenthalt von mehr als sechs Monaten Dauer
erloschen, und zog die - inzwischen neu erteilten - Pässe der Kläger ein. Diese
bemühten sich um deren Aushändigung zum Zweck der erneuten Ausreise nach Indien.
Der Kläger wandte sich u.a. an den Oberbürgermeister und machte geltend, die Familie
habe drei Einzelhandelsgeschäfte, er habe den Unterhalt der Familie immer
sicherstellen können. Der Aufenthalt in Indien habe sich gegen ihren Willen in die
Länge gezogen, weil sie schuldlos in ein Strafverfahren verwickelt worden seien. Eine
Nachfrage der Ausländerbehörde bei der ARGE vom 16. April 2009 ergab, dass die
Kläger dort seit dem 1. Januar 2005 durchgehend "Regelleistungen nach dem SGB II
und Miete" bezogen. Am 29. April 2009 reisten die Kläger, nachdem sie vom Beklagten
darüber informiert worden waren, dass eine Rückkehr ausgeschlossen sei, mit ihren
Pässen nach Indien, wo sie sich bis heute aufhalten.
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Am 3. September 2009 haben die Kläger die vorliegende Klage erhoben. Sie sind der
Auffassung, ihre Aufenthaltstitel seien nicht erloschen. Da sie die Sechsmonatsfrist nur
geringfügig und unverschuldet überschritten hätten, verstoße es gegen Treu und
Glauben, ihnen das vorzuhalten. Der Aufenthalt in Indien habe nur etwa drei Monate
dauern sollen, nur durch die Einbehaltung der Pässe seien sie an der rechtzeitigen
Rückkehr gehindert gewesen. Ihr Fall sei deshalb so zu behandeln wie der vom VG
Bremen entschiedene Fall L1. Die Niederlassungserlaubnis des Klägers sei außerdem
deshalb nicht erloschen, weil die Voraussetzungen des § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG in
seinem Fall zuträfen. Der Lebensunterhalt werde von seinen in Deutschland lebenden
Kindern garantiert.
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Die Kläger beantragen sinngemäß,
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festzustellen, dass die Niederlassungserlaubnis des Klägers und die
Aufenthaltserlaubnis der Klägerin durch den Auslandsaufenthalt vom 27. Juni
2008 bis zum 18. Januar 2009 nicht erloschen sind.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er ist der Auffassung, auf § 51 Abs. 2 AufenthG könne der Kläger sich nicht berufen, weil
für die Sicherung des Lebensunterhalts auf den Zeitpunkt der Ausreise abzustellen sei.
Zu jenem Zeitpunkt hätten die Kläger Leistungen nach dem SGB II bezogen; auf eine
Prognose komme es deshalb nicht an.
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Mit Gerichtsbescheid vom 5. Januar 2010 hat der Einzelrichter die Klage abgewiesen.
Dagegen haben die Kläger mündliche Verhandlung beantragt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend Bezug
genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge
des Beklagten.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage hat keinen Erfolg. Das von den Klägern behauptete "Rechtsverhältnis" im
Sinne von § 43 Abs. 1 VwGO, nämlich das Fortbestehen ihrer Aufenthaltstitel nach ihrer
Rückkehr aus Indien im Januar 2009, lässt sich nicht feststellen. Dabei kann
dahinstehen, ob den Klägern das Rechtsschutzinteresse für ihren Antrag deshalb fehlt,
weil ihre Aufenthaltstitel, hätten sie fortbestanden, jedenfalls sechs Monate nach ihrer
Ausreise im April 2009 gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG erloschen wären. Denn die
Klage ist jedenfalls deshalb unbegründet, weil die Aufenthaltstitel der Kläger sechs
Monate nach ihrer Ausreise im Jahr 2008 erloschen waren.
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Nach § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG erlischt ein Aufenthaltstitel, wenn der Ausländer
ausgereist und nicht innerhalb von sechs Monaten oder einer von der
Ausländerbehörde bestimmten längeren Frist wieder eingereist ist. Da, wie hinsichtlich
des Klägers noch näher ausgeführt werden wird, eine der in § 51 AufenthG
vorgesehenen Ausnahmen hier nicht einschlägig ist und der Beklagte auch keine
längere Wiedereinreisefrist bestimmt hat, erloschen die den Klägern erteilten
Aufenthaltstitel sechs Monate nach der am 27. Juni 2008 erfolgten Ausreise, mithin am
27. Dezember 2008.
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Für den Eintritt dieser Rechtsfolge kommt es nicht darauf an, dass die Kläger nicht die
Absicht hatten, sich länger als sechs Monate im Ausland aufzuhalten, und an einer
rechtzeitigen Rückkehr, wie sie glaubhaft vortragen, nur durch die Beschlagnahme ihrer
Pässe gehindert waren. Weder Wortlaut noch Sinn und Zweck des § 51 Abs. 1 Nr. 7
AufenthG lassen Raum für die Einbeziehung subjektiver Umstände oder für die
Anknüpfung an besondere Hinderungsgründe. Der Regelungszweck der Norm besteht
in der Schaffung von Rechtssicherheit und -klarheit. In der Begründung des
Gesetzentwurfs der gleichlautenden Vorgängervorschrift des § 44 Abs. 1 Nr. 3 AuslG
(BR-Drucks. 11/90, S. 72) heißt es hierzu:
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"Hinsichtlich der Frage, ob ein Ausländer eine Aufenthaltsgenehmigung besitzt oder
nicht, muss Rechtsklarheit bestehen. Das Erlöschen der Aufenthaltsgenehmigung kann
deshalb nicht allein durch unbestimmte Rechtsbegriffe angeordnet werden. Aus diesem
Grund ergänzt Nummer 3 den Erlöschensgrund der Nummer 2. Wenn sich ein
Ausländer länger als sechs Monate außerhalb des Bundesgebietes aufhält, steht
grundsätzlich unwiderleglich fest, dass er aus einem seiner Natur nach nicht
vorübergehenden Grunde ausgereist und dass seine Aufenthaltsgenehmigung damit
erloschen ist. Um jedoch unbeabsichtigte Härten zu vermeiden, wird den Ausländern
die Möglichkeit eröffnet, dass die Ausländerbehörde eine längere für den Bestand der
Aufenthaltsgenehmigung unschädliche Frist bestimmen kann."
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Die Vorschrift sollte die besonders bei der Anwendung von § 9 AuslG 1965 aufgetretene
Streitfrage klären, ob subjektive oder objektive Umstände, die nach der Ausreise eines
Ausländers auftreten und ihn hindern, innerhalb von sechs Monaten in das
Bundesgebiet zurückzukehren, zum Erlöschen seiner Aufenthaltserlaubnis führen, wie
etwa ein Klinik- oder ein Haftaufenthalt während einer Urlaubsreise.
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Hierzu näher VG Hannover, Beschluss vom 3. April 2003, 10 B 698/03, 10 B 700/03,
NVwZ-Beilage I 12/2003, 103.
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Diese Frage hat der Gesetzgeber aus Gründen der Rechtssicherheit in der Weise
entschieden, dass es für den Tatbestand des Erlöschens der Aufenthaltsgenehmigung
weder auf subjektive Elemente noch auf die Rückkehr hindernde äußere Einflüsse
ankommt. Die erstrebte Rechtsklarheit in Fragen des Aufenthaltsstatus würde bei einer
auf die individuellen Hinderungsgründe abstellenden Prüfung des Einzelfalls verfehlt.
Daher steht, wenn sich ein Ausländer sechs Monate außerhalb des Bundesgebiets
aufgehalten hat, grundsätzlich (d.h. vorbehaltlich einer Verlängerung der
Wiedereinreisefrist durch die Ausländerbehörde) fest, dass seine
Aufenthaltsgenehmigung erloschen ist, und zwar unabhängig davon, aus welchem
Grund die Reise angetreten wurde, für wie lange sie geplant war und ob eine
Wiederkehrabsicht bestand.
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OVG NRW, Beschlüsse vom 4. August 2004, 18 B 2264/03, InfAuslR 2004, 439 und
vom 22. März 2007, 18 B 397/07, NRWE; Hamb. OVG, Beschluss vom 27. April 2004,
3 Bs 71/04, AuAS 2004, 218 ; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 30. Juni 2003,
10 B 10830/03, NVwZ-RR 73; Westphal in: Huber, Handbuch des Ausländer- und
Asylrechts, Stand: 1. Mai 2005, § 44 AuslG Rz. 44; Möller in Hofmann/Hoffmann,
Ausländerrecht, § 51 AufenthG Rz. 13.
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Ob eine subjektive Komponente zumindest insoweit eine Rolle spielt, als eine Ausreise
im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG den freien Entschluss voraussetzt, das
Bundesgebiet zu verlassen,
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so VG Hannover, a.a.O.; VG Bremen, Urteil vom 30. November 2005, 4 K 1013/05
(Kurnaz), InfAuslR 2006, 198,
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woran es etwa im Falle einer Auslieferung zwecks Strafverfolgung, bei einer Entführung
oder dem Transport einer zur freien Willensbestimmung nicht fähigen Person fehlt, kann
hier dahinstehen. Die Kläger handelten zweifellos auf der Grundlage eines freien
Willensentschlusses, als sie im Juni 2008 nach Indien flogen. Zwar sind ihre Angaben
zu dem Reisezweck nicht völlig gleichbleibend gewesen. Dass sie nicht freiwillig gereist
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wären, haben sie jedoch nie behauptet. Dafür spricht auch sonst nichts.
Aus dem oben zitierten Urteil des VG Bremen vom 30. November 2005, auf das die
Kläger sich zur Stützung ihrer Rechtsansicht, die Aufenthaltserlaubnis sei nicht gemäß
§ 51 Abs. 1 Nr. 7 AuslG erloschen, berufen, folgt nichts anderes. Maßgeblich für die
genannte Entscheidung waren die besonderen Umstände des Falles, die hier gänzlich
anders gelagert sind. Das VG Bremen hielt eine einschränkende Auslegung des
gesetzlichen Erlöschenstatbestandes nach dem Grundsatz von Treu und Glauben für
geboten, weil der dortige Kläger, der eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis gehabt
hatte, auf Grund der durch weitgehende Isolierung von der Außenwelt geprägten
Haftbedingungen in dem amerikanischen Gefangenenlager Guantanamo auf Kuba
objektiv nicht in der Lage war, fristgerecht einen Antrag auf Verlängerung der
Wiedereinreisefrist zu stellen. Dabei betonte das VG Bremen, dass eine
Aufenthaltserlaubnis regelmäßig unabhängig von den Gründen des
Auslandsaufenthalts kraft Gesetzes erlischt. Ferner hob es hervor, dass es sich bei der
von ihm für geboten erachteten Ausnahme um einen Einzelfall handele und eine
vergleichbare Sachlage allenfalls bei schwerstkranken oder verunfallten
Alleinreisenden oder Entführungsopfern denkbar erscheine; dabei wies es ausdrücklich
darauf hin, dass auch bei Untersuchungs- oder Strafhaft oder in Fällen sonstigen
staatlichen Gewahrsams der Betroffene regelmäßig über anwaltliche oder diplomatische
Vertretung in der Lage sein werde, an die Ausländerbehörde heranzutreten und einen
Antrag auf Verlängerung der Wiedereinreisefrist zu stellen. So ist es hier. Von einer
weitgehenden Kontaktsperre oder dem langfristigen Vorenthalten anwaltlichen
Beistandes kann, anders als in dem vom VG Bremen entschiedenen Fall, bei den
Klägern keine Rede sein. Dass sie bis zur Ausreise aus Indien in Haft gewesen wären,
lässt sich weder ihrem Vorbringen noch den dazu bei den Verwaltungsvorgängen
befindlichen Unterlagen aus Indien entnehmen. Trotz des Ermittlungsverfahrens waren
sie vielmehr offenbar in der Lage, den Kontakt zu ihrer Familie in Deutschland
aufrechtzuerhalten. Nur so ist erklärlich, dass die in E1 lebende Tochter die Kaution in
Indien gestellt hat, wie der Prozessbevollmächtigte der Kläger mit Schriftsatz vom 7. Juli
2009 mitgeteilt hat. Die Kläger hätten daher rechtzeitig einen Antrag auf Verlängerung
der Wiedereinreisefrist stellen können. Die tragenden Erwägungen des Urteils des
VG Bremen vom 30. November 2005, auf das sie sich berufen, treffen folglich auf den
Fall der Kläger nicht zu. Im Gegenteil ist aus den Gründen jener Entscheidung in
Anwendung auf den vorliegenden Fall der Schluss zu ziehen, dass für eine
einschränkende Auslegung des § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG hier kein Raum ist.
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Vgl. zum Ganzen VG Düsseldorf, Urteil vom 31. Mai 2006, 7 K 2826/04; OVG NRW,
Beschluss vom 8. Mai 2008, 18 A 2542/06.
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Die Anwendung der Sechsmonatsfrist des § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG verstößt entgegen
der Ansicht der Kläger auch nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben.
Insbesondere ist die von den Klägern zitierte Rechtsprechung des BVerwG,
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Urteil vom 28. März 1996, 7 C 28/95, BVerwGE 101, 39 und Beschluss vom 27.
November 1995, 7 B 290/95, Buchholz 112 § 30a VermG Nr. 1,
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hier nicht einschlägig. In beiden Entscheidungen wird ausgeführt, dass die Versäumung
einer Ausschlussfrist, wie sie auch hier vorliegt, ganz ausnahmsweise unter
Berücksichtigung des Einzelfalls und des Rechtsgebietes – in den vom BVerwG
entschiedenen Fällen des Vermögensrechts – dem Bürger nicht entgegengehalten
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werden dürfe. Ein Merkmal war in beiden Fällen ein Fehlverhalten der öffentlichen
Verwaltung im Zusammenhang mit der Fristversäumung. Gerade dieses ließ die
Berufung der öffentlichen Verwaltung auf die Frist als treuwidrig erscheinen.
Unabhängig von der Frage, inwieweit diese Rechtsprechung, die in gewissem Umfang
zu einer Verfügbarkeit der gesetzlichen Frist führt, auf das Ausländerrecht übertragbar
ist, lässt sich hier eine Treuwidrigkeit in dem Verhalten der öffentlichen Verwaltung,
insbesondere auch des Beklagten, nicht feststellen. Auch ist nicht, wie in dem Fall 7 B
290/95 des BVerwG eine besondere Hilflosigkeit der Kläger festzustellen. Diese sind
vielmehr offenbar im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte, wie die Regelung der
Kautionsstellung und Passaushändigung durch die indischen Strafverfolgungsbehörden
zeigt.
Eine verlängerte Frist für die Wiedereinreise gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG hat der
Beklagte nicht bestimmt. Es bestand für ihn hierzu auch kein Anlass. Insbesondere
haben die Kläger vor Ablauf der Sechsmonatsfrist,
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vgl. zu diesem Erfordernis OVG NRW, Beschluss vom 8. Mai 2008 a.a.O.,
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keinen entsprechenden Antrag gestellt. Vielmehr haben sie noch in ihrer Vorsprache bei
dem Beklagten am 27. Februar 2009, als die Frage des Erlöschens der Aufenthaltstitel
erstmals erörtert wurde, abgestritten, überhaupt in letzter Zeit in Indien gewesen zu sein.
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Das Erlöschen der Niederlassungserlaubnis des Klägers ist auch nicht gemäß § 51
Abs. 2 Satz 1 AufenthG ausgeschlossen. Danach erlischt die Niederlassungserlaubnis
eines Ausländers, der sich, wie der Kläger, mindestens fünfzehn Jahre lang rechtmäßig
im Bundesgebiet aufgehalten hat, dann nicht, wenn der Lebensunterhalt gesichert ist.
Von einer Sicherung des Lebensunterhalts, vgl. § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG, ist dabei
nur auszugehen, wenn der Ausländer diesen einschließlich der Krankenversicherung
für einige Zeit bestreiten kann.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 14. August 2006, 18 B 1392/06, NRWE.
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Maßgeblicher Zeitpunkt für die Erfüllung des Kriteriums ist dabei der des Erlöschens der
Niederlassungserlaubnis. Nach der oben erörterten Konzeption des § 51 Abs. 1 Nr. 7
AufenthG soll im Zeitpunkt sechs Monate nach der Ausreise gleichsam eine
Momentaufnahme der Verhältnisse Grundlage für die Beurteilung des Erlöschens bzw.
auch des Nichterlöschens nach § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG sein. Wenn nach Ablauf
der sechs Monate durch eine Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse des
Ausländers eine Sicherung des Lebensunterhalts eingetreten ist, so kann das nach dem
Grundsatz der durch § 51 Abs. 1 AufenthG erstrebten Rechtsklarheit für die Beurteilung
des Erlöschens des Aufenthaltstitels nicht mehr von Belang sein.
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So auch OVG NRW, Beschluss vom 16. Januar 2002, 18 B 732/01 (JURIS), VG
Ansbach, Beschluss vom 13. August 2009, AN 5 S 09.01142, AN 5 E 09.01288 (JURIS).
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Erheblich kann eine solche Änderung nur noch für einen Neuantrag auf Erteilung einer
Aufenthaltserlaubnis werden. Im Erlöschenszeitpunkt der Niederlassungserlaubnis im
Dezember 2008 hat der Kläger seinen Lebensunterhalt nicht ohne Inanspruchnahme
öffentlicher Leistungen im Sinne von §§ 51 Abs. 2 Satz 1, 2 Abs. 2 AufenthG bestritten.
Er stand vielmehr im laufenden Bezug öffentlicher Leistungen bei der ARGE. Damit ist
für den maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt erwiesen, dass der Lebensunterhalt nicht
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gesichert war. Ob der Kläger schon damals ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel
hätte leben können, ist unerheblich, da eine Rückabwicklung der Verhältnisse nicht
möglich ist. Dass er zukünftig nach einer Wiedereinreise allein von seinen Kindern
unterhalten werden könnte, kann unterstellt werden. Es ist jedoch für die Beurteilung
des Falles ohne Bedeutung. Zwar darf sich die Beurteilung der Sicherung des
Lebensunterhalts nicht auf eine Momentaufnahme beschränken. Vielmehr ist insoweit
stets auch eine Prognose anzustellen, wie sich schon aus dem Erfordernis der
"Sicherung" ergibt, die zwangsläufig in die Zukunft gerichtet ist.
Vgl.OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16. Februar 2010, 11 S 65.09 (JURIS);
OVG NRW, Beschluss vom 4. Dezember 2007, 17 E 47/07 (JURIS).
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Diese Prognose kann jedoch das Erfordernis der Bedarfsdeckung im maßgeblichen
Zeitpunkt nicht ersetzen, sie tritt vielmehr als zusätzliches Erfordernis hinzu. Eine
zukünftig abgegebene Verpflichtungserklärung, wie sie die Kinder der Kläger in
Aussicht gestellt haben, kann deshalb die erforderliche durchgängige Sicherung des
Lebensunterhalts nicht bewirken.
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Im Ergebnis ebenso OVG NRW, Beschluss vom 16. Januar 2002 a.a.O.
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Angemerkt sei, dass ein anderes Ergebnis nicht daraus folgt, dass man auf einen der
anderen in Rechtsprechung und Literatur erörterten Beurteilungszeitpunkte,
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vgl. dazu etwa VG Ansbach a.a.O., Bay.VGH, Urteil vom 1. Oktober 2008, 10 BV 08.256,
VG Hamburg, Urteil vom 21. August 2008, 10 K 3195/07, OVG NRW, Beschluss vom 14.
August 2006, 18 B 1392/06, jeweils JURIS,
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abstellt. Sowohl bei der Ausreise nach Indien im Juni 2008 als auch im Zeitpunkt der
Rückkehr im Januar 2009 bezog der Kläger Leistungen nach SGB II zur Sicherung des
Lebensunterhalts.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 1 VwGO, 100 ZPO. Die
Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11,
711 Satz 1 ZPO.
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Die Berufung war nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche
Bedeutung hat und das Urteil nicht von einer Entscheidung des
Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats
der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht,
§§ 124a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 und 4 VwGO.
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