Urteil des VG Düsseldorf vom 27.04.2009

VG Düsseldorf: anerkennung, wider besseres wissen, dienstliche tätigkeit, physikalische therapie, vorsteher, berufskrankheit, bauer, einzelrichter, meldepflicht, wachs

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 23 K 5499/07
Datum:
27.04.2009
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
23. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
23 K 5499/07
Schlagworte:
durchgeführtes Vorverfahren Dienstunfall Meldung Anzeige
Entbehrlichkeit der Meldung Untersuchung durch Dienstvorgesetzten
Normen:
VwGO § 68 BeamtVG § 31 Abs 1 BeamtVG § 31 Abs 3 BeamtVG § 45
Abs 1 BeamtVG § 45 Abs 2 BeamtVG § 45 Abs 3 S 1
Leitsätze:
1. Für eine Meldung eines Unfalls i.S.v. § 45 Abs 1 BeamtVG muss bei
objektiver Betrachtung erkennbar sein, dass der Beamte etwas „melden“,
also anzeigen bzw. dienstlich mitteilen will. Dadurch erfolgt eine
Abgrenzung zu unverbindlichen (nicht-dienstlichen) Gesprächen und
Mitteilungen in informellen Gesprächssituationen wie Kaffeerunden etc.
2. Eine Dienstunfallmeldung im Sinne von § 45 BeamtVG ist nur dann
entbehrlich, wenn das Unfallereignis dem Dienstvorgesetzten oder den
ihm zurechenbaren Personen in dem Umfang, wie es für eine
Dienstunfallmeldung erforderlich ist, bekannt geworden und der Un-fall
vom Dienstvorgesetzten gemäß § 45 Abs. 3 Satz 1 BeamtVG un-tersucht
worden ist.
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Entscheidung ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die
Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder
Hinterlegung in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages abwenden,
wenn nicht das beklagte Land vor der Vollstreckung Sicherheit in
derselben Höhe leistet.
Tatbestand:
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Die am 00.00.1965 geborene Klägerin stand bis zu ihrer Zurruhesetzung mit Ablauf des
30. November 2007 zuletzt als Steueramtsinspektorin (Besoldungsgruppe A 9 der
Anlage I zum Bundesbesoldungsgesetz) im Dienst des beklagten Landes und war beim
Finanzamt N beschäftigt. Im Frühjahr des Jahres 2001 fand im Finanzamt N eine
Grundreinigung statt, bei der die alten PVC-Böden mit einem starken Wachs- und
Polymerentferner ("L" der Seifenfabrik C) gereinigt wurden. Dabei wurden die
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Beschäftigten des Finanzamtes über den Tag, an dem ihr Büro zur Reinigung anstand,
informiert und waren gehalten, am Dienstschluss dieses Tages ihre Büromöbel soweit
möglich selbst auf den Flur vor dem Büro zu räumen. Dann fand nach Dienstschluss die
jeweilige Grundreinigung des Fußbodens statt.
Am Dienstag, 27. März 2001, wurde das damalige Büro der Klägerin im Finanzamt N auf
diese Weise grundgereinigt. Am nächsten Tag, Mittwoch, 28. März 2001, stellte die
Klägerin beim Betreten ihres Büros bei Dienstbeginn einen starken Geruch fest, öffnete
alle Fenster und räumte ihre Büromöbel vom Flur wieder in das Büro zurück. Nach etwa
einer Stunde in diesem Büro setzten bei ihr Kopfschmerzen ein, die sie dazu
veranlassten, in das zu diesem Zeitpunkt freie Büro ihrer Vertreterin zu wechseln. Am
Donnerstag, 29. März 2001, nahm die Klägerin bei Dienstbeginn trotz starken Lüftens
weiterhin den starken Geruch des Reinigungsmittels in ihrem Büro wahr, hatte jedoch
kein freies Büro zur Verfügung, in das sie hätte wechseln können. Sie nahm deshalb
ihre Arbeit zunächst in ihrem Büro auf. Noch vor der damals im Finanzamt N
üblicherweise um 10.00 Uhr beginnenden Frühstückspause traten bei ihr wiederum
starke Kopfschmerzen ein und es kamen andere negative Symptome hinzu. Diese
steigerten sich immer weiter bis zu einem körperlichen Zusammenbruch der Klägerin.
Sie fiel zu Boden, zitterte stark und weinte am Boden liegend anhaltend ohne für sie
ersichtlichen Grund. Mit Hilfe ihrer ebenfalls im Finanzamt N im Beamtenverhältnis
beschäftigten Schwester, der Zeugin H, sowie der damaligen Koordinatorin der Klägerin
wurde sie vom Boden aufgehoben, auf einen mit Rollen versehenen Bürostuhl gesetzt
und mit diesem unter Benutzung des Aufzugs in den im Erdgeschoss des Finanzamts
befindlichen Sanitätsraum gebracht. Dort konnte sie auf einer Krankenliege gelagert
werden. Der Geschäftsstellenleiter des Finanzamtes N, damals wie heute der Zeuge L1,
kam hinzu und regelte die Frage, ob ein Krankenwagen alarmiert bzw. der in
Krankheitsfällen vom Finanzamt N regelmäßig in Anspruch genommene Arzt
herbeigerufen werden sollte. Letztlich fand beides nicht statt und eine Freundin der
Klägerin holte die mittlerweile von ihrem Zustand wieder stabilere Klägerin mit dem Auto
ab.
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Ab dem hierauf folgenden Tag, Freitag, 30. März 2001, war die Klägerin auch in der
darauffolgenden Woche arbeitsunfähig erkrankt. Am Montag, 9. April 2001, versuchte
die Klägerin, in ihrem bisherigen Büro, für dessen intensive Lüftung sie gesorgt hatte,
die Arbeit wieder aufzunehmen. Dies war ihr nicht möglich. Ab dem Folgetag,
10. April 2001, war sie fast ununterbrochen für ein ganzes Jahr arbeitsunfähig erkrankt.
Nachdem sie ab Anfang des Jahres 2002 bei fortbestehender Krankschreibung eine
Wiedereingliederung im Finanzamt N durchlaufen hatte, nahm sie Anfang April 2002
ihre volle Tätigkeit im Finanzamt N wieder auf. Auch in der Folgezeit im Jahr 2002
sowie im Jahr 2003 traten – wenn auch kürzere – Fehlzeiten wegen Arbeitsunfähigkeit
der Klägerin ein.
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Am 7. Januar 2003 gingen von der Klägerin beim Finanzamt N verschiedene ärztliche
Bescheinigungen ein: Der Arzt für Neurologie und Psychiatrie, Zusatzbezeichnung
Umweltmedizin, S aus H1 bescheinigte unter dem 12. November 2002, dass die
Klägerin aus gesundheitlichen Gründen nicht durch Laserdrucker belastet werden dürfe.
Er bescheinigte unter dem 11. Dezember 2002 weiter, dass bei der Klägerin eine
hochgradige Empfindlichkeit gegenüber zahlreichen Chemikalien, insbesondere
gegenüber Ausgasungen von Druckern und Tonern, bestehe; deshalb müsse die Arbeit
in entsprechender Umgebung strikt vermieden werden, da ansonsten ein derart
schweres Krankheitsbild entstehen könne, dass eine Belastung im Arbeitsleben nicht
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mehr möglich sei. Der Facharzt für Allgemein-Medizin mit den Zusatzbezeichnungen
Sportmedizin, Naturheilverfahren, Chirotherapie, spezielle Schmerztherapie und
physikalische Therapie Q aus C1 bescheinigte unter dem 10. Dezember 2002, dass bei
der Klägerin eine Allergie und Intoxikation verschiedener in dem Attest näher
aufgeführter chemischer Stoffe bestehe; bei der bei ihr vorliegenden MCS (Multiple
chemische Sensibilität)-Erkrankung sei es möglich, dass sich durch Intoxikation von
chemischen Stoffen allergische Reaktionen aufbauen könnten. Nach einem Vermerk
des Geschäftsstellenleiters des Finanzamtes N vom 16. Januar 2003 sollten diese
Bescheinigungen nach Rücksprache mit der Klägerin zur Kenntnisnahme dienen.
Unter dem 25. März 2003 übersandte die Klägerin der Geschäftsstelle des Finanzamtes
N die Auswertung eines Bluttestes, wobei durch die Gesellschaft für angewandte
Immunologie J aus N ein sogenannter Immuntoleranztest durchgeführt worden war. Die
Klägerin bat insofern, diese Ergebnisse zur Kenntnis zu nehmen und die Auswertung in
der Personalakte abzulegen.
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Wegen der hohen Zahl von Krankheitstagen der Klägerin in den vorangegangenen zwei
Jahren sowie wegen fortbestehender Schwierigkeiten, für die Klägerin einen bei ihrer
speziellen gesundheitlichen Situation geeigneten Arbeitsplatz bzw. eine geeignete
Arbeitsumgebung zu finden, beauftragte der Vorsteher des Finanzamts N im Juli 2003
das Gesundheitsamt des Kreises X mit einer amtsärztlichen Untersuchung der Klägerin
zur Klärung ihrer Dienstfähigkeit. Eine zunächst beabsichtigte Begutachtung der
Klägerin durch einen externen Fachgutachter scheiterte. Unter Einbeziehung
verschiedener Amtsärzte (P vom Fachbereich Gesundheit der Stadt L2, Hausbesuch
durch die Amtsärztin beim Gesundheitsamt des Kreises X, C2 am 14. Oktober 2003
sowie psychiatrische Begutachtung durch die Amtsärztin beim Gesundheitsamt des
Kreises X, L3) erstellte M, Facharzt für öffentliches Gesundheitswesen und Internist
beim Gesundheitsamt des Kreises X ein amtsärztliches Gutachten im Rahmen von
Zurruhesetzungsverfahren von Beamten und Beamtinnen wegen Dienstunfähigkeit vom
28. Juli 2004. Darin kam dieser zu folgenden Ergebnissen: Bei der Klägerin bestehe
subjektiv eine erhöhte Empfindlichkeit gegen verschiedene chemische Substanzen, die
Symptome in mehreren Organsystemen hervorrufen. Dies werde als Multiple Chemical
Sensitivity (MCS) beschrieben. Diese Diagnose könne weder bestätigt noch verworfen
werden. Eine dauernde Dienstunfähigkeit in Bezug auf das Amt einer
Steueramtsinspektorin liege nicht vor. Es werde nicht für aussichtslos gehalten, dass
innerhalb von sechs Monaten die volle Dienstfähigkeit wiederhergestellt werden könne.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Gutachten vom 28. Juli 2004 verwiesen
(Beiakte 1, Blatt 60 ff.).
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Nachdem die Klägerin im Jahr 2004 fast vollständig arbeitsunfähig erkrankt war und
sich dies im Jahr 2005 fortsetzte, gewährte das Finanzamt N ihr in der Zeit von
Juni 2005 bis Juli 2007 einen Heimarbeitsplatz, mittels dessen sie ohne aus ihrer
Arbeitsumgebung im Finanzamt N herrührende Probleme ihren Dienst verrichten
konnte.
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Mit am 9. August 2006 beim Finanzamt N eingegangenem Schreiben vom 27. Juli 2006
beantragte die Klägerin die Anerkennung einer infolge der Grundreinigung des Bodens
ihres Büros am 27. März 2001 eingetretenen Lösemittelvergiftung als "Dienstunfall
(28.03.2001)". Dabei wurde der Geschehensablauf am 28. und 29. März 2001 nach der
Grundreinigung des Büros der Klägerin am 27. März 2001 dargestellt. Es seien in der
Folgezeit für die Klägerin bisher nicht bekannte, teils schwere gesundheitliche
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Störungen, insbesondere psychoorganische Krankheitssymptome, aufgetreten.
Inzwischen habe sich der Gesundheitszustand stabilisiert und verbessert, wobei eine
nicht unerhebliche Empfindlichkeit auf nahezu alle neurotoxisch wirkenden,
insbesondere inhalativ aufnehmbaren, Substanzen geblieben sei. Dem Antrag beigefügt
waren Kopien eines Telefax der Firma X1 an das Finanzamt N zu Händen Herrn V vom
29. März 2001. Dieses Telefax enthielt das Etikett des Wachs- und Polymerentferners L
der Seifenfabrik C sowie das auf diesen Reiniger bezogene Sicherheitsdatenblatt.
Weiter waren auszugsweise Kopien aus der MAK- und BAT-Werte-Liste 2005
("Maximale Arbeitsplatzkonzentrationen und biologische Arbeitsstofftoleranzwerte") in
Bezug auf den in dem Reiniger nach dem Sicherheitsdatenblatt enthaltenen Stoff 2-
Butoxyethanol beigefügt.
Mit Bescheid vom 25. Januar 2007 lehnte die Oberfinanzdirektion (OFD) Rheinland, an
die das Finanzamt N den Antrag vom 27. Juli 2006 weitergeleitet hatte, den Antrag auf
Anerkennung als Dienstunfall (28.3.2001) ab, weil eine fristgerechte Meldung des
Dienstunfalls nicht erfolgt sei. Die zweijährige Ausschlussfrist gemäß § 45 Abs. 1
Beamtenversorgungsgesetz (BeamtVG) sei am 27. März 2003 abgelaufen. Die bloße
Krankmeldung der Klägerin am 29. März 2001 genüge für sich allein nicht als Meldung
im Sinne von § 45 Abs. 1 BeamtVG. Gleiches gelte für die Vorlage von ärztlichen
Bescheinigungen bzw. der Auswertung eines Bluttests bei der Geschäftsstelle des
Finanzamtes N zu deren Kenntnisnahme. Die Zehn-Jahresfrist gemäß § 45 Abs. 2
BeamtVG greife nicht ein, da die Erkrankung der Klägerin bereits innerhalb der Zwei-
Jahresfrist diagnostiziert bzw. bescheinigt wurde (Bescheinigung Dr. Q vom
10. Dezember 2002) und daher nicht glaubhaft gemacht werden könne, dass die
Klägerin mit der Möglichkeit einer den Anspruch auf Unfallfürsorge begründenden Folge
des Unfalls nicht habe rechnen können.
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Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch, den sie im Wesentlichen damit begründete,
dass eine Meldung des Dienstunfalls gemäß § 45 Abs. 1 und Abs. 2 BeamtVG nicht
erforderlich gewesen sei. Wenn der Dienstvorgesetzte des betroffenen Beamten vom
Unfallereignis in vollem Umfange Kenntnis habe, erübrige sich die Meldung des
Unfallgeschehens durch den Verletzten, auch wenn der Dienstvorgesetzte das
Geschehen möglicherweise falsch subsumiere. Dies ergebe sich aus § 45 Abs. 3
BeamtVG. Im Fall der Klägerin hätte u.a. auch ihr Abteilungsleiter vom Unfallereignis
Kenntnis bekommen, der sie zunächst wegen der offensichtlich schweren Symptome ins
Krankenhaus bringen lassen wollte. Bei der Klägerin sei durch die Anwendung von
lösemittelhaltigen Reinigungsmitteln eine schwere Lösemittelintoxikation verursacht
worden.
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Zwischenzeitlich beauftragte das Finanzamt N den Fachbereich Gesundheitswesen
beim Kreis X erneut mit einer amtlichen Begutachtung im vorzeitigen
Zurruhesetzungsverfahren von Beamtinnen und Beamten zur Prüfung der
Dienstfähigkeit in Bezug auf die Klägerin, weil trotz Einrichtung eines
Heimarbeitsplatzes die Zahl der Krankheitstage der Klägerin angestiegen und diese seit
dem 29. Januar 2007 dienstunfähig erkrankt gewesen sei. In dem daraufhin erstellten
Gutachten zur Überprüfung der Dienstfähigkeit im Rahmen der vorzeitigen
Zurruhesetzung der Amtsärztin im Fachbereich Gesundheitswesen des Kreises X, Dr.
C2 vom 3. September 2007 kam diese zu folgenden Ergebnissen: Die Klägerin leide an
einer Multiple Chemical Sensitivity. Sie sei deshalb derzeit nicht in der Lage, im jetzigen
Aufgabenbereich uneingeschränkt Dienst zu verrichten. Mit der Wiederherstellung der
uneingeschränkten Dienstfähigkeit innerhalb der nächsten sechs Monate sei nicht zu
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rechnen. Die Klägerin werde auf Dauer für nicht mehr in der Lage gehalten, ihre
Dienstpflichten im derzeitigen Aufgabenbereich zu erfüllen. Wegen der weiteren
Einzelheiten des Gutachtens wird auf dieses Bezug genommen (Beiakte 1, Blatt 108 ff.).
Auf der Grundlage dieses Gutachtens versetzte die OFD Rheinland die Klägerin mit
Verfügung vom 31. Oktober 2007 wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand. Dies
wurde mit Ablauf des 30. November 2007 wirksam.
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Schon am 2. November 2007 hatte die OFD Rheinland den Widerspruch der Klägerin
gegen die Ablehnung der Anerkennung eines Dienstunfalls mit Bescheid vom
25. Januar 2007 zurückgewiesen und hatte zur Begründung neben der Versäumung der
Frist für die Meldung des Dienstunfalls gemäß § 45 BeamtVG ausgeführt: Es liege auch
kein plötzliches Ereignis im Sinne von § 31 Abs. 1 BeamtVG vor, weil die als Ursache
der geltend gemachten Lösemittelvergiftung vorgetragene Einwirkung des verwendeten
Lösungsmittels auf die Klägerin an zwei Arbeitstagen, nämlich am 28. und am
29. März 2001 stattgefunden habe. Ein Geschehen, das sich über zwei Tage hinziehe,
sei schon vom Sinngehalt des Unfallbegriffes nicht gedeckt. Plötzlich könne eine
Einwirkung nur sein, wenn sie sich innerhalb der zeitlichen Grenzen eines
zusammenhängenden Tagesdienstes halte. Weiterhin lägen keine hinreichenden
Anhaltspunkte dafür vor, dass die von der Klägerin geltend gemachten gesundheitlichen
Beschwerden auf den Aufenthalt in ihrem gereinigten Dienstzimmer am 28. und
29. März 2001 zurückzuführen seien. Dies ließe sich insbesondere dem Gutachten des
Gesundheitsamtes des Kreises X vom 28. Juli 2004 entnehmen, wonach die Ursachen
der Erkrankung der Klägerin an MCS unklar seien. Zudem seien alle Büros des
Finanzamtes gereinigt worden und kein anderer betroffener Kollege hätte vergleichbare
Reaktionen gezeigt. Eine von der Klägerin gerügte Ungleichbehandlung in Bezug auf
das Merkmal der Plötzlichkeit im Vergleich mit den Angestellten im öffentlichen Dienst
sei nicht gegeben, da die Unfallfürsorge für Beamte eine im Kernbestand durch Art. 33
Abs. 5 Grundgesetz (GG) geschützte Sonderversorgung sei, die einer bestimmten
Bevölkerungsgruppe gewährt werde und als Ausfluss der Fürsorgepflicht des
Dienstherrn zu betrachten sei sowie auf einem Rechtsgrund eigener Art beruhe.
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Die Klägerin hat gegen den am 2. November 2007 zur Post gegebenen
Widerspruchsbescheid am 3. Dezember 2007 Klage erhoben, mit der sie ihr Begehren
weiterverfolgt. Zur Begründung bezieht sie sich auf ihren Vortrag aus dem Verwaltungs-
und Widerspruchsverfahren und trägt ergänzend vor: Es liege eine sachlich nicht
gerechtfertigte Unterscheidung zwischen Angestellten im öffentlichen Dienst und
Beamten vor, die sich aus § 31 BeamtVG ergebe, jedoch u.a. gegen Art. 3 GG verstoße.
Die Besserstellung der Angestellten im öffentlichen Dienst ergebe sich daraus, dass in
Bezug auf einen Dienstunfall weder ein plötzliches Ereignis gefordert werde, noch in
Bezug auf die Anerkennung einer Berufskrankheit die Voraussetzung einer
berufstypischen Belastung angenommen werde. Insofern wird auf Entscheidungen des
Verwaltungsgerichts Kassel sowie des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs
hingewiesen. Zudem sei von einer anerkennungsfähigen Berufskrankheit auszugehen,
weil die dienstliche Tätigkeit – hier einer Finanzbeamtin – üblicherweise in
geschlossenen Räumen stattfinde, die bekanntermaßen entweder akut oder langfristig
durch gesundheitsschädigende Stoffe belastet seien. Als Dienstunfallereignis stellt die
Klägerin nach ihrer Klarstellung in der mündlichen Verhandlung auf die Geschehnisse
am 29. März 2001 ab. Im Hinblick auf die nicht erfolgte Unfallmeldung ergäbe sich deren
Entbehrlichkeit daraus, dass eine Kenntnis des Dienstvorgesetzten von Amts wegen im
Sinne von § 45 Abs. 3 BeamtVG vorgelegen habe. Es sei im Finanzamt und damit auch
15
beim Dienstvorgesetzten bekannt gewesen, dass ein zeitlicher Zusammenhang
zwischen der plötzlichen und schweren Erkrankung der Klägerin und der
Reinigungsaktion bestand; ferner sei bekannt gewesen, dass Proben des
Reinigungsmittels von dem tatsächlich für die Unfallmeldung zuständigen Herrn V
einschließlich des Datensicherheitsblatts der Zeugin H zwecks Überprüfung durch den
behandelnden Heilpraktiker/Arzt übergeben worden seien. Soweit es auf die hilfsweise
geltend gemachte Anerkennung als Berufskrankheit ankomme, seien die
gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Klägerin auf der Berufskrankheitenliste
entweder in Nr. 1302 oder Nr. 1317 enthalten.
Die Klägerin beantragt,
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das beklagte Land unter Aufhebung des Bescheides der Oberfinanzdirektion
Rheinland vom 25. Januar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
derselben Behörde vom 2. November 2007 zu verpflichten, den Unfall der Klägerin
am 29. März 2001 als Dienstunfall, hilfsweise als Berufskrankheit, anzuerkennen.
17
Das beklagte Land beantragt,
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die Klage abzuweisen.
19
Zur Begründung bezieht sich die OFD Rheinland zunächst auf den Inhalt des
angegriffenen Widerspruchsbescheides. Ergänzend führt sie zur Begründung im
Wesentlichen aus: Es liege auch keine anzuerkennende Berufskrankheit im Sinne von
§ 31 Abs. 3 BeamtVG vor. Insofern fehle es bereits an einer gesicherten Diagnose einer
in der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung aufgeführten Berufserkrankung.
Zudem sei die Klägerin nach der Art ihrer dienstlichen Verrichtungen der Gefahr einer
Erkrankung nicht besonders ausgesetzt gewesen. Bei der Klägerin habe es sich
vielmehr um eine gesundheitsschädigende Dauereinwirkung aufgrund der besonderen
Beschaffenheit des Dienstzimmers gehandelt, die nach der Rechtsprechung nicht aus
der Art der dienstlichen Verrichtung im Sinne von § 31 Abs. 3 BeamtVG folge. Eine
ungerechtfertigte Ungleichbehandlung von Beamten einerseits und in der freien
Wirtschaft Tätigen andererseits liege nicht vor, da es nach der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) keinen hergebrachten Grundsatz des
Berufsbeamtentums gäbe, nach dem Beamte sonstigen Arbeitnehmern
dienstunfallrechtlich in jeder Beziehung gleichzustellen seien. In Bezug auf die von der
Klägerin vorgenommene Konkretisierung des zur Anerkennung gestellten
Unfallereignisses auf die Geschehnisse am 29. März 2001 hält die Beklagte ein solches
Vorgehen für unzulässig, da es einen sich über mehrere Tage erstreckenden
Lebenssachverhalt unnatürlich aufspalte.
20
Der Einzelrichter hat in der mündlichen Verhandlung – nach einer eingehenden
Befragung der Klägerin selbst – Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin H und
des Zeugen L1. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die
Verhandlungsniederschrift verwiesen.
21
Im Übrigen wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes auf die
Gerichtsakte dieses Verfahrens sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der
OFD Rheinland und des Finanzamts N Bezug genommen.
22
Entscheidungsgründe:
23
Der Einzelrichter ist für die Entscheidung zuständig, nachdem der Rechtsstreit durch
Beschluss der Kammer vom 10. Februar 2009 gemäß § 6 der
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) dem Berichterstatter als Einzelrichter zur
Entscheidung übertragen worden ist.
24
Die Klage ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.
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Der Zulässigkeit der Verpflichtungsklage steht nicht als fehlendes durchgeführtes
Vorverfahren (§ 68 Abs. 1, Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO) entgegen,
dass die Klägerin mit dem Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 27. Juli 2006
die Anerkennung eines Dienstunfalls unter Hervorhebung des 28. März 2001 beantragt
und auch das Widerspruchsverfahren im Hinblick auf den 28. März 2001 durchgeführt
hat, jetzt jedoch im Klageverfahren die Anerkennung eines Dienstunfalls am 29. März
2001 begehrt. Dies stellt sich als zulässige Konkretisierung ihres Begehrens innerhalb
des Gegenstandes des Verwaltungs- und Widerspruchsverfahrens dar. Mit dem Antrag
vom 27. Juli 2006 ist der gesamte Geschehensablauf sowohl am 28. als auch am
29. März 2001 dargestellt worden. Eine Beschränkung allein auf die Geschehnisse am
28. März 2001 kann in der Hervorhebung dieses Tages im Betreff des Schreibens vom
27. Juli 2006 bei sachgerechter Auslegung nicht gesehen werden. Auch der
Widerspruchsbescheid befasst sich mit den Geschehnissen an beiden Tagen und stellt
insbesondere darauf ab, es könne wegen der betroffenen zwei Tage nicht von einem
plötzlichen Ereignis im Sinne von § 31 Abs. 1 BeamtVG ausgegangen werden.
26
Die Klage ist jedoch nicht begründet.
27
Der Bescheid der OFD Rheinland vom 25. Januar 2007 und deren
Widerspruchsbescheid vom 2. November 2007 sind rechtmäßig und verletzen die
Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO); sie hat keinen Anspruch
auf Anerkennung der Geschehnisse am 29. März 2001 als Dienstunfall.
28
Die Voraussetzungen einer Anerkennung eines Ereignisses als Dienstunfall ergeben
sich aus § 31 Abs. 1 BeamtVG (hinsichtlich der hilfsweise geltend gemachten
Anerkennung als Berufserkrankung in Verbindung mit § 31 Abs. 3 BeamtVG). Hier fehlt
es bereits an den verfahrensrechtlichen Voraussetzungen der Anerkennung eines
Dienstunfalls bzw. einer Berufserkrankung. Dies setzt regelmäßig eine fristgerechte
Meldung des Unfalls gemäß § 45 BeamtVG voraus.
29
Nach § 45 Abs. 1 BeamtVG sind Unfälle, aus denen Unfallfürsorgeansprüche entstehen
können, innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Jahren nach dem Eintritt des Unfalles
bei dem Dienstvorgesetzten des Verletzten oder bei der für den Wohnort des
Berechtigten zuständigen unteren Verwaltungsbehörde zu melden. Nach Ablauf der
Ausschlussfrist wird gemäß Abs. 2 der Vorschrift Unfallfürsorge nur gewährt, wenn nach
dem Unfall noch nicht zehn Jahre vergangen sind und gleichzeitig glaubhaft gemacht
wird, dass mit der Möglichkeit einer den Anspruch auf Unfallfürsorge begründenden
Folge des Unfalles nicht habe gerechnet werden können oder dass der Berechtigte
durch außerhalb seines Willens liegende Umstände gehindert worden ist, den Unfall zu
melden (Satz 1); nach Satz 2 muss die Meldung in einem solchen Fall innerhalb dreier
Monate erfolgen, nachdem mit der Möglichkeit einer den Anspruch auf Unfallfürsorge
begründenden Folge des Unfalls gerechnet werden konnte oder das Hindernis für die
30
Meldung weggefallen ist.
Nach diesen Maßstäben ist eine fristgerechte Meldung der Ereignisse am 29. März 2001
nicht erfolgt.
31
Zu melden ist zunächst der Unfall und nicht ein Anspruch auf Unfallfürsorgeleistungen.
Unfall im Sinne von § 45 BeamtVG sind alle in §§ 31, 31a BeamtVG genannten Unfälle
und Erkrankungen, von denen nach vernünftiger Betrachtungsweise anzunehmen ist,
dass sie Unfallfürsorgeansprüche auslösen können. Die Meldepflicht trifft zunächst den
betroffenen Beamten und seine Hinterbliebenen, gilt jedoch auch für sonstige Beamte,
die von dem Unfall Kenntnis erlangen. Eine bestimmte Form der Meldung ist nicht
vorgeschrieben. Sinnvoll ist (schon aus Beweisgründen) eine schriftliche Meldung.
Inhaltlich muss erkennbar sein, dass ein Unfall oder eine Erkrankung gemeldet wird, der
bzw. die ein Dienstunfall sein und Unfallfürsorgeansprüche auslösen kann.
32
Vgl. Bauer, in: Stegmüller/Schmalhofer/Bauer, BeamtVG, Kommentar, Hauptband I,
§ 45, Erl. 1, Ziff. 2 bis Ziff. 5.
33
Dienstvorgesetzter der Klägerin – und damit richtiger Adressat von
Dienstunfallmeldungen – war damals gemäß § 3 Landesbeamtengesetz NRW (LBG) in
Verbindung mit § 1 Abs. 2 Nr. 1 der Verordnung über beamtenrechtliche
Zuständigkeiten im Geschäftsbereich des Finanzministeriums (BeamtZustV FM) vom
25. April 2002 bzw. mit (insofern gleichlautend) § 1 Abs. 2 Nr. 1 BeamtZustV FM in der
Fassung vom 20. Dezember 1997 der Vorsteher des Finanzamts N als Behördenleiter.
In § 7 Abs. 1 Nr. 1 a) der Verordnung der Landesregierung NRW zur Bestimmung der
Pensionsfestsetzungs- und –regelungsbehörden und zur Übertragung von Befugnissen
auf dem Gebiete des Versorgungsrechts (VersorgungszuständigkeitsVO) vom 22. März
1978 ist keine hiervon in spezieller Weise abweichende Regelung getroffen, da dort
lediglich die Zuständigkeit zur Anerkennung eines Unfalles als Dienstunfall gemäß § 45
Abs. 3 Satz 2 BeamtVG geregelt wird.
34
Das Schreiben vom 27. Juli 2006 erfüllt die dargestellten Anforderungen an eine
Dienstunfallmeldung, ist jedoch nicht im Sinne von § 45 Abs. 1 oder Abs. 2 BeamtVG
fristgemäß erfolgt.
35
Die Frist von zwei Jahren gemäß § 45 Abs. 1 BeamtVG beginnt bei einem Unfall im
Sinne von § 31 Abs. 1 BeamtVG am Tag nach dem Unfallereignis zu laufen,
36
vgl. Bauer, a. a. O., Ziff. 6.1.
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Stellt man auf den 29. März 2001 als Tag des Geschehens "Einatmen von Gasen
aufgrund der Grundreinigung des Dienstzimmers mit dem L am 29. März 2001" und den
dadurch nach dem Vorbringen der Klägerin an diesem Tag eingetretenen
Körperschaden in Gestalt einer schweren Lösemittelvergiftung ab, so begann die Frist
am 30. März 2001 und endete am 29. März 2003. Der Klägerin war nach ihren Angaben
in der mündlichen Verhandlung auch vom ersten Tag an die Möglichkeit bewusst, dass
ihr körperlicher Zusammenbruch durch die Folgen der Grundreinigung verursacht
worden sein könnte, weil ihr Heilpraktiker sie auf diese Möglichkeit hingewiesen haben
soll.
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Die Meldung mit Schreiben vom 27. Juli 2006 war im Hinblick auf einen möglichen
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Dienstunfall gemäß § 31 Abs. 1 BeamtVG, der eine schwere Lösemittelvergiftung
ausgelöst hatte, auch nicht nach dem Maßstab des § 45 Abs. 2 BeamtVG fristgerecht.
Eine insofern relevante (weitere und zunächst eventuell nicht erkennbare) Folge des
Unfalles am 29. März 2001 könnte zwar in der bei der Klägerin nach ihren Angaben
vorliegenden Erkrankung an Multipler Chemikalienunverträglichkeit (Multiple Chemical
Sensitivity – MCS) bestehen. Diese ist ausweislich der Bescheinigung des Dr.Q vom
10. Dezember 2002 jedenfalls schon zu diesem Zeitpunkt diagnostiziert worden; ein
Zusammenhang zwischen der Grundreinigung am 27. März 2001 bzw. ihrem
Zusammenbruch am 29. März 2001 und ihrer Folgeerkrankung (insbesondere an MCS)
war der Klägerin nach ihren Angaben bewusst. Insofern kommt es auf die ab dem
1. Januar 2002 wirksame Änderung des § 45 Abs. 2 BeamtVG zulasten der Beamten
und deren Anwendbarkeit auf den Unfall der Klägerin nicht an. Dann gilt nach § 45
Abs. 2 Satz 2 BeamtVG eine Drei-Monats-Frist nach Kenntnis von der MCS-Erkrankung
bis zum 10. März 2003, die mit dem Schreiben vom 27. Juli 2006 nicht gewahrt ist.
Soweit man schon hinsichtlich der Zwei-Jahres-Frist nach § 45 Abs. 1 BeamtVG nicht
auf die schwere Lösemittelvergiftung als Körperschaden im Sinne von § 31 Abs. 1
BeamtVG, sondern auf die MCS-Erkrankung als Berufskrankheit im Sinne von § 31
Abs. 3 BeamtVG abstellen wollte, so hätte die Klägerin Kenntnis vom Vorliegen dieser
Erkrankung und dem aus ihrer subjektiven Sicht schon immer bestehenden
Zusammenhang mit dem Ereignis am 29. März 2001 jedenfalls mit der Diagnose des
Dr.Q vom 10. Dezember 2002 gehabt. Die Zwei-Jahres-Frist endete insofern am
10. Dezember 2004. In dieser Konstellation kommt die Anwendung der Zehn-Jahres-
Frist gemäß § 45 Abs. 2 BeamtVG nicht mehr in Betracht.
40
Eine Meldung des Ereignisses vom 29. März 2001 in Gestalt anderer Äußerungen der
Klägerin gegenüber dem Vorsteher des Finanzamts N (oder diesem
zuständigkeitshalber zuzurechnenden Mitarbeitern) innerhalb der Fristen von § 45
Abs. 1 und Abs. 2 BeamtVG – also nach dem Vorstehenden spätestens bis zum
10. Dezember 2004 – ist nicht erfolgt.
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Es muss zwar nicht schon aus der Meldung die Geltendmachung von
Unfallfürsorgeansprüchen hervorgehen; es reicht aus, wenn erkennbar ist, dass aus
dem angezeigten Vorfall Unfallfürsorgeansprüche entstehen können. Zugleich muss
aber bei objektiver Betrachtung erkennbar sein, dass der Beamte etwas "melden", also
anzeigen bzw. dienstlich mitteilen will. Dadurch erfolgt eine Abgrenzung zu
unverbindlichen (nicht-dienstlichen) Gesprächen und Mitteilungen in informellen
Gesprächssituationen wie Kaffeerunden etc.
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Es ist z. B. anerkannt, dass eine Krankmeldung oder das Einreichen einer
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ohne Hinweis auf einen stattgefundenen Unfall oder
eine bestimmte, als Dienstunfall mögliche Erkrankung nicht ausreicht. Der
Dienstvorgesetzte muss Dienstunfälle nämlich nicht erahnen.
43
Vgl. Bauer, a. a. O., Ziff. 4.
44
Die Krankmeldungen der Klägerin ab dem 29. März 2001 reichen insofern nicht aus.
Auch die Vorlage der Unterlagen, die am 7. Januar 2003 bzw. mit am 31. März 2003
beim Finanzamt N eingegangenem Schreiben der Klägerin vom 25. März 2003 erfolgte,
wies den Vorsteher des Finanzamts N – damals der Leitende Regierungsdirektor U –, in
zurechenbarer Weise vertreten durch seinen Geschäftsstellenleiter, den Zeugen L1, nur
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auf das Vorliegen von Erkrankungen und/oder körperlichen Beeinträchtigungen der
Klägerin hin. Ein Zusammenhang mit der Grundreinigung ihres Dienstzimmers am
27. März 2001 und dem Ereignis am 29. März 2001 – und damit ein Hinweis auf
mögliche Unfallfürsorgeansprüche – war nicht erkennbar. Die Klägerin ist der Aussage
des Zeugen in der mündlichen Verhandlung nicht entgegengetreten, wonach sie bei
ihrer persönlichen Vorlage der Unterlagen, die seinem Vermerk vom 7. Januar 2003
zugrunde lag, nur angegeben habe, diese sollten zur Kenntnisnahme dienen.
Auch die übrigen von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung dargestellten
Kontakte mit dem Vorsteher des Finanzamts N oder ihm zurechenbaren Mitarbeitern aus
der Geschäftsstelle jener Behörde sind nicht als Dienstunfallmeldungen einzustufen:
Die Klägerin hat angegeben, bei dem ihre dienstliche Zukunft und eine mögliche
Dienstunfähigkeit betreffenden Gespräch mit dem Vorsteher des Finanzamts N einen
möglichen Zusammenhang ihrer Erkrankung mit der Grundreinigung der Büros im
Frühjahr 2001 nicht angesprochen zu haben. Ihre Kontaktaufnahme bzw. diejenige ihrer
Schwester, der Zeugin H, mit Steueramtsinspektor V wegen der Bitte um Überlassung
einer Probe des Wachs- und Polymerentferners L stellt keine sinngemäße
Dienstunfallmeldung dar, da beiden überhaupt nicht bewusst war, dass
Steueramtsinspektor V nach einer langjährigen, jedoch nirgends schriftlich
niedergelegten und auch nicht behördenintern irgendwie verlautbarten Regelung für die
Entgegennahme von Dienstunfallmeldungen zuständig war. Mithin kann bei objektiver
Betrachtung nicht festgestellt werden, dass dies die Anzeige eines Dienstunfalls sein
sollte. Das von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung erstmals vorgetragene
Gespräch mit dem Zeugen L1, welches sie auf den Herbst 2001 datierte, ist von diesem
nicht bestätigt worden, stellt aber jedenfalls keine Meldung im Sinne von § 45 Abs. 1
BeamtVG dar. Dort will sie diesen gefragt haben, ob sie "die Sache mit dem
Reinigungsmittel" als Dienstunfall melden solle, was dieser verneint haben soll, weil die
Erkrankung doch nicht an dem Reinigungsmittel sondern an ihrer besonderen
Empfindlichkeit gelegen habe. Diese allein als Frage formulierte Herstellung eines
möglichen Zusammenhangs zwischen Grundreinigung und Erkrankung erlangt auch im
Wege der Auslegung nicht die Bestimmtheit, die für eine mündliche
Dienstunfallmeldung zu fordern ist. Stellt ein Beamter einem aus seiner Sicht für solche
Angelegenheiten Zuständigen die Frage, ob ein Ereignis als Dienstunfall gemeldet
werden solle oder müsse, so macht dies bei sinnvoller Würdigung deutlich, dass diese
Frage aus Sicht des nachfragenden Beamten (noch) keine Meldung eines Dienstunfalls
sein sollte. In einem solchen Fall kommt lediglich in Betracht, dass der
Dienstvorgesetzte oder dessen zuständiger Mitarbeiter Kenntnis von einem Unfall
erlangt hat und dies zum Anlass für die Einleitung einer Untersuchung gemäß § 45
Abs. 3 Satz 1 BeamtVG nimmt. Den nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung
erst am 7. Mai 2009 bei Gericht eingegangenen weiteren neuen Vortrag der Klägerin,
wonach sie dem für das Finanzamt N tätigen Betriebsarzt Dr. T bei einem Termin Mitte
Dezember 2002 den Beginn ihrer Erkrankung mit der Grundreinigung ihres
Dienstzimmers geschildert habe, und dieser auf der Grundlage des Gesprächs eventuell
einen separaten Bericht für die Geschäftsstelle (des Finanzamts N) habe fertigen
wollen, kann vom Gericht nicht mehr berücksichtigt werden. Dieser Vortrag lässt auf
eine mögliche Dienstunfallmeldung durch einen Dritten an die Geschäftsstelle des
Finanzamts schließen und könnte Anlass für weitere Ermittlungen von Amts wegen
sein. Weiter hat sie vorgetragen, dass sie mit einem Herrn M1 bei der OFD Rheinland
am 29. November 2002 gesprochen und diesen darauf hingewiesen habe, dass ihre
Erkrankung erst nach den massiven Reinigungsarbeiten in ihrem Büro aufgetreten sei.
Die Berücksichtigung dieses Vortrags ist jedoch ausgeschlossen, weil zum Zeitpunkt
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des Eingangs des Schriftsatzes der Klägerin vom 7. Mai 2009 der Tenor dieser
Entscheidung bereits am 6. Mai 2009 gemäß § 116 Abs. 2 VwGO in Verbindung mit
§ 117 Abs. 4 Satz 2 VwGO der Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts übermittelt
worden war.
Die nach dem vorstehenden nicht erfolgte fristgerechte Meldung des Unfalls am
29. März 2001 gemäß § 45 Abs. 1, Abs. 2 BeamtVG war auch nicht entbehrlich.
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Der Einzelrichter folgt nicht der Auffassung der Klägerin, wonach eine
Dienstunfallmeldung entbehrlich sei, wenn der Dienstvorgesetzte vom Unfallereignis in
vollem Umfange Kenntnis hat, auch wenn er dies eventuell falsch subsumiert,
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wie die Klägerin allein auf die Kenntnis des Dienstvorgesetzten vom Unfall abstellend:
Bauer, a. a. O., Ziff. 3; Kümmel, BeamtVG, Stand August 2008, § 45 Rn. 6.
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Wenn man dies zugrunde legte, könnte hinreichende Kenntnis des
Geschäftsstellenleiters des Finanzamts, der nach dem Geschäftsverteilungsplan für die
persönlichen Angelegenheiten der Beamten – und damit auch für die Unfallfürsorge –
zuständig war, oder auch des nach der geschäftsstelleninternen Regelung hierfür
zuständigen Steueramtsinspektors V angenommen werden. Jedenfalls hätte insofern im
Hinblick auf letzteren dessen Zeugenvernehmung nahegelegen, um aufzuklären, ob
und mit welchem Inhalt er am 29. März 2001 oder nachfolgend von der Klägerin oder der
Zeugin H wegen einer Probe des Reinigungsmittels kontaktiert worden ist.
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Der Einzelrichter geht hingegen davon aus, dass eine Dienstunfallmeldung im Sinne
von § 45 BeamtVG nur dann entbehrlich ist, wenn das Unfallereignis dem
Dienstvorgesetzten oder den ihm zurechenbaren Personen in dem Umfang, wie es für
eine Dienstunfallmeldung erforderlich ist, bekannt geworden und der Unfall vom
Dienstvorgesetzten gemäß § 45 Abs. 3 Satz 1 BeamtVG untersucht worden ist.
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Ebenso: Brockhaus, in: Schütz/Maiwald, Beamtenrecht des Bundes und der Länder,
Stand März 2009, § 45 BeamtVG, Rn. 10; Plog/Wiedow/Lemhöfer/Bayer,
BBG/BeamtVG, Stand April 2008, § 45 BeamtVG, Rn. 4 b; GKÖD, Beamtenrecht des
Bundes und der Länder, Band III (Versorgungsrecht), Stand 2008, § 45 BeamtVG, Rn. 4;
VG Gera, Urteil vom 19. Juni 2002 – 1 K 1158/00.GE –, Juris.
52
An einer durchgeführten Untersuchung im Finanzamt N fehlt es hier offensichtlich.
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Der Wortlaut der Absätze 1 bis 3 des § 45 BeamtVG spricht zunächst dafür, dass
überhaupt keine Ausnahmen vom Erfordernis einer Dienstunfallmeldung innerhalb der
Ausschlussfristen existieren. Wenn Ausnahmen angenommen werden, ist dem Wortlaut
eine einschränkende Tendenz zu entnehmen, die Ausnahmen auf klare und eindeutige
Fälle beschränkt.
54
Die Auffassung des Einzelrichters beruht auf Sinn und Zweck des Erfordernisses einer
Dienstunfallmeldung gemäß § 45 Abs. 1 BeamtVG unter Berücksichtigung der Pflicht
des Dienstvorgesetzten zur Untersuchung von ihm durch Meldung oder von Amts
wegen bekannt gewordenen Dienstunfällen nach § 45 Abs. 3 Satz 1 BeamtVG. Der
Sinn und Zweck der Meldepflicht liegt darin, im Interesse des verletzten Beamten
einerseits und des Dienstherrn andererseits alsbaldige Ermittlungen hinsichtlich der
Voraussetzungen aller im Einzelfall in Betracht kommenden Unfallfürsorgeleistungen
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sicherzustellen, damit Aufklärungsschwierigkeiten, die sich bei späteren Ermittlungen
ergeben könnten, vermieden werden,
vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Beschluss vom 6. März 1986 – 2 C 37/84 –,
NJW 1986, 2588 m. w. N.
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Eine vom Wortlaut nicht vorgesehene Ausnahme vom Meldeerfordernis kann dann
zugelassen werden, wenn der Zweck der Meldepflicht vollständig erreicht ist und das
Beharren auf einer Dienstunfallmeldung deshalb eine bloße Förmelei darstellen würde.
Dies ist der Fall, wenn der Dienstvorgesetzte vom Unfall Kenntnis erlangt und die
Untersuchung im Sinne von § 45 Abs. 3 BeamtVG durchgeführt hat. Dann ist die
zeitnahe Ermittlung des dem Unfall zugrunde liegenden Sachverhalts, des
Ursachenzusammenhanges, des eingetretenen Körperschadens usw. nach den
Möglichkeiten des Einzelfalls erfolgt und das weitere Verfahren kann ohne Gefahr der
Verschlechterung der in tatsächlicher Hinsicht bestehenden Erkenntnismöglichkeiten
durchgeführt werden.
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Die Auffassung, die schon die von Amts wegen erlangte Kenntnis des
Dienstvorgesetzten, die durch eine fristgerechte Dienstunfallmeldung auch erzeugt
würde, ausreichen lässt, kann für sich ins Feld führen, dass diese Situation derjenigen
bei erfolgter Dienstunfallmeldung entspricht, wenn der Dienstvorgesetzte gleichwohl
entgegen seiner Verpflichtung gemäß § 45 Abs. 3 Satz 1 BeamtVG eine Untersuchung
der Vorfälle nicht durchführt. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass es eine wesentlich
höhere Hemmschwelle für einen Dienstvorgesetzten darstellt, einen ausdrücklich
gemeldeten Unfall nicht zu untersuchen, als trotz irgendwie gearteter und erlangter
Kenntnis diese Untersuchung zu unterlassen. Der Zweck, die Untersuchung gemäß
§ 45 Abs. 3 BeamtVG zu ermöglichen und zu veranlassen, wird hierdurch nicht in
gleicher Weise erreicht. Eine ausdrückliche Meldung führt anders als eine informelle
Mitteilung z. B. in einer Kaffeerunde oder bei einem zufälligen Zusammentreffen im
Dienstgebäude – regelmäßig zum Anlegen eines "Vorgangs", der eine Dokumentation
der Anzeige sowie des weiteren Gangs der Angelegenheit innerhalb der Verwaltung der
Behörde und insbesondere den Entscheidungsprozess über das weitere Vorgehen
bewirkt. Eine aufgrund Meldung gemäß § 45 Abs. 1 BeamtVG erlangte Kenntnis des
Dienstvorgesetzten von dem Ereignis kann – bewusst oder unbewusst – nicht so leicht
ignoriert werden, wie dies bei informeller Kenntniserlangung der Fall ist.
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Zudem zeigt gerade dieses Klageverfahren, mit welchen Unsicherheiten und
Schwierigkeiten es verbunden ist, wenn man die Kenntnis des Dienstvorgesetzten vom
Unfallereignis ohne erfolgte Untersuchung des Unfalls ausreichen lassen wollte. Mithin
sprechen auch praktische Erwägungen für die hier vertretene Auffassung, weil so
umfangreicher Streit mit eventueller Beweisaufnahme über den Umfang der Kenntnis
des Dienstvorgesetzten und der ihm zurechenbaren Personen sowie anschließende
schwierige Abgrenzungsfragen zwischen gerade schon und noch nicht ausreichender
Kenntnis des Dienstvorgesetzten im Regelfall ausgeschlossen wird. Die Frage, ob eine
Untersuchung nach § 45 Abs. 3 Satz 1 BeamtVG durchgeführt worden ist, lässt sich
hingegen regelmäßig klar beantworten. Wenn es sich um einen Dienstvorgesetzten
handelt, der wider besseres Wissen einen ihm bekannten Dienstunfall nicht untersucht,
so wirkt sich dies nach der Auffassung des Einzelrichters zwar zulasten des Betroffenen
aus, der – wie hier – Gefahr läuft, dass eine Anerkennung des Dienstunfalls
verfahrensrechtlich nach § 45 BeamtVG ausgeschlossen wird. Zugleich ist es dem
Betroffenen, der seine Rechte zu wahren sucht, jedoch ein Leichtes, eine einfache
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Dienstunfallmeldung abzugeben, die dieses Risiko ausschließt. Weiterhin spricht für
diese Auslegung, dass eine im Grundsatz ausnahmslose Meldepflicht die Beamten
stärker motiviert, Unfälle stets zu melden, da sie dann nicht darauf hoffen oder vertrauen
können, dass bei einer anderweitig erlangten Kenntnis des Dienstvorgesetzten von
einem Unfallereignis auch ohne Meldung Unfallfürsorgeansprüche geltend gemacht
werden können, wenn eine Untersuchung nach § 45 Abs. 3 Satz 1 BeamtVG nicht
stattgefunden hat.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zur
vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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