Urteil des VG Düsseldorf vom 13.12.2004
VG Düsseldorf: anerkennung, schwiegereltern, bundesamt, vergewaltigung, trauma, abschiebung, asylverfahren, ausreise, gefahr, wahrscheinlichkeit
Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 4 K 7427/03.A
13.12.2004
Verwaltungsgericht Düsseldorf
4. Kammer
Urteil
4 K 7427/03.A
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht
erhoben werden.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die
Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des
vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor
Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand:
Die zur Person nicht ausgewiesene Klägerin ist ihren Angaben zufolge am 0.0.1968 in
Pazarcik/Türkei geboren. Sie gibt an, türkische Staatsangehörige kurdischer
Volkszugehörigkeit und verheiratet zu sein. Am 23. Januar 2000 will sie auf dem Luftweg in
die Bundesrepublik Deutschland eingereist sein. Kurz darauf hatte sie Asyl beantragt. In
ihrer persönlichen Anhörung Ende Januar 2000 hatte sie erklärt: Sie sei Analphabetin,
Papiere habe sie außer einer Heiratsurkunde nie besessen. Ihr Nüfus sei in der Türkei
verblieben. Dort habe sie die letzten 20 Jahre in Antep gelebt. Von dort aus sei sie nach
Istanbul gefahren, wo sie sich 6 weitere Monate bis zur Ausreise bei einer Freundin
aufgehalten habe. Freunde hätten ihr dann Papiere besorgt und die Flugreise organisiert.
Ihr Mann und ihre drei Kinder hätte sich zu dieser Zeit bereits in Deutschland aufgehalten.
Auf Frage, ob die Kinder mit dem Ehemann zusammen ausgereist seien, erklärte sie
wörtlich: Nein, mein Mann reiste allein, die Kinder wurden später nach Deutschland
geschickt, die Kinder haben in der Türkei bei den Schwiegereltern gelebt."
Sie sei ausgereist, weil Kurden in der Türkei keinen Platz hätten. Nach der Ausreise ihres
Mannes sei sie ständig von dem Militär und der Polizei unterdrückt worden. Sie hätten nach
dem Aufenthalt ihres Mannes gefragt, der im September 1995 für einen Tag im Gefängnis
gewesen und kurz darauf ausgereist sei. Wenn sie gesagt habe, sie wisse seinen
Aufenthalt nicht, sei sie beleidigt und geschlagen worden, das letzte Mal im Juli 1999 in
zwei aufeinander folgenden Nächten. Das sei der Grund für ihren Weggang nach Istanbul
gewesen. Sie sei festgehalten, bedroht und wegen ihrer kurdischen Volkszugehörigkeit
beleidigt worden. In Istanbul sei sie kurz nach ihrer Ankunft dort eine Nacht mit Freunden
unterwegs gewesen. Weil sie sich bei einer Polizeikontrolle nicht habe ausweisen können,
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sei sie festgenommen worden und über Nacht im Gefängnis festgehalten worden. Dann
hätten sie die Sache mit ihrem Mann festgestellt und sie anschließend verhört. Danach sei
in Istanbul nichts mehr geschehen.
Auf jeweilige Nachfragen erklärte sie, in Istanbul seien zunächst ihre Personalien
kontrolliert worden. Nachdem sie herausgefunden hätten, dass ihr Mann im Gefängnis
gewesen sei, habe man von ihr Adresse und Telefonnummer ihres Mannes wissen wollen
und sie, nachdem sie geantwortet habe, dies nicht zu wissen, unter Druck gesetzt. Sie
wolle nicht erzählen, was sie dort erlebt habe. Auf ausdrückliche Belehrung, dass die
vollständige Angabe aller Gründe nötig sei und sie auf Wunsch von einer weiblichen
Mitarbeiterin des Bundesamtes angehört werden könne, erklärte sie: Ich wurde 24 Stunden
lang festgehalten und habe nichts zu essen und zu trinken bekommen. Ich habe sie
angefleht mit meinem eigenen Geld Wasser zu besorgen. Ich wurde einfach auf eine
Holzplatte gesetzt. Man hat Späße über mich als Kurdin gemacht." Nach dem Vorfall habe
sie nicht sofort ausreisen können, weil die Beschaffung der Papiere noch Zeit benötigt
hätte.
Auf Frage nach weiteren Asylgründen erklärte sie, während der Zeit, als sie von den
Polizisten unterdrückt worden sei, habe sie sogar auf ihre Kinder verzichten müssen. Es
habe sich in der Zeit viel abgespielt. Das wolle sie nicht alles vortragen.
Mit Bescheid vom 18. Februar 2000 hatte das Bundesamt für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge den Asylantrag der Klägerin unter Abschiebungsandrohung in
die Türkei abgelehnt. Klage gegen den Bescheid wurde nicht erhoben.
Der Ehemann der Klägerin war seinen Angaben zufolge Ende September 1995 in die
Bundesrepublik Deutschland eingereist. Sein Asylantrag war vom Bundesamt für die
Anerkennung ausländischer Flüchtlinge mit Bescheid vom 20. Mai 1996 abgelehnt worden.
Die hiergegen erhobene Klage blieb in drei Instanzen (davon zwei Tatsacheninstanzen)
ohne Erfolg (Verwaltungsgericht Düsseldorf, Aktenzeichen 10 K 7018/96.A, Urteil vom 22.
März 2000; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aktenzeichen 15 A
1932/00.A, Urteil vom 12. August 2003 und Bundesverwaltungsgericht, Aktenzeichen 1 B
260.03, Beschluss vom 13. November 2003).
Die Klägerin und ihr Ehemann haben gemeinsame Kinder. Deren drei sind in der Türkei
(1992, 1993 und 1995) geboren und waren nach den Angaben des Vaters (Ehemannes der
Klägerin) im Juli 1999 auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Der
Vater hatte für diese Kinder im November 1999 Asyl beantragt und angegeben, durch Anruf
eines Unbekannten im Juli 1999 zum Flughafen Köln zwecks Anholung seiner drei Kinder
bestellt worden zu sein. Er habe die Kinder dort tatsächlich in Empfang genommen und
dann versucht, seine Ehefrau zu erreichen, was ihm jedoch nicht gelungen sei. Auch bei
seinen Eltern habe er angerufen und dort erfahren, dass seine Ehefrau verschwunden sei.
Seine Eltern hätten deshalb dafür gesorgt, dass die Kinder zu ihm nach Deutschland
kommen könnten. Der Asylantrag der Kinder blieb ohne Erfolg. Den ablehnenden Bescheid
des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 27. Januar 2000
bestätige die 26. Kammer des erkennenden Gerichts mit Urteil vom 21. Juni 2000.
Am 27. April 2000 erklärte die Klägerin zu Protokoll der Ausländerbehörde des Kreises X,
(BA 1, Seite 42), freiwillig ausreisen zu wollen und ein Passersatzpapier beantragen zu
wollen, wenn und sobald das Klageverfahren ihrer Kinder erfolglos bleibe, wenn sie im
Gegenzug so lange geduldet werde.
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Eine im Oktober 2000 vorgesehene Abschiebung der Klägerin und ihrer drei Kinder vollzog
die Ausländerbehörde X auf Weisung der Bezirksregierung E wegen der damaligen
Schwangerschaft der Klägerin nicht, sondern setzte die Abschiebung zunächst bis einen
Monat nach der Geburt aus.
Am 00.0.2001 gebar die Klägerin ihr viertes Kind namens H1. Im Juli 2001 erklärte die
Klägerin gegenüber der Ausländerbehörde, jeden Tag mit H1 zum Arzt zu müssen. Ein
Passersatzpapier habe sie noch nicht beantragt. Am 17. September 2001 wurde für das
Kind H1 ein Asylantrag gestellt, den das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer
Flüchtlinge mit Bescheid vom 21. September 2001 ablehnte. Die hiergegen erhobene
Klage blieb ohne Erfolg (Verwaltungsgericht Düsseldorf, Urteil vom 14. November 2001, 26
K 6210/01.A).
Gegenüber der Ausländerbehörde berief sich die Klägerin Ende 2002 auf eine durch Dr. D
am 6. Dezember 2002 attestierte posttraumatische Belastungsstörung. Die
Ausländerbehörde veranlasste daraufhin eine amtsärztliche Begutachtung der Klägerin,
welche diese Diagnose am 11. März 2002 bestätigte.
Mit Anwaltsschreiben vom 19. März 2002 stellte die Klägerin einen weiteren Asylantrag
und berief sich auf die ärztlichen Atteste. Mit Bescheid vom 4. November 2003 lehnte das
Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge die Durchführung eines
weiteren Asylverfahrens sowie die Änderung des Bescheides vom 18. Februar 2000
hinsichtlich der Feststellung von Abschiebungshindernissen ab.
Am 8. November 2003 hat die Klägerin Klage erhoben, mit der sie ihr Begehren weiter
verfolgt.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge vom 4. November 2003 zu verpflichten, sie als Asylberechtigte
anzuerkennen und festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und
Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen.
Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes für die
Anerkennung ausländischer Flüchtlinge sowie der Ausländerbehörde sowie den Inhalt der
ebenfalls beigezogenen Gerichtsakten der Verfahren des Ehemannes und der Kinder der
Klägerin verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.
I. Vortrag, der ein Wiederaufgreifen des Verfahrens zur Frage der Asylanerkennung und der
Feststellung zu § 51 AuslG rechtfertigen könnten, ist nicht ersichtlich.
Die Klägerin hat die Türkei zur Überzeugung des Gerichts unverfolgt verlassen. Das ergibt
sich entgegen der Ansicht des Bescheides des Bundesamtes für die Anerkennung
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ausländischer Flüchtlinge vom 18. Februar 2000 allerdings nicht aus dem Umstand, dass
die von der Klägerin behaupteten Behelligungen unerheblich gewesen wären. An dieser
Ansicht bestünden Bedenken, weil die Klägerin nach ihrem Vortrag nicht nur befragt,
sondern auch bedroht, beleidigt und geschlagen worden sein will und die Kausalität
zwischen angeblichen Behelligungen und der Ausreise der Klägerin eventuell nicht
abgerissen wäre. Die Kammer geht vielmehr davon aus, dass die Angaben der Klägerin,
sie sei wegen der Nachsuche nach ihrem Ehemann sowohl in Gazi Antep mehrmals als
auch danach einmal in Istanbul von der Polizei behelligt, bedroht und geschlagen worden,
unglaubhaft sind.
1. Bei objektiver Betrachtung bestand bereits kein Anlass, die Klägerin ihres Mannes
wegen zu befragen. Denn der Ehemann der Klägerin hat die Türkei ausweislich der
Entscheidungsgründe des in seinem Asylverfahren ergangenen Urteils des
Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (vom 12. August 2003, - 15 A
1923/00.A -) unverfolgt verlassen (ebenda Seite 6 unten des Urteilsabdrucks). Der Senat
hatte den Vortrag des Ehemannes, er sei (wohl kurz vor seiner Ausreise am 30. September
1995) mit verbotenen Büchern und Zeitschriften erwischt und festgenommen worden und
einen Tag später freigelassen worden mit der Drohung, man werde ihn töten, wenn er die
Hintermänner nicht binnen eines Monats benenne, aus von der Kammer geteilten, guten
Gründen für unglaubhaft gehalten und aus der Entlassung des Ehemannes nach einem
Tag geschlossen, dass sein Tatbeitrag nach türkischem Recht straflos gewesen sein
müsse. Die Kammer teilt diese Auffassung. Bestand an dem Ehemann der Klägerin daher,
weil er sofort wieder freigelassen worden war, kein Verfolgungsinteresse seitens der
türkischen Sicherheitskräfte, so kann sich dieses auch nicht gegenüber der Klägerin
realisiert haben, vor allem nicht über einen derart langen Zeitraum seit der Ausreise ihres
Mannes.
2. Ungeachtet dessen sind die Angaben der Klägerin zu ihrem eigenen Verhalten in
diesem Zusammenhang auch unlogisch. Der Klägerin war bekannt, dass und wann ihr
Mann nach Deutschland ausgereist war. Sie hätte daher auf die Fragen der
Sicherheitskräfte nicht mit Nichtwissen antworten müssen, sondern freimütig erklären
können, ihr Mann lebe in Deutschland. Damit hätte sie ihren Mann nicht in Gefahr gebracht.
In Deutschland haben die türkischen Sicherheitskräfte für die Klägerin erkennbar keinerlei
Zugriffsmöglichkeit auf ihren Ehemann. Die Klägerin hätte sich daher den behaupteten
Behelligungen auf einfachste Weise durch eine wahrheitsgemäße und ihrem Mann
ungefährliche Auskunft entziehen können.
3. Darüber hinaus sind die Angaben der Klägerin, wann und wie oft sie befragt worden sein
will, nach Ort, Zeit und Geschehensablauf unpräzise und unsubstanziiert. Von sich aus
beschränkte sich die Klägerin auf Angaben wie ständig" und sehr oft", erst auf Nachfrage
konnte sie einen Vorfall aus Juli 1999 und eine Behelligung in Istanbul etwas näher, jedoch
insgesamt pauschal und farblos, beschreiben.
4. Ferner gegen eine Behelligung der Klägerin aus Gründen der Nachsuche nach ihrem
Ehemann spricht, dass ihr Ehemann sich hierauf in seinem eigenen gerichtlichen
Asylverfahren trotz offensichtlich eröffneter Möglichkeit nicht berufen hat. Noch mit
Schreiben vom 7. August 2003 hatte der Ehemann durch seinen Bevollmächtigten
vortragen lassen, man suche weiter nach ihm im Hause seines Vaters, wie er aus
Kontakten mit verschiedenen Verwandten wisse. Die Relevanz der Glaubhaftmachung der
vermeintlichen Suche nach ihm war ihm bekannt. Um so näher hätte gelegen, sich für eine
Nachsuche nach ihm (dem Ehemann) in der erheblichen Zeit zwischen seiner Ausreise
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und der Ausreise der Klägerin auf eben deren Zeugnis zu berufen.
Die Kammer verkennt nicht, dass bei unterstellter Annahme psychischer Störungen der
Klägerin auf Grund vermeintlich erlittener Misshandlungen auch Gründe dafür sprachen,
die Klägerin nicht als Zeugin im Verfahren ihres Ehemannes anzubieten. Die für eine
Benennung der Klägerin als Zeugin sprechenden Gründe hatten jedoch ein erhebliches
Gewicht. Aus der Zulassung der Berufung im gerichtlichen Verfahren des Ehemannes
konnte auf eine Erfolgsaussicht des Asylbegehrens ersichtlich nicht geschlossen werden.
Grund der Zulassung war ersichtlich die erstinstanzliche Behandlung des
Vertagungsantrages, die sich jedoch nur auf die Frage der Luftwegeinreise bezog. Für das
eigentliche Begehren des Klägers war damit nichts gewonnen, weil die Angaben des
Klägers zu seiner Vorverfolgung sowohl im angefochtenen Bescheid als auch im Urteil
erster Instanz ungeachtet der Einreise als nicht glaubhaft gemacht gewürdigt worden
waren. Dem Ehemann hätte sich daher die Notwendigkeit, zum Beweis der Vorverfolgung
präsente Zeugen auch zu Hilfstatsachen wie späterer Nachsuche anzubieten, aufdrängen
müssen. Eventuelle Sorgen um die Gesundheit der Klägerin, die bei dem Vorliegen einer
posttraumatischen Belastungsstörung (hierzu unten) nahe gelegen hätten, hätten durch
Einführung dieses Umstandes in den Prozess und vorsichtige richterliche Befragung unter
Vermeidung retraumatisierungsrelevanter" Aspekte durchaus Berücksichtigung finden
können. Ungeachtet dessen bestand die Möglichkeit der Einführung der Klägerin als
Zeugin in den Prozess ihres Ehemannes bereits zu einem Zeitpunkt, als von dem
eventuellen Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung in der Person der
Klägerin und daraus eventuell folgender Annahme der Unzumutbarkeit einer Vernehmung
der Klägerin als Zeugin noch keinerlei Rede war. Termin zur mündlichen Verhandlung
erster Instanz im Verfahren des Ehemannes war am 8. März 2000; hierzu war der
Bevollmächtigte des Ehemannes am 17. Januar 2000 geladen worden. Die Klägerin war
am 8. Februar 2000 der Gemeinde I1 zugewiesen worden und dort am 17. Februar 2000
unter der Anschrift Kstraße 000 gemeldet gewesen. Die Kammer geht daher ohne weiteres
davon aus, dass der Ehemann von der Anwesenheit der Klägerin in der Bundesrepublik
Deutschland Kenntnis hatte, auch wenn er nicht unter derselben Adresse gemeldet war.
Denn unter der Anschrift der Klägerin waren auch die drei in der Türkei geborenen Kinder
wohnhaft. Eine eventuelle posttraumatische Belastungsstörung der Klägerin ergibt sich
jedoch aktenkundig erstmals am 31. Oktober 2001. Anfang 2000 hätte die Klägerin daher
ohne Bedenken als Zeugin zur Verfügung gestanden.
5. Gegen die Annahme einer Vorverfolgung spricht zuletzt, dass die Klägerin den ihr
Asylbegehren ablehnenden Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge vom 18. Februar 2000 nicht angefochten hat. Eine gerichtliche
Weiterverfolgung ihres Asylbegehrens hätte, wenn ihre tatsächlichen Angaben der
Wahrheit entsprochen hätten, nahe gelegen, da - wie ausgeführt - an der rechtlichen
Würdigung des Bescheides durchaus Zweifel bestehen.
In der Gesamtwürdigung dieser Faktoren geht die Kammer daher davon aus, dass die
Klägerin nicht glaubhaft gemacht hat, dass sie in der Türkei von der Polizei wegen
angeblicher Suche nach ihrem Ehemann behelligt worden ist.
II. Der auf die Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG gerichtete
Antrag ist ebenfalls nicht begründet, § 113 Abs. 5 S. 1 VwGO. Die Voraussetzungen des
allein in Betracht kommenden Abs. 6 S. 1 des § 53 AuslG liegen nach dem maßgeblichen
Sach- und Streitstand im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylVfG)
nicht vor.
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§ 53 Abs. 6 S. 1 AuslG setzt eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit
des Ausländers voraus. Eine drohende Gesundheitsgefahr ist im Sinne der Vorschrift
erheblich", wenn eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität zu erwarten
ist. Das ist der Fall, wenn sich der Gesundheitszustand des Ausländers wesentlich oder
sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde. Konkret" ist die Gefahr, wenn diese
Verschlechterung alsbald" nach der Rückkehr des Ausländers in den Heimatstaat einträte,
weil er dort auf unzureichende Möglichkeiten zur Behandlung seiner Leiden angewiesen ist
und anderswo wirksame Hilfe nicht in Anspruch nehmen könnte,
vgl. BVerwG, Urteile vom 25. November 1997 - 9 C 58.96 -, BVerwGE 105, 383; vom 27.
April 1998 - 9 C 13.97 -, NVwZ 1998, 973; OVG NRW, Beschluss vom 25. Juli 2003 - 21 A
1315/01.A -.
Erforderlich ist dabei, dass eine Prognose eine beachtliche Wahrscheinlichkeit für das
Eintreten der Gefahr ergibt. Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit in diesem Sinne ist
gegeben, wenn die für den Eintritt der Gefahr sprechenden Umstände ein größeres
Gewicht besitzen und deswegen gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen
überwiegen. Diese Anforderungen an den Grad der Wahrscheinlichkeit entsprechen dem
Maßstab, den die Rechtsprechung bei der Beurteilung der Gefahr politischer Verfolgung
aufstellt,
vgl. BVerwG, Urteile vom 23. Februar 1988 - 9 C 32.87 -, BVerwGE 79, 143, 150 f., und
vom 5. November 1991 - 9 C 118.90 -, BVerwGE 89, 162, 169 f.
Für die Beurteilung der Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG gilt derselbe
Maßstab,
vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 28. März 2001 - 1 B 83.01 - und vom 18. Juli 2001 - 1 B
71.01 - m.w.Nachw.
Zusammengefasst müsste also dem Ausländer mit einer im bezeichneten Sinne
beachtlichen Wahrscheinlichkeit alsbald nach einer Rückkehr in die Türkei eine
gesundheitliche Beeinträchtigung von besonderer Intensität drohen. Dies kann nicht
festgestellt werden.
1. Insbesondere hat die Klägerin nicht zur Überzeugung des Gerichts dargetan, an einer
sogenannten posttraumatischen Belastungsstörung auf Grund in der Heimat erlittener
Gewalterfahrung zu leiden.
1.1. Zunächst spricht gegen eine Traumatisierung der Klägerin bereits der erhebliche
Zeitablauf zwischen dem behaupteten Erleben der (angeblich) traumatisierenden
Ereignisse und dem erstmaligen Auftreten der Symptome. Ausweislich des Diagnostisches
und Statistisches Manual Psychischer Störungen DSM-IV", übersetzt nach der vierten
Auflage des amerikanischen Originals (Hogrefe Verlag für Psychologie) beginnen die
Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung normalerweise innerhalb der ersten
drei Monate nach dem Trauma, obwohl sich die Ausbildung der Symptome aber auch um
Monate oder Jahre verzögern kann (ebenda Seite 490, Verlauf). Bei einem normalen
Krankheitsverlauf wären die Symptome bei der Klägerin daher bereits im Zeitpunkt der
Einreise zu erwarten gewesen. Aktenkundig lässt sich hierzu jedoch zeitnah nichts
feststellen. Von sich aus hatte die Klägerin nicht die Gelegenheit genutzt, ihre erste
Anhörung beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge zu nutzen, um
von etwaigen psychischen Beschwerden im weitesten Sinne, insbesondere als Folge
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angeblich selbst erlittener Gewaltanwendungen in der Türkei, zu berichten. Sie hatte zwar
anlässlich der Schilderung ihrer vermeintlichen Festnahme in Istanbul erklärt, sie wolle
nicht alles erzählen, was sich dort ereignet habe. Auf ausdrücklichen Vorhalt hat sie jedoch
weitere Umstände der Festnahme berichtet. Von psychischen Beschwerden im weitesten
Sinne - als Folge der angeblichen Festnahme und der Begleitumstände - hatte sie nicht
berichtet. Die Kammer verkennt nicht, das es möglich ist, dass die Symptome auch später
erstmals auftreten können. Jedoch ist in diesem Zusammenhang aus Sicht der Kammer zu
beachten, dass das Vorliegen von Symptomen, die auf eine posttraumattische
Belastungsstörung hindeuten könnte, erstmalig zu einem Zeitpunkt vorgetragen wurde, als
der Klägerin die Aussichtslosigkeit ihres Begehrens auf Erlangung eines asyl- oder
flüchtlingsrechtlichen Bleiberechtes massiv vor Augen gehalten worden war. Das eher
späte Vorbringen posttraumatischer Belastungsstörungen wiederum entspricht dem der
Kammer aus einer Reihe von Asylverfahren bekannten Verhaltensmuster von
Asylbewerbern aus der Türkei, denen im ersten Asylverfahren die Glaubhaftmachung einer
angeblichen Vorverfolgung nicht gelingt. Nach der aus der Erfahrung zahlreicher
Asylverfahren gewonnenen Überzeugung der Kammer stellt es ein nicht unerhebliches
Indiz für ein interessengeleitetes Aussageverhalten des Ausländers dar, wenn subjektive,
nicht mess- oder verifizierbare Symptome, die auf eine posttraumatische Belastungsstörung
schließen lassen, zu einem eher späten Zeitpunkt in das Verfahren eingeführt wird, in
welchem dem Ausländer die Aussichtslosigkeit seiner eigentlichen Asylsache bekannt ist
und nur noch die Hoffnung besteht, ein Aufenthaltsrecht aus medizinischen Gründen
erlangen zu können. Auch die Klägerin hat erstmals das Vorliegen von auf eine
posttraumatische Belastungsstörung hinweisenden Symptomen zu einem Zeitpunkt
vorgetragen, als sie auf ein Bleiberecht aus Gründen eigener (oder fremder) Vorverfolgung
nicht mehr ernsthaft hoffen durfte.
1.2. Die Annahme einer posttraumatischen Belastungsstörung setzt des weiteren nach den
maßgeblichen Diagnosekriterien,
vgl. ICD-10, F 43.1; im Ergebnis nicht anders nach DSM III bzw. IV (A-Kriterium),
die Feststellung eines Trauma auslösenden Ereignisses voraus. Die Feststellung eines
Trauma auslösenden Ereignisses ist dem Gericht im Asylfolgeverfahren nicht ohne
weiteres möglich, wenn die ärztliche Bescheinigung sich auf Behauptungen des Klägers
stützt, die in den vorangegangenen Asylverfahren als unglaubhaft angesehen worden sind.
In einem solchen Fall muss die ärztliche Bescheinigung nachvollziehbar darlegen, dass
sich Widersprüche und Ungereimtheiten der Schilderung des Klägers in den
vorangegangenen Asylverfahren aus dem Krankheitsbild erklären,
vgl. OVG NRW, Beschluss vom 19. April 2004 - 15 A 4757/03.A -.
Hieran fehlt es. Die Klägerin hat das Erleben eines Trauma auslösenden Ereignisses nicht
zur Überzeugung des Gerichts glaubhaft gemacht. Soweit aus ärztlichen Gutachten
Traumatisierungserlebnisse ersichtlich sind, hat die Klägerin die zu Grunde liegenden
Sachverhalte nicht glaubhaft machen können.
Hinsichtlich der Klägerin liegen dem Gericht folgende ärztliche Gutachten, Atteste und
Stellungnahmen vor:
a) Ltd. Oberarzt D, Bescheinigung vom 31. Oktober 2002 (Verwaltungsvorgang der
Beklagten, Beiakte Heft 3 Blatt 3) b) derselbe vom 6. Dezember 2001, Verwaltungsvorgang
der Ausländerbehörde, Beiakte Heft 2 Blatt 132) c) im amtsärztlichen Dienst beschäftigte
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Ärztin für Psychiatrie Frau S, undatierter Bericht über ein Untersuchungsgespräch vom 11.
März 2002 (Verwaltungsvorgang der Beklagten, Beiakte Heft 3 Blatt 4 und
Verwaltungsvorgang der Ausländerbehörde, Beiakte Heft 2 Blatt 166f) d) Herr Dr. A vom
14. Januar 2004 (Verwaltungsvorgang der Ausländerbehörde, Beiakte Heft 5 Seiten 198
bis 209) e) derselbe vom 2. Dezember 2004, Anlage zum Schreiben der Bevollmächtigten
der Klägerin vom 8. Dezember 2004.
Zur Frage des Vorliegens eines Trauma auslösenden Ereignisses sind die Atteste a) bis c)
und e) ungeeignet. Sie geben den Inhalt eventueller eigener Befragungen der Klägerin
jedenfalls nicht so detailliert wider, dass ihnen ein bestimmtes, Trauma auslösendes
Ereignis zugeordnet werden könnte.
Inhaltlich aussagekräftig ist allein das Gutachten des Dr. A vom 14. Januar 2004, worin Dr.
A diagnostiziert, die Klägerin leide an einem Posttraumatischen Belastungssyndrom mit
stark depressiver Reaktion (ebenda Blatt 9, 2. Absatz). Nach dem gesamten Inhalt des
Gutachtens kann es sich bei dem Trauma auslösenden Ereignis nur um eine
Vergewaltigung handeln, welche die Klägerin eines nachts durch drei Polizisten im Jahr
1999 erlitten haben will. Wann genau sich die Vergewaltigung ereignet haben soll, teilt das
Gutachten nicht mit. Aus dem Zusammenhang der durch Dr. A wiedergegebenen Angaben
der Klägerin wird jedoch deutlich, dass sich die Vergewaltigung vor dem - von der Klägerin
im Asylverfahren ebenso geschilderten - Wegzug nach Istanbul ereignet haben muss.
Denn aus dem Gutachten ergibt sich ferner, dass dieses Ereignis Grund für den Umzug der
Klägerin von Gazi Antep nach Istanbul gewesen sein soll, weshalb es sich (zeitnah) vor
dem Umzug der Klägerin nach Istanbul und damit in Gazi Antep ereignet haben muss.
Von einer Vergewaltigung im Jahr 1999 hatte die Klägerin anlässlich ihrer Anhörung durch
das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge jedoch nicht berichtet,
weder in Gazi Antep noch in Istanbul, obwohl ihr angeboten worden war, von einer
weiblichen Mitarbeiterin angehört zu werden. Die Klägerin hatte lediglich berichtet, zuletzt
im Juli 1999 in Gazi Antep zwei Mal von Polizisten in zwei aufeinander folgenden Nächten
behelligt worden zu sein; der letzte Besuch sei ausschlaggebend für ihren Wegzug nach
Istanbul gewesen. Die Klägerin berichtete zwar insoweit von Beleidigungen und Schlägen,
nicht aber von einer Vergewaltigung.
Nach dem protokollierten Inhalt der Anhörung der Klägerin durch das Bundesamt für die
Anerkennung ausländischer Flüchtlinge liegt die Vermutung näher, dass die Klägerin -
wenn überhaupt - in Istanbul eine Vergewaltigung erlitten haben könnte, wenn sie im
Zusammenhang mit der Schilderung dieser Festnahme zunächst erklärt, sie wolle nicht
schildern, was sie dort erlebt habe, und auf ausdrückliche Nachfrage Umstände schildert,
die zwar belastend, aber insgesamt kaum geeignet erscheinen, ein Trauma auszulösen.
Sonstige Anhaltspunkte für eine in Gazi Antep erlittene Vergewaltigung lassen sich dem
Vorbringen der Klägerin anlässlich ihrer Anhörung nicht entnehmen.
Unterstellt man ungeachtet dessen zugunsten der Klägerin bei wohlwollender
gemeinsamer Betrachtung ihrer Angaben gegenüber Dr. A einerseits und gegenüber dem
Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge andererseits, dass sich eine
Vergewaltigung anlässlich der letzten Behelligung durch die Polizei in Gazi Antep im Juli
1999 ereignet haben könnte, so bestehen wiederum erhebliche Bedenken an dem
Wahrheitsgehalt der Einlassungen der Klägerin zu den näheren Umständen dieses
Ereignisses. Denn gegenüber Dr. A hatte die Klägerin erklärt, ihre drei Kinder seien
Zeugen des Ereignisses Vergewaltigung" gewesen. Nach den Einlassungen der Klägerin
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gegenüber dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge ist jedoch
mindestens zweifelhaft, ob die Klägerin in Gazi Antep zuletzt überhaupt zusammen mit
ihren Kindern gelebt hatte. Nach der Einlassung der Klägerin beim Bundesamt für die
Anerkennung ausländischer Flüchtlinge hatten die Kinder in der Türkei bei den
Schwiegereltern gelebt." Die Klägerin hatte auch Kenntnis davon, dass die Kinder nach
Deutschland geschickt worden waren, wo sie nach der Einlassung des Vaters und
Ehemannes bereits im Juli 1999 angekommen waren. War die Klägerin aber im Juli 1999
nach Istanbul gegangen und waren die Kinder zugleich im Juli 1999 nach Deutschland
geschickt worden, so bezog sich der Zeitraum des Lebens der Kinder bei den
Schwiegereltern" ersichtlich auf eine Zeit vor oder bis Juli 1999. Andernfalls hätten sich die
Kinder nur vorübergehend bei den Schwiegereltern aufgehalten, nicht aber dort gelebt. Es
liegt daher nahe, das sich das Leben der Kinder bei den Schwiegereltern" auf einen
Zeitraum vor Juli 1999 bezieht. Bejahendenfalls könnten die Kinder nicht Zeugen einer
Vergewaltigung der Klägerin im Juli 1999 in deren Haushalt gewesen sein. Dieser
Annahme steht nicht entgegen, dass die Klägerin weiter erklärt hatte: Ich habe sieben
Monate meine Kinder nicht gesehen und auch keinen Kontakt zu ihnen gehabt." Denn auch
wenn die Kinder in der Türkei bei den Schwiegereltern gelebt hätten, hätte die Klägerin den
Kontakt zu ihnen durch Besuche und Telefonate aufrecht erhalten können. Die
Formulierung gelebt haben" spricht vielmehr dafür, dass die Kinder nicht etwa zeitgleich mit
dem Wegzug der Klägerin nach Istanbul den Schwiegereltern gebracht worden sind,
sondern dass sie sich bereits einige Zeit vor Juli 1999 bei den Schwiegereltern aufgehalten
hatten. Beim Bundesamt hatte die Klägerin auch sonst zu keiner Zeit davon berichtet, in
Gazi Antep zusammen mit ihren Kindern gelebt und diese zeitgleich mit ihrem Weggang
nach Istanbul bei den Schwiegereltern abgegeben" zu haben.
Indiz für ein Leben der Kinder bei den Schwiegereltern ist auch die Einlassung des
Ehemannes der Antragstellerin, soweit sie in dem Bescheid des Bundesamtes für die
Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 27. Januar 2000 (Verfahren der drei Kinder)
wiedergegeben wird. So wie der Sachverhalt dort wiedergegeben wird, drängt sich die
Annahme auf, dass die Kinder bereits einige Zeit vor dem Juli 1999 bei den Eltern des
Ehemannes der Klägerin gelebt hatten und die Eltern den Umstand des (ihnen nicht
mitgeteilten) Wegzuges der Klägerin nach Istanbul (im Juli 1999) sodann zum Anlass
genommen hatten, die Kinder nach Deutschland zum Vater zu schicken. Hätte die Klägerin
die Kinder im Juli 1999, als ihr Entschluss festgestanden haben will, zu einer Freundin
nach Istanbul zu gehen, zu den Schwiegereltern gegeben, so hätte es nahe gelegen, den
Schwiegereltern bei dieser Gelegenheit mitzuteilen, wo sie sich zukünftig aufhält. Den
Schwiegereltern war jedoch der Aufenthalt der Klägerin ausweislich der Einlassung des
Vaters unbekannt.
Der damit nahe liegenden Annahme des Aufenthaltes der Kinder bei den Schwiegereltern
bereits vor Juli 1999 steht auch nicht entgegen, dass nach der weiteren Einlassung des
Vaters/Ehemannes die älteste Tochter berichtet haben sollte, die Polizei sei öfters zu ihnen
nach Hause gekommen und habe nach dem Vater gefragt. Abgesehen davon, dass es sich
insoweit nicht um unmittelbare Erklärungen der damals ca. 7 Jahre alten ältesten Tochter
handelte, sondern um Schilderungen des Vaters, der an dem vermeintlichen Sachverhalt
ein vitales eigenes Interesse hatte, wird auch nicht mitgeteilt, zu welcher Zeit sich dieses
Befragen der Mutter ereignet haben soll. Wollte man andererseits der vom Vater wieder
gegebenen Einlassung der Tochter als grundsätzlich ergiebig und erheblich ansehen, so
fiele auf, dass die Tochter gerade nicht von Gewaltanwendung gegenüber der Mutter
(Klägerin), sondern nur von einer verbalen Auseinandersetzung berichtet hatte. Insoweit
kann dahin stehen, ob von einem Kind im Alter von 6 oder 7 Jahren eine Differenzierung
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zwischen körperlicher Gewalt in Form von Schlägen (wie es die Klägerin als im Juli 1999
erlitten beim Bundesamt berichtet hatte) oder in Form einer Vergewaltigung (wie es die
Klägerin Dr. A berichtete) erwartet werden kann. Dass beide Gewaltformen jenseits der
verbalen Auseinandersetzung liegen, hätte auch ein Kind erkennen und berichten können.
Andere Erkenntnisquellen zur Frage des Trauma auslösenden Erkenntnisses liegen nicht
vor. Die gutachterlichen Äußerungen des Dr. D sind insoweit ebenso unergiebig wie die
Stellungnahme der Ärztin S.
1.3. Die Glaubwürdigkeit der Klägerin ist mindestens zweifelhaft. Ihre Angaben zu der von
ihr angeblich selbst erlittenen Vorverfolgung können ihr aus den oben unter I. benannten
Gründen nicht ohne weiteres geglaubt werden. Deshalb besteht Veranlassung, ihre
Einlassungen gegenüber Ärzten einer kritischen Würdigung zu unterziehen, wenn - wie
hier - die Möglichkeit besteht, dass aus einer erwünschten" Diagnose wiederum ein
Aufenthaltsrecht erwachsen kann.
1.4. An einer kritischen Würdigung der Einlassungen der Klägerin unter Berücksichtigung
der Interessenlage sowie unter Einbeziehung auch nur der Möglichkeit
interessengelagerten Aussageverhaltens fehlt es vollständig.
Dr. med. A ist hierzu wahrscheinlich bereits nach seinem beruflichen Selbstverständnis
nicht in der Lage, wie seine Einlassungen als Zeuge im Termin zur mündlichen
Verhandlung am 4. November 2003 (Verfahren 15 A 5193/00.A) vor dem
Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen belegen. Auf Frage hatte er
erklärt: Ich gehe anderes als ein Richter an diese Fragen heran. Wenn man einem
Patienten nicht glauben wollte, wäre die Praxis am nächsten Tag leer. Es besteht ein
Vertrauensverhältnis zwischen Patient und Arzt, ohne Vertrauen kann man diesen Beruf
nicht ausüben". Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen hat diese
Einlassung wie folgt gewürdigt (Urteil vom 4. November 2003, - 15 A 5193/00.A -, Blatt 9 f
des Urteilsabdrucks): Eine solche Herangehensweise mag aus Sicht eines Arztes, zu dem
ein Patient mit der Bitte um Behandlung kommt, richtig sein. Sie ist aber schon vom Ansatz
her untauglich, um das Vorliegen einer Krankheit objektiv festzustellen. Es kann nicht
außer Acht gelassen werden, dass der Kläger ein Interesse an der Feststellung der
Krankheit hat, um die Abschiebung zu verhindern. Für denjenigen, der das Vorhandensein
einer Krankheit objektiv festzustellen hat, darf es deshalb das vom Zeugen genannte
Vertrauen in die Angaben bis zur Feststellung des Gegenteils nicht geben." Die Kammer
schließt sich diesen überzeugenden Ausführungen an.
1.5. Es besteht kein Anlass, hinsichtlich der Frage des vermeintlichen Vorliegens einer
posttraumatischen Belastungsstörung in den Personen der Klägerin Beweis zu erheben.
Hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte, die eine Beweiserhebung in diese Richtung
gebieten könnten, liegen auf Grund der vorstehenden Erwägungen nicht vor, weil ein
Trauma auslösendes Ereignis nicht glaubhaft gemacht ist. Sie ergeben sich insbesondere
auch nicht daraus, dass die Klägerin möglicherweise tatsächlich an psychiatrisch
erheblichen Symptomen leiden, die möglicherweise bereits die Form und das Gewicht
erheblicher Depressionen angenommen haben. Denn die Ursache dessen lässt sich
naheliegend, zwanglos und nachvollziehbar in massiver Angst vor Abschiebung finden.
Die berechtigte Furcht der Klägerin vor einer alsbaldig bevorstehenden Abschiebung in die
Türkei geht einher mit der objektiv begründbaren Erkenntnis, in der Türkei auf Grund
mangelnder eigener schulischer und beruflicher Bildung und schlechter allgemeiner
Wirtschaftslage möglicherweise nur erschwert eine zudem auch nur bescheidene
wirtschaftliche Existenz gründen zu können. Demgegenüber hat die Klägerin in der
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Bundesrepublik Deutschland auf Grund ihr fortwährend und regelmäßig gewährter Hilfe
zum Lebensunterhalt ein möglicherweise bescheidenes, jedoch in der Befriedigung der
Grundbedürfnisse (Wohnung, Kleidung, Nahrung und schulische Bildung ihrer Kinder)
gesichertes Leben geführt. Hinzu kommen mag eine subjektiv empfundene Furcht vor
etwaiger Verfolgung, die jedoch nach dem bekannten Sachverhalt keine
Tatsachengrundlage hat und von der die Klägerin sich deshalb befreien muss. In der
Summe dieser objektiven und subjektiven Faktoren drängt sich auf, dass die Klägerin auf
die bevorstehende Abschiebung mit psychischen Beschwerden massiver Art reagiert.
Starkes Indiz hierfür ist der zeitliche Zusammenhang zwischen der nachdrücklichen
Ausreiseaufforderung durch die Ausländerbehörde gegenüber der Klägerin und dem
erstmaligen Auftreten psychischer Auffälligkeiten in der Person der Klägerin. Aus diesen
Symptomen kann jedoch unter Berücksichtigung aller vorstehenden Erwägungen nicht mit
hinreichender Wahrscheinlichkeit auch nur auf den Anfangsverdacht des Vorliegens einer
posttraumatischen Belastungsstörung geschlossen werden.
2. Andere Erkrankungen, aus denen ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis
resultieren könnte, sind nicht ersichtlich.
Soweit nach den vorstehenden Erwägungen die Klägerin eventuell an einer massiven
Angst vor ihrer Abschiebung leidet, handelt es sich um ein inlandsbezogenes und deshalb
von der Ausländerbehörde zu berücksichtigendes Abschiebungshindernis, welches zudem
nach Vollzug der Abschiebung überwunden ist.
Ungeachtet dessen sind auch schwere Depressionen in der Türkei grundsätzlich
behandelbar. Die notwendigen Medikamente stehen zur Verfügung.
Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 154 Abs. 1, 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.