Urteil des VG Düsseldorf vom 29.05.2008
VG Düsseldorf: bebauungsplan, grundstück, rückgabe, gerichtsakte, untätigkeitsklage, vorrang, geschäftsbetrieb, vollstreckbarkeit, ausführung, vorbescheidverfahren
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 4 K 2394/07
Datum:
29.05.2008
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
4. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4 K 2394/07
Tenor:
Der Beklagte wird unter Aufhebung seines Rückgabebescheides vom 1.
März 2007 verpflichtet, die Bauvoranfrage der Klägerin vom 15.
Dezember 2006 für die Errichtung eines Fachmarktes für Tiernahrung
mit 57 Stellplätzen auf dem Grundstück Xstraße 30 in E, Gemarkung G1,
Flurstücke 59, 229, 232, 243 und 259 positiv zu be-scheiden.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von
110% des vollstreckbaren Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
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Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks Xstraße 30 in E, Gemarkung G1,
Flurstücke 59, 229, 232, 243 und 259 (im folgenden: Baugrundstück). Auf dem
Baugrundstück befanden sich zuletzt die seit längerem nicht mehr genutzten
Betriebsanlagen eines Industriebetriebes. Diese sind inzwischen abgerissen. Zur Zeit
entsteht auf der östlichen Seite des Baugrundstücks ein Lebensmittelmarkt. Westlich an
das Grundstück anschließend befindet sich bereits ein Q-Markt.
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Unter dem 15. Dezember 2006 stellte die Klägerin beim Beklagten eine Voranfrage für
die Errichtung eines Fachmarktes für Tiernahrung mit 57 Stellplätzen. Gefragt war nach
der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit, den Stellplätzen und der Erschließung. Der
Fachmarkt soll eine Nettoverkaufsfläche von 500 qm haben.
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Mit einem mit dem Wort "Rückgabe" überschriebenen Bescheid vom 1. März 2007
lehnte der Beklagte die weitere Bearbeitung dieses Antrages ab, da keine Darstellung
vorgelegt worden sei, welche der fünf Voranfragen dieses Verfahrens sowie der vier
Parallelverfahren (4 K 2394–2398/07) "einzeln bzw. gemeinsam mit welchen anderen
Vorhaben auf demselben Areal realisiert werden sollen". Die Bescheidung eines
Torsoantrages wäre unzulässig.
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Die Klägerin legte Widerspruch ein; am 6. Juni 2007 hat sie Untätigkeitsklage erhoben.
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Am 8. September 2007 wurde der Bebauungsplan Nr. 4977/038 der Landeshauptstadt E
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öffentlich bekannt gemacht, dessen Geltungsbereich das Baugrundstück umfasst. Der
Bebauungsplan enthält allein die folgenden textlichen Festsetzungen:
"§ 13 i.V.m. § 9 (2a) BauGB Folgende Nutzungen sind nicht zulässig –
Einzelhandelsbetriebe Ausnahmsweise zulässig ist
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– Einzelhandel, der in unmittelbarem räumlichen und betrieblichen
Zusammenhang mit Handwerksbetrieben und produzierenden Gewerbebetrieben
steht und dessen Summe an Verkaufs- und Ausstellungsflächen deutlich unter der
Größe der Geschossfläche des Handwerks- oder produzierenden
Gewerbebetriebsteils liegt. Maximal zulässig ist eine Verkaufsfläche von 50 m² je
Betrieb."
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Für die Einzelheiten des Bebauungsplanes und seines Zustandekommens wird auf die
von dem Beklagten vorgelegte Planausfertigung (Beiakte H. 1 zu 4 K 3874/07) und die
Aufstellungsvorgänge (Beiakten H. 3 und 4 zu 4 K 3874/07) verwiesen.
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Die Klägerin ist der Auffassung, der Bebauungsplan Nr. 4977/038 sei unwirksam. Er sei
bereits nicht nach § 1 Abs. 3 BauGB erforderlich, da die in der Planbegründung
genannten Planziele den Einzelhandelsausschluss nicht rechtfertigten. Er sei schon
nicht geeignet, das Ziel, kleineren Gewerbe- und Handwerksbetrieben Flächen
vorzuhalten, zu erreichen. Hierzu hätten auch andere Nutzungen ausgeschlossen
werden müssen, u.a. Lagerhäuser, Lagerplätze und öffentliche Betriebe sowie Anlagen
für sportliche Zwecke. Der Einzelhandelsausschluss schieße außerdem über das Ziel
hinaus, da nicht jede Einzelhandelsnutzung Auswirkungen auf die zu schützenden
Zentren haben könnten. Bei Autohäusern sei dies z.B. nicht der Fall. Zudem leide der
Bebauungsplan an einem Abwägungsdefizit. Der pauschale Verweis auf zwei zu
schützende Zentren genüge den Anforderungen an eine sachgerechte Abwägung nicht.
Eine Bestandsaufnahme habe vor Aufstellung des Planes nicht stattgefunden. Die
Qualität des Stadtteilzentrums I als zentraler Versorgungsbereich werde zudem
bezweifelt. Der Plangeber greife im übrigen in erheblichem Umfang in die
Eigentumsrechte ein, indem er die im Plangebiet vorhandenen Einzelhandelsbetriebe
auf den passiven Bestandsschutz setze.
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Die Klägerin beantragt,
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den Beklagten unter Aufhebung seines Rückgabebescheides vom
1. März 2007 zu verpflichten, die Bauvoranfrage der Klägerin vom
15. Dezember 2006 für die Errichtung eines Fachmarktes für Tiernahrung mit
57 Stellplätzen auf dem Grundstück Xstraße 30 in E, Gemarkung G1,
Flurstücke 59, 229, 232, 243 und 259 positiv zu bescheiden,
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hilfsweise,
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festzustellen, dass die Bauvoranfrage der Klägerin bis zum Inkrafttreten des
Bebauungsplanes Nr. 4977/038 positiv zu bescheiden war.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er macht geltend: Der Bebauungsplan sei wirksam. Es handele sich um einen
einfachen Bebauungsplan auf der Grundlage von § 9 Abs. 2a BauGB. Er sei im Sinne
von § 1 Abs. 3 BauGB erforderlich. Das Plangebiet sei durch gewerbliche und zum Teil
durch industrielle Nutzungen geprägt. Es lägen nachweisbar Anfänge einer
städtebaulichen Fehlentwicklung vor, indem durch neue Einzelhandelsnutzungen ein
neues "Versorgungszentrum" zu entstehen drohe. Die Landeshauptstadt E verfolge das
Planungsziel, die beplanten Gebiete mit industriellen, produzierenden und
artverwandten Nutzungen weiterhin für diese Nutzungen vorzuhalten. Die Ansiedlung
von Einzelhandelsnutzungen solle in bestimmte Standorte mit zentraler
Versorgungsfunktion gelenkt werden, um die gewachsenen Stadtteilzentren zu erhalten
und zu stärken. Dies diene zugleich der Umsetzung der Ziele des Rahmenplanes
Einzelhandel, der vom Rat zwar erst am 18. Oktober 2007 beschlossen worden sei, bei
der Aufstellung des Bebauungsplanes aber schon im Entwurf vorgelegen habe und vom
Ausschuss für Planung und Stadtentwicklung gebilligt gewesen sei. Insoweit gehe es
zum einen um das Stadtteilzentrum D am O-Platz, zum anderen um das
Stadtteilzentrum C an der Mallee. Diese Ziele würden für das Plangebiet durch den
weitgehenden Ausschluss von Einzelhandelsbetrieben erreicht. Dem sei eine
umfassende Bestandserhebung vorausgegangen. Unter Abwägungsaspekten sei nicht
zu beanstanden, wenn dem Schutz der Stadtteilzentren gegenüber den Interessen der
Betreiber der bestehenden Anlagen, ihren Geschäftsbetrieb zu erweitern, Vorrang
gegeben werde.
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Der Berichterstatter hat durch Ortsbesichtigung Beweis erhoben; für die Einzelheiten
wird auf das Protokoll vom 21. Mai 2008 verwiesen. Wegen des weiteren Sach- und
Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge
des Beklagten einschließlich Bestandsaufnahme der Nutzungen im Plangebiet
(Beiakte H. 5 zu 4 K 3874/07) sowie am O-Platz (Beiakte H. 7 zu 4 K 3874/07) und
Rahmenplan Einzelhandel (Beiakte H. 6 zu 4 K 3874/07) Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage hat mit dem Hauptantrag Erfolg.
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Sie ist mit diesem Antrag als Untätigkeitsklage zulässig (§ 75 VwGO). Der Beklagte
hatte bei Klageerhebung am 6. Juni 2007 den Vorbescheidsantrag der Klägerin vom
15. Dezember 2006 (Eingang am 27. Dezember 2006) über fünf Monate lang ohne
zureichenden Grund sachlich nicht entschieden. Der Bescheid vom 1. März 2007 mit der
"Rückgabe" der Voranfrage war rechtswidrig. Die Vorschriften der BauO NRW enthalten
für eine derartige Sachbehandlung keine Ermächtigungsgrundlage. Sind Bauvorlagen
unvollständig oder weisen sie erhebliche Mängel auf, soll der Vorbescheidsantrag
vielmehr zurückgewiesen werden (§§ 71 Abs. 2, 72 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW).
Allerdings lag ein solcher Fall nicht vor. Die von der Klägerin vorgelegten Bauvorlagen
wiesen keine vom Beklagten beanstandeten Mängel auf. Sie waren auch vollständig.
Entgegen der Annahme in dem "Rückgabe"-Bescheid vom 1. März 2007 fehlte es nicht
an einer Darlegung, welche der in den fünf gleichzeitig eingereichten Voranfragen vom
15. Dezember 2006 dargestellten Vorhaben einzeln oder gemeinsam mit anderen
dieser Vorhaben auf dem Baugrundstück ausgeführt werden sollte. Eine solche
Darlegung war entbehrlich; denn die fünf Vorhaben schließen sich gegenseitig aus.
Zum Teil ergibt sich dies bereits daraus, dass sich die Baukörper überschneiden (vgl.
die von dem Beklagten vorgelegte Übersichtszeichnung Gerichtsakte Bl. 18). Aber auch
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soweit dies nicht der Fall ist, können nicht zwei oder mehr der fünf Vorhaben gleichzeitig
ausgeführt werden. Dies folgt daraus, dass zu jedem der Vorhaben eine
Stellplatzanlage gehört. Die Zuwegungen zu diesen Stellplatzanlagen sind
unterschiedlich angeordnet, so dass sich die Errichtung dieser Anlagen wechselseitig
ausschließt. Auch soweit sich Stellplätze überschneiden wie dies bei den Vorhaben in
den Verfahren 4 K 2394, 2396 und 2397/07 der Fall ist ist eine gleichzeitige Ausführung
nicht möglich: Ist an einer Stelle ein Stellplatz errichtet, der zu dem einen Vorhaben
gehört, kann an derselben Stelle kein weiterer Stellplatz für eines der anderen Vorhaben
entstehen. Nicht ausgeschlossen ist es natürlich, die für ein Vorhaben errichtete
Stellplatzanlage zum Teil für ein anderes Vorhaben zu verwenden. Indessen hat die
Klägerin diese Möglichkeit nicht zum Gegenstand ihrer Voranfragen gemacht; denn dort
ist immer die volle Zahl der jeweils angegebenen Stellplätze für das einzelne Vorhaben
vorgesehen.
Die Klage ist auch begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Erteilung eines
positiven Vorbescheides für die Errichtung eines Fachmarktes für Tiernahrung mit
57 Stellplätzen auf dem Grundstück Xstraße 30 in E, Gemarkung G1, Flurstücke 59,
229, 232, 243 und 259 (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Dem Vorhaben stehen keine im
Vorbescheidverfahren zu prüfenden Vorschriften entgegen, §§ 71 Abs. 2, 75 Abs. 1
Satz 1 BauO NRW. Hinsichtlich der Fragen nach den Stellplätzen und der Erschließung
sind Bedenken nicht ersichtlich; auch der Beklagte hat insoweit nichts vorgetragen. Das
Vorhaben ist auch planungsrechtlich zulässig.
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Die Zulässigkeit des Vorhabens (§ 29 BauGB) richtet sich nach § 34 BauGB. Es soll in
einem im Zusammenhang bebauten Ortsteil und nicht im Geltungsbereich eines
Bebauungsplanes ausgeführt werden. Der (einfache) Bebauungsplan Nr. 4977/038 ist
unwirksam. Für die Begründung wird auf das heutige Urteil im Verfahren gleichen
Rubrums 4 K 3874/07 Bezug genommen.
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Die Zulässigkeitsvoraussetzungen nach § 34 Abs. 1 BauGB liegen unproblematisch vor.
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Schließlich steht auch § 34 Abs. 3 BauGB der Zulassung des Vorhabens nicht
entgegen. Schädliche Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche sind von ihm
nicht zu erwarten. Auch insoweit kann auf die Ausführungen in der Sache 4 K 3874/07
verwiesen werden. Löst schon die dort zur Entscheidung stehende Kombination aus
Getränkemarkt, Fachmarkt für Haushaltswaren und Fachmarkt für Tiernahrung keine
Auswirkungen im Sinne des § 34 Abs. 3 BauGB aus, so gilt dies erst recht für den
Tiernahrungsfachmarkt alleine.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 709 ZPO.
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