Urteil des VG Düsseldorf vom 06.11.2008

VG Düsseldorf: behandlung, anhörung, ermittlungsverfahren, auflage, vorladung, vollstreckung, abklärung, freispruch, wiederholungsgefahr, einsichtnahme

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 18 K 4795/08
Datum:
06.11.2008
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
18. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
18 K 4795/08
Tenor:
Der Bescheid des Beklagten vom 6. Juni 2008 wird aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder
Hinterlegung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn
nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
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Mit Bescheid vom 6. Juni 2008 ordnete der Beklagte ohne zuvorige Anhörung die
Vorladung des Klägers zur erkennungsdienstlichen Behandlung nach § 81 b
2. Alternative StPO an. Zur Begründung gab er an, dass der Kläger bereits mehrfach
wegen Betrugsdelikten in Erscheinung getreten sei. Hierfür sei er auch rechtskräftig
verurteilt worden. Aktuell laufe bei der Staatsanwaltschaft in L ein Verfahren wegen
Insolvenzverschleppung, Betruges und Steuerhinterziehung.
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Gegen diesen Bescheid hat der Kläger am 3. Juli 2008 Klage erhoben, mit der er
schriftsätzlich sinngemäß beantragt,
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den Bescheid des Beklagten vom 6. Juni 2008 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge ergänzend Bezug
genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist begründet; der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den
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Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Der angefochtene Bescheid ist schon formell rechtswidrig, weil er ohne vorherige
Anhörung des Klägers nach § 28 Abs. 1 VwVfG erlassen worden ist. Es liegt auch keine
Heilung dieses Fehlers nach § 45 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 VwVfG vor; das käme nur in
Betracht, wenn die Behörde den Anhörungsmangel
außerhalb
Verfahrens in dem Verwaltungsverfahren behoben hätte,
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vgl. Kopp/Ramsauer, Kommentar zum Verwaltungsverfahrensgesetz, 10. Auflage,
§ 45 Rdnr. 27.
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Eine solche Nachholung der fehlenden Anhörung außerhalb des gerichtlichen
Verfahrens ist hier aber nicht erkennbar, solches wird von dem Beklagten auch nicht
behauptet.
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Der Bescheid ist auch in materieller Hinsicht rechtswidrig.
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Soweit in der Vorladung zur erkennungsdienstlichen Behandlung angegeben wird, dass
der Kläger bereits mehrfach wegen Betrugsdelikten in Erscheinung getreten und auch
rechtskräftig verurteilt worden sei, wird in keiner Weise detailliert dargelegt und
aufgelistet, von wann diese Verfahren stammen, welcher Art die Vorwürfe sind und wie
der gegenwärtige Stand der Ermittlungsverfahren im Einzelnen (noch anhängig,
Verurteilung, Einstellung, Freispruch u.a.) gewesen ist.
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Dieses ist aber wesentlich bei der Entscheidung nach § 81 b 2. Alternative StPO für die
Frage, ob wegen der Art und Schwere der Straftaten ein besonderes kriminalistisches
Interesse für die Durchführung einer erkennungsdienstlichen Behandlung besteht.
Maßgebend für diese Frage ist, ob Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der
Beschuldigte in ähnlicher oder anderer Weise erneut straffällig werden könnte und ob
die erkennungsdienstlichen Unterlagen zur Förderung der dann zu führenden
Ermittlungen geeignet erscheinen,
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vgl. Meyer/Goßner, StPO, 50. Auflage, § 81b Rnd. Nr. 12.
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Ausgehend von diesen Überlegungen fehlt auch jegliche Abklärung, ob und ggf.
weshalb konkret Anlass für eine Wiederholungsgefahr besteht und in welcher Weise die
angeordneten Standardmaßnahmen geeignet sind, künftige Ermittlungsverfahren
entweder für oder gegen den Kläger zu fördern. Hierzu wäre eine Einsichtnahme in die
entsprechenden Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft nötig gewesen, was der
Beklagte nach dem dem Gericht vorliegenden Verwaltungsvorgang nicht vorgenommen
hat.
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Unabhängig von dieser unzulänglichen Sachverhaltsaufklärung, die demzufolge auch
keine ordnungsgemäße Beantwortung der Frage zuließ, ob die konkret angeordneten
erkennungsdienstlichen Behandlungen unter polizei- präventiven Gesichtspunkten
notwendig waren, ist hier auch nicht erkennbar, dass der Beklagte
Ermessenserwägungen etwa in Gestalt von Ausführungen zur Verhältnismäßigkeit der
Maßnahme im Hinblick auf die Art und Schwere der dem Kläger vorgeworfenen und
noch verwertbaren Straftaten angestellt hat. Angesichts dieses völligen
Ermessensausfalls in der angefochtenen Verwaltungsentscheidung kann auch keine
Nachholung im gerichtlichen Verfahren erfolgen. Denn § 114 Satz 2 VwGO erlaubt
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lediglich eine
Ergänzung
Verfahren, nicht jedoch eine erstmalige Ermessensbetätigung. Von daher kann
dahinstehen, ob die Klageerwiderungen des Beklagten vom 10. Juli 2008 und
24. September 2008 ausreichende Ermessenserwägungen enthalten.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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