Urteil des VG Düsseldorf vom 22.01.2004

VG Düsseldorf: nutzungsänderung, grundstück, öffentliche ordnung, moschee, bordellbetrieb, verwaltung, auflage, anwohner, brücke, stadt

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 9 K 1447/02
Datum:
22.01.2004
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
9 Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 K 1447/02
Tenor:
Der Beklagte wird unter Aufhebung seines Ablehnungsbescheides vom
21. Mai 2002 und des Widerspruchsbescheides des Landrates des
Kreises N vom 25. Juli 2002 verpflichtet, dem Kläger auf seinen
Bauantrag vom 20. September 2001 die Baugenehmigung zur
Nutzungsänderung von Büroräumen in Clubräume (Bordell) auf dem
Grundstück Am X 00 in S zu erteilen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Die Hinzuziehung des
Prozessbevollmächtigten des Klägers für das Vorverfahren wird für
notwendig erklärt.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte
darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in
Höhe des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden,
wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe
leistet.
Tatbestand:
1
Der Kläger beabsichtigt, in angemieteten ehemaligen Büroräumen auf dem Grundstück
Am X 00 in Ratingen einen „Club N1" einzurichten. Nachdem der Beklagte mit
bestandskräftiger Verfügung vom 09.11.1998 die Nutzung der Büroräume als Bordell
untersagt hatte, beantragte der Kläger am 20.09.2001 beim Beklagten eine
Baugenehmigung für die Nutzungsänderung der Büroräume in Clubräume.
2
Das an der Nordseite der Straße gelegene Grundstück Am X 00 ist im Wesentlichen mit
einer gewerblich genutzten Halle, an die sich im Westen ein schmaler Bürotrakt
anschließt, bebaut. Mit gewerblich genutzten Hallen bzw. Gebäuden sind auch die sich
nach Osten, Norden und Westen anschließenden Grundstücke bebaut, wobei es sich
überwiegend um ältere Bebauung handelt. Ebenfalls gewerblich genutzte Gebäude
bzw. Freiflächen befinden sich gegenüber, an der Südseite der Straße Am X, die hier
unterhalb der T-Brücke der L Straße verläuft.
3
Nordöstlich der Lager- und Fertigungshallen der Tapetenfabrik auf den Grundstücken
Am X 00 und 01 befindet sich auf dem Grundstück Am X 02 ein viergeschossiges,
ehemaliges Lagerhaus, das von dem U Kulturverein für S und Umgebung e.V. genutzt
wird. Mit Baugenehmigungen vom 15.12.1995 und vom 07.12.2000 hat der Beklagte
dem Kulturverein die Nutzungsänderung und den Umbau von Lagerhaus in
Vereinsräume (u.a. Verkaufsraum für Lebensmittel, eine Wohnung für den Vorbeter, ein
Gebetsraum für Frauen und ein Gebetsraum für Männer) genehmigt. Mit
Baugenehmigung vom 23.10.2001 hat der Beklagte dem Kulturverein die
Nutzungsänderung der zuvor im dritten Obergeschoss genehmigten Backstube in
Kantine und Küche (Sozialräume) genehmigt.
4
Westlich der nach Norden von der Straße abzweigenden Zufahrt (Flurstück 133), zu den
streitbefangenen Büroräumen und den im rückwärtigen Bereich befindlichen
Gewerbebauten befinden sich - aneinandergebaut - die zwei- bzw. dreigeschossigen
älteren Häuser Am X 03, 04 und 05. Die oberen Geschosse dieser Häuser liegen
oberhalb der T-Brücke und reichen nahezu an diese heran. Soweit bewohnt, werden die
Häuser überwiegend von ausländischen Mietern (überwiegend türkischer Herkunft)
bewohnt. Ebenfalls von überwiegend türkischen Mietern bewohnt wird das Doppelhaus,
Am X 06 und 07, das gegenüber den Häusern Nrn. 03 und 04 an der Südseite der
Straße liegt.
5
Die Grundstücke an der Nordseite der Straße liegen im Gebiet des
Bebauungsplanentwurfs W 332, dessen Aufstellung bzw. Erweiterung am 23.11. bzw.
21.12.1999 beschlossen worden ist. Ziel und Zweck der Planung ist es, die
verbleibenden Gewerbe- und Industriegebiete für produzierende Gewerbebetriebe
sowie für Büro- und Verwaltungsbetriebe freizuhalten und weitere Ansiedlungen
kerngebietstypischer Nutzungen und Einzelhandelsbetriebe mit innenstadtrelevanten
Sortimenten zu verhindern. Da in dem Gebiet eine nur schwer überplanbare
Gemengelage vorliege, sind nach den Angaben des Beklagten seit dem
Aufstellungsverfahren keine weiteren Fortschritte in der Planung mehr gemacht worden.
Im Flächennutzungsplan der Stadt S sind die Grundstücke nördlich der Straße Am X als
Industriegebiet dargestellt; ein Bebauungsplan für dieses Gebiet besteht nicht.
6
Wegen der weiteren Einzelheiten der Umgebungsbebauung und der örtlichen
Gegebenheiten wird auf die Karten und Lagepläne sowie auf die Niederschrift über den
Ortstermin vom 26.08.2003 verwiesen.
7
Nach der Betriebsbeschreibung vom 09.10.2001 soll der Privatclub des Klägers täglich
von 20.00 Uhr bis 5.00 Uhr geöffnet und in den sechs Räumen nebst Küche und
Sanitärräume werden der Kläger und zwei bis höchstens vier Frauen, die dort nicht
wohnen, tätig sein; auch soll kein öffentlicher Ausschank an Gäste stattfinden.
8
Nachdem das Bauordnungsamt unter dem 18.12.2001 dem Beklagten mitgeteilt hatte,
dass beabsichtigt sei, die Baugenehmigung zu erteilen, und das Rechtsamt in einer
Stellungnahme vom 20.02.2002 ausgeführt hatte, dass der Antrag des Klägers auf
Nutzungsänderung genehmigungsfähig sei, zog der Rat der Stadt S mit Beschluss vom
05.03.2002 die Angelegenheit „Bordell Am X" an sich und beauftragte ebenfalls mit
Beschluss vom 05.03.2002 die Verwaltung, den vorliegenden Antrag auf gewerbliche
Nutzung ablehnend zu bescheiden und alles zu unternehmen, einen Betrieb der
geplanten Art zu verhindern.
9
Am 06.03.2002 hat der Kläger Untätigkeitsklage erhoben.
10
Mit Bescheid vom 21.05.2002 lehnte der Beklagte den Bauantrag ab und führte zur
Begründung im Wesentlichen aus: Der Rat habe am 05.03.2002 beschlossen, dass der
Antrag ablehnend zu bescheiden sei. Die Zulässigkeit des Vorhabens beurteile sich
nach § 34 BauGB und das unbeplante Gebiet sei als Gewerbegebiet im Sinne von § 8
BauNVO einzustufen. Dem Grundsatz nach erfülle ein Bordellbetrieb zwar die
Voraussetzungen für ein Gewerbegebiet, die Nutzungsänderung füge sich aber nicht in
die Umgebungsbebauung ein, primär sei produzierendes und verarbeitendes Gewerbe
aber kein Bordellbetrieb oder gar eine Bar oder Vergnügungsstätte vorhanden. Die
Nutzungsänderung verstoße weiter gegen das Rücksichtnahmegebot, das sich aus § 34
BauGB i.V.m. § 15 BauNVO ergebe. § 15 BauNVO sei zwingend zu berücksichtigen. In
der näheren Umgebung sei bestandsgeschützte Wohnbebauung sowie - ca. 200 m
entfernt - eine mit Bescheid vom 15.12.1995 genehmigte Moschee bzw. U Kulturverein
vorhanden, eine weitere Moschee befinde sich im Wohnhaus Am X03 31. Gegenüber
der Nachbarschaft müsse das Interesse des Klägers nachstehen, der Betrieb
widerspreche in seinem Kern den Nutzungen der Nachbarschaft. Bordellbetriebe störten
jede Wohnnutzung, hier befinde sich gerade bestandsgeschützte Wohnbebauung. In
diesem Umfeld sei ein Bordellbetrieb nicht tolerierbar, insbesondere weil es sich zum
großen Teil um ausländische Mitbürger islamischen Glaubens handele, die bereits im
Juli 2001 dargelegt hätten, dass sie sich durch die Nutzungsänderung beeinträchtigt
fühlten. Die Nutzungsänderung provoziere deutliche Spannungen, das
Rücksichtnahmegebot werde verletzt. Auch den benachbarten kirchlichen Einrichtungen
sei ein Bordellbetrieb nicht zuzumuten. Den Gläubigen sei es nicht zuzumuten,
unmittelbar neben ihrem Gotteshaus einen Betrieb zu dulden, der ihren
Lebensgrundsätzen zutiefst widerspreche. Nachbarschaftsproteste seien
vorprogrammiert, da sich die Religionsgemeinschaften durch den Betrieb belästigt
fühlten. Eine Belästigung gehe auch von dem Kundenbetrieb aus. Der Zu- und
Abgangsverkehr von dem Bordell erzeuge Lärmbelästigungen, die die Nachbarschaft
erheblich störten. Bei Erteilung der Baugenehmigung sei zu befürchten, dass sich kurz
oder lang unterhalb der Brücke ein Straßenstrich entwickele, diese konkrete Gefahr
rechtfertige die Ablehnung. Selbst wenn der Betrieb als Vergnügungsstätte anzusehen
sei, könne diese nicht ausnahmsweise nach § 8 Abs. 3 Nr. 3 BauNVO zugelassen
werden. Auch in diesem Fall wäre das Rücksichtnahmegebot nach § 15 Abs. 1
BauNVO zu berücksichtigen.
11
Den hiergegen erhobenen Widerspruch, in dem sich der Kläger auf seine zahlreichen
Eingaben zu seinem Vorhaben bezog, wies der Landrat des Kreises N durch
Widerspruchsbescheid vom 25.07.2002 zurück und führte zur Begründung aus: Mit dem
Antrag, die Verwaltung möge die Nutzungsänderung abschlägig bescheiden, habe die
planungsbefugte Gemeinde zum Ausdruck gebracht, dass das für ein nach § 34 BauGB
zu beurteilendes Vorhaben erforderliche Einvernehmen nach § 36 Abs. 1 BauGB als
nicht erteilt gelte. Der Rat habe also hier von der sich aus den Vorschriften des BauGB
ergebenden Planungshoheit Gebrauch gemacht, weil er befürchte, dass die Aufnahme
der streitigen Nutzung geeignet sei, bodenrechtlich relevante Spannungen
hervorzurufen. Diesen Überlegungen sei die zuständige untere Bauaufsichtsbehörde
gefolgt. Die Widerspruchsbehörde könne sich nicht über das fehlende Einvernehmen
hinwegsetzen, so dass der Widerspruch schon aus diesem Grunde zurückzuweisen sei.
Im Übrigen seien auch die dargelegten Versagungsgründe nachvollziehbar und auch
rechtlich vertretbar.
12
Der Kläger, der sich auf seine Ausführungen im Vorverfahren und auf die positiven
Stellungnahmen der Ämter des Beklagten bezieht, trägt zur Begründung der Klage
ergänzend vor: Der geplante Bordellbetrieb sei in dem hier vorhandenen
Gewerbegebiet allgemein zulässig und von diesem gingen auch keine unzumutbaren
Belästigungen oder Störungen aus. Das vom U Kulturverein genutzte Gebäude, Am X
02, liege etwa 150 - 200 m vom Streitobjekt entfernt, ein Sichtkontakt zwischen beiden
Gebäuden bestehe nicht, eine Einwirkung seines Betriebes auf die Besucher des
Kulturvereins sei deshalb gar nicht möglich. Abends, nach dem letzten Gebet - um 22.00
Uhr - werde der Kulturverein geschlossen. Weder die Wohnnutzungen noch die T1-
Moschee, - sofern letztere noch vorhanden sei -, seien jemals baurechtlich genehmigt
worden, darüber hinaus seien sie im Gewerbegebiet nur ausnahmsweise zulässig.
Wegen der Illegalität könnten sich weder die Bewohner noch die Moschee auf einen
Nachbarschutz berufen. Eventuelle Störungen durch den Bordellbetrieb seien erheblich
geringer als diejenigen durch die unmittelbar angrenzende Eisenbahn und die
Gewerbebetriebe. Der Betrieb sei für die Nachbarn nur wahrnehmbar, wenn diese sich
in die schmale Zufahrtsgasse zwischen den Gebäuden Nrn. 00 und 03 begäben. Nicht
einmal von der Straße aus bestehe eine direkte Sichtmöglichkeit zu dem geplanten
Vorhaben. Von den Wohnungen aus sei der Betrieb jedenfalls nicht wahrnehmbar. Es
liege keinerlei Außenwirkung vor, die die Nachbarn beeinträchtigen könnte.
13
Der Kläger beantragt,
14
den Beklagten unter Aufhebung seines Ablehnungsbescheides vom 21. Mai 2002 und
des Widerspruchsbescheides des Landrates des Kreises N vom 25. Juli 2002 zu
verpflichten, dem Kläger auf seinen Bauantrag vom 20. September 2001 die
Baugenehmigung zur Nutzungsänderung von Büroräumen in Clubräume (Bordell) auf
dem Grundstück Am X 00 in S zu erteilen, die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das
Vorverfahren für notwendig zu erklären.
15
Der Beklagte beantragt,
16
die Klage abzuweisen.
17
Der Beklagte trägt ergänzend vor, es sei in den Gebäuden Am X 03 bis 05 keine illegale
Nutzung festzustellen, die Wohnnutzung sei zumindest bestandsgeschützt. Jedenfalls
bestehe ein Abwehrrecht der Nachbarn, soweit diese den Betrieb direkt wahrnehmen
könnten. Dies sei bei den Gebäuden Am X 03, 06 und 07 der Fall. Die Bewohner des
Hauses Nrn. 06 und 07, dort seien 20 Personen gemeldet, hätten Sichtkontakt in die
kleine Seitengasse und könnten so den Zugangsverkehr zu dem Bordell gut
wahrnehmen. Im Genehmigungsfall sei zu befürchten, dass sich die Straße zu einem
„Rotlichtviertel" entwickeln könnte, dies sei durch die Stadt nicht gewollt und den dort
lebenden Familien nicht zumutbar. Es gehe nicht um befürchtete akustische
Belästigungen, sondern um eine Beeinträchtigung optischer Art und eine Zumutung für
die Anwohner, im Besonderen für die Familien mit Kindern, ständig mit der Existenz des
Bordells in der Nachbarschaft konfrontiert zu sein.
18
Die Berichterstatterin hat am 26.08.2003 die Örtlichkeit in Augenschein genommen. Auf
die Niederschrift über den Ortstermin vom 26.08.2003 wird verwiesen.
19
Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der
beigezogenen Verwaltungsvorgänge sowie die vorgelegten Karten und Lagepläne
20
ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
21
Die zulässige Klage ist begründet.
22
Der Kläger hat einen Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung zur Einrichtung
eines Privatclubs (Bordell) in den ehemaligen Büroräumen auf dem Grundstück Am X
00, die entgegenstehenden Bescheide des Beklagten vom 21.05.2002 und des
Landrates des Kreises N vom 25.07.2002 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in
seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Dem Vorhaben des Klägers stehen
öffentlich-rechtliche Vorschriften nicht entgegen (§ 75 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW).
23
Das Vorhaben ist - worauf es hier in erster Linie ankommt - bauplanungsrechtlich
zulässig. Bauplanungsrechtlich beurteilt sich das klägerische Vorhaben nach § 34
BauGB, denn das Grundstück, Am X 00, auf dem das Vorhaben verwirklicht werden soll,
liegt, wie dem der Kammer vorliegenden Kartenmaterial zu entnehmen ist, sich im
Ortstermin bestätigt hat und es auch zwischen den Parteien unstreitig ist, in einem im
Zusammenhang bebauten Ortsteil von S, für den ein Bebauungsplan nicht besteht.
Nach § 34 BauGB ist ein Vorhaben zulässig, wenn es sich - worauf es hier ebenfalls in
erster Linie ankommt - nach der Art der baulichen Nutzung in die Eigenart der näheren
Umgebung einfügt. Entspricht die Eigenart der näheren Umgebung einem der in der
BauNVO bezeichneten Baugebiete, so beurteilt sich gemäß § 34 Abs. 2 BauGB die
Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art allein danach, ob es in dem betreffenden
Baugebiet allgemein zulässig ist,
24
vgl. hierzu: BVerwG, Urteil vom 26.05.1978 - 4 C 9.77 - BRS 33 Nr. 36, Urteil vom
26.11.1983 - 4 C 64.79 - BRS 40 Nr. 45 und Beschluss vom 12.02.1990 - 4 B 240.89 -
BRS 50 Nr. 79; OVG NRW, Urteil vom 21.03.1995 - 11 A 1089/91 - BRS 57 Nr. 68 und
Beschluss vom 19.08.2003 - 7 B 1040/03 -.
25
Hinsichtlich der Art der Nutzung fügt sich das klägerische Vorhaben - Bordell - in die
Eigenart der näheren Umgebung ein. Die maßgebliche nähere Umgebung im Sinne des
§ 34 BauGB, in die sich das Vorhaben einfügen muss, beurteilt sich danach, inwieweit
sich einerseits das geplante Vorhaben auf die Umgebung und andererseits die
Umgebung auf das Baugrundstück prägend auswirken kann,
26
vgl. BVerwG, Urteil vom 26.05.1978 a.a.O..
27
Unter Berücksichtigung dieser Kriterien stellt sich die nähere Umgebung nördlich und
südlich der Straße Am X zumindest als ein Gewerbegebiet im Sinne des § 8 BauNVO
dar. Dies lässt sich bereits aus dem der Kammer vorliegenden Kartenmaterial
entnehmen, hat sich nach dem Eindruck der Berichterstatterin vor Ort bestätigt und ist
zwischen den Parteien auch unstreitig. Dafür sprechen zudem die Darstellung im
Flächennutzungsplan - sogar - als Industriegebiet und die Absicht der Gemeinde, das
Gebiet im Entwurf des Bebauungsplanes W 332 als Gewerbegebiet (GE-Gebiet)
auszuweisen. Nicht entgegen stehen die Wohnnutzung in den Häusern Am X 03, 04
und 05 bzw. 06 und 07 sowie die Nutzung des Gebäudes Am X 02 durch den U
Kulturverein. Abgesehen davon, dass eine bestandsgeschützte allgemeine
Wohnnutzung der vermutlich aus den Anfängen des letzten Jahrhunderts stammenden
Häusern Am X 03, 04 und 05 bzw. 06 und 07 vom Beklagten durch Vorlage
28
entsprechender Baugenehmigung nicht nachgewiesen ist und das vom U Kulturverein
genutzte Gebäude als Anlage für kulturelle Zwecke nur ausnahmsweise im
Gewerbegebiet zulässig ist (§ 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO), kommt diesen Gebäuden schon
im Vergleich zu den wesentlich größeren gewerblich genutzten Hallen und Gebäuden
kein derartiges Gewicht zu, das geeignet wäre, den Gebietscharakter entscheidend -
etwa in Richtung auf ein Mischgebiet - zu verändern.
In einem Gewerbegebiet ist ein Bordell, in dem, wie hier, nicht gewohnt wird, als
„Gewerbebetrieb aller Art" im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO allgemein zulässig,
29
vgl. BVerwG, Urteil vom 25.11.1983 - 4 C 21.83 - BRS 40 Nr. 52; OVG NRW, Urteil vom
19.01.1983 - 11 A 2171/82 - BRS 40 Nr. 51; VG Freiburg, Urteil vom 24.10.2000 - 4 K
1178/99 - BRS 63 Nr. 81; Gelzer/Bracher/Reidt, BauGB 6. Auflage 2001, Rdnr. 1695;
Fickert/Fieseler, BauNVO 10. Auflage 2002, § 8 Rdnr. 23.73.
30
Entgegen der Meinung des Beklagten ist das Vorhaben des Klägers auch nicht deshalb
unzulässig, weil es gemäß § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 BauNVO in Bezug auf
die nähere Umgebung rücksichtslos ist. Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO, diese
Vorschrift ist für das im Rahmen des § 34 Abs. 2 BauGB festgestellte Baugebiet
ergänzend heranzuziehen,
31
vgl. BVerwG, Beschluss vom 12.02.1990 - 4 B 240.89 - BRS 50 Nr. 79 und Beschluss
vom 29.07.1991 - 4 B 40.91 - BRS 52 Nr. 56,
32
sind im Einzelfall bauliche Anlagen unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang
oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebietes widersprechen. Sie sind gemäß
§ 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO u.a. auch unzulässig, wenn von ihnen Belästigungen oder
Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebietes im Baugebiet
selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind. Diese Voraussetzungen liegen nicht
vor.
33
Soweit der Beklagte bemängelt, das klägerische Vorhaben widerspreche in seinem
Kern den Nutzungen der Nachbarschaft, weil weit und breit kein Bordell vorhanden sei,
so ist dies schon deshalb nicht zu berücksichtigen, weil im Gewerbegebiet Gewerbe
aller Art zulässig sind, d.h. auch bisher nicht vorhandene Gewerbebetriebe dieser Art.
Ein bereits vorhandenes Vorstück wird nicht gefordert,
34
vgl. BVerwG, Urteil vom 25.11.1983 a.a.O..
35
Da das Vorhaben des Klägers auf Grund seiner geringen Größe - sechs Räume und
Nebenräume - auch nicht in der Lage ist, angesichts der vorhandenen gewerblich
genutzten Hallen und Gebäuden den Gebietscharakter zu beeinflussen, ist zudem
ausgeschlossen, dass das klägerische Vorhaben der Zweckbestimmung des
vorhandenen Gewerbegebietes widerspricht und deshalb unzulässig wäre,
36
vgl. hierzu: BVerwG, Beschluss vom 13.05.2002 - 4 B 86.01 - NVwZ 2002, 1384.
37
Es gehen von dem klägerischen Vorhaben auch keine Belästigungen oder Störungen
aus, die es im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO als rücksichtslos gegenüber der
Nachbarbebauung erscheinen lassen. Dies gilt hinsichtlich der vom Beklagten ins Feld
geführten Wohnnutzung, des islamischen Glaubens der Anwohner, bezüglich der
38
benachbarten kirchlichen Einrichtungen, der befürchteten Lärmbelästigungen sowie der
befürchteten Entwicklung zum Straßenstrich. Diese vom Beklagten genannten Belange
führen nicht zur Unzulässigkeit des klägerischen Vorhabens. Voranzustellen ist dabei,
dass der Gemeinde im Rahmen des § 15 BauNVO kein Entscheidungsspielraum
zusteht, maßgeblich bei der Anwendung dieser Vorschrift durch die
Baugenehmigungsbehörde sind nur die städtebaulichen Ziele und Grundsätze des § 1
Abs. 5 BauGB,
vgl. BVerwG, Beschluss vom 29.07.1991 a.a.O..
39
Schutzwürdig ist zudem nur derjenige, der sein Grundstück nicht selbst planwidrig nutzt,
40
vgl. BVerwG, Urteil vom 24.02.2000 - 4 C 23.98 - BRS 63 Nr. 80 und Urteil vom
25.02.1992 - 1 C 7.90 - DVBl. 1992, 1170.
41
Eine allgemeine Wohnnutzung ist in einem Gewerbegebiet gar nicht zulässig, sondern
zugelassen werden dürfen nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO nur ausnahmsweise mit der
gewerblichen Nutzung verbundene Wohnungen, die jedoch die aus dem Gebiet
resultierenden Störungen und Belästigungen hinnehmen müssen. Eine Wohnnutzung
dieser Art liegt nicht vor. Dass es sich um eine bestandsgeschützte allgemeine
Wohnnutzung handelt, wie vom Beklagten behauptet, ist nicht nachgewiesen. Dagegen
sprechen auch Lage und Art der Häuser - ursprüngliche Zuordnung zu den sich
rückwärtig anschließenden Gewerbebauten und zusammen mit diesen entstanden -,
zudem waren bereits nach § 7 I B e Regierungsbauordnung vom 01.04.1939 im
Großgewerbegebiet allgemeine Wohnhäuser nicht generell, sondern allenfalls
ausnahmsweise in 20 m breiten Baulücken zulässig. Vermutlich war früher in den
Häusern eine Büro- bzw. betriebliche Wohnnutzung entsprechend § 8 Abs. 3 Nr. 1
BauNVO vorhanden. Heute werden die Häuser getrennt von den Gewerbebetrieben
genutzt und sind entprivilegiert vermietet, und zwar an ausländische Bewohner.
42
Die religiösen Empfindungen der überwiegend türkischen Anwohner islamischen
Glaubens können die Zulässigkeit des Vorhabens ebenfalls nicht ausschließen, denn
sie stellen keine städtebaulichen Gründe dar und sind deshalb unbeachtlich. Im Übrigen
können Mieter keinen baurechtlichen Nachbarschutz in Anspruch nehmen,
43
vgl. BVerwG, Beschluss vom 20.04.1998 - 4 B 2298 - BRS 60 Nr. 174; OVG NRW,
Beschluss vom 11.04.1997 - 7 A 879/97 - BRS 59 Nr. 194 und Beschluss vom
22.10.1996 - 10 B 1752/96 -.
44
Wenn sich die Mieter durch die Art des zulässigen Gewerbes in der Nachbarschaft
gestört fühlen, steht es ihnen frei, eine Wohnung in einer anderen Umgebung
anzumieten. Letztlich besteht auch deshalb keine Störung, weil die Anwohner nach
Lage und Entfernung der Häuser keinen unmittelbaren Sichtkontakt zu dem an der
schmalen Zufahrt gelegenen Betrieb des Klägers haben.
45
Benachbarte kirchliche Einrichtungen, die auf Grund einer vorhandenen
Baugenehmigung einen Schutzanspruch geltend machen könnten, gibt es nicht. Eine
T1-Moschee im Haus Am X 03 ist nicht genehmigt, eine Moschee - als islamisches
Gotteshaus -,
46
vgl. Brockhaus, Enzyklopädie, 20. Auflage 1998 Band 15 S. 152 f.,
47
ist auch auf dem Grundstück Am X 02 nicht genehmigt. Auf diesem Grundstück sind
dem U Kulturverein, der nicht Grundstückseigentümer ist, Vereinsräume, zu denen auch
zwei Beträume gehören, genehmigt worden, mithin keine Moschee. Zudem ist der
Verein weder eine Kirche noch eine Religionsgesellschaft des öffentlichen Rechts im
Sinne des § 1 Abs. 5 Ziffer 6 BauGB. Nach den örtlichen Gegebenheiten mit
dazwischen liegenden Gewerbehallen besteht auch kein Sichtkontakt von den
Vereinsräumen zu dem Betrieb des Klägers. Außerdem wird der Verein nach dem
letzten Gebet um 22.00 Uhr geschlossen, so dass Mitglieder bzw. Besucher des Vereins
von dem Betrieb des Klägers - Öffnungszeit von 20.00 Uhr bis 5.00 Uhr - im
Wesentlichen nicht tangiert werden.
48
Vom Beklagten befürchtete Lärmbelästigungen sind angesichts der Größe des
klägerischen Betriebes, im Ganzen sechs Räume, in denen maximal vier Frauen tätig
sind, nicht ersichtlich, im Übrigen sind in einem Gewerbegebiet Lärmemissionen,
solange diese nicht zur Änderung des Gebietscharakters führen, hinzunehmen.
49
Schließlich vermag auch der vom Beklagten befürchtete Straßenstrich, der sich infolge
des klägerischen Betriebes entwickeln könnte, die Zulässigkeit des klägerischen
Vorhabens nicht zu verhindern. Abgesehen davon, dass die Situation unter der Brücke,
wie im Ortstermin erkennbar wurde, nicht besonders einladend und zudem nicht
verkehrsgünstig (schwer auffindbar und kein Durchgangsverkehr) ist, wären Bordell und
Straßenstrich auch schon nicht vergleichbar. Insbesondere kann aber nicht auf
befürchtete Folgewirkungen abgestellt werden, der Widerspruch zur Eigenart des
Baugebietes muss durch das streitbefangene Vorhaben selbst eintreten. Dies wäre
möglich, wenn - was hier nicht der Fall ist - bereits mehrere Bordelle in dem Gebiet
vorhanden wären, dann könnte die Zulassung eines weiteren gleichartigen Vorhabens
der Eigenart des Baugebietes widersprechen, bei dem ersten Bordell ist ein solcher
Widerspruch jedoch nicht gegeben,
50
vgl. BVerwG, Beschluss vom 29.07.1991, a.a.O..
51
Es kann ferner dahinstehen, ob der Rat der Stadt S durch die Beschlüsse vom
05.03.2002, wie fälschlich im Widerspruchsbescheid ausgeführt, das Einvernehmen
nach § 36 Abs. 1 BauGB versagt hat, oder über § 41 Abs. 3 GO NRW das
Baugenehmigungsverfahren als Geschäft der laufenden Verwaltung an sich gezogen
und die Verwaltung beauftragt hat, den Bauantrag abzulehnen,
52
vgl. hierzu: Rehn/Cronauge/von Lennep, Gemeindeordnung NRW, 2. Auflage Stand
2002, § 41 Anm. IV 1,
53
denn in jedem Fall handelt es sich um ein Verwaltungsinternum, dem keine
Außenwirkung zukommt und damit auch nicht zur Unzulässigkeit des klägerischen
Vorhabens führen kann.
54
Bedenken in bauordnungsrechtlicher Hinsicht sind vom Beklagten nicht dargetan und
auch nicht ersichtlich, zumal die vom Beklagten beteiligten Behörden keine
durchgreifenden Bedenken geltend gemacht haben, die gegen das klägerische
Vorhaben zu berücksichtigen wären.
55
Da der Beklagte auch keine sonstigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften, auf Grund
56
derer er nach Landesrecht ermächtigt wäre, im Einzelfall zur Abwehr von Gefahren für
die öffentliche Ordnung den Betrieb des Bordells zu untersagen, angeführt und belegt
hat,
vgl. hierzu: BVerwG, Urteil vom 25.11.1983 a.a.O.,
57
ist das Vorhaben des Klägers insgesamt als zulässig zu bewerten und der Beklagte zu
verpflichten, dem Kläger eine uneingeschränkte Baugenehmigung zu erteilen.
58
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 2 VwGO.
59
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§
708 Ziffer 11, 711 ZPO.
60
61