Urteil des VG Düsseldorf vom 27.10.2009
VG Düsseldorf (kläger, ehefrau, lebensgemeinschaft, bundesrepublik deutschland, wohnung, zeitpunkt, aufenthaltserlaubnis, sohn, kind, vater)
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 22 K 1675/08
Datum:
27.10.2009
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
22. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
22 K 1675/08
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden,
wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit
in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
1
Der am 00.0.1964 in I geborene Kläger ist vietnamesischer Staatsangehöriger. Er reiste
am 1. April 1993 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Sein am 7. April 1993
gestellter Asylantrag ist mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge vom 25. Juni 1993, rechtskräftig seit dem 19. August 1994,
abgelehnt worden. In der Folgezeit wurde der Kläger geduldet. Am 6. April 2000
heiratete der Kläger die deutsche Staatsangehörige I1. Er erhielt am 6. Juli 2000 von der
Stadt T eine Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Wahrung der ehelichen
Lebensgemeinschaft gemäß § 23 i.V.m. § 17 AuslG, die am 19. Juli 2001 bis zum 5. Juli
2002 verlängert wurde. Unter dem 23. Oktober 2001 trennten sich die Eheleute; die Ehe
ist seit dem 22. April 2002 geschieden.
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Mit Ordnungsverfügung vom 10. April 2002 – nach Anhörung vom 12. März 2002
befristete die Ausländerbehörde des Ckreises nachträglich die Gültigkeit der seinerzeit
erteilten Aufenthaltserlaubnis auf den 8. Mai 2002. Auf den hiergegen gerichteten
Widerspruch hob die Ausländerbehörde des Ckreises die angefochtene Verfügung am
8. Mai 2002 auf. Am 4. Juli 2002 beantragte der Kläger die Verlängerung seiner
Aufenthaltserlaubnis. Daraufhin hörte der Landrat des Ckreises den Kläger unter dem
10. Juli 2002 zur beabsichtigten Versagung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis
an. Am 19. Juli 2002 heiratete der Kläger die vietnamesische Staatsangehörige O, die
im Besitz einer Aufenthaltsbefugnis war.
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Mit Schreiben vom 7. August 2002 teilte der Kläger dies mit und beantragte die Erteilung
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einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der familiären Lebensgemeinschaft. Der Kläger
meldete sich am 23. August 2002 unter der Anschrift in I2, I3straße 4 an, ebenso wie
seine Ehefrau, die bis zum 30. September 2002 unter der Anschrift Lstraße 15, I2
gemeldet war. Der Oberstadtdirektor der Stadt I2 erteilte dem Kläger daraufhin erstmals
am 19. Februar 2003 eine Aufenthaltsbefugnis zum Zwecke der Herstellung und
Wahrung der Familiengemeinschaft, die zuletzt am 29. Januar 2004 bis zum
2. Februar 2006 verlängert wurde.
Am 00.0.2003 ist der Sohn des Klägers D geboren.
5
Auf den Antrag des Klägers vom 23. Juni 2005 erteilte der Oberstadtdirektor der Stadt I2
dem Kläger am 28. September 2005 eine Niederlassungserlaubnis gemäß § 26
Abs. 4 AufenthG.
6
Am 1. Juni 2006 zog der Kläger, der während seines Aufenthaltes in der Bundesrepublik
als Koch arbeitet, von I2 nach T1 um. Die Ehe ist seit dem 17. April 2009 rechtskräftig
geschieden (Urteil des Amtsgerichts I2 vom 17. April 2009 – 00 F 00000/08 S). Der
geschiedenen Ehefrau ist die alleinige elterliche Sorge über das Kind übertragen
worden. Unter dem 7. August 2006 hörte der Beklagte den Kläger zur beabsichtigten
Rücknahme der ihm erteilten Aufenthaltstitel an. Er führte aus, nach Ermittlungen der
Ausländerbehörde I2 sei die eheliche Lebensgemeinschaft zu keinem Zeitpunkt
aufgenommen worden. Vielmehr habe der Kläger allein in der Wohnung I3straße 4 in I2
gelebt, während seine Ehefrau mit ihrem Lebensgefährten Herrn X in der Wohnung
Lstraße 15 in I2 gewohnt habe. Zum Zeitpunkt der Erteilung der
Niederlassungserlaubnis hätten daher die Voraussetzungen des § 26 Abs. 4 AufenthG
nicht vorgelegen, da zu keinem Zeitpunkt eine familiäre Lebensgemeinschaft bestanden
habe.
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Der Kläger führte durch seinen früheren Prozessbevollmächtigten hierzu an, die
Lebensgemeinschaft habe bereits seit Juni 2002 bestanden. In diesem Monat sei die
künftige Ehefrau bereits in die einem Restaurant angegliederte Wohnung des Klägers
gezogen. Es sei im übrigen kein Ehevertrag geschlossen, wie es bei Scheinehen üblich
sei. Der gemeinsame Umzug in die I3straße 4 in I2 sei Mitte August 2002 erfolgt. Diese
Wohnung liege nur zehn Gehminuten von der Wohnung in der Lstraße 15 entfernt. Zu
Herrn X unterhalte die Ehefrau des Klägers weiterhin eine freundschaftliche Beziehung.
Der Kläger und seine Ehefrau hätten in der I3straße 4 eine familiäre
Lebensgemeinschaft geführt, aus der am 13. Mai 2003 der gemeinsame Sohn D
hervorgegangen sei, für den der Kläger monatlich Unterhalt zahle.
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Auf Anfrage des Beklagten führte die Vermieterin der Wohnung, Frau V, Lstraße 15/16
am 23. Oktober 2006 u.a. aus:
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"1.) In der von mir vermieteten Wohnung leben seit 15.9.2001 bis heute
ununterbrochen und ständig anwesend: Herr X (Mieter), Frau O, deren Tochter U und
seit Mitte 2003 der gemeinsame Sohn D. Zu keiner Zeit hat Herr X die Wohnung allein
bewohnt.
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2.) Mit einer schriftlichen Einladung lud mich Herr X am 22. Juni 2003 zur Feier der
Geburt "meines Sohnes D" ein.
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3.) Die auf der beigefügten Kopie abgebildete Person (O1) hat zu keiner Zeit in meiner
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Wohnung gelebt. Ich habe ihn auch nie bewusst in meinem Haus gesehen. Im übrigen
sind Herr X und Frau O sehr angenehme Mieter und gesellschaftlich so gut integriert,
wie die Politiker sich das wünschen."
Mit Ordnungsverfügung vom 4. November 2006 nahm der Beklagte die dem Kläger am
28. September 2005 erteilte Niederlassungserlaubnis mit Wirkung ab dem
28. September 2005 zurück. Gleichzeitig wies er den Kläger mit unbefristeter Wirkung
aus und forderte ihn unter Androhung der Abschiebung zum Verlassen des
Bundesgebietes auf. Zur Begründung führte er aus: Zwischen dem Kläger und seiner
Ehefrau habe nie eine eheliche Lebensgemeinschaft bestanden; vielmehr habe der
Kläger allein in der Wohnung I3straße 4 und die Ehefrau mit ihrem Lebensgefährten,
Herrn X, sowie den beiden Kindern in der Wohnung Lstraße 15 in I2 gewohnt. Die dem
Kläger erteilte Niederlassungserlaubnis sei daher rechtswidrig, weil weder im Zeitpunkt
der Erteilung der früheren Aufenthaltstitel noch im Zeitpunkt der erteilten
Niederlassungserlaubnis eine familiäre Lebensgemeinschaft bestanden habe. Gemäß
§ 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW könne ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch
nachdem er unanfechtbar geworden sei, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft
oder Vergangenheit zurückgenommen werden. Diese Voraussetzungen seien hier
erfüllt, auf Vertrauensschutz könne sich der Kläger nicht berufen, da die
Niederlassungserlaubnis durch Angaben erschlichen worden sei, die in wesentlicher
Beziehung unrichtig oder unvollständig gewesen seien. Art. 6 GG stehe der Rücknahme
nicht entgegen, da die Eheleute sich nicht nur vorübergehend getrennt hätten. Die
Ausweisungsentscheidung beruhe auf § 55 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 95 Abs. 2
Nr. 2 AufenthG.
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Mit Urteil des Amtsgerichts T1 vom 16. Oktober 2007 (Az.: - 00 Ds-00 Js 0000/06000/07)
sind der Kläger und seine geschiedene Ehefrau wegen Verstoßes gegen § 95 Abs. 2
Nr. 2 AufenthG jeweils zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen verurteilt worden. Das
Urteil ist hinsichtlich der geschiedenen Ehefrau seit dem 24. Oktober 2007 rechtskräftig.
Auf die vom Kläger gegen dieses Urteil eingelegte Berufung ist das Verfahren am
1. Dezember 2008 durch das Landgericht X1 nach §153a Abs. 2 StPO eingestellt
worden.
14
Den Widerspruch gegen die Ordnungsverfügung des Beklagten vom 4. November 2006
wies die Bezirksregierung E mit Widerspruchsbescheid vom 28. Januar 2008 zurück.
Zur Begründung führte sie ergänzend aus: Dem Kläger sei nach der Eheschließung mit
der vietnamesischen Staatsangehörigen O eine Aufenthaltsgenehmigung bzw. ein
Aufenthaltstitel für den Zeitraum vom 19. Februar 2003 bis zum 2. Februar 2006 zur
Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft erteilt worden. Unter
Berücksichtigung der Duldungszeiten gemäß § 102 Abs. 2 AufenthG habe er die
zeitliche Voraussetzung des § 26 Abs. 4 AufenthG erfüllt, sodass ihm nach Vorlage der
übrigen Erteilungsvoraussetzungen am 28. September 2005 eine
Niederlassungserlaubnis erteilt worden sei. Zwischenzeitlich hätten die Ermittlungen
jedoch ergeben, dass eine eheliche Lebensgemeinschaft zwischen den Eheleuten nie
bestanden habe. Hieran bestehe auf Grund der Ermittlungsergebnisse kein Zweifel. So
habe sich die Eigentümerin der Wohnung Lstraße 15, Frau V, mit Schreiben vom
23. Oktober 2006 dahingehend eingelassen, dass in der von ihr vermietete Wohnung
seit dem 15. September 2001 ununterbrochen und ständig Herr X, Frau O sowie deren
Tochter und seit Mitte 2003 das Kind D, den die Vermieterin als gemeinsamen Sohn von
Frau O und Herrn X bezeichnet habe, wohnten. Eine Nachbarin des Klägers habe
gegenüber dem Ermittlungsdienst I2 angegeben, dass der Kläger allein in der Wohnung
15
I3straße gewohnt habe. Seine Ehefrau habe dort zu keiner Zeit gewohnt.
Die Erteilung der Niederlassungserlaubnis an den Kläger sei daher rechtswidrig
gewesen und könne gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW zurückgenommen werden.
Die Erteilung und auch die Verlängerung der Aufenthaltsbefugnis bzw.
Aufenthaltserlaubnis sei zu Unrecht erfolgt, da zwischen den Eheleuten zu keinem
Zeitpunkt eine eheliche Lebensgemeinschaft bestanden habe. Wäre der
Ausländerbehörde bekannt gewesen, dass die Eheleute keine eheliche
Lebensgemeinschaft führten, wäre eine Erteilung und auch die Verlängerung nicht
erfolgt. Der Kläger habe bei der Erteilung der Aufenthaltsgenehmigung objektiv
unrichtige Angaben gemacht, um in den Besitz einer Aufenthaltsgenehmigung/eines
Aufenthaltstitels zu gelangen. Durch Vorlage der Heiratsurkunde, des Mietvertrages und
durch das gemeinsame Anmelden der Eheleute unter der Anschrift I3straße, sei
bewusst der Eindruck erweckt worden, dass die Ehegatten unter dieser Anschrift
gemeinsam wohnten, obwohl dies nicht den tatsächlichen Gegebenheiten entsprochen
habe. Bei der Verlängerung sei weiterhin der Anschein eines gemeinsamen Wohnsitzes
gewahrt worden. Die eheliche Verbundenheit könne nicht schon dadurch angenommen
werden, dass der Kläger während der Ehe Vater eines Kindes geworden sei. Diese
Eigenschaft ergebe sich vorliegend lediglich aus der Definition des § 1592 BGB, da
berechtigte Zweifel daran bestünden, dass der Kläger tatsächlich der "Vater" des Kindes
sei. Da der Kläger die Aufenthaltsbefugnis/Aufenthaltserlaubnis auf Grund bewusst
unrichtiger Angaben erhalten habe, seien keine Gründe erkennbar, ihm auf dieser
Grundlage eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen. Wäre der damals zuständigen
Ausländerbehörde I2 bekannt gewesen, dass der Kläger nie in einer ehelichen
Lebensgemeinschaft gelebt und sich den Aufenthalt praktisch erschlichen habe, wäre
die Ermessensentscheidung gemäß § 26 Abs. 4 Satz 1 AufenthG negativ ausgefallen.
Die Voraussetzungen für die Rücknahme nach § 48 VwVfG NRW seien danach erfüllt.
Die Ermessensentscheidung falle zu Ungunsten des Klägers aus. Auch die
Berücksichtigung von Art. 6 GG führe zu keiner günstigeren Entscheidung. Der Kläger
habe zu dem während der Ehe geborenen Sohn offensichtlich keine Beziehung. Wie
sich aus dem Urteil des Amtsgerichts T1 ergebe, habe er nicht einmal Angaben zum
Alter des Kindes gemacht.
16
Der Kläger hat am 28. Februar 2008 die vorliegende Klage erhoben. Zur Begründung
macht er geltend, im Zeitpunkt der Erteilung der Niederlassungserlaubnis habe mit
seiner geschiedenen Ehefrau eine familiäre Lebensgemeinschaft bestanden. Dies
ergebe sich auch aus der Geburt seines Sohnes im Jahre 2003. Er habe zu seinem
Sohn auch eine feste und intensive Beziehung, die weit über eine
Begegnungsgemeinschaft hinaus gehe. Das Kind sei regelmäßig jedes Wochenende
bei ihm. Dieser Kontakt werde durch die Kindesmutter gefördert. Jede nur erdenklich
freie Zeit außerhalb der Arbeit nutze er für einen Kontakt zu seinem Sohn. Er zahle auch
Unterhalt für seinen Sohn; unrichtig sei, dass Herr X der Vater des Sohnes sei. Das von
Herrn X privat in Auftrag gegebene Abstammungsgutachten, wonach dieser zu 99,99 %
Vater des Kindes D sei, sei nicht gerichtsverwertbar.
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In der mündlichen Verhandlung am 27. Oktober 2009, hat der Prozessbevollmächtigte
des Klägers nach Kenntnis des in dem Vaterschaftsanfechtungsverfahrens beim
Amtsgericht Familiengericht – I2, Az.: 00 F 00000/09, erstatteten
Abstammungsgutachtens, nach dem die Vaterschaft des Klägers an dem Kind D
"offenbar unmöglich" ist, erklärt, die Klage werde nicht mehr auf die Beziehung des
Klägers zu dem Kind D gestützt.
18
Der Kläger beantragt,
19
die Ordnungsverfügung des Beklagten vom 4. November 2006 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung E vom 28. Januar 2008
aufzuheben.
20
Der Beklagte beantragt,
21
die Klage abzuweisen.
22
Zur Begründung wiederholt und vertieft er die Ausführungen in den angefochtenen
Bescheiden. Ergänzend trägt er vor: Wie sich aus dem Scheidungsantrag der Ehefrau
des Klägers vom 5. März 2009 ergebe, sei der Kläger nicht der leibliche Vater von D.
Der Kläger habe in der Vergangenheit auch kaum Kontakt zu seinem Kind gehabt und
seit über einem Jahr gar keinen Kontakt. Auch eine Kommunikation zwischen den
Parteien sei nicht möglich. Im übrigen ergebe sich aus dem DNATest eindeutig, dass
der Kläger nicht der Vater des Kindes sei.
23
Das Gericht hat in der mündlichen Verhandlung Beweis erhoben über die tatsächlichen
Lebensverhältnisse der geschiedenen Ehefrau des Klägers und der Kinder sowie über
die familiäre Lebensgemeinschaft zwischen Herrn X, der geschiedenen Ehefrau des
Klägers sowie deren Kindern, durch Vernehmung der Frau W und des Herrn X als
Zeugen. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das
Sitzungsprotokoll Bezug genommen.
24
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
vorliegenden Gerichtsakte, der Gerichtsakten 22 L 2383/06 und 22 L 407/08 sowie auf
die Verwaltungsakten des Beklagten, der Bezirksregierung E und die Akten des
Amtsgerichts I2 sowie der Staatsanwaltschaft X1 ergänzend Bezug genommen.
25
Entscheidungsgründe:
26
Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Die Ordnungsverfügung des Beklagten
vom 4. November 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der
Bezirksregierung vom 28. Januar 2008 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in
seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 und 5 VwGO).
27
Dies gilt zunächst für die in der angefochtenen Ordnungsverfügung ausgesprochene
Rücknahme der dem Kläger erteilten Niederlassungserlaubnis. Dabei kann hier offen
bleiben, ob für die Prüfung der Sach- und Rechtslage maßgeblich auf den Zeitpunkt des
Erlasses des Widerspruchsbescheides,
28
vgl. VGH BadenWürttemberg, Urteil vom 21. November 2001 – Fs 1822/01 –,
29
oder auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung abzustellen ist,
30
vgl. Zulassung der Revision zur Klärung der Frage, welcher Zeitpunkt für die
Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Aufhebung einer unbefristeten
Aufenthaltserlaubnis maßgeblich ist, Beschluss des BVerwG vom 27. Mai 2009
– 1 B 21/08 , Juris.
31
Rechtsgrundlage für die Rücknahme der dem Kläger erteilten Niederlassungserlaubnis
ist § 48 Abs. 1 VwVfG NRW. Nach Abs. 1 Satz 1 dieser Vorschrift kann ein
rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder
auch teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder die Vergangenheit zurückgenommen
werden. Der angefochtene Rücknahmebescheid entspricht diesen Anforderungen und
ist auch sonst rechtmäßig. Die Niederlassungserlaubnis vom 28. September 2005 war
rechtswidrig. Dem Kläger stand weder zum Zeitpunkt der Erteilung der
zurückgenommenen Niederlassungserlaubnis noch im Zeitpunkt des Erlasses des
Widerspruchsbescheides ein Aufenthaltstitel zu; noch ist dies zum derzeitigen Zeitpunkt
der Fall.
32
Die dem Kläger am 28. September 2005 erteilte Niederlassungserlaubnis war
rechtswidrig. Sie beruhte auf den dem Kläger am 19. Februar 2003 und 29. Januar 2004
zum Zwecke der Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft gemäß
§ 31 Abs. 1 AuslG erteilten Aufenthaltsbefugnisse (letztere galt ab dem 1. Januar 2005
als Aufenthaltserlaubnis fort), sodass der Kläger unter Berücksichtigung der
Duldungszeiten gemäß § 102 Abs. 2 AufenthG die zeitlichen Voraussetzungen des § 26
Abs. 4 AufenthG erfüllte. Auf Grund dieser Annahme und der weiteren Angaben in dem
Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis vom 23. Juni 2005, nach denen die
eheliche Lebensgemeinschaft weiter fortbestehe, erteilte die damals zuständige Stadt I2
die nach § 26 Abs. 4 AufenthG in ihrem Ermessen stehende Niederlassungserlaubnis.
Die Annahme der Stadt I2 war jedoch unzutreffend. Zwischen dem Kläger und der
– inzwischen von ihm geschiedenen – Ehefrau, hat eine eheliche Lebensgemeinschaft
nie bestanden.
33
Die aufenthaltsrechtliche Schutzwirkung von Art. 6 Abs. 1 GG knüpft nicht schon an die
formal ordnungsgemäß eingegangene Ehe, also an die bloße Tatsache des
Verheiratenseins. Vielmehr kommt es entscheidend darauf an, ob die durch das Institut
der Ehe miteinander verbundenen Personen auch der Sache nach in einer ehelichen
Lebensgemeinschaft im Sinne einer die persönliche Verbundenheit der Eheleute zum
Ausdruck bringenden Beistandsgemeinschaft leben. Diese eheliche
Lebensgemeinschaft dokumentiert sich nach außen im Regelfall in einer gemeinsamen
Lebensführung, also in dem erkennbaren Bemühen, die alltäglichen Dinge des Lebens
miteinander in organisatorischer, emotionaler und geistiger Verbundenheit zu
bewältigen. Kennzeichnend dafür ist ein gemeinsamer Lebensmittelpunkt, der im
allgemeinen durch eine gemeinsame Wohnung zum Ausdruck kommen wird. Leben die
Eheleute räumlich getrennt, so bedarf es zusätzlicher Anhaltspunkte, um gleichwohl
eine eheliche Lebensgemeinschaft annehmen zu können.
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Vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. Januar 2002 – 2 BvR 231/00 , InfAuslR 2002, 171;
BVerwG, Urteile vom 27. Januar 1998 – 1 C 28.96 – und vom 9. Dezember 1997
– 1 C 16.96 , Juris; OVG NRW, Beschluss 3. August 2006 – 18 B 1298/06 ,
www.nrwe.de = Juris m.w.N..
35
Das Gericht ist davon überzeugt, dass der Kläger eine derartig von Art. 6 GG geschützte
eheliche Lebensgemeinschaft nach seinem Umzug Mitte August 2002 in die I3straße 4
in I2 nicht mit seiner seit April 2009 geschiedenen Ehefrau geführt hat. Vielmehr hat die
geschiedene Ehefrau, von der sich der Kläger nach seinen Angaben Ende 2005/Anfang
2006 getrennt hat, durchgängig mit dem Zeugen X, ihrer Tochter U und dem
21. Mai 2003 geborenen Kind D in der Lstraße 15 in I2 gewohnt und zusammengelebt.
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Dies steht zur Überzeugung des Gerichts nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme,
insbesondere der Vernehmung des Zeugen X, den Aussagen des Klägers im Rahmen
der Befragung des Gerichts in der mündlichen Verhandlung sowie dem Inhalt der
Verwaltungsvorgänge und der Gerichtsakten fest. Diese Feststellungen werden durch
das Urteil des Amtsgerichts T1 vom 16. Oktober 2007 erhärtet.
Die Überzeugung des Gerichts, dass zwischen dem Kläger und seiner geschiedenen
Ehefrau seit dem Umzug nach I2 keine eheliche Lebensgemeinschaft bestanden hat,
stützt sich zunächst auf das Ergebnis der in der mündlichen Verhandlung
durchgeführten Vernehmung des Zeugen X. Der Zeuge X, der seit dem
12. Oktober 2009 mit der geschiedenen Ehefrau des Klägers verheiratet ist, hat in der
mündlichen Verhandlung angegeben, seit dem gemeinsamen Einzug in die Wohnung
Lstraße 15 in I2 – offensichtlich seit dem 15. September 2001 – hätten er und die
geschiedene Ehefrau des Klägers ununterbrochen zusammen gewohnt und eine
Lebensgemeinschaft geführt. Das Gericht ist von der Richtigkeit dieser Aussage
überzeugt. So hat der Zeuge konkrete Angaben zu den tatsächlichen
Lebensverhältnissen gemacht. Er hat ausgeführt, in der 76 m² großen Wohnung habe
die Tochter ein eigenes Zimmer gehabt; der Sohn D habe in einem kleinen Zimmer
neben dem gemeinsamen Schlafzimmer geschlafen. Die Führung des Haushaltes
hätten er und seine Frau sich aufgeteilt. Sie hätten sich beide um die Kinder gekümmert.
Dies sei während der Arbeit des Zeugen als Postzusteller auf Grund der Arbeitszeiten
möglich. Den Sohn habe er auch zum Kindergarten gebracht. Ebenfalls hat er über
gemeinsame Außenkontakte, insbesondere gemeinsame Freizeitveranstaltungen
berichtet. Insgesamt hat der Zeuge ein anschauliches und lebensnahes Bild einer
gemeinsamen Lebensführung zwischen ihm, der geschiedenen Ehefrau des Klägers
und beiden Kindern aufgezeigt. Diese gemeinsame Lebensführung hat sich nach den
glaubwürdigen Aussagen des Zeugen nicht durch die Eheschließung der geschiedenen
Ehefrau mit dem Kläger sowie die Geburt des Kindes D geändert. So hat der Zeuge
angegeben, auch nachdem er erfahren habe, dass seine Ehefrau mit dem Kläger
verheiratet sei, habe sie weiter bei ihm gelebt. Er sei sich sicher gewesen, dass er der
Vater des Kindes sei. Bei der Entbindung in I2 sei er dabei gewesen. Das Gericht hält
diese Aussagen auch angesichts des vom Zeugen gewonnen Gesamteindrucks für
glaubhaft. Zwar hat der Zeuge, wenn auch erst auf Vorhalt des Gerichts und des
Prozessbevollmächtigten des Klägers eingeräumt, dass es Krisen in den Beziehungen
zu seiner Ehefrau gegeben habe, und dass es wegen der Eheschließung mit dem
Kläger zu erheblichen Spannungen gekommen sei. Diese Krisen und Belastungen
haben aber nach den Angaben des Zeugen nicht zu einer Trennung, insbesondere nicht
in den Jahren 2001und 2002, geführt. Für die Glaubwürdigkeit dieser Aussage,
insbesondere dafür, dass auch nach der Eheschließung des Klägers mit seiner Frau im
Juli 2002 der Zeuge weiterhin mit seiner Ehefrau zusammengewohnt und eine
lebenspartnerschaftliche Beziehung geführt hat, spricht nicht zuletzt die Geburt des
Kindes D am 13. Mai 2003. Es sprechen überwiegende Anhaltspunkte dafür, dass der
Zeuge X Vater des Kindes ist. Zwar ist der Kläger nach wie vor gemäß § 1592 Nr. 1
BGB gesetzlicher Vater des Kindes, weil es (bisher) an einer rechtskräftigen
Feststellung des Nichtbestehens der Vaterschaft fehlt (§ 1599 Abs. 1 BGB). Nach dem
in dem Vaterschaftsanfechtungsverfahren des Kindes gegen den Kläger erstatteten
Abstammungsgutachten vom 23. Oktober 2009 ist die Vaterschaft des Klägers an dem
Kind D jedoch "offenbar unmöglich". Demgegenüber hat der Zeuge X ein privates
Gutachten erstellen lassen. Nach diesem Gutachten vom 26. März 2007 ist die
Vaterschaft des Zeugen praktisch erwiesen. Auch dies ist ein Indiz dafür, dass nicht der
Kläger nach seiner Eheschließung im Juli 2002 und dem angeblichen gemeinsamen
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Umzug Mitte August 2002 in die I3straße eine eheliche Lebensgemeinschaft geführt hat
, sondern der Zeuge X.
Die aus der Vernehmung des Zeugen X gewonnene Überzeugung des Gerichts, dass
der Kläger nach seinem Umzug Mitte August 2002 in die I3straße 4 in I2 nicht mit seiner
geschiedenen Ehefrau zusammengewohnt und eine eheliche Lebensgemeinschaft
geführt hat, wird durch die Aussagen des Klägers im Rahmen der Befragung in der
mündlichen Verhandlung nicht in Zweifel gezogen. Für die Überzeugung des Gerichts
spricht zunächst das Aussagverhalten des Klägers. Die Frage des Gerichts, wie er mit
seiner geschiedenen Ehefrau eine eheliche Lebensgemeinschaft geführt habe,
beantwortete der Kläger zunächst ausschließlich mit dem pauschalen Hinweis, sie
hätten eine Familie mit richtigem Inhalt gelebt. Mehrfachen Aufforderungen, dies zu
konkretisieren, ist der Kläger zunächst nicht nachgekommen und hat erst auf den
weiteren Hinweis des Gerichts, alles zu erzählen, Angaben gemacht. Diese Angaben
sind allerdings nicht geeignet, die Behauptung des Klägers, sie hätten in Form einer
echten Familie gelebt, ansatzweise darzutun. Der Kläger hat keine konkreten Angaben
gemacht, die für das tatsächliche Bestehen einer ehelichen Lebensgemeinschaft,
geschweige denn einer familiären Lebensgemeinschaft mit den Kindern sprechen.
Hinsichtlich der gemeinsamen Lebensführung hat der Kläger erklärt, er habe ständig
arbeiten müssen, weil sie so wenig Geld gehabt hätten. Sie hätten zusammen gearbeitet
und seien dann auch abends gemeinsam nach Hause gegangen. Am Wochenende
habe seine geschiedene Ehefrau häufig eine Freundin in I2, X2 Straße besucht, die
ebenfalls drei Kinder gehabt habe. Diese Aussage spricht nicht für das Bestehen einer
gelebten Gemeinschaft. Weitere Umstände oder Indizien, die Rückschlüsse auf das
Zusammenleben " als Eheleute" begründen könnten, hat der Kläger nicht vorgetragen.
Im Gegenteil ergibt sich aus den Erklärungen zum angeblichen Zusammenleben mit
den Kindern in der Familie, dass weder eine eheliche noch eine familiäre
Lebensgemeinschaft geführt worden ist. Die Erklärungen waren lückenhaft,
widersprüchlich und unglaubwürdig. Zwar hat der Kläger zu Beginn seiner Vernehmung
ausgeführt, in die gemeinsam im August 2002 angemietete Wohnung seien seine
geschiedene Ehefrau und deren 1993 geborene Tochter eingezogen. Diese Angaben
entsprechen jedoch offensichtlich nicht den Tatsachen. Vielmehr hat die Tochter
offensichtlich weiter in der Wohnung des Zeugen X gewohnt und gelebt. Dies folgt
bereits daraus, dass nach den Erklärungen des Klägers bei dem Umzug in die
Wohnung I3straße die geschiedene Ehefrau lediglich ihre Kleidung und persönlichen
Dinge mitgebracht hat. Kleidung oder auch Spielzeug der Tochter ist offensichtlich nicht
in die Wohnung transportiert worden. Insoweit hat der Kläger vielmehr ausgeführt, die
Tochter sei zwischen den Wohnungen der Freundin seiner geschiedenen Ehefrau und
des Zeugen X ständig hin und her gependelt. Auch bei dem Vortrag des Klägers, er
habe mit seinem Sohn D wie in einer Familie zusammengelebt, handelt es sich allein
um eine pauschale Behauptung. Beiträge zu der Betreuung und Erziehung des Kindes
während des Zusammenlebens hat der Kläger nicht vorgetragen. Im Gegenteil ist der
Sohn wegen der Berufstätigkeit der Eltern zur Betreuung abgegeben worden. Dies soll
nach den anfänglichen Ausführungen des Klägers ein Freund gewesen sein, dessen
Namen er nicht kannte. Nach mehrfachem Befragen des Gerichts hat er die
Betreuungsperson korrigiert und die zu Beginn seiner Ausführungen genannte Freundin
seiner geschiedenen Ehefrau eingeführt.
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Nach diesen dürren, nichtssagenden und widersprüchlichen Angaben ist nicht davon
auszugehen, dass der Kläger und seine geschiedene Ehefrau seit dem Umzug in die
I3straße in I2 zusammen gelebt und gewohnt haben. Das Gericht hält die Angaben des
39
Klägers, er habe in der I3straße in I2 mit seiner geschiedenen Ehefrau und beiden
Kindern in familiärer Gemeinschaft zusammen gelebt insgesamt für unglaubhaft. In
dieses Bild passt auch das Verhalten des Klägers im vorliegenden Verfahren, so wie im
Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes 22 L 407/08. In diesen Verfahren hatte der
Kläger mit Schreiben vom 26. März 2008 und 27. Mai 2008 vorgetragen, er habe eine
feste und intensive Beziehung zu seinem Sohn, die weit über eine
Begegnungsgemeinschaft hinaus gehe. Das Kind sei regelmäßig jedes Wochenende
bei ihm. Jede nur erdenklich freie Zeit außerhalb der Arbeit nutze er für den Kontakt zu
seinem Sohn. Das Verhältnis sei ein enges. Der Kläger sei eine feste Größe im Gefüge
seines Sohnes. Dieser Kontakt werde durch die Kindesmutter gefördert. Das Kind
benötige seinen Vater. Diese Angaben entsprachen offensichtlich nicht den Tatsachen,
wie sich aus dem Scheidungsverfahren bei dem Amtsgericht I2 (00 F 00000/08(S))
ergibt. Nach den Angaben der Prozessbevollmächtigten der geschiedenen Ehefrau vom
5. März 2009 hat der Kläger in der Vergangenheit kaum Kontakt zu seinem Sohn gehabt
und seit über einem Jahr gar keinen Kontakt. Dass der Kläger weder während der
geltend gemachten ehelichen Lebensgemeinschaft mit seiner geschiedenen Ehefrau
noch nach der Trennung eine enge Beziehung zu seinem Sohn gehabt hat, wird auch
durch die Aussagen der Zeugin W deutlich. Danach war das Kind voll in die Familie der
geschiedenen Ehefrau und des Zeugen X eingegliedert. Diese seien seine Eltern
gewesen. Der Kläger habe für das Kind überhaupt keine Rolle gespielt. Vor diesem
Hintergrund ist das Gericht davon überzeugt, dass das – in der mündlichen Verhandlung
nicht mehr aufrechterhaltene – Vorbringen zum Umgang mit dem Kind D nicht der
Wahrheit entsprochen hat, sondern allein dem Zweck diente, von aufenthaltsrechtlichen
Maßnahmen abzusehen. Diese widersprüchlichen, ungereimten und unglaubhaften
Angaben erschüttern die Glaubwürdigkeit des Klägers nachhaltig.
Nach alledem sowie unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Kläger nach der
Trennung und Scheidung von seiner deutschen Ehefrau im Oktober 2001 bzw. April
2002 zur beabsichtigten Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis und
Abschiebung nach Vietnam angehört worden ist, ist das Gericht davon überzeugt,dass
die Eheschließung ausschließlich zu dem Zweck vorgenommen worden ist, dem Kläger
ein sonst nicht zu erlangendes Aufenthaltsrecht zu beschaffen,
40
vgl. hierzu sowie zu einer sog. Scheinehe BVerwG, Urteil vom 12. April 2005 – 1 C
9.04 -, Inf. aus 2005, 403 ff.
41
Diese Überzeugung des Gerichts wird durch das Urteil des Amtsgerichts T1 vom
16. Oktober 2007 bestätigt. Nach den Feststellungen des Urteils, die im wesentlichen
auf der Vernehmung der im Hause Lstraße 15 wohnenden Vermieterin, Frau V sowie
der Nachbarin des Klägers in der Wohnung I3straße 4 als Zeuginnen beruhen, haben
der Kläger und seine Ehefrau zu keinem Zeitpunkt eine eheliche Lebensgemeinschaft in
I2 geführt. Vielmehr hat der Kläger ausschließlich allein in der I3straße und die Ehefrau
in eheähnlicher Gemeinschaft mit dem Zeugen X sowie den beiden Kindern gelebt.
Zwar ist nur die geschiedene Ehefrau des Klägers wegen eines Vergehens gemäß § 95
Abs. 2 Nr. 2 AufenthG verurteilt worden, weil sie gegenüber der Ausländerbehörde
falsche Angaben gemacht hat um dem Kläger einen Aufenthaltstitel zu verschaffen, und
das Verfahren gegen den Kläger gemäß § 153 a StPO eingestellt worden. Dies steht
jedoch der Überzeugung des Gerichts, dass auch der Kläger gegenüber der
Ausländerbehörde I2 wahrheitswidrig erklärt hat, in ehelicher Lebensgemeinschaft mit
seiner geschiedenen Ehefrau zu leben, nicht entgegen. Abgesehen davon, dass weder
die Ausländerbehörde noch das Gericht an die strafprozessuale Entscheidung
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gebunden ist, setzt eine Verfahrenseinstellung nach § 153 a Abs. 1 Satz 1 letzter Absatz
StPO die Erfüllung des Tatbestandes voraus.
Hat der Kläger somit zu keinem Zeitpunkt in familiärer Lebensgemeinschaft mit seiner
(inzwischen geschiedenen) Ehefrau gelebt, hat er die Ausländerbehörde der Stadt I2
arglistig getäuscht und so die Erteilung der Aufenthaltsbefugnisse am 19. Februar 2003
und 29. Januar 2004 sowie die auf diesen Täuschungshandlungen beruhende Erteilung
der Niederlassungserlaubnis am 28. September 2005 bewirkt. Denn die Erteilung der
Niederlassungserlaubnis gemäß § 26 Abs. 4 AufenthG steht, soweit die zeitlichen
Voraussetzungen erfüllt sind, im pflichtgemäßen Ermessen der Ausländerbehörde.
Wäre der Ausländerbehörde der Stadt I2 bekannt gewesen, dass der Kläger nie in einer
ehelichen Lebensgemeinschaft gelebt hat und sich damit den Aufenthaltstitel durch
unrichtige Angaben erschlichen hat, wäre die Ermessensentscheidung zu Lasten des
Klägers ausgefallen. Dies ergibt sich auch aus den Ermittlungen, die die Stadt I2 Anfang
des Jahres 2006 zur Prüfung der Rücknahme der Niederlassungserlaubnis eingeleitet
hat,nachdem der Verdacht aufgetaucht war, dass der Kläger nie mit seiner Ehefrau in
ehelicher Lebensgemeinschaft gelebt hat. Die dem Kläger am 28. September 2005
erteilte Niederlassungserlaubnis war daher rechtswidrig.
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Liegen somit die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 VwVfG NRW vor,
liegt die Rücknahmeentscheidung im Ermessen der Behörde, das vom Gericht gemäß
§ 114 Satz 1 VwGO nur eingeschränkt darauf geprüft werden kann, ob der Beklagte und
die Widerspruchsbehörde ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der gesetzlichen
Ermächtigung ausgeübt und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens eingehalten
haben (vgl. § 40 VwVfG NRW). Diese Prüfung lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Der
Beklagte und die Widerspruchsbehörde haben die für und gegen die Rücknahme
sprechenden Gesichtspunkte des privaten Interesses des Klägers und etwaiger
Angehöriger (vgl. entsprechend § 55 Abs. 3 AufenthG) in dem Blick genommen und
gegen die öffentlichen Interessen abgewogen. Insbesondere sind
Vertrauensschutzgesichtspunkte zu Gunsten des Klägers auf Grund der bewussten
Täuschungshandlungen hinsichtlich des Vorliegens einer eheähnlichen
Lebensgemeinschaft nicht erkennbar. Denn der langjährige Aufenthalt des Klägers
beruhte seit Mitte des Jahres 2002 ausweislich der Verwaltungsakten auf den von ihm
gemachten mehrjährigen wahrheitswidrigen Erklärungen über das Bestehen einer
ehelichen Lebensgemeinschaft. Vor diesem Hintergrund konnte der Kläger von dem
Entstehen einer rechtmäßigen Verfestigung seines Aufenthalts und eines
Vertrauenstatbestands offensichtlich nicht ausgehen, vielmehr ist die Durchsetzung des
AufenthG und der Ausreisepflicht des Klägers erforderlich und angemessen.
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Vgl. BVerfG, Urteil vom 9. September 2003 – 1 C 6.03 -, BVerfG 119, 17 = NVwZ
2004, 487, und vom 12. April 2005 aaO; OVG NRW, Beschlüsse vom 1. Juli 2005 – 18
B 677/05 – und vom 14. Dezember 2005 – 18 B 1237/05 -.
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Auch im Übrigen lässt die Entscheidung Ermessensfehler nicht erkennen.
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Dem Kläger war weder zum Zeitpunkt der Erteilung der zurückgenommenen
Niederlassungserlaubnis eine Aufenthaltserlaubnis zu einem anderen Aufenthaltszweck
zu erteilen noch ist dies zum derzeitigen Zeitpunkt der Fall.
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Der Kläger hat zunächst keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach
den – im Rahmen des § 25 AufenthG - ausschließlich in Betracht kommenden
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Regelungen des § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG sowie § 25 Abs. 5 AufenthG.
Nach § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG kann eine Aufenthaltserlaubnis abweichend von § 8
Abs. 1 und 2 AufenthG erteilt werden, wenn auf Grund besonderer Umstände des
Einzelfalles das Verlassen des Bundesgebiets für den Ausländer eine
außergewöhnliche Härte bedeuten würde. Die Vorschrift setzt nicht nur eine besondere
Härte, sondern eine außergewöhnliche Härte voraus. Hierfür gelten naturgemäß hohe
Anforderungen. Die Beendigung des Aufenthalts in Deutschland muss für den
Ausländer mit Nachteilen verbunden sein, die ihn deutlich härter treffen als andere
Ausländer in einer vergleichbaren Situation. Die Beendigung des Aufenthalts muss den
Ausländer bei dieser Vergleichsbetrachtung unzumutbar sein, d.h. eine
außergewöhnliche Härte ist anzunehmen, wenn die mit der Versagung der
Aufenthaltserlaubnis eintretenden Schwierigkeiten nach ihrer Art und Schwere so
ungewöhnlich und groß sind, dass die Ablehnung der Erlaubnis schlechthin
unvertretbar ist. Bei der Beurteilung, ob die Beendigung des Aufenthalts eines in
Deutschland aufgewachsenen Ausländers eine außergewöhnliche Härte darstellt,
kommt auch dem Umstand Bedeutung zu, inwieweit der Ausländer in Deutschland
verwurzelt ist. Das Ausmaß der Verwurzelung bzw. die für den Ausländer mit einer
"Entwurzelung" verbundenen Folgen sind unter Berücksichtigung der
verfassungsrechtlichen Vorgaben der Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG sowie der
Regelung des Art. 8 EMRK zu ermitteln, zu gewichten und mit den Gründen, die für eine
Aufenthaltsbeendigung sprechen, abzuwägen.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Januar 2009 – 1 C 40/07 -, NVwZ 2009, 979.
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Gemessen an diesen Voraussetzungen stellt ein Verlassen des Bundesgebiets für den
Kläger keine außergewöhnliche Härte im Sinne des § 25 Abs. 4 Satz AufenthG dar.
Einen gesteigerten Schutz seines Privatlebens im Sinne von Art. 2 Abs. 1 GG oder Art. 8
EMRK kann der Kläger nicht für sich in Anspruch nehmen. Der Kläger ist im Alter von 30
Jahren in die Bundesrepublik Deutschland aus Vietnam eingereist. Er hat seine
prägende Sozialisation in seinem Heimatstaat erhalten. Zwar hält der Kläger sich
nunmehr seit gut 16 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland auf. Dabei ist jedoch zu
berücksichtigen, dass der Aufenthalt seit Mitte 2002 durch arglistige Täuschung
erschlichen wurde, so dass sich die Zeitdauer des so erlangten Aufenthalts nicht zu
seinen Gunsten auswirken kann. Zudem hat der Kläger, der keine familiären Bindungen
in Deutschland hat, über seine Erwerbstätigkeit hinaus nichts vorgetragen, was für eine
soziale und sprachliche Integration in die hiesigen Lebensverhältnisse sprechen könnte.
Auch ist weder ersichtlich noch vorgetragen, dass dem Kläger, der nach wie vor die
vietnamesische Sprache spricht,ein Leben im Staate seiner Staatsangehörigkeit nicht
zugemutet werden könnte.
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Der Kläger hat ebenfalls keinen Anspruch nach § 25 Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Nach
dieser Vorschrift kann einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist,
abweichend von § 11 Abs. 1 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis erteilte werden, wenn
seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem
Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Dem Kläger ist
die Ausreise nicht aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich. Im Hinblick
auf die in Art. 2 Abs. 1 GG sowie Art. 8 EMRK geschützten Rechte ergibt sich kein
Abschiebungsverbot. Insoweit wird auf die Ausführungen zu § 25 Abs. 4 Satz 2
AufenthG verwiesen. Der Kläger kann ebenfalls keinen Anspruch aus §104 a Abs. 1
Satz 1 AufenthG herleiten. Der Kläger erfüllt die gesetzlichen
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Erteilungsvoraussetzungen schon deshalb nicht, weil er sich zum Stichtag am 1. Juli
2007 nicht seit mindestens 8 Jahren ununterbrochen geduldet, gestattet oder mit einer
Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen im Bundesgebiet aufgehalten hat,
sondern bis zum 27. September 2005 mit einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der
Führung einer ehelichen Lebensgemeinschaft.
Die in der angegriffenen Ordnungsverfügung ausgesprochene Ausweisung erweist sich
auch im hier maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts als rechtmäßig.
Die Ausweisung findet ihre rechtliche Grundlage in § 55 Abs. 1, 2 Nr. 2 AufenthG. Der
Kläger hat durch die wiederholten Angaben gegenüber der Ausländerbehörde der Stadt
I2, er lebe mit seiner Ehefrau in familiärer Lebensgemeinschaft, Täuschungshandlungen
über seinen Familienstand begannen und damit unrichtige Angaben gemacht ,um für
sich einen Aufenthaltstitel zu erschleichen, einen nicht nur vereinzelten oder
geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen nämlich gegen die
Strafvorschrift des § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG, und dadurch den Ausweisungsgrund des
§ 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG erfüllt. Die nach dem Vorliegen eines Ausweisungsgrundes
vom Beklagten und der Widerspruchsbehörde getroffene Ermessensentscheidung, die
gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar ist, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Der
Beklagte und die Widerspruchsbehörde haben sich gemäß § 40 VwVfG NRW an den
ordnungsrechtlichen Zweck der Ermächtigungsgrundlage orientiert, die gesetzlichen
Grenzen des Ermessen eingehalten und bei der Ermessensentscheidung insbesondere
die in § 55 Abs. 3 AufenthG genannten Gesichtspunkte hinreichend berücksichtigt. Zu
Recht haben sie dabei schutzwürdige persönliche, wirtschaftliche oder sonstige
Bindungen des Klägers verneint.
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Die Abschiebungsandrohung begegnet ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken. Sie
findet ihre Rechtsgrundlage in §§ 58 Abs. 2 Satz 2, 59 Abs. 1 AufenthG.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die
vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den § 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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