Urteil des VG Düsseldorf vom 23.10.2003
VG Düsseldorf (numerus clausus, antragsteller, anatomie, gesetzliche grundlage, freie wahl, medizin, universität, zeitpunkt, besuch, prüfung)
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 15 L 3899/03
Datum:
23.10.2003
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
15. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
15 L 3899/03
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 250,00 Euro festgesetzt.
Der Tenor soll den Beteiligten wegen der besonderen Eilbedürftigkeit
vorab fernmündlich bekannt gegeben werden.
Gründe:
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Das am 20. Oktober 2003 bei Gericht eingegangene vorläufige Rechtsschutzgesuch mit
dem sinngemäßen Antrag,
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den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, den
Antragsteller vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache am Kursus der
mikroskopischen Anatomie im Wintersemester 2003/2004 teilnehmen zu lassen,
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hat keinen Erfolg.
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Der Antragsteller hat den nach § 123 Abs. 1 S. 2, Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2,
294 ZPO für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderlichen
Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht.
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Als im vorklinischen Teil des Studiengangs Medizin der I-Universität E immatrikulierter
Student hat der Antragsteller auf Grund der durch Artikel 12 des Grundgesetzes (GG)
garantierten Studienfreiheit grundsätzlich das Recht auf freie Wahl aller
Lehrveranstaltungen seines Fachbereichs und aller sonstigen Studiengänge (vgl. § 4
Abs. 4 S. 1 des Hochschulrahmengesetzes (HRG) in der Bekanntmachung der
Neufassung vom 19. Januar 1999 - BGBl I S. 18 - und § 82 Abs. 1 des Gesetzes über
die Hochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen (Hochschulgesetz - HG) vom 14.
März 2000 - GV NRW S. 190 -). Dieses Recht beinhaltet im Grundsatz auch die
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Befugnis zur Teilnahme an dem strittigen Kursus der mikroskopischen Anatomie. In das
grundgesetzlich garantierte Recht kann nach Artikel 12 Abs. 1 S. 2 GG nur durch oder
auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden. Eine derartige gesetzliche Grundlage
enthält § 82 Abs. 3 S. 1 HG, nach welchem der Dekan oder der von diesem beauftragte
Lehrende den Zugang zu Lehrveranstaltungen regelt, bei denen wegen deren Art oder
Zweck eine Begrenzung der Teilnehmerzahl erforderlich ist, sofern die Zahl der
Bewerber die Aufnahmefähigkeit übersteigt. Um eine derartige Lehrveranstaltungsart
handelt es sich bei dem Kursus der mikroskopischen Anatomie.
Bei der als medizinisches Kurspraktikum organisierten Lehrveranstaltung erfordert
deren „Zweck" im Sinne des § 82 Abs. 3 S. 1 HG
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vgl. Leuze/Bender, WissHG NW, Loseblattsammlung, Stand: Dezember 1998, Rdnr. 4
zur inhaltsgleichen Vorschrift des § 81 Abs. 3 S. 1 WissHG
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eine Begrenzung der Teilnehmerzahl. Anders als bei Vorlesungen, die grundsätzlich
einem unbeschränkten Teilnehmerkreis offen stehen, dienen Praktika der Förderung der
Erfahrungsbildung durch praktische Anwendung wissenschaftlicher Methoden und der
Vermittlung fachtechnischer Fertigkeiten und von Einsichten in Funktionsabläufe (vgl.
die Definition in Nr. 5.1 der Anlage 2 zur Verordnung über die Grundsätze einer
einheitlichen Kapazitätsermittlung und - festsetzung zur Vergabe von Studienplätzen
(KapVO I) vom 15. Juli 1974 - GV NRW S. 675 -). Sollen sie ihren Ausbildungszweck
erreichen, kann ihre Teilnehmerzahl nicht unbeschränkt sein. Dem trägt die KapVO I für
Kapazitätsberechnungszwecke durch eine Betreuungsrelation, das heißt eine
rechnerische Teilnehmerzahl von 15 Studierenden pro Lehrkraft Rechnung. Auch wenn
man diese für die Kapazitätsberechnung relevante Betreuungsrelation der nach § 82
Abs. 3 S. 1 HG für die Einführung eines so genannten inneren Numerus Clausus
erforderlichen Feststellung, dass die Zahl der Bewerber die Aufnahmekapazität
übersteigt, nicht ohne weiteres zu Grunde legen kann, liefert sie doch einen
Anhaltspunkt für die Ermittlung eines etwaigen, die Begrenzung der Teilnehmerzahl
erforderlich machenden Bewerberüberhangs. Dabei kann offen bleiben, wo genau die
Grenze einerseits der zumutbaren Belastung des Lehrkörpers und andererseits der
Mitstudierenden liegt, die angesichts des im Studiengang Medizin bestehenden harten
Numerus Clausus keinen Anspruch auf eine bestmögliche, wohl aber eines solchen auf
eine Mindeststandards genügende Ausbildung haben. Denn nach Darstellung des
verantwortlichen Kursleiters, Universitätsprofessor Dr. med. I1, an deren Richtigkeit zu
zweifeln das Gericht bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren alleingebotenen
summarischen Überprüfung keine Veranlassung hat, ist die Grenze für die Anerkennung
einer Zugangsbeschränkung im Kursus der mikroskopischen Anatomie im
Wintersemester 2003/2004 jedenfalls überschritten.
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Für die Durchführung des Praktikums, das im Wintersemester 2003/2004 in zwei
Parallelkursen angeboten wird, stehen dem Lehrstuhlinhaber einschließlich seiner
eigenen Person insgesamt 11 Lehrpersonen aus den Instituten für Anatomie I und II des
Zentrums für Anatomie und Hirnforschung zur Verfügung, von denen eine, die
unbefristet beschäftigte wissenschaftliche Angestellte Dr. T, in beiden Kursen eingesetzt
ist. Diesen 11 Lehrpersonen standen am 23. Oktober 2003 325 zugelassene
Studierende gegenüber, die in Blöcken von 30-40 Studierenden aufgeteilt worden sind,
welche von je einer Lehrperson betreut werden. Die Zahl der betreuten Studierenden ist
dabei in den einzelnen Blöcken nicht gleich groß, sondern hängt nach Darstellung von
Universitätsprofessor Dr. I1 von der Qualifikation und Erfahrung der Lehrpersonen ab,
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wodurch sich am 23. Oktober 2003 im Kurs A eine Kursgröße von 155 und im Kurs B
eine solche von 170 Studierenden ergibt. Dass Universitätsprofessor Dr. I1 bei einer
sich hieraus ergebenden rechnerischen Durchschnittsbetreuungsrelation von 29,5
Studierenden pro Lehrperson, die sich bei Zulassung von etwa 30 mit dem Antragsteller
vergleichbaren Studierenden weiter erhöhen würde, die Grenze der Aufnahmekapazität
eines medizinischen Kurspraktikums als überschritten betrachtet, begegnet bei
summarischer Prüfung keinen Bedenken.
Liegen demnach die Voraussetzungen des § 82 Abs. 3 S. 1 HG für eine Regelung des
Zugangs zum Kursus der mikroskopischen Anatomie vor, ist diese auch formell
ordnungsgemäß erfolgt und in Bezug auf den Antragsteller zugleich frei von materiellen
Rechtsfehlern.
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Zunächst war Universitätsprofessor Dr. I1 zur Bestimmung der Zugangsmodalitäten
befugt. Zwar steht die Auswahl der Teilnehmer grundsätzlich nicht dem jeweiligen
Lehrenden zu,
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Denniger, HRG, 1984, § 3 Rdnr. 48 mwN.,
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sondern den zuständigen Hochschulorganen (§ 4 Abs. 4 S. 2 HRG), das heißt nach § 82
Abs. 3 S. 2 HG dem Dekan oder der Dekanin des Fachbereichs, dem der Lehrende
angehört. Dieser/Diese kann den jeweiligen Lehrenden jedoch mit der
Zugangsregelung beauftragen. Eine derartige Beauftragung ist durch die
Studiendekanin Professor Dr. T1 auf die E-Mail des lehrenden Universitätsprofessors
Dr. I1 vom 21. Oktober 2003, in welchem dieser die Notwendigkeit einer erstmaligen
Beschränkung der Zulassung im Wintersemester 2003/2004 geschildert hat, nach
Darstellung des Antragsgegners entsprechend der bisherigen Übung stillschweigend
erfolgt.
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Bei der Auswahlentscheidung hat Universitätsprofessor Dr. I1 sich an den durch § 82
Abs. 3 S. 2 HG vorgegebenen, in § 10 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 der Studienordnung für den
Studiengang Humanmedizin an der I-Universität E mit dem Abschluss Ärztliche Prüfung
vom 11. Dezember 2001 (StudO 2001) sowie der Vorgängerordnung vom 12. Februar
1993 (StudO 1993) übernommenen Auswahlkriterien orientiert. Danach sind diejenigen
Studierenden, die im Rahmen ihres Studiengangs auf den Besuch der
Unterrichtsveranstaltung zu diesem Zeitpunkt angewiesen sind, vorrangig vor allen
anderen Studierenden zuzulassen. Dies waren nach Darstellung von
Universitätsprofessor Dr. I1 vom 21. Oktober 2003 an den Rechtsderzernenten der I-
Universität E, Regierungsdirektor D, die Studenten des Regelstudiengangs, das heißt
die Studierenden im 1. Fachsemester, in welchem der Kursus nach dem Studienplan
der Vorklinik angeboten wird, sowie diejenigen Studierenden, die nach dem
Wintersemester 2003/2004 die ärztliche Vorprüfung absolvieren können. Zu dieser
Gruppe der auf „den Besuch der Veranstaltung zu diesem Zeitpunkt Angewiesenen"
zählt der Antragsteller nicht. Er befindet sich im Wintersemester 2003/2004 im 7.
Fachsemester des Studiums der Medizin an der I-Universität E, das er zum
Sommersemester 2000 begonnen und im Wintersemester 2001/2002 durch einen
Wechsel in den Magisterstudiengang mit den Fächern Geschichte, Anglistik und
Philosophie - vorerst - abgebrochen hat. Zur ärztlichen Vorprüfung kann er sich im
Frühjahr 2004 gleichfalls nicht melden, da ihm außer der Teilnahme am Kursus der
mikroskopischen Anatomie noch der Leistungsnachweis ZNS (= Zentrales
Nervensystem) aus dem Kursus der makroskopischen Anatomie fehlt; die
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entsprechende Prüfung hat er zwei Mal, zuletzt bei der Nachprüfung am 20. Oktober
2003, nicht bestanden und kann sie erst im Sommersemester 2004 wiederholen, in dem
der ZNS-Teil des makroskopischen Kurses einschließlich der Prüfungen erneut
angeboten werden wird. Da der Antragsteller nach alledem auf die Teilnahme an dem
Kursus der mikroskopischen Anatomie im Wintersemester 2003/2004 im Sinne des § 82
Abs. 3 S. 2 HG i.V.m. § 10 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 StudO 2001 nicht „angewiesen" ist, kann er
sein Begehren auch nicht auf § 82 Abs. 3 S. 3 HG stützen, wobei offen bleiben kann, ob
sich aus dem in dieser Vorschrift an den Fachbereichsrat adressierten Gesetzesauftrag
überhaupt ein Rechtsanspruch der Studierenden herleiten lässt. Soweit hierin
angeordnet ist, dass der Fachbereichsrat im Rahmen der zur Verfügung stehenden
Mittel sicherstellt, dass diesen Studierenden durch Beschränkungen in der Zahl der
Teilnehmerinnen und Teilnehmer kein Zeitverlust oder höchstens ein Zeitverlust von
einem Semester entsteht, zählt der Antragsteller nicht zu „diesen Studierenden", weil die
Vorschrift im Kontext mit dem voraufgegangenen Satz 2 steht und damit nur diejenigen
Studierenden erfasst, die - anders als der Antragsteller - auf den Besuch der
Lehrveranstaltung zu diesem Zeitpunkt angewiesen sind. Erst wenn der Antragsteller im
Sommersemester 2004 die ZNS - Prüfung bestehen sollte, würde er im Wintersemester
2004/2005 zur Gruppe der Studierenden zählen, auf die § 82 Abs. 3 S. 3 HG
Anwendung findet.
Schließlich war Universitätsprofessor Dr. I1 auch nicht nach § 10 Abs. 2 S.2 Nr. 1, 2. Alt.
StudO 1993, verpflichtet, den Antragsteller bei der Platzvergabe zu berücksichtigen.
Soweit hiernach Wiederholer anders als nach § 10 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 StudO 2001 bei der
Platzvergabe den Studierenden gleichgestellt werden, die im Rahmen ihres
Studienganges auf den Besuch der Lehrveranstaltung zu diesem Zeitpunkt angewiesen
sind, kann sich der Antragsteller hierauf nicht berufen. Zwar hat er bereits einmal im
Sommersemester 2001 erfolglos an dem Kurs teilgenommen. Nachdem er sich im
Studiengang Medizin zum Ende dieses Semesters jedoch exmatrikuliert und im
Wintersemester 2001/2002 im Magisterstudiengang mit den Fächern Geschichte,
Anglistik und Philosophie eingeschrieben und erst wieder im Sommersemester 2002 mit
Erfolg um einen Studienplatz in Medizin bei der I-Universität E beworben hat, findet auf
ihn nach Sinn und Zweck der Übergangsvorschrift des § 21 StudO 2001 diese und nicht
die alte StudO 1993 Anwendung. Aus diesem Grunde kann auch offen bleiben, ob § 10
Abs. 2 S. 2 Nr. 1, 2. Alt. SudO 1993 auch Wiederholer nur in die Gruppe der vorrangig zu
berücksichtigenden Studierenden einbezieht, soweit sie auf den Besuch der
Unterrichtsveranstaltung zu diesen Zeitpunkt angewiesen sind, was allein mit
höherrangigem Recht (§ 82 Abs. 3 S. 3 HG einschließlich aller Vorgängerregelungen)
im Einklang stehen dürfte.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des
Streitwertes beruht auf § 13 Abs. 1 GKG und berücksichtigt in der Höhe die ständige
Rechtsprechung der Kammer sowie des Oberverwaltungsgerichts für das Land
Nordrhein-Westfalen (z.B.: OVG NRW Beschluss vom 23. April 1979 - XIII B 511/79 - ),
nach welcher der Streitwert in vorläufigen Rechtsschutzverfahren gerichtet auf
Zulassung zu universitären Einzelveranstaltungen auf 500,00 DM festzusetzen ist; dies
entspricht dem gerundeten Betrag von 250,00 Euro.
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Wegen der besonderen Eilbedürftigkeit, die sich aus dem drohenden Ablauf der
15%igen Fehlzeitenregelung ergibt, war der Tenor der Entscheidung den Beteiligten
vorab fernmündlich bekannt zu geben.
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