Urteil des VG Düsseldorf vom 24.10.2006

VG Düsseldorf: kinderbetreuung, beamtenverhältnis, probe, zivildienst, ausnahme, berufliche tätigkeit, universität, hochschulreife, staatsprüfung, kausalität

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 2 K 3445/06
Datum:
24.10.2006
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
2. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 K 3445/06
Tenor:
Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides der
Bezirksregierung E vom 19. Januar 2006 und des
Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung E vom 26. April 2006
verpflichtet, über den Antrag des Klägers auf Einstellung in das
Beamtenverhältnis auf Probe unter Beachtung der Rechtsauffassung
des Gerichts erneut zu entscheiden.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der
Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder
Hinterlegung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn
nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
1
Der am 0.0.1970 geborene Kläger steht als Lehrer im Angestelltenverhältnis im
öffentlichen Schuldienst des Landes Nordrhein-Westfalen und ist an der Q-Schule in N
tätig. Er begehrt die Einstellung in das Beamtenverhältnis auf Probe.
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Der Kläger legte im Jahre 1987 zunächst den Realschulabschluss ab und absolvierte
danach von 1987 bis 1991 eine Ausbildung zum Technischen Zeichner. Von 1991 bis
1992 besuchte er die Fachoberschule für Technik.
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Im Anschluss hieran leistete der Kläger vom 4. Mai 1992 bis zum 31. Juli 1993 seinen
Zivildienst. Nach dem Besuch des S1-Kollegs F in der Zeit von Februar 1994 bis
Dezember 1995 legte er am 18. Dezember 1995 die Allgemeine Hochschulreife ab.
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Ab dem Sommersemester 1996 bis zum Wintersemester 2002/03 studierte er an der
Universität Gesamthochschule F Lehramt für die Primarstufe. Er bestand am 12.
November 2002 die Erste Staatsprüfung für das Lehramt für die Primarstufe. Nach dem
Vorbereitungsdienst vom 1. Februar 2003 bis zum 31. Januar 2005 legte er am 23.
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November 2004 die Zweite Staatsprüfung für das Lehramt für die Primarstufe
(Fächerkombination: Mathematik, Sport, Deutsch) ab.
Am 30. Juni 1999 wurde sein Sohn M und am 19. Juni 2003 die Zwillinge K und A
geboren.
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Er wurde ab dem 1. Februar 2005 zunächst befristet als Lehrer an zwei Städtischen
Grundschulen in N eingestellt.
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Auf seine schulscharfe Bewerbung vom 24. Mai 2005 teilte ihm die Bezirksregierung E
mit Schreiben vom 11. Januar 2006 mit, dass beabsichtigt sei, ihn zum 1. Februar 2006
an der Q-Schule in N einzustellen. Die Einstellung erfolge bei Vorliegen der
beamtenrechtlichen Voraussetzungen unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf
Probe, ansonsten in einem unbefristeten Angestelltenverhältnis. Der Kläger nahm
dieses Angebot mit Schreiben vom 12. Januar 2006 an.
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Mit Bescheid vom 19. Januar 2006 teilte die Bezirksregierung E dem Kläger mit, dass
beabsichtigt sei, ihn zum 1. Februar 2006 in den Schuldienst des Landes Nordrhein-
Westfalen innerhalb des Schulamtsbezirks der Stadt N an einer Grundschule
einzustellen. Da er jedoch die beamtenrechtlichen Voraussetzungen für eine
Einstellung in das Beamtenverhältnis auf Probe wegen Überschreitens der
Höchstaltersgrenze nicht erfülle, werde ihm ein unbefristeter Arbeitsvertrag angeboten.
Er sei am 0.0.1970 geboren und habe demnach bereits am 4. Mai 2005 das 35.
Lebensjahr vollendet gehabt. Ausnahmetatbestände hinsichtlich der Höchstaltersgrenze
von 35 Jahren lägen nicht vor.
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Der Kläger legte am 21. Februar 2006 Widerspruch ein und führte zur Begründung wie
folgt aus: Er habe in den Jahren 1992 und 1993 Zivildienst geleistet und sei Vater von 3
Kindern. Seinen ersten Sohn habe er während des Studiums häufig mit zur Universität
genommen, wo dieser in einer selbstorganisierten Krabbelgruppe betreut worden sei.
Diese Betreuung habe allerdings nur in Anspruch nehmen können, wer auch die Kinder
der anderen Studenten während der Vorlesungen betreut habe. In der Zeit vom 27. Juli
2000 bis zum 31. August 2001 sei seine Lebensgefährtin und Mutter seiner Kinder
freiberuflich für eine Firma in O tätig gewesen. Während dieser Zeit habe er den
gemeinsamen Sohn M an drei Tagen in der Woche betreut, damit seine Lebensgefährtin
habe arbeiten gehen können. Während dieser Zeit habe er wegen der Kinderbetreuung
nicht zügig studieren können. Dadurch habe sich seine Studienzeit an der Universität
um ein Jahr verlängert.
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Die Bezirksregierung E wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid
vom 26. April 2006, zugestellt am 28. April 2006, zurück und führte zur Begründung wie
folgt aus: Der Kläger erfülle nicht die laufbahnrechtlichen Voraussetzungen für eine
Einstellung in das Beamtenverhältnis auf Probe. Er habe zum Zeitpunkt seiner
unbefristeten Einstellung zum 1. Februar 2006 das 35. Lebensjahr bereits überschritten
gehabt. Die laufbahnrechtliche Höchstaltersgrenze von 35 Jahren dürfe zwar bei
Bewerbern überschritten werden, deren Einstellung sich infolge des Ableistens eines
Zivildienstes verzögert habe. Allerdings müsse die Dienstzeit kausal für die verzögerte
Einstellung gewesen sein. Nach Ableistung seines Zivildienstes habe der Kläger
zunächst die allgemeine Hochschulreife erwerben müssen, um sein Lehramtsstudium
aufnehmen zu können. Dadurch sei der Kausalzusammenhang zwischen Zivildienst
und Lehramtsstudium unterbrochen worden. Verzögerungszeiten aufgrund des
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geleisteten Zivildienstes könnten daher wegen fehlender Kausalität nicht geltend
gemacht werden.
Auch eine Ausnahme von der laufbahnrechtlichen Höchstaltersgrenze aufgrund von
Kinderbetreuungszeiten während des Studiums komme nicht in Betracht. Eine
Kinderbetreuung in diesem Sinne sei nur dann gegeben, wenn der Kläger sich
ausschließlich und anstelle der Berufsausbildung der Kinderbetreuung gewidmet hätte.
Eine Kinderbetreuung neben dem Studium genüge daher nicht, um eine Ausnahme von
dieser Höchstaltersgrenze zu rechtfertigen. Der Kläger habe vielmehr selbst ausgeführt,
dass er auch während der Zeit der Kinderbetreuung sein Studium fortgeführt habe, wenn
auch in eingeschränktem Maße. Eine Anrechnung dieser Zeiten auf die
Höchstaltersgrenze könne deshalb nicht erfolgen.
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Der Kläger hat am Montag, den 29. Mai 2006 die vorliegende Klage erhoben, mit der er
sein Begehren unter Wiederholung und Vertiefung seines bisherigen Vorbringens weiter
verfolgt. Er führt ergänzend aus: Nach der Geburt seines Sohnes M am 30. Juni 1999
habe er ab dem 20. Juli 1999 seinen Sohn alleine betreut, da seine damalige
Lebensgefährtin und heutige Ehefrau Modedesign an der Modeschule E studiert und am
27. Januar 2000 ihren Abschluss gemacht habe. Danach habe sich seine
Lebensgefährtin um den Sohn gekümmert und er habe im Sommersemester 2000
wieder studieren können. Im Sommer 2000 habe sich seine Lebensgefährtin
selbständig gemacht und vom 27. Juli 2000 bis zum 31. August 2001 für eine Firma in O
gearbeitet. In diesem Zeitraum habe er sich überwiegend um seinen Sohn gekümmert
und kaum studieren können. So habe er im Wintersemester 2000/01 lediglich fünf
Vorlesungen im Umfang von 10 Semesterwochenstunden und im Sommersemester
2001 lediglich eine Vorlesung besuchen können. Er habe seinen Sohn mit zur
Universität genommen, wo eine Krabbelburg eingerichtet worden sei. Die Studenten
hätten sich in der Betreuung der Kinder abgewechselt. Aus diesem Grund habe er
lediglich die genannten Vorlesungen am Vormittag besuchen können. Nach der
Geschäftsaufgabe zum 31. August 2001 habe seine Lebensgefährtin die
Kinderbetreuung wieder übernommen. Darüber hinaus sei sein Zivildienst kausal für die
verspätete Einstellung, da er zunächst die allgemeine Hochschulreife habe erwerben
müssen, bevor er sein Lehramtsstudium habe aufnahmen können. Im übrigen seien
Zeiten der Kinderbetreuung und des Zivildienstes kumulierbar.
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Der Kläger beantragt,
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den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides der Bezirkregierung E vom 19. Januar
2006 und des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung E vom 26. April 2006 zu
verpflichten, über seinen Antrag auf Einstellung in das Beamtenverhältnis auf Probe
unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
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Der Beklagte beantragt unter Bezugnahme auf die angefochtenen Bescheide,
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die Klage abzuweisen.
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Der Kläger und seine Ehefrau, Frau Q1-S, sind in der mündlichen Verhandlung
ausführlich gehört worden. Es wird insoweit auf das Sitzungsprotokoll Bezug
genommen.
18
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
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Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe:
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Das Gericht kann durch den Einzelrichter entscheiden, nachdem ihm der Rechtsstreit
durch Beschluss der Kammer vom 17. Juli 2006 zur Entscheidung übertragen worden ist
(§ 6 VwGO).
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Die Klage hat Erfolg.
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Sie ist zulässig und insbesondere fristgerecht innerhalb der Monatsfrist des § 74 Abs. 1
VwGO erhoben worden. Diese Frist begann mit Zustellung des
Widerspruchsbescheides am 28. April 2006 zu laufen und endete erst am Tage der
Klageerhebung am 29. Mai 2006, da der 28. Mai 2006 auf einen Sonntag fiel.
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Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid der Bezirksregierung E vom 19. Januar
2006 und der Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung E vom 26. April 2006 sind
rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 2
VwGO). Der Kläger hat einen Anspruch darauf, dass der Beklagte über seinen Antrag
auf Einstellung in das Beamtenverhältnis auf Probe unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Gerichts erneut entscheidet.
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Das Klagebegehren scheitert zunächst nicht daran, dass der Kläger zu dem für die
Beurteilung der Sach- und Rechtslage bei der Verpflichtungsklage maßgebenden
Zeitpunkt der (heutigen) gerichtlichen Entscheidung bereits ein Alter - nämlich 36 Jahre
und 5 ½ Monate - erreicht hat, das über dem durch die Laufbahnverordnung (LVO NRW)
vorgeschriebenen Einstellungshöchstalter von 35 Jahren liegt. Da das der Klage zu
Grunde liegende Begehren im Zeitpunkt der Entscheidung des Beklagten berechtigt
war, kann dieses auch heute noch berücksichtigt werden, weil § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
LVO NRW die Möglichkeit vorsieht, eine Ausnahme von dem Höchstalter für die
Einstellung in das Beamtenverhältnis auf Probe zuzulassen.
25
Vgl. hierzu Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteile vom 18. Juni 1998 - 2 C 6.98 -,
Buchholz 237.7 § 15 NWLBG Nr. 3, und vom 20. Januar 2000 - 2 C 13.99 -, ZBR 2000,
305.
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Art. 33 Abs. 2 GG und die zur Konkretisierung dieser Norm ergangenen
beamtenrechtlichen Vorschriften (vgl. §§ 5, 7 LBG NRW) gewähren allerdings keinen
unmittelbaren Anspruch auf Einstellung oder Übernahme in ein Beamtenverhältnis. Die
Entscheidung hierüber liegt vielmehr im pflichtgemäßen Ermessen des Dienstherrn, der
dabei den Grundsatz gleichen Zugangs zu jedem öffentlichen Amt nach Eignung,
Befähigung und fachlicher Leistung zu beachten hat. Der Zugang zu einem solchen Amt
ist zunächst abhängig von der Erfüllung bestimmter gesetzlicher Anforderungen, zu
denen insbesondere auch die laufbahnrechtlichen Voraussetzungen gehören.
27
Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 LVO NRW darf als Laufbahnbewerber nach § 5 Abs. 1
Buchstabe a) in das Beamtenverhältnis auf Probe eingestellt oder übernommen werden,
wer das in § 52 Abs. 1 LVO NRW festgesetzte Lebensjahr noch nicht vollendet hat.
Laufbahnbewerber erwerben die Befähigung für ihre Laufbahn nach § 5 Abs. 1
Buchstabe a) unter anderem durch Ableisten des Vorbereitungsdienstes im
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Beamtenverhältnis auf Widerruf und durch Bestehen der vorgeschriebenen
Laufbahnprüfung. Der Kläger ist Laufbahnbewerber im Sinne dieser Vorschrift, da er
vom 1. Februar 2003 bis zum 31. Januar 2005 den Vorbereitungsdienst leistete und am
23. November 2004 die Zweite Staatsprüfung für das Lehramt für die Primarstufe
ablegte.
Nach § 52 Abs. 1 LVO NRW darf als Laufbahnbewerber in die in diesem Abschnitt der
Laufbahnverordnung genannten Laufbahnen in das Beamtenverhältnis auf Probe
eingestellt oder übernommen werden, wer das 35. Lebensjahr noch nicht vollendet hat.
Diese Vorschrift bezieht sich damit auf Abschnitt V über „Besondere Vorschriften für
Lehrer an Schulen" und die in § 50 LVO NRW genannten Lehrerlaufbahnen. Danach
darf in die Laufbahn der Lehrer an öffentlichen Schulen - wie hier der Kläger mit
Lehrbefähigung für die Primarstufe - nur eingestellt werden, wer das 35. Lebensjahr
noch nicht vollendet hat.
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Der am 0.0.1970 geborene Kläger hatte diese Altersgrenze zwar bereits am 5. Mai 2005
erreicht, so dass er im Zeitpunkt seiner (unbefristeten) Einstellung in den Schuldienst
am 1. Februar 2006 die Höchstaltersgrenze nach § 52 Abs. 1 LVO NRW um 8 Monate
und 26 Tage überschritten hatte.
30
Diese Überschreitung war aber nach § 6 Abs. 1 Satz 3 LVO NRW unschädlich.
Hiernach darf die Altersgrenze, wenn sich die Einstellung oder Übernahme wegen der
Geburt eines Kindes oder wegen der tatsächlichen Betreuung eines Kindes unter 18
Jahren verzögert hat, im Umfang der Verzögerung, höchstens um drei, bei mehreren
Kindern höchstens um sechs Jahre, überschritten werden. Dabei kann nach der
Rechtsprechung der Zeitverlust im Zusammenhang mit dem Erwerb der Vorbildung für
die Einstellung in den Vorbereitungsdienst, während des Vorbereitungsdienstes selbst,
anlässlich der Laufbahnprüfung oder in dem Zeitraum danach eingetreten sein. Eine in
diesem Sinne beachtliche Verzögerung ist aber nur dann gegeben, wenn sich die
Einstellung wegen dieses Sachverhalts verzögert hat, wenn also die Geburt oder die
tatsächliche Betreuung eines Kindes unter 18 Jahren ursächlich dafür gewesen ist, dass
eine Einstellung in den öffentlichen Dienst erst nach Vollendung des 35. Lebensjahres
möglich wurde.
31
Vgl. Urteile der Kammer vom 26. September 2006 - 2 K 3325/06 -, vom 15. März 2005 -
2 K 422/03 -, und vom 18. November 2002 - 2 K 3829/00 -.
32
Vermeidbare Verzögerungen zwischen diesem Sachverhalt und der Einstellung
unterbrechen diesen Kausalzusammenhang.
33
Vgl. etwa Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW),
Urteile vom 16. März 2004 - 6 A 1524/02 -, www.nrwe.de, vom 28. Mai 2003 - 6 A 510/01
-, DÖD 2004, 27, vom 7. September 1994 - 6 A 3377/93 -, ZBR 1995, 113 und vom 6.
Juli 1994 - 6 A 1725/94 -, jeweils m.w.N.
34
Eine Unterbrechung dieses Kausalzusammenhangs kann jedoch nur durch
Sachverhalte erfolgen, die nach dem Verzögerungstatbestand - hier etwa einer
Kinderbetreuung - liegen. Schon denklogisch vermögen Sachverhalte, die vor dem
Verzögerungstatbestand liegen, den Kausalzusammenhang hingegen nicht zu
unterbrechen.
35
Vgl. zur Frage einer durchgängig am späteren Berufsziel orientierten Lebensplanung
OVG NRW, Beschluss vom 20. Januar 2004 - 6 A 949/03 -, www.nrwe.de; zur Kausalität
siehe auch OVG NRW, Beschluss vom 28. Mai 2003 - 6 A 510/01 -, DÖD 2004, 27.
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Nach diesen Maßstäben hat der Kläger einen Anspruch auf Berücksichtigung von
Kinderbetreuungszeiten im Umfang von insgesamt 21 Monaten und 5 Tagen, weil er
sich in den von ihm geltend gemachten Zeiträumen vom 1. August 1999 bis zum 31.
März 2000 sowie vom 27. Juli 2000 bis zum 31. August 2001 überwiegend der
Betreuung seines Sohnes M gewidmet hat. Dem steht nicht entgegen, dass er im zuletzt
genannten Zeitraum zeitweise Veranstaltungen an der Universität besucht hat.
37
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
38
- vgl. Urteil vom 18. Juni 1998 - 2 C 6/98 -, NVwZ-RR 1999, 132 f. -
39
genügt für die in § 6 Abs. 1 Satz 3 LVO NRW geregelte Ausnahme vom
Einstellungshöchstalter zwar nicht eine Übernahme der Kinderbetreuung in der Freizeit,
wie sie schon normalerweise auch von einem hauptberuflich tätigen oder in der
Berufsausbildung stehenden Elternteil erwartet werden kann. Vielmehr soll die
Regelung nach ihrer familienpolitischen Bedeutung erreichen, dass Bewerbern, die
gerade zu Gunsten der Kinderbetreuung die Berufsausbildung oder Berufsausübung
hinausgeschoben oder unterbrochen haben, die damit verbundene Verzögerung in
begrenztem Umfang hinsichtlich des Einstellungshöchstalters ausgeglichen wird.
Daraus ergibt sich, dass Zeiten einer Kinderbetreuung im Sinne der Ausnahmeregelung
solche sind, in denen sich der Bewerber an Stelle der Berufsausbildung oder
Berufsausübung ganz oder überwiegend der Kinderbetreuung gewidmet hat.
40
Hiernach zieht die Kammer in ständiger Rechtsprechung
41
- vgl. Urteile vom 26. September 2006 - 2 K 3325/06 -, vom 9. Dezember 2005 - 2 K
11/05 -, www.nrwe.de, vom 15. März 2005 - 2 K 422/03 -, und vom 9. Mai 2003 - 2 K
318/01 -
42
die Grenze regelmäßig dort, wo die berufliche Tätigkeit einer Halbtagsstelle oder mehr
entspricht. Dies entsprach im übrigen auch der früheren Praxis der Bezirksregierung.
43
Nach Auffassung des erkennenden Gerichts hat sich der Kläger im Zeitraum vom 1.
August 1999 bis zum 31. März 2000 ganz überwiegend um seinen neugeborenen Sohn
M gekümmert. Er hat in der mündlichen Verhandlung anschaulich und detailliert
geschildert, dass seine damalige Lebensgefährtin und heutige Ehefrau ihren Sohn mit
Kaiserschnitt auf die Welt gebracht hat und danach noch etwa zehn Tage im
Krankenhaus bleiben musste. Danach habe sie noch etwa drei Wochen zu Hause
verbracht. Ab dem 1. August 1999 habe sie sich jedoch wieder ihrer Ausbildung im
letzten Semester an der Modeschule E gewidmet, während er M betreut habe. Er hat
ausgeführt, dass sowohl seine Mutter wie auch die Mutter seiner Frau in der Nähe
wohnten, jedoch aufgrund ihrer Berufstätigkeit nicht für eine vollständige Betreuung in
Betracht kamen, sondern nur im Rahmen ihrer jeweiligen zeitlichen Möglichkeiten
ausnahmsweise aushelfen konnten. Es ist lebensnah und überzeugend, dass sich der
Kläger in dieser Situation nahezu ausschließlich um seinen kleinen Sohn gekümmert
hat. Dies wurde von seiner getrennt befragten Ehefrau bestätigt und auch vom
Beklagten nicht in Zweifel gezogen. Insbesondere hat der Kläger auf die - berechtigte -
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Frage, aus welchem Grund er diese Zeit der Kinderbetreuung erst im Klageverfahren
vorgetragen habe, nachvollziehbar erwidert, dass er diese Zeit nicht durch Dokumente
habe belegen können, so dass er diese Zeiten zuvor nicht geltend gemacht habe.
Zudem hat der Kläger auch seine schriftlich vorgetragenen Angaben - zu seinem
Nachteil - dahingehend korrigiert, dass er nicht schon ab dem 20. Juli 1999, sondern
erst ab dem 1. August 1999 die Betreuung übernommen habe, da seine Frau mit Beginn
des neuen Schuljahres wieder die Modeschule besucht habe. Soweit der Kläger
vorgetragen hat, dass er sich bis zum Frühjahr 2000 um seinen Sohn gekümmert habe,
legt das Gericht als Ende der hier relevanten Kinderbetreuungszeit des Klägers den 31.
März 2000 zu Grunde. Zwar hat die Frau des Klägers ihre Abschlussprüfung an der
Modeschule E nach dem vorgelegten Zeugnis bereits am 27. Januar 2000 abgelegt. Der
Kläger konnte aber erst zu Beginn des darauf folgenden Sommersemesters 2000 und
damit ab dem 1. April 2000 sein Studium weiterführen. Damit sind
Kinderbetreuungszeiten im Umfang von acht Monaten zu berücksichtigen.
Das Gericht legt seiner Entscheidung der weiteren Kinderbetreuungszeiten des Klägers
im Zeitraum vom 27. Juli 2000 bis zum 31. August 2001 zu Grunde. Der Kläger hat sich
in dieser Zeit ebenfalls überwiegend um seinen Sohn M gekümmert. Er hat dargelegt,
dass sich seine Frau nach ihrem Abschluss an der Modeschule selbstständig gemacht
hat. Dies ist belegt durch die im Verwaltungsvorgang befindliche Gewerbean- und -
abmeldung. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung auf entsprechendes
Befragen glaubhaft und nachvollziehbar dargelegt, dass seine Frau damals freiberuflich
für eine Firma in O tätig gewesen ist. Seine Frau hat dies konkretisiert und ausgeführt,
dass sie im Durchschnitt etwa zwei bis drei Mal pro Woche für mehrere Stunden in O
war. Darüber hinaus hat sie mehrere Stunden pro Tag zu Hause an Entwürfen
gearbeitet. Hinzu kamen noch Tage, an denen Sie neue Kollektionen in Modehäusern
sowie auf Modemessen und Modeschauen studiert hat. Hiernach steht zur Überzeugung
des Gerichts fest, dass sich der Kläger im Zeitraum vom 27. Juli 2000 bis zum 31.
August 2001 überwiegend um seinen Sohn gekümmert hat.
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Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger weiterhin in geringem Umfang studiert hat.
Zwar ist bei der Fortführung eines Studiums grundsätzlich davon auszugehen, dass
nicht unerhebliche Zeiten der Vor- und Nachbereitung der entsprechenden
Veranstaltungen erforderlich sind und dementsprechend ein höherer Zeitaufwand für
das Studium als die entsprechenden Semesterwochenstunden anzusetzen ist.
46
Vgl. etwa Urteil der Kammer vom 15. März 2005 - 2 K 422/03 -.
47
Der Kläger hat unter Vorlage entsprechender Bescheinigungen der Universität F
vorgetragen, dass er im Wintersemester 2000/01 fünf Veranstaltungen im Umfang von
zehn Semesterwochenstunden besucht habe, davon drei Vorlesungen und zwei
Veranstaltungen mit Leistungsnachweis. Dies ist aber im Hinblick auf die
Kinderbetreuungszeiten unerheblich. Denn selbst unter Berücksichtigung von Zeiten der
Vor- und Nachbereitung bleibt der Umfang dieser universitären Veranstaltungen unter
der oben genannten Grenze einer Halbtagsbeschäftigung. Dies gilt insbesondere unter
Berücksichtigung der Tatsache, dass der Kläger aufgrund der Berufstätigkeit seiner Frau
seinen Sohn mit zur Universität genommen und dort in der „Krabbelburg" betreut hat. Es
handelt sich dabei um eine studentische Initiative, die so organisiert war, dass nur
derjenige sein Kind dort zur Betreuung abgeben konnte, der auch selbst zur Betreuung
beigetragen hat. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung detailliert dargelegt,
dass er im Schnitt etwa zwei Mal in der Woche die etwa fünf bis sechs Kinder betreut hat
48
und nur an den anderen Tagen Veranstaltungen besuchen konnte. Danach seien sie oft
gemeinsam mit den Kindern in die Mensa gegangen. Anschließend habe er nach
Hause gehen müssen, da M seinen Mittagsschlaf gebraucht habe. Im Sommersemester
2000 hat der Kläger lediglich eine Veranstaltung an der Universität besucht, so dass
eine überwiegende Kinderbetreuung auch insoweit glaubhaft und nachvollziehbar ist.
Damit sind weitere Kinderbetreuungszeiten im Umfang von 13 Monaten und 5 Tagen zu
berücksichtigen.
Die angeführten Zeiten der Kinderbetreuung waren auch kausal für die verspätete
Einstellung in den Schuldienst des Landes. Denkt man nämlich diesen Zeitraum von
insgesamt 21 Monaten und 5 Tagen hinweg, so hätte der Kläger bei normalem Lauf der
Dinge bereits im November 2000 die Erste Staatsprüfung ablegen und vom 1. Februar
2001 bis zum 31. Januar 2003 den Vorbereitungsdienst absolvieren können. Danach
hätte er sich nach erfolgreichem Bestehen der Zweiten Staatsprüfung bereits zum 1.
Februar 2004 und damit vor Vollendung des 35. Lebensjahres um eine Einstellung in
den Schuldienst bewerben können.
49
Das von dem Kläger studierte Lehramt für die Primarstufe (Fächerkombination: Deutsch,
Mathematik, Sport) war zum damaligen Zeitpunkt ausweislich des Erlasses des
Ministeriums für Schule, Jugend und Kultur des Landes Nordrhein-Westfalen vom 19.
Dezember 2002 (Az.: 715.6.05.01-11334/02) auch einstellungsrelevant. Dies hat der
Terminsvertreter des Beklagten auf entsprechendes Befragen bestätigt. Ob zu diesem
Schuljahr tatsächlich Einstellungen mit der Fächerkombination des Klägers erfolgt sind
bzw. ob sich der Kläger gegenüber Mitbewerbern durchgesetzt hätte, kann aus heutiger
Sicht zwar nicht mehr abschließend beurteilt werden. Nach höchstrichterlicher
Rechtsprechung,
50
vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Juli 2000 - 2 C 21.99 -, ZBR 2001, 32; OVG NRW, Urteile
vom 16. März 2004 - 6 A 1524/02 -, www.nrwe.de und vom 19. Dezember 2001 - 6 A
693/96 -, www.nrwe.de,
51
trägt aber die Einstellungsbehörde, wenn sie die Unterlagen über die damaligen
Auswahlentscheidungen vernichtet hat, die materielle Beweislast dafür, dass der
betreffende Bewerber zu den fraglichen Einstellungsterminen nicht eingestellt worden
wäre. Die Bezirksregierung E hat - wie auch in anderen Verfahren - erklärt, dass
Unterlagen über frühere Einstellungsverfahren, anhand derer sich die Erfolgsaussichten
einer Bewerbung nachvollziehen ließen, nicht mehr vorlägen, weil sie aus
Datenschutzgründen vernichtet worden seien. Weiter gehende
Aufklärungsmöglichkeiten sieht das erkennende Gericht nicht. Im Falle einer Einstellung
zum 1. Februar 2004 wäre der Kläger aber noch nicht überaltert gewesen, weil er sein
35. Lebensjahr erst am 5. Mai 2005 vollendet hat.
52
Ohne dass es noch entscheidend darauf ankommt, weist das Gericht im Hinblick auf das
Vorbringen der Beteiligten darauf hin, dass der Kläger aufgrund des von ihm geleisteten
Zivildienstes auch nach § 84 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 i.V.m. § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 LVO
NRW einen Anspruch auf Einstellung in ein Beamtenverhältnis auf Probe haben dürfte.
Nach dieser Bestimmung können auf Antrag der obersten Dienstbehörde das
Innenministerium und das Finanzministerium eine Ausnahme von dem Höchstalter
gemäß § 52 Abs. 1 LVO NRW zulassen. Der Verordnungsgeber hat die Erteilung einer
derartigen Ausnahme an keine besonderen Voraussetzungen gebunden, sondern es
einer sachgerechten Ermessensausübung überlassen, ob und in welchem Umfang
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Abweichungen von der grundsätzlich gebotenen Einhaltung der Höchstaltersgrenze
zugelassen werden. Die in diesem Zusammenhang demnach auf eine Überprüfung der
Ermessensausübung des Beklagten beschränkte gerichtliche Kontrolle (§ 114 Satz 1
VwGO) dürfte vorliegend ebenfalls zu einer Aufhebung der angegriffenen
Verwaltungsentscheidung führen, da diese ermessensfehlerhaft sein dürfte.
Der Kläger hat ausweislich der vorgelegten Bescheinigung des Bundesamtes für den
Zivildienst vom 4. Mai 1992 bis zum 31. Juli 1993 für die Dauer von 15 Monaten seinen
Zivildienst geleistet. Die seit dem Erlass des Ministeriums für Schule und Weiterbildung
des Landes Nordrhein-Westfalen vom 18. September 1995 (- ZB I-22/03-1157/95 -)
gehandhabte Ermessensausübung setzt (entsprechend den für die Kausalität von
Kinderbetreuungszeiten für die Überschreitung der Höchstaltersgrenze geltenden
Maßgaben) für die Erteilung einer Ausnahme von der Höchstaltersgrenze voraus, dass
die Ableistung des Wehr- oder Zivildienstes die entscheidende und unmittelbare
Ursache für die Überschreitung der Höchstaltersgrenze war. Vermeidbare
Verzögerungen unterbrechen den Kausalzusammenhang zwischen dem Zivildienst und
der Verzögerung der Einstellung.
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Vgl. OVG NRW, Urteil vom 6. September 2005 - 6 A 300/04 -, www.nrwe.de; Beschlüsse
vom 20. Januar 2004 - 6 A 949/03 -, www.nrwe.de und vom 7. November 2000 - 6 A
3593/00 -, DÖD 2001, 260; Urteil vom 28. Mai 1993 - 6 A 510/91 -, m.w.N.
55
Dabei kann nach der Rechtsprechung der Zeitverlust im Zusammenhang mit dem
Erwerb der Vorbildung für die Einstellung in den Vorbereitungsdienst, während des
Vorbereitungsdienstes selbst, anlässlich der Laufbahnprüfung oder in dem Zeitraum
danach eingetreten sein.
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Vgl. Urteile der Kammer vom 26. September 2006 - 2 K 3325/06 -, vom 15. März 2005 -
2 K 422/03 -, vom 18. November 2002 - 2 K 3829/00 - und vom 14. März 1994 - 2 K
1487/92 -.
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Nach diesen Grundsätzen dürfte der vom Kläger geleistete Zivildienst ebenfalls kausal
für seine verspätete Einstellung in den Schuldienst sein. Insbesondere lässt der
unmittelbar nach dem Zivildienst erfolgte Besuch des S1-Kollegs F von Februar 1994
bis Dezember 1995 und das damit verfolgte Ziel des Erwerbs der allgemeinen
Hochschulreife die Kausalität nicht entfallen. Denn das Abitur war notwendige
Voraussetzung für den Kläger, um das Lehramtsstudium überhaupt aufnehmen zu
können. Damit war der Erwerb der allgemeinen Hochschulreife für den Kläger auf dem
Weg zur Erlangung der Laufbahnbefähigung eine notwendige Station und damit eine
nicht vermeidbare Verzögerung.
58
Vgl. Urteil der Kammer vom 4. Dezember 2002 - 2 K 3439/00 -.
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Es ist nach dem weiteren Lebenslauf des Klägers auch nicht erkennbar, dass andere
Ursachen diese Kausalität unterbrochen hätten. Demnach wäre der geleistete
Zivildienst ebenfalls geeignet, eine Ausnahme von der Höchstaltersgrenze zu
gewähren.
60
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
61
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§
62
708 Nr. 11, 711 ZPO.
Das Gericht lässt die Berufung nicht gemäß § 124 a Abs. 1 Satz 1 VwGO zu, weil es die
Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 Nr. 3 und 4 VwGO nicht für gegeben erachtet.
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