Urteil des VG Düsseldorf vom 13.07.2005

VG Düsseldorf: gewöhnlicher aufenthalt, sozialhilfe, bahnhof, vermieter, zeugenaussage, abend, klagerücknahme, besuch, lebensmittelpunkt, hauptwohnung

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 13 K 8734/03
Datum:
13.07.2005
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
13. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
13 K 8734/03
Tenor:
Soweit die Klägerin die Klage zurückgenommen hat, wird das Verfahren
eingestellt.
Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin die an Herrn I im Zeitraum vom
11. Februar bis zum 31. Dezember 2003 geleistete Hilfe zum
Lebensunterhalt in Höhe von 6.344,22 Euro nebst Zinsen von 5 % über
dem Basiszinssatz ab dem 12. Dezember 2003 zu erstatten.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Entscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des
jeweils beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
1
Die Beteiligten - örtliche Träger der Sozialhilfe - streiten um die Kostenerstattung für die
an den Zeugen I (* 0000) in der Zeit ab dem 11. Februar 2003 geleistete Sozialhilfe.
2
Der Zeuge I lebte im Jahr 2002 zunächst in einer eigenen Wohnung in der Gstraße 19 in
T. Nachdem im April 2002 das Arbeitsamt seine Leistungen eingestellt hatte, geriet er
zunehmend in persönliche und wirtschaftliche Schwierigkeiten, wodurch er zwischen
Mitte Juni und Anfang Juli 2002 seine Wohnung verlor. In der Folgezeit hielt er sich
zunächst bei einem oder mehreren Bekannten auf. Am 12. Juli 2002 wurde der Zeuge I
dann im B-Haus (Wohnungslosenhilfe/soziale Rehabilitation nach § 72 BSHG, Träger:
Wohlfahrt e.V.) in der C Straße 79 a in N aufgenommen, wo er sich in der
nachfolgenden Zeit aufhielt und betreut wurde. Er meldete sich am 15. Juli 2002 bei der
Meldebehörde der Klägerin von T nach N um, wobei sein Zuzug aus T am 10. Juli 2002
sowie die Begründung eines Hauptwohnsitzes in der C Straße 79 a am 12. Juli 2002
erfasst wurde. Sodann beantragte er am 17. Juli 2002 bei der Klägerin Leistungen nach
dem BSHG, wobei in diesem Antrag zu Ziffer 7 (Aufenthaltsverhältnisse) aufgenommen
wurde, dass er am 12. Juli 2002 von T zugezogen sei. Unter Ziffer 9
(Antragsbegründung) ist ausgeführt:
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„Ich habe bis vor einem Monat eine eigene Wohnung in T bewohnt. Diese wurde mir
wegen Mietschulden gekündigt. Seitdem habe ich mich bei Bekannten in N aufgehalten.
Am 12.07.02 wurde ich im B-Haus aufgenommen."
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In der Folgezeit gewährte der Landschaftsverband Rheinland (LVR) als überörtlicher
Träger der Sozialhilfe dem Zeugen I für die gesamte Zeit seines Aufenthaltes im B-Haus
Leistungen nach dem BSHG.
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Er verließ diese Einrichtung am 10. Februar 2003 und hielt sich zunächst ohne festen
Wohnsitz weiterhin in N auf. In dieser Zeit leistete die Klägerin ihm Hilfe zum
Lebensunterhalt nach Tagessätzen; zudem übernahm sie seine Beiträge zur Kranken-
und Pflegeversicherung. Am 13. März 2003 bezog er die Wohnung P Straße 44 in N, die
er bis heute bewohnt. Ab diesem Zeitpunkt erhielt er von der Klägerin laufende Hilfe
zum Lebensunterhalt nach Regelsätzen, seine Beiträge zur Kranken- und
Pflegeversicherung, die Wohnungsmiete einschließlich Neben- und Heizkosten,
besonderen Mietzuschuss nach dem Wohngeldgesetz (WoGG) und verschiedene
einmalige Beihilfen. Die Kaution für seine Wohnung übernahm die Klägerin
darlehensweise. Der Zeuge I befand sich jedenfalls bis zum 31. Dezember 2003 im
Hilfebezug der Klägerin.
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Unter dem 4. Juli 2003 beantragte die Klägerin bei der Beklagten Kostenerstattung
gemäß § 107 BSHG für dem Zeugen I ab dem 17. Juli 2002 gewährte Hilfe zum
Lebensunterhalt. Nachdem die Beklagte die Kostenerstattung mit Schreiben vom 18.
Juli 2003 abgelehnt hatte, weil ein Verziehen im Sinne von § 107 BSHG nicht
vorgelegen habe, änderte die Klägerin mit Schreiben vom 10. Oktober 2003 unter
Berücksichtigung weitergehender Erklärungen des Zeugen I in dessen Vorsprache vom
22. September 2003 ihren Kostenerstattungsantrag dahingehend, dass sie nunmehr
gemäß § 103 Abs. 3 BSHG Kostenerstattung für die Zeit vom 13. März 2003 bis zum 13.
März 2005 forderte.
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Die Klägerin hat am 12. Dezember 2003 Klage erhoben, mit der sie ihr
Kostenerstattungsbegehren in Bezug auf die Zeit vom 11. Februar 2003 bis zunächst
Ende Dezember 2003 weiter verfolgt. Sie trägt zur Begründung vor, dass der Zeuge I
zwischen dem Verlassen seiner Wohnung in T und dem Bezug des B-Hauses in der
Zeit, in der er sich bei einem oder mehreren Bekannten aufgehalten habe, keinen
gewöhnlichen Aufenthalt begründet habe. Sie hat ihr bei Klageerhebung mit 6421,44
Euro beziffertes Begehren in der mündlichen Verhandlung um 77,22 Euro reduziert.
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Die Klägerin beantragt nunmehr,
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die Beklagte zu verurteilen, ihr die an Herrn I im Zeitraum vom 11. Februar bis zum 31.
Dezember 2003 geleistete Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe von 6.344,22 Euro nebst
Zinsen von 5 % über dem Basiszinssatz ab dem 12. Dezember 2003 zu erstatten.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
12
Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus: Der Klägerin stehe der geltend
gemachte Erstattungsanspruch schon dem Grunde nach nicht zu, weil der Zeuge I
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zwischen dem Verlassen seiner Wohnung in T und dem Bezug des B-Hauses einen
gewöhnlichen Aufenthalt außerhalb von T begründet habe.
Das Gericht hat in der mündlichen Verhandlung durch Vernehmung des Zeugen I
Beweis über dessen Aufenthaltsverhältnisse im Juni und Juli 2002 erhoben.
14
Im Übrigen wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes auf die
Gerichtsakte dieses Verfahrens sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der
Klägerin und der Beklagten Bezug genommen.
15
Entscheidungsgründe:
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Soweit die Klägerin die Klage in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen hat,
war das Verfahren einzustellen (§ 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO).
17
Im Übrigen ist die zulässige allgemeine Leistungsklage begründet.
18
Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Erstattung der an den Zeugen I
in der Zeit vom 11. Februar 2003 bis zum 31. Dezember 2003 erbrachten Sozialhilfe in
Höhe von 6344,22 Euro (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO analog).
19
Dieser Anspruch ergibt sich aus § 103 Abs. 3 Satz 1 BSHG. Die Voraussetzungen eines
solchen Erstattungsanspruchs liegen vor.
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Nach § 103 Abs. 3 Satz 1 BSHG sind dem örtlichen Träger der Sozialhilfe die
aufgewendeten Kosten von dem Träger der Sozialhilfe zu erstatten, in dessen Bereich
ein Hilfeempfänger seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne des § 97 Abs. 2 Satz 1
BSHG hatte, wenn in den Fällen des § 97 Abs. 2 BSHG der Hilfeempfänger eine
Einrichtung verlässt und innerhalb von einem Monat danach im Bereich des örtlichen
Trägers, in dem die Einrichtung liegt, der Sozialhilfe bedarf. Gemäß Satz 3 dieser
Vorschrift gilt u.a., dass die Erstattungspflicht endet, wenn für einen
zusammenhängenden Zeitraum von zwei Monaten Hilfe nicht zu gewähren war,
spätestens nach Ablauf von zwei Jahren seit dem Verlassen der Einrichtung. Nach § 97
Abs. 2 Satz 1 BSHG ist für die Hilfe in einer Anstalt, einem Heim oder einer
gleichartigen Einrichtung der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig, in dessen Bereich
der Hilfeempfänger seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt der Aufnahme hat
oder in den zwei Monaten vor der Aufnahme gehabt hat.
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Die Beteiligten streiten über den Anspruch dem Grunde nach nur insofern, als die
Beklagte ihre Verpflichtung deshalb für ausgeschlossen hält, weil der Zeuge I zwischen
dem Verlust seiner Wohnung Gstraße 19 in T und der Aufnahme im B- Haus in N einen
gewöhnlichen Aufenthalt außerhalb von T begründet habe. Die übrigen
Voraussetzungen liegen unproblematisch vor: Der Zeuge I befand sich im B-Haus bis
zum 10. Februar 2003 in einer Einrichtung im Sinne von § 97 Abs. 4 BSHG, weshalb ein
Fall des § 97 Abs. 2 BSHG vorlag. Bis zum Verlust seiner Wohnung Gstraße 19 hatte er
in T seinen gewöhnlichen Aufenthalt. Nach dem Verlassen des B-Hauses bedurfte er im
Zuständigkeitsbereich der Klägerin, in dem diese Einrichtung gelegen ist, sofort der
Sozialhilfe, die von der Klägerin erbracht wurde. Seit dem 11. Februar 2003 hat er von
der Klägerin ohne Unterbrechung von zwei Monaten bis zum Ende des Jahres 2003
Sozialhilfe erhalten. Die Klägerin hat ihren die Bagatellgrenze gemäß § 111 Abs. 2
BSHG übersteigenden Erstattungsanspruch für die Zeit vom 11. Februar bis zum 31.
22
Dezember 2003 mit dem Schreiben vom 10. Oktober 2003 in Verbindung mit der
Klageschrift vom 10. Dezember 2003 innerhalb der Frist des § 111 SGB X geltend
gemacht.
Die Beklagte ist für den Erstattungsanspruch nach § 103 Abs. 3 BSHG auch
passivlegitimiert, da der Zeuge I ährend der Zeit im B-Haus seinen gewöhnlichen
Aufenthalt im Sinne von § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG in T hatte. Dies ist der Fall, weil er in
T den letzten gewöhnlichen Aufenthalt in den zwei Monaten vor der Aufnahme im B-
Haus hatte. In der Zeit zwischen der Beendigung seines gewöhnlichen Aufenthalts in T
und der Aufnahme im B-Haus hat er insbesondere keinen gewöhnlichen Aufenthalt
außerhalb von T begründet.
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Da das BSHG keine näheren Regelungen zur Bestimmung des Rechtsbegriffs des
gewöhnlichen Aufenthalts enthält, gilt gemäß § 37 Satz 1 SGB I die Legaldefinition des
§ 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I mit der Maßgabe, dass der unbestimmte Rechtsbegriff unter
Berücksichtigung von Sinn und Zweck sowie Regelungszusammenhang der jeweiligen
Norm auszulegen ist.
24
Vgl. hierzu und zum Folgenden BVerwG, Urteile vom 18. März 1999 - 5 C 11/98 -, FEVS
49, 434 (436 f.), vom 7. Oktober 1999 - 5 C 21.98 -, FEVS 51, 385 ff., und vom 18. Mai
2000 - 5 C 27/99 -, FEVS 51, 546 (548); OVG NRW, Urteil vom 12. September 2002 - 12
A 4625/99 -, FEVS 54, 271 ff.
25
Nach § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I hat jemand den gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich
unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem
Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Maßgeblich dafür ist, ob der Betreffende sich
an dem fraglichen Ort „bis auf weiteres" im Sinne eines zukunftsoffenen Verbleibs
aufhält und dort den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen hat. Abgesehen von einem
zeitlich unbedeutenden oder von vornherein nur kurz befristeten Verweilen, wie es für
einen Besuch oder die Durchreise typisch ist, setzt die Begründung eines gewöhnlichen
Aufenthalts keine bestimmte Aufenthaltsdauer voraus. Als Umstände, die die
Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts erkennen lassen, sind sowohl subjektive
als auch objektive Elemente heranzuziehen. Für das subjektive Element ist dabei nicht
ein rechtserheblicher, sondern der tatsächliche, ausdrücklich oder konkludent geäußerte
Wille maßgeblich. Dagegen sind allein objektive Umstände entscheidend, wenn der
Betreffende nicht fähig ist, einen entsprechenden Willen zu bilden oder er an einer
solchen Willensbildung durch objektive Gegebenheiten gehindert ist, und auch nicht auf
die Willensbildung eines gesetzlichen Vertreters oder Betreuers abgestellt werden kann.
Gleiches gilt, wenn der Verwirklichung des Willens zu einem nur vorübergehenden
Aufenthalt tatsächliche Verhältnisse entgegenstehen.
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Zwischen den Beteiligten steht nicht im Streit - und dies entspricht auch der
Einschätzung des Gerichts -, dass der gewöhnliche Aufenthalt des Zeugen I in T mit
dem Verlust der Wohnung Gstraße 19 aufgrund des Rausschmisses durch den
Vermieter endete. Er stand zu diesem Zeitpunkt mittellos und nur mit einem Rucksack
voller Bekleidung ausgestattet auf der Straße und machte keine Anstalten, diese
Unterkunft auf irgendeine Weise zurückzuerlangen und seine dort verbliebene Habe zu
sichern. Stattdessen begab er sich zunächst zum Bahnhof Ts und später mit einer
Zufallsbekanntschaft, mit der er über Alkohol und Zigaretten ins Gespräch gekommen
war, zu deren Wohnung in einem außerhalb von T gelegenen Ort. Dort hielt er sich -
nach seiner Aussage ohne festen Wohnsitz - für eine bis anderthalb Wochen auf. Wie
27
diese Umstände sämtlich verdeutlichen, hatte er keine Absicht, seinen durch den
Wohnungsverlust in Frage gestellten gewöhnlichen Aufenthalt in T fortzusetzen bzw.
erneut zu begründen.
Seinen gewöhnlichen Aufenthalt in T hatte er auch erst innerhalb der letzten zwei
Monate vor der Aufnahme im B-Haus verloren, wie es § 103 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung
mit § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG voraussetzt. Es steht fest, dass er am 12. Juli 2002 im B-
Haus aufgenommen wurde. Dies hat er bei der ersten Antragstellung beim Sozialamt
der Klägerin am 17. Juli 2002 im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der
Aufnahme angegeben und in seinen Vorsprachen bei der Klägerin am 28. April 2003
und am 22. September 2003 bestätigt. Das stimmt auch mit den meldebehördlichen
Daten überein, wonach die Hauptwohnung in der C Straße 79 a (B-Haus) am 12. Juli
2002 begründet wurde. Auch in der Beweisaufnahme hat er bekundet, dass er sich am
12. eines Monats in das B-Haus begeben habe, wobei er - aufgrund der verstrichenen
Zeit nachvollziehbar - unsicher war, ob es sich um Juni oder Juli 2002 handelte. Die
Aufgabe des gewöhnlichen Aufenthalts in T erfolgte keinesfalls mehr als zwei Monate
vor diesem Zeitpunkt, also vor dem 12. Mai 2002. Denn nach keiner Aussage des
Zeugen I hat er seine Wohnung in T vor diesem Zeitpunkt verloren.
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Es steht auch zur Überzeugung des Gerichts fest, dass er nach dem Verlust der
Wohnung in T bis zur Aufnahme im B-Haus keinen weiteren gewöhnlichen Aufenthalt
außerhalb Ts begründet hat.
29
Es wird dabei nach dem Akteninhalt und nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme
davon ausgegangen, dass er sich zunächst bei einer Zufallsbekanntschaft in einem Ort
außerhalb von T und N aufgehalten hat und dann noch für eine oder zwei Nächte bei
seiner damaligen Freundin in N unterkam. An beiden Orten hatte er keinen
gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne von § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I, weil er dort weder
zukunftsoffen „bis auf weiteres" verweilte, noch dort den Mittelpunkt seiner
Lebensbeziehungen hatte.
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Das Gericht ist hierbei davon überzeugt, dass er sich am Abend des 2. oder 3. Juli 2003
zu dem neuen Bekannten begab, den er am Bahnhof von T kennengelernt hatte, als er
nach dem Verlust seiner Wohnung dort einige Bier trank. Den 3. Juli hat der Zeuge I
ausdrücklich in seiner Vorsprache bei der Klägerin am 22. September 2003 als Tag
benannt, an dem er von Z mit dem Bekannten mit der Bahn zu dessen außerhalb von T
gelegenen Wohnort gefahren sei. In der Beweisaufnahme hat er bekundet, er habe sich
vor der Aufnahme im B-Haus für etwa eine bis anderthalb Wochen bei einem Bekannten
aufgehalten. Da der Aufnahmetag im B-Haus nach dem oben Gesagten feststeht (12.
Juli 2002), spricht dies dafür, dass er seine Wohnung in T zwischen dem 1. und dem 5.
Juli 2002 verlor. Zugleich hat er ausgesagt, er meine sich daran erinnern zu können,
dass er seine Wohnung in T nicht an einem Wochenende, sondern an einem Montag,
Dienstag oder Mittwoch verloren habe. Dabei tendierte er dazu, dass es an einem
Dienstag war. Da der 1. Juli 2002 ein Montag und demzufolge der 2. Juli ein Dienstag
bzw. der 3. Juli ein Mittwoch war, steht dies mit der Angabe in seiner Vorsprache am 22.
September 2003 und seiner Aussage, er habe sich vor der Aufnahme im B-Haus für
etwa eine bis anderthalb Wochen bei einem Bekannten aufgehalten, im Einklang.
Zugleich wird davon ausgegangen, dass der Zeuge sich am 12. Juli 2002 vom Wohnort
des Bekannten nicht unmittelbar ins B-Haus begeben hat, sondern dass er noch eine
oder zwei Nächte bei seiner damaligen Freundin O aus N übernachtet hat. Dies
bedeutet, dass er sich entweder am 10. oder am 11. Juli vom Wohnort seines Bekannten
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mit der Bahn nach N zu seiner Freundin O begeben haben muss. Hierfür spricht, dass er
selbst in seiner Zeugenaussage nach anfänglichen Erinnerungsschwierigkeiten angab,
er müsse wohl von seiner damaligen Freundin vom Bahnhof in N abgeholt worden sein,
da er weder gewusst habe, wie man vom Bahnhof zum B-Haus komme, noch wie man
vom Bahnhof zu O komme. Bei näherem Nachdenken war er sich sicher, dass O ihn
auch bei der Aufnahme im B- Haus begleitet habe. Seine Aussage ist insofern
detailreich und durch die Schilderung der Aussage des Leiters des B-Hauses
besonders glaubhaft. Er war sich lediglich unsicher, ob er bei O eine oder zwei Nächte
verbracht hatte, bevor er im B- Haus aufgenommen wurde. Auf den Vorhalt der
melderechtlichen Daten, die nur aufgrund seiner Aussagen aufgenommen worden sein
können, erklärte er den Zuzug aus T am 10. Juli 2003 und die Begründung der
Hauptwohnung im B-Haus am 12. Juli damit, dass er eventuell zwei Nächte bei seiner
damaligen Freundin war.
Der Widerspruch dieser Feststellungen mit der im Sozialhilfeantrag am 17. Juli 2002
aufgenommen Version, wonach er seine Wohnung in T vor einem Monat, also vor dem
17. Juli 2002, verloren und sich seitdem bei Bekannten in N aufgehalten habe, ist durch
die Beweisaufnahme aufgelöst. Der Zeuge I hat nachvollziehbar ausgesagt, dass es
sich hierbei um eine unzutreffende Aufnahme seiner Schilderung durch den
Sachbearbeiter der Klägerin handele, die er damals sofort gerügt habe; aufgrund der
Aussage des Sachbearbeiters, es handele sich nur um eine Formalität und sei nicht so
wichtig, habe er sich zufrieden gegeben und habe deshalb auch nicht mehr darauf
hingewiesen, dass auch die niedergeschriebene Aussage, er habe sich seit dem Verlust
der Wohnung in T bei Bekannten in N aufgehalten, nicht ganz richtig sei. Der Zeuge hat
auch schlüssig erläutert, warum er in seiner Vorsprache am 22. September 2003 zu den
Angaben im Sozialhilfeantrag vom 17. Juli 2002 anders als in seiner Zeugenaussage
angegeben hat, er habe möglicherweise von einem halben Monat gesprochen und
damit den Zeitraum vom 3. bis 11. Juli 2002 gemeint.
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Dass er bei dem kurzen Aufenthalt bei seiner damaligen Freundin, der nur eine oder
zwei Nächte andauerte und bei dem bereits die Aufnahme im B-Haus am 12. Juli 2002
terminiert war, einen gewöhnlichen Aufenthalt begründet haben soll, meint auch die
Beklagte nicht. Dies war offensichtlich ein von vornherein auf einen oder zwei Tage
bzw. Nächte befristeter vorübergehender Aufenthalt zur Überbrückung der Zeit bis zur
Aufnahme im B-Haus, der das Merkmal der Zukunftsoffenheit nicht erfüllte und in
zeitlicher Hinsicht völlig unbedeutend war.
33
Der Zeuge I hat auch zuvor bei dem Bekannten keinen gewöhnlichen Aufenthalt im
Sinne von § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I begründet.
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Seit Aufenthalt dort erstreckte sich nach dem oben Gesagten wohl vom Abend des 2.
Juli, bzw. sehr wahrscheinlich vom Abend des 3. Juli 2002 bis zum 10. oder 11. Juli
2002, als er mit der Bahn zu seiner damaligen Freundin nach N fuhr, also über einen
Zeitraum von sieben bis neun Nächten. Auch wenn es für die Begründung eines
gewöhnlichen Aufenthalts nicht allein auf die Dauer des Verweilens ankommt, so ist ein
gewöhnlicher Aufenthalt doch häufig ausgeschlossen, wenn die Aufenthaltsdauer von
vornherein unerheblich ist, was bei wenigen Stunden oder Tagen, eventuell auch
wenigen Wochen der Fall sein kann,
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vgl. OVG Weimar, Urteil vom 1. Juli 1997 - 2 KO 38/96 -, ZfF 1998, 253 (254) m. w. N.
36
Die Dauer seines Aufenthalts bei dem Bekannten spricht indiziell gegen einen
gewöhnlichen Aufenthalt.
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Entgegen der Auffassung der Beklagten kann aufgrund der Vorstellungen des Zeugen I
während des Aufenthalts bei seinem Bekannten nicht trotz dieser geringen Dauer von
einem zukunftsoffenen Verweilen bis auf weiteres ausgegangen werden. Zwar hat er
ausgesagt, er habe über die Dauer seines Verbleibs bei dem Bekannten überhaupt
keine Vorstellungen oder Planungen gehabt, weil er zum einen nicht weiter wusste und
keine Idee für sein weiteres Vorgehen hatte, und weil er sich zum anderen in einem
durch Alkohol- und Drogenkonsum herbeigeführten Dauerrausch befand, der das
Entwickeln von Vorstellungen oder Planung gleichsam ausschloss. Zudem war weder
die Rückkehr in die Wohnung in T möglich, noch verfügte er über Geldmittel, die ihm die
Anmietung einer Unterkunft ermöglicht hätten, noch war seine damalige Freundin zu
diesem Zeitpunkt bereit, ihn bei sich aufzunehmen. Jedoch hat er bei seiner Vorsprache
bei der Klägerin am 22. September 2003 angegeben, er habe nie vorgehabt, bei seinem
flüchtigen Bekannten auf Dauer zu bleiben. Dies hat er trotz seiner nach dem
Vorstehenden nicht in jeder Hinsicht einheitlichen Zeugenaussage auf die Frage, ob
sein Name auf einem Klingel- oder Türschild der Wohnung seines Bekannten
aufgenommen worden sei, bestätigt, indem er bekundet hat, dies sei überhaupt nicht
notwendig gewesen, da nicht geplant gewesen sei, dass er dort länger bliebe. Er wollte
- auch wenn dies nicht gelang - zunächst einmal nur nüchtern werden und dann
weitersehen. Diesen Aussagen lässt sich insgesamt auch unter Berücksichtigung seiner
Aussagen zum Fehlen konkreter Vorstellungen und Planung entnehmen, dass aus
seiner Sicht klar war, dass die Wohnung seiner Zufallsbekanntschaft nur eine
provisorische Notunterkunft für kurze Zeit sein konnte, die dazu diente, dass er während
einer kurzfristigen Orientierungsphase „nicht nass werde". Der hiernach vom Zeugen I
subjektiv als vorübergehend gedachte Aufenthalt war auch nicht deshalb als
gewöhnlicher Aufenthalt anzusehen, weil seinem Willen zur Beendigung des
vorübergehenden Aufenthalts objektive Gegebenheiten entgegengestanden hätten.
Auch wenn er nicht in seine Wohnung in Solingen zurück konnte, seine damalige
Freundin ihn zunächst nicht bei sich aufnehmen wollte und er keine Mittel hatte, um eine
Unterkunft anzumieten, so zeigt die binnen kurzer Zeit ermöglichte Aufnahme im B-
Haus, dass er nicht ohne Unterkunftsalternativen war. Die Lebenserfahrung spricht
dafür, dass er auch schon früher in einer vergleichbaren Einrichtung hätte unterkommen
können, wenn er sich inT, N oder andernorts an die Ordnungsbehörde oder das
Sozialamt gewandt hätte. Das Sozialamt hätte ihn auch für den Fall der beabsichtigten
Anmietung einer Wohnung unter den sozialhilferechtlichen Voraussetzungen mit
Geldmitteln oder durch Abgabe einer Kostenübernahmeerklärung bzw. einer
Mietgarantie o.ä. unterstützt. Hinzu kommt, dass selbst dann, wenn man davon
ausginge, dass der Aufenthalt des Zeugen I bei seinem Bekannten nach seinen (vagen)
Vorstellungen zukunftsoffen war, unklar ist, für wie lange ihn sein Bekannter überhaupt
bei sich beherbergt hätte. Nach der Aussage des Zeugen I war die Dauer seines
Verweilens zwischen ihnen niemals thematisiert worden und es gab darüber keine
Absprachen. Es spricht Überwiegendes dafür, dass der Bekannte einen
Zufallsbekannten und Trinkgenossen in seiner Ein-Zimmer-Wohnung nicht auf Dauer
hätte wohnen lassen. Jedenfalls steht fest, dass der Vermieter der Wohnung nicht damit
einverstanden war, dass der Zeuge I sich dort länger als nur zu einem kurzen Besuch
aufhielt, da der Vermieter ihn nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme kurz vor der
Weiterreise nach N am Tag dieser Fahrt oder am Vortag dazu aufforderte, die Wohnung
zu verlassen. Darf eine Person an einem Ort aber nicht verbleiben, so spricht dies in
objektiver Hinsicht gegen einen gewöhnlichen Aufenthalt,
38
vgl. OVG Weimar, a. a. O.
39
Alle sonstigen Umstände seines Aufenthalts weisen darauf hin, dass es sich nicht um
ein zukunftsoffenes Verweilen handelte und er dort nicht seinen Lebensmittelpunkt
hatte. Er schlief auf den Kissen der Schlafcouch, die der Bekannte nicht benötigte, wenn
er selbst auf der ausgezogenen Schlafcouch nächtigte, und verfügte damit - auch bei
geringen Ansprüchen - nicht über eine für einen längeren Aufenthalt geeignete
Schlafstatt. Seinen Rucksack mit der aus der Wohnung in Solingen mitgenommenen
Kleidung hatte er nicht einmal ausgepackt, sondern ihn lediglich in einen Schrank im
Flur gestellt. Damit hat er nicht einmal ansatzweise seine geringfügige Habe in der
Wohnung ausgepackt und sich eingerichtet. Er verfügte weder über einen Schlüssel für
die Wohnung, noch wurde sein Name auf ein Klingel- oder Türschild aufgenommen.
Kein Verwandter, Freund oder Bekannter hat ihn dort aufgesucht, was schon deshalb
ausschied, da er niemandem (außer eventuell seiner damaligen Freundin) mitgeteilt hat,
dass er einen neuen Aufenthaltsort habe. Da er keine Geldmittel hatte, um sich an den
Kosten des Haushalts zu beteiligen, hätte es bei längerem Aufenthalt nahegelegen, sich
auf andere Weise am Haushalt zu beteiligen. In der Zeit bei seinem Bekannten, die
nach Aussage des Zeugen von dem Dreiklang „Schlafen - Saufen - Kiffen"
gekennzeichnet war, kam es hingegen wohl nur zu einem oder zwei Einkäufen, an
denen er teilgenommen hat. An sonstige Haushaltsführung hatte er keine sichere
Erinnerung. Daneben hat er sich im Wohnort seines Bekannten nicht angemeldet und
wohl auch (anders als in N) keine Sozialhilfe beantragt. Auch wenn die Anmeldung nur
beim Bezug einer Wohnung erforderlich ist (§ 13 Abs. 1 MeldeG NRW) und die
Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts auch ohne meldebehördliche Anmeldung
möglich ist, so ist nicht unwichtig, wie der Betreffende selbst seinen Aufenthalt
einschätzt. Er hat sich unmittelbar von T nach N umgemeldet und den
Zwischenaufenthalt damit - wie auch in seiner Zeugenaussage, wo er bekundet hat, sich
nach dem Verlust seiner Wohnung in T ohne festen Wohnsitz aufgehalten zu haben -
damit als unbedeutend eingestuft. Alle diese Umstände zeigen, dass er sein Leben am
Wohnort seines Bekannten in keiner Weise absichtsvoll gestaltet hat, und sprechen
dafür, dass er dort nicht seinen Lebensmittelpunkt hatte. Zudem wusste er den
Nachnamen seines Bekannten überhaupt nicht, konnte hinsichtlich des Vornamens nur
raten und kannte zu seinem Aufenthaltsort weder wirklich den Namen des Ortes (konnte
lediglich über das vage Erinnerungsbild eines Kassenzettels des Supermarktes raten:
Tengte, Tekte oder Tente) noch den Straßennamen oder die Hausnummer. Es würde an
der Lebenswirklichkeit regelmäßig vorbeigehen, wollte man einen gewöhnlichen
Aufenthalt in einem Fall annehmen, in dem jemand weder den Namen des
Wohnungsgebers noch des Ortes kennt und auch Straßennamen oder Hausnummer zu
keinem Zeitpunkt gewusst hat.
40
Dieses Ergebnis ändert sich auch dann nicht, wenn man davon ausgeht, dass der
Zeuge I wegen seines eindrücklich geschilderten Dauerrauschs in der Zeit bei seinem
Bekannten keinen auf seinen Aufenthalt bezogenen Willen hatte, bzw. einen solchen
nicht bilden konnte. Dann kommt es nach der oben zitierten Rechtsprechung,
41
vgl. OVG NRW, a. a. O.,
42
beim Fehlen eines gesetzlichen Vertreters oder Betreuers - wie hier - allein auf die
objektiven Umstände an, die eindeutig gegen einen gewöhnlichen Aufenthalt sprechen.
43
Steht damit fest, dass der Erstattungsanspruch der Klägerin gegen die Beklagte dem
Grunde nach gegeben ist, so ist auch die Höhe der Forderung nach der teilweisen
Klagerücknahme in Bezug auf 77,22 Euro nicht mehr zweifelhaft. Die Beklagte hat ihre
Rügen zur Berechnung tagesanteiliger Hilfe und zur darlehensweise übernommenen
Mietkaution nach Erörterung in der mündlichen Verhandlung nicht aufrechterhalten,
44
vgl. zu einer darlehensweise übernommenen Mietkaution als erstattungsfähige
Aufwendung OVG Hamburg, Beschluss vom 26. April 2002 - 4 Bf 443/00 -, FEVS 54,
473 ff.
45
Es wird darauf hingewiesen, dass die Klägerin die Mietkaution in dem Umfang, in dem
sie sie vom Vermieter des Zeugen I oder von diesem selbst zurückerhält, an die
Beklagte weiterzuleiten hat. Die Beteiligten haben desweiteren unstreitig gestellt, dass
der LVR für den Monat Februar 2003 noch keinen Anteil an den Beiträgen des Zeugen I
zur Kranken- und Pflegeversicherung übernommen hat. Da für das Gericht kein Anlass
besteht, hieran zu zweifeln, sind die nach Reduzierung der Klageforderung um 77,22
Euro verbleibenden Aufwendungen der Klägerin für diese Beiträge und die übrigen
geltend gemachten Bedarfspositionen gemäß § 111 Abs. 1 BSHG in Höhe von 6344,22
Euro zu erstatten.
46
Der Klägerin sind Prozesszinsen aus dem zugesprochenen Betrag in Höhe von 5 %
über dem Basiszinssatz ab dem 12. Dezember 2003 zuzusprechen, §§ 291, 288 Abs. 1
Satz 2 BGB. In Erstattungsstreitigkeiten zwischen Sozialhilfeträgern können
Prozesszinsen verlangt werden,
47
vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Februar 2001 - 5 C 34/00 -, FEVS 52, 433.
48
Der Klägerin steht der höhere Zinssatz nach § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB n. F. zu, da die
Erstattungsforderung nach dem 1. Mai 2000 fällig wurde, vgl. Art. 229 § 1 Abs. 1 Satz 3
EGBGB.
49
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 155 Abs. 1 Satz 1, Satz 3, Abs. 2, 188 Satz
2, 2. Halbs. VwGO. Die aus der teilweisen Klagerücknahme gemäß § 155 Abs. 2 VwGO
folgende Kostenlast der Klägerin in Bezug auf 77,22 Euro ist als unwesentlich im Sinne
von § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO anzusehen, weshalb die Kosten vollständig der im
Übrigen unterlegenen Beklagten aufzuerlegen waren. Das Verfahren ist nicht
gerichtskostenfrei, § 188 Satz 2, 2. Halbs. VwGO. Die Vorschrift ist nach § 194 Abs. 5
VwGO auf alle Erstattungsstreitigkeiten, die ab 1. Januar 2002 bei Gericht anhängig
werden, in der neuen Fassung anwendbar. Die Klage wurde am 12. Dezember 2003
erhoben.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Satz 1 VwGO in
Verbindung mit § 709 Satz 1 ZPO.
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