Urteil des VG Düsseldorf vom 28.01.2005

VG Düsseldorf: bvo, künstliche befruchtung, beihilfe, krankenversicherung, einkünfte, fürsorgepflicht, krankheit, isolierung, unfruchtbarkeit, abrechnung

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 26 K 6311/04
28.01.2005
Verwaltungsgericht Düsseldorf
26. Kammer
Urteil
26 K 6311/04
Die Beklagte wird unter teilweiser Aufhebung des Beihilfebescheides des
Landrates des Kreises W vom 14. September 2004 und des
Widerspruchsbescheides des Landrates des Kreises W vom September
2004 verpflichtet, dem Kläger auf seinen Antrag vom 19. Juli 2004 hin
eine weitere Beihilfe in Höhe von 1.163,98 Euro zu bewilligen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen der Kläger zu 2/3, der Beklagte zu 1/3.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
Der am 00.00.1971 geborene Kläger ist als Beamter bei dem Beklagten tätig. Er ist
verheiratet mit der am 00.00.1972 geborenen L1, die als Krankenschwester berufstätig und
pflichtversichertes Mitglied einer Betriebskrankenkasse ist und deren Gesamtbetrag der
Einkünfte im Kalenderjahr 2003 18.000,00 Euro überstiegen hat. Am 19. Juli 2004
beantragte der Kläger die Gewährung einer Beihilfe zu verschiedenen ärztlichen
Leistungen sowie zu verschiedenen verordneten Medikamenten. Zu Einzelheiten wird auf
die ausgestellten Rechnungen der Frauenärzte U vom 28. Juni und vom 13. Juli 2004
sowie auf verschiedene ärztliche Verordnungen verwiesen (vgl. Blatt 7 ff. Beiakte Heft 1).
Insgesamt handelt es sich um einen Gesamtbetrag von 7.000,42 Euro. Sämtliche
beantragten Aufwendungen sind im Zusammenhang mit einer Intracytoplasmatischen
Spermieninjektion (ICSI) angefallen.
Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 14. September 2004 in vollem Umfang
ab. Zur Begründung gab er an, dass sämtliche geltend gemachten Aufwendungen im
Zusammenhang mit einer extrakorporalen Befruchtung bei der Ehefrau des Klägers
entstanden bzw. dieser zuzurechnen seien. Aufwendungen für die selbst nicht
beihilfeberechtigte Ehefrau seien grundsätzlich allerdings nur dann beihilfefähig, wenn der
Gesamtbetrag ihrer Einkünfte im Kalenderjahr vor der Antragstellung 18.000,00 Euro nicht
übersteige. Diese Voraussetzung sei vorliegend jedoch (aufgrund der eigenen Angaben
des Klägers in seinem Antrag) nicht gegeben.
Der Kläger legte gegen diesen Bescheid am 15. September 2004 Widerspruch ein, den der
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Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom ​... .09.2004" zurückwies. Zur Begründung führte
er im Wesentlichen aus, dass die Ehefrau des Klägers nicht zu dem beihilfeberechtigten
Personenkreis nach der Beihilfenverordnung für das Land Nordrhein-Westfalen gehöre.
Nach den auch im Beihilfenrecht anzuwendenden Richtlinien des Gemeinsamen
Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen seien die streitigen ärztlichen
Maßnahmen und Verordnungen allein gegenüber der Ehefrau des Klägers erbracht worden
mit der Folge, dass deren Krankenversicherung diesbezüglich einzustehen habe. Bei
dieser Sachlage bestehe auch nicht die Möglichkeit eines Härteausgleichs nach § 12 Abs.
5 c und 6 BVO.
Der Kläger hat am 29. September 2004 die vorliegende Klage erhoben. Er weist im
Wesentlichen darauf hin, dass die bei ihm bestehende Zeugungsunfähigkeit eine bei ihm
vorhandene Krankheit sei. Er sei damit Verursacher aller von ihm beantragten
Aufwendungen, die ihm daher nach den beihilferechtlichen Regelungen auf seinen Antrag
hin zu erstatten seien.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Beihilfebescheides des Landrates des Kreises W vom
14. September 2004 und des Widerspruchsbescheides des Landrates des Kreises W vom
September 2004 zu verpflichten, ihm auf seinen Antrag vom 19. Juli 2004 hin eine Beihilfe
in Höhe von 3.500,21 Euro zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist er im Wesentlichen auf die angefochtenen Bescheide.
Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird ergänzend Bezug
genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen
Verwaltungsvorgänge des Beklagten (Beiakten Hefte 1 und 2).
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist nur teilweise begründet, im Übrigen ist sie unbegründet.
Der Bescheid des Beklagten vom 14. September 2004 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom September 2004 ist insoweit rechtswidrig und verletzt den
Kläger in seinen Rechten, als der Beklagte dem Kläger die Gewährung einer Beihilfe zu
der Rechnung der Frauenärzte U und Partner vom 28. Juni 2004 (Rechnungsbetrag:
2.327,95 Euro) verweigert hat. Diesbezüglich hat der Kläger einen Anspruch auf die
Bewilligung einer Beihilfe gemäß seines Antrages vom 19. Juli 2004 in Höhe von 1.163,98
Euro (vgl. § 113 Abs. 5 VwGO). Im Übrigen ist der Bescheid rechtmäßig.
Gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 Beihilfenverordnung Nordrhein-Westfalen (BVO) sind beihilfefähig
die in Krankheitsfällen zur Wiedererlangung der Gesundheit notwendigen Aufwendungen
in angemessenen Umfang. Beihilfeberechtigte Personen sind unter anderem Beamte (§ 1
Abs. 1 Nr. 1 BVO). Beihilfefähig sind dabei gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 a BVO grundsätzlich nur
solche Aufwendungen, die in Krankheitsfällen für den Beihilfeberechtigten selbst
erwachsen. Soweit entsprechende Aufwendungen für den nicht selbst beihilfeberechtigten
Ehegatten des Beihilfeberechtigten erwachsen, sind diese nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 b BVO
beihilfefähig, wenn der Gesamtbetrag der Einkünfte des Ehegatten des Beihilfeberechtigten
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im Kalenderjahr vor der Antragstellung 18.000,00 Euro nicht übersteigt; bei Überschreitung
dieser Grenze sind die Aufwendungen insoweit beihilfefähig, als der Ehegatte trotz
ausreichender Krankenversicherung für bestimmte Krankheiten von den Leistungen
ausgeschlossen ist oder die Leistungen auf Dauer eingestellt worden sind. Schließlich
bestimmt § 8 Abs. 4 BVO, dass künstliche Befruchtungen (nur) unter den Voraussetzungen
des § 27 a Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 SGB V beihilfefähig sind (vgl. auch Ziffer 18.4
Verwaltungsverordnung zu § 8 BVO).
Vgl. Mohr/Sabolewski, Beihilfenrecht für das Land Nordrhein-Westfalen, Stand: Juli 2004, B
I § 8 Anm. 5 = B 115 ff..
Vorliegend sind die vom Kläger beantragten Aufwendungen zwar insgesamt im
Zusammenhang mit einer Intracytoplasmatischen Spermainjektion (ICSI) entstanden.
Hierbei handelt es sich um eine Injektion einzelner operativ entnommener Spermien
extrakorporal in besonders vorbereitete Eizellen im Falle einer männlichen Infertilität. In
einem solchen Fall kommt es nach den maßgeblichen Vorschriften der BVO darauf an, ob
der Kläger im Sinne der vorgenannten Vorschriften beihilfeberechtigt ist, oder ob die
entstandenen Aufwendungen von der Krankenversicherung seiner Ehefrau zu tragen sind.
Dabei geht das Gericht davon aus, dass die zu der Vorschrift des § 27 a SGB V
ergangenen Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses über ärztliche
Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung (Richtlinien über künstliche Befruchtung) in der
Fassung vom 15. Juni 2004 (in Kraft getreten am 11. September 2004) die weiteren
medizinischen Einzelheiten zu Voraussetzungen, Art und Umfang einer künstlichen
Befruchtung ergänzend regeln und im Beihilfenrecht sinngemäß anzuwenden sind.
Vgl. Mohr/Sabolewski, a.a.O., B I § 8 Anm. 5 = B 115.
Nach der Ziffer 3. dieser Richtlinien ist eine Krankenkasse nur für diejenigen Leistungen
zuständig ist, die bei ihrem Versicherten durchgeführt werden. Im Ergebnis führt dieser
Grundsatz in Übereinstimmung mit den §§ 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 und 3 Abs. 1 BVO dazu, dass
im vorliegenden Fall der Kläger insoweit bezüglich der vorgenannten Rechnung vom 28.
Juni 2004 in Höhe von 2.327,95 Euro als beihilfeberechtigt anzusehen ist, weil die dort
abgerechneten Leistungen ihm gegenüber erbracht worden sind. Alleine die Infertilität des
Klägers (Diagnose in der vorgenannten Rechnung: ​OAT-Syndrom") war Ursache für die
Behandlung des Klägers und die ihm gegenüber erbrachten ärztlichen Leistungen am 25.
(und 28.) Mai 2004. Vor diesem Hintergrund haben die behandelnden Ärzte auch dem
Kläger gegenüber die fragliche Rechnung erstellt. Insbesondere gilt diese Einschätzung für
die (sechsmal) in Ansatz gebrachte Gebührenziffer 4873 analog (Isolierung und Aufnahme
einzelner Spermien). Diesbezüglich erkennt das Gericht keine nachvollziehbaren
Anhaltspunkte dafür, diese Aufwendungen nicht dem Samengeber, dem Mann,
zuzurechnen, denn dessen Unfruchtbarkeit hat diese Maßnahme erst veranlasst. Mithin
können die entsprechenden Aufwendungen hier nicht der Ehefrau des Klägers
zugerechnet werden. Ebenso verbietet sich eine ganzheitliche Betrachtung mit der Folge
der Zurechnung aller bei der ICSI entstandenen Maßnahmen bei der jeweiligen Frau, weil
nach dem Grundprinzip der BVO eine Beihilfe demjenigen gewährt wird, dessen Krankheit
oder gesundheitliche Beeinträchtigung eine ärztliche Maßnahme an seiner Person
begründet hat.
Demgegenüber sind die ärztlichen Leistungen gemäß der (weiteren) Rechnung der U und
Partner vom 13. Juli 2004 nicht dem Kläger gegenüber erbracht worden. So enthält die
Rechnung auch ausdrücklich die Feststellung: ​Behandelt wurde Frau L1, ..."; dieser
gegenüber sind auch die in dem Beihilfeantrag vom 19. Juli 2004 angeführten
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Medikamente verordnet worden. Dies hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung
ausdrücklich bestätigt. Vor diesem Hintergrund ist es unerheblich, dass die Rechnung der
U und Partner vom 13. Juli 2004 an den Kläger adressiert worden ist, da ausweislich dieser
Rechnung ausdrücklich die Ehefrau des Klägers behandelt worden ist und ausweislich der
aufgeführten Gebührenziffern die entsprechenden in Ansatz gebrachten Leistungen auch
gegenüber der Ehefrau entstanden sind. Vor diesem Hintergrund ist es ferner unerheblich,
wenn die Kassenärztliche Vereinigung Bremen in ihrem Schreiben vom 26. Juni 2003
geäußert hat, dass die Abrechnung von ICSI bei unterschiedlichem Versichertenstatus
eines Ehepaares nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung erfolgen kann.
Auch der vom Kläger zitierte Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts
vom 5. Dezember 2003 (Seite 3 des amtlichen Entscheidungsabdrucks) führt zu keiner
anderen Beurteilung. Denn aufgrund der vorstehenden Ausführungen ist unter
Berücksichtigung der BVO NRW gemäß Rechnung vom 28. Juni 2004 der Kläger
behandelt worden und nicht seine Ehefrau. Diesbezüglich war auch eine Beweisaufnahme
nicht erforderlich.
Im Ergebnis besteht auch hinsichtlich der nicht anerkannten Aufwendungen kein Anspruch
auf beihilferechtliche Anerkennung über die Vorschrift des § 12 Abs. 5 c, 6 BVO, da bereits
nicht davon auszugehen ist, dass die Krankenversicherung der Ehefrau des Klägers vor
der dargelegten Sach- und Rechtslage ihrer Zahlungspflicht nicht nachkommen wird.
Diesbezüglich hat der Kläger nichts vorgetragen. Entsprechende Anhaltspunkte sind für
das Gericht ferner nicht ersichtlich.
Schließlich gebietet auch nicht die Fürsorgepflicht des Dienstherrn die Übernahme der
entsprechenden Aufwendungen, da im vorliegenden Fall erkennbar die Fürsorgepflicht
nicht in ihrem Wesenskern verletzt ist.
Vgl. nur Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 28. April 1988 - 2 C 58.85 -, in: Buchholz
270 § 7 BhV Nr. 1.
Denn im vorliegenden Fall ist gerade davon auszugehen, dass die Krankenversicherung
der Ehefrau des Klägers die entsprechenden Kosten zu übernehmen hat. Im Übrigen ist
auch noch nicht mal ansatzweise erkennbar, dass der entsprechende Betrag den Kläger
dermaßen trifft, dass dieser mit seinen Dienstbezügen nicht mehr bestritten werden kann
und er daher unter dem Gesichtspunkt einer angemessen Fürsorge einer Beihilfe bedarf.
Die Kostenentscheidung erfolgt gemäß § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 167 VwGO.