Urteil des VG Düsseldorf vom 20.10.2004

VG Düsseldorf: amnesty international, politische verfolgung, aufschiebende wirkung, anerkennung, strafrechtliche verfolgung, china, homosexueller, anhörung, homosexualität, bundesamt

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 8 L 3097/04.A
Datum:
20.10.2004
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
8. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
8 L 3097/04.A
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten
nicht erhoben werden.
Gründe:
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I.
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Der am 00.0.1968 in Zhejiang geborene Antragsteller ist Staatsangehöriger der
Volksrepublik China.
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Anlässlich seiner Anhörung durch den Haftrichter hatte er am 12. September 2004 unter
anderem angegeben: Die „Leute", die mit ihm eingereist seien, hätten Asylanträge
gestellt und seien als Asylberechtigte anerkannt worden. Er habe immer Angst vor
deutschen Behörden gehabt und deshalb keinen Asylantrag gestellt.
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Zur Begründung seines vom 16. September 2004 datierenden Antrages auf
Anerkennung als Asylberechtigter trug er vor: Er sei homosexuell. In China sei es
verboten, homosexuell zu sein. Homosexuelles Verhalten sei mit den in China
geltenden Ordnungs- und Moralvorstellungen schlechthin unvereinbar. In seiner Heimat
drohe ihm im Falle seiner Rückkehr strafrechtliche Verfolgung wegen einverständlicher
homosexueller Betätigung unter Erwachsenen im Privatbereich. Er sei damals zu einem
Treffpunkt Homosexueller gegangen. Wenn andere von den Behörden mitgenommen
worden seien, sei er nie dabei gewesen. Auf Nachfrage behauptet er: Als man ihn
mitgenommen haben, habe er auf Befragen in Abrede gestellt, auch „einer davon" zu
sein. Den Behörden sei nicht bekannt gewesen, dass er homosexuell sei. Seine
homosexuelle Orientierung beruhe auf einer irreversiblen Triebrichtung, die ihn immer
wieder zur Vornahme homosexueller Handlungen veranlasse. Er habe vier Jahre das
Fach „Chinesische Literatur" studiert, sein Studium dann aber aus politischen Gründen
abbrechen müssen. Damals habe er sich der in Peking unterdrückten
Studentenbewegung angeschlossen und Freiheit, Demokratie und Menschenrechte
eingefordert. Den zuständigen Behörden sei sein Engagement bekannt gewesen. Auf
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Nachfrage gab er an: Im August 1989 habe man ihn in Hangzhou verhaftet, gefoltert und
fünfzehn Tage lang eingesperrt. Wegen dieses Vorfalls sei sein Studium abgebrochen
worden. Auf weitere Nachfrage führte er aus: Er habe nach diesen fünfzehn Tagen
„keine Nerven mehr" gehabt zu studieren und sogar daran gedacht, sich das Leben zu
nehmen. Daraufhin habe er das Studium abgebrochen. Seinerzeit habe er sich belästigt
gefühlt. „Immer" habe er zu Gesprächen in die Verwaltung gemusst. In der Folge habe er
nur Gelegenheitsarbeiten verrichtet. Er habe viel Geld verdienen wollen, aber viele
Schwierigkeiten gehabt. Die Polizei habe ihn gefragt und gewarnt. Auf Nachfrage gab er
an: Er habe einfach nur in Demokratie und Freiheit leben wollen. Seit dem Jahre 1993
halte er sich illegal im Bundesgebiet auf. Einen Asylantrag habe er in der Vergangenheit
nicht gestellt, weil er das Asylverfahrensgesetz nicht gekannt und nicht gewusst habe,
wie man „diese ganzen Formalitäten" hätte „erledigen" können.
Mit am 6. Oktober 2004 zum Zwecke der Zustellung per Übergabeeinschreiben zur Post
aufgegebenem Bescheid vom 4. Oktober 2004 - 0000000-000 - lehnte das Bundesamt
für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge den Antrag des Antragstellers auf
Anerkennung als Asylberechtigter als offensichtlich unbegründet ab. Zugleich stellte es
fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG offensichtlich nicht vorlägen und
Abschiebungshindernisse gemäß § 53 AuslG nicht bestünden. Des Weiteren ordnete es
an, den Antragsteller nach Ablauf einer Woche nach Bekanntgabe des Bescheides aus
der Haft heraus „nach China" oder in einen anderen Staat, in den er einreisen dürfe oder
der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei, abzuschieben. Für den Fall einer
vorzeitigen Haftentlassung drohte es ihm, sollte er seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb
einer Woche nach Bekanntgabe des Bescheides freiwillig nachkommen, die
Abschiebung „nach China" oder einen anderen Staat an, in den er einreisen dürfe oder
der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei.
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Am 13. Oktober 2004 hat der Kläger Klage - 8 K 6586/04.A - mit dem Antrag erhoben,
die Antragsgegnerin unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für die
Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 4. Oktober 2004 - 0000000-000 - zu
verpflichten, festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot gemäß § 51 Abs. 1 AuslG
vorliegt, hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungshindernisse nach Maßgabe des §
53 AuslG bestehen. Zugleich hat er um die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes
nachgesucht.
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Zur Begründung trägt er unter Vertiefung seines Vorbringens aus dem
Verwaltungsverfahren vor: Im Falle einer Abschiebung in die Volksrepublik China drohe
ihm Strafverfolgung wegen homosexuellen Verhaltens. Im Übrigen habe er keine
Beziehung mehr zu seinem Heimatstaat.
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Der Antragsteller beantragt,
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die aufschiebende Wirkung seiner Klage 8 K 6586/04.A gegen die in Ziff. 4 des
Bescheides des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 4.
Oktober 2004 - 0000000-000 - enthaltene Abschiebungsandrohung anzuordnen.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen
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auf den Inhalt der Gerichtsakte dieses Verfahrens sowie des Verfahren 8 K 6586/04.A
und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin.
II.
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Der Antrag hat keinen Erfolg.
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An der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides des Bundesamtes für die
Anerkennung ausländischer Flüchtlinge bestehen keine ernstlichen Zweifel.
Gegenstand des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens ist allein die Überprüfung der
Einschätzung des Bundesamtes, dass der geltend gemachte Asylanspruch
offensichtlich nicht bestehe; ernstliche Zweifel liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür
sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung nicht standhalten wird;
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vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Urt. v. 14. Mai 1996 - 2 BvR 1516/93 -, NVwZ
1996, 678.
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Als die zu prüfende Maßnahme ist dabei die Offensichtlichkeitseinschätzung durch das
Bundesamt zu verstehen;
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vgl. BVerfG, Beschl. v. 3. Dezember 1993 - 2 BvR 1475/93 -, InfAuslR 1994, 109 (112);
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nur in diesem Rahmen sind die Erfolgsaussichten der Klage des Asylbewerbers von
Bedeutung. Anders als unter der bis zum 30. Juni 1993 bestehenden Rechtslage,
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vgl. dazu BVerfG, Beschl. v. 17. Dezember 1991 - 2 BvR 1041/91 -, InfAuslR 1992, 75,
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verlangt das Gesetz vom Gericht nicht mehr, sich von der Richtigkeit der
Offensichtlichkeitsfeststellung des Bundesamtes zu überzeugen. Vielmehr hat auf Grund
summarischer Prüfung lediglich eine Prognose zu deren voraussichtlichen Richtigkeit
zu erfolgen;
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vgl. BVerfG, Urt. v. 14. Mai 1996 - 2 BvR 1516/93 -, NVwZ 1996, 678.
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Danach hängt der Erfolg des Aussetzungsbegehrens zunächst davon ab, ob der
Bescheid des Bundesamtes den für eine Offensichtlichkeitsfeststellung geltenden
Maßstäben genügt. Ist dies der Fall, kann der Asylbewerber im Aussetzungsverfahren
nur durchdringen, wenn seine Einwendungen die Notwendigkeit einer Überprüfung im
Hauptsacheverfahren und deren ihm günstiges Ergebnis nahe legen, wobei die
Beschränkungen des § 36 Abs. 4 S. 2 und 3 AsylVfG zu beachten sind. Trotz Mängeln
des Bescheides kann sich die Offensichtlichkeitsfeststellung gleichwohl aus anderen
Gründen als voraussichtlich tragfähig erweisen. Da das Gericht eine eigenständige
Prognose vorzunehmen hat, genügt es, wenn die Feststellung im Bescheid jedenfalls
als im Ergebnis nicht ernstlich zweifelhaft anzusehen ist. Nach diesen Grundsätzen
kann dem Antrag nicht stattgegeben werden.
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Zutreffend geht der angefochtene Bescheid zunächst von dem Vorliegen der
tatbestandlichen Voraussetzungen des § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG aus. Nach dieser
Bestimmung ist ein Asylantrag als offensichtlich unbegründet unter anderem dann
abzulehnen, wenn das Vorbringen des Ausländers in wesentlichen Punkten nicht
substantiiert oder in sich widersprüchlich ist oder offenkundig nicht den Tatsachen
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entspricht.
Soweit der Antragsteller zur Begründung seines Asylantrages auf Ereignisse aus dem
Jahre 1989 abgehoben hat, ist sein Vortrag bereits unsubstantiiert und in sich
widersprüchlich. Einzelheiten seines angeblich fünfzehntägigen Haftaufenthaltes hat er
nicht geschildert. Die Angabe, sein Studium sei wegen dieses Vorfalles abgebrochen
worden, hat er auf Vorhalt dahingehend korrigiert, sein Studium freiwillig abgebrochen
zu haben. Der Behauptung, zur Wiederaufnahme seines Studiums keine Nerven mehr
gehabt zu haben, ist vor dem Hintergrund, dass er eigenen Angaben zufolge kurz vor
dem Abschluss der Hochschulausbildung stand, unschlüssig. Die Darstellung, er habe
sich belästigt gefühlt, steht nicht im Einklang mit der Schilderung, er habe arbeiten und
viel Geld verdienen wollen. Seine Antwort auf die Frage, ob er Repressionsmaßnahmen
erlitten habe, ist inhaltsleer. Unbeantwortet bleibt, warum sich der Kläger erst im Jahre
1993 zur Ausreise entschlossen haben will.
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Soweit er im Übrigen auf eine politische Verfolgung wegen seiner angeblichen
Homosexualität abgehoben hat, stellt sich sein Vorbringen ebenfalls als nicht
substantiiert und in sich widersprüchlich dar. Während er zunächst behauptet hatte, er
sei nie dabei gewesen, wenn Homosexuelle, die sich an einem Treffpunkt aufgehalten
hätten, mitgenommen worden seien, gab er auf Nachfrage an, er sei auch mitgenommen
worden, habe seine sexuelle Orientierung auf Befragen aber verleugnet. Einzelheiten
des Vorfalles sind indes weder im behördlichen noch im gerichtlichen Verfahren
vorgetragen worden. Dessen ungeachtet droht dem Kläger im Falle seiner Rückkehr mit
beachtlicher Wahrscheinlichkeit weder wegen seiner angeblich irreversiblen
homosexuellen Orientierung noch wegen „einverständlicher homosexueller Betätigung
unter Erwachsenen im Privatbereich" Strafverfolgung. Das chinesische Strafgesetzbuch
sieht keine Straftatbestände vor, durch die Homosexualität unter Strafe gestellt ist. Nicht
zuletzt seitdem die Chinese Psychiatric Association im Jahr 2001 Homosexualität aus
der Liste psychischer Erkrankungen gestrichen hat, gilt sie in der Volksrepublik China
nicht mehr als illegal. Zwar ist das Thema in der chinesischen Gesellschaft weiterhin in
einem hohen Maße tabuisiert. In Großstädten wie Beijing oder Shanghai ist es
Homosexuellen indes möglich, vergleichsweise offen mit ihrer sexuellen Orientierung
umzugehen;
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amnesty international, Auskunft an das Verwaltungsgericht Düsseldorf v. 17. August
2004 - ASA 17-04.022 -.
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Dessen ungeachtet rechtfertigt sich die Ablehnung seines Asylantrages als
offensichtlich unbegründet aus § 30 Abs. 3 Nr. 4 AsylVfG. Es ist davon auszugehen,
dass die Antragstellung erfolgte, um eine drohende Aufenthaltsbeendigung
abzuwenden. Erstmals im Rahmen seiner Anhörung durch den Haftrichter hatte der
Antragsteller angekündigt, seine Anerkennung als Asylberechtigter beantragen zu
wollen. Hierzu hatte er während seines eigenen Angaben zufolge elfjährigen illegalen
Aufenthaltes in der Bundesrepublik Deutschland ausreichend Gelegenheit. Von der
nicht nur durch die Anhörung zu der in Aussicht genommenen Ausweisung, sondern
auch durch den Abschiebungshaftantrag konkretisierte Absicht der Ausländerbehörde,
seinen Aufenthalt zwangsweise zu beenden, hatte er im Zeitpunkt der
Asylantragstellung Kenntnis. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass auch die
gegenüber dem Haftrichter und im Rahmen seiner Anhörung durch das Bundesamt für
die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge geäußerten Gründe, aus denen er in der
Vergangenheit von einer Antragstellung Abstand genommen haben will, in sich
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widersprüchlich und unglaubhaft sind.
Abschiebungshindernisse im Sinne von § 53 AuslG liegen nicht vor. Für den
Antragsteller sind insbesondere zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse im Sinne
von § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG
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vgl. zu dem Begriff: Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urt. v. 25. November 1997 - 9
C 58/96 -, DVBl. 1998, 284,
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weder ersichtlich noch substantiiert vorgetragen.
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Die Kostenentscheidung und der Wert des Streitgegenstandes folgen aus §§ 154 Abs. 1
VwGO, 83 b AsylVfG.
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Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).
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