Urteil des VG Düsseldorf vom 23.01.2004

VG Düsseldorf: unmenschliche behandlung, europäische menschenrechtskonvention, grobes verschulden, neue beweismittel, nigeria, gefahr, ausländer, bevölkerung, bundesamt, abschiebung

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 1 L 4543/03.A
Datum:
23.01.2004
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
1. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
1 L 4543/03.A
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten
nicht erhoben werden.
Gründe:
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Der am 10. Dezember 2003 sinngemäß gestellte Antrag,
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der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, die
Oberbürgermeisterin der Stadt E1 als der zuständigen Ausländerbehörde anzuweisen,
den Antragsteller nicht vor dem rechtskräftigen Abschluss des Klageverfahrens 1 K
6053/03.A abzuschieben,
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hilfsweise, der Antragsgegnerin aufzugeben, vorläufig für die Dauer von drei Monaten
zu seinen Gunsten ein Abschiebungshindernis gemäß § 53 Abs. 6 AuslG hinsichtlich
seines Heimatlandes Nigeria festzustellen,
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hat keinen Erfolg.
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Der Antrag ist unbegründet, weil dem Antragsteller der nach § 123 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3
VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO glaubhaft zu machende Anordnungsanspruch
ersichtlich nicht zur Seite steht; die mit der oben genannten Klage vom 11. September
2003 angegriffene Entscheidung des Bundesamtes vom 26. August 2003, den Antrag
auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens und auf Abänderung des Bescheides
vom 16. Oktober 2001 bezüglich der Feststellung zu § 53 AuslG abzulehnen, begegnet
keinen rechtlichen Bedenken.
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Dies gilt zunächst hinsichtlich des Hauptantrages, denn der Antragsteller hat nicht
glaubhaft gemacht, dass die gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG erforderlichen
Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG für die Durchführung eines weiteren
Asylverfahrens vorliegen. Bei dem am 18. August 2003 gestellten Asylantrag handelt es
sich um einen Folgeantrag im Sinne des § 71 Abs. 1 AsylVfG, da ein früheres
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Asylgesuch des Antragstellers unanfechtbar abgelehnt worden ist. Seinen
Asylerstantrag vom 27. September 2001 beschied das Bundesamt für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) mit Bescheid vom 16. Oktober 2001 negativ
(„offensichtlich unbegründet"). Der Bescheid ist bestandskräftig, nachdem die dagegen
beim Verwaltungsgericht Münster erhobene Klage - 11 K 2433/01.A - mit Urteil vom 20.
Februar 2003 als offensichtlich unbegründet abgewiesen wurde.
Danach ist gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 und 2 VwVfG nur dann
ein weiteres Asylverfahren durchzuführen, wenn sich die Sach- oder Rechtslage
nachträglich zu Gunsten des Betroffenen geändert hat oder dieser neue Beweismittel
vorlegt, die eine ihm günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden, und der
Betroffene ohne grobes Verschulden außer Stande war, den Grund für das
Wiederaufgreifen in einem früheren Verfahren geltend zu machen. Gemäß § 51 Abs. 3
VwVfG muss der Antrag binnen drei Monaten gestellt werden, wobei die Frist mit dem
Tage beginnt, an dem der Betroffene Kenntnis von dem Wiederaufgreifensgrund erlangt.
Dabei obliegt es nach § 71 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG dem Folgeantragsteller, die
Tatsachen und Beweismittel anzugeben, aus denen sich das Vorliegen der
Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG ergibt.
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Wird eine Änderung der Sachlage nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG geltend gemacht, muss
sich aus dem Vorbringen schlüssig ergeben, dass die neuen Tatsachen für eine dem
Folgeantragsteller günstigere Entscheidung geeignet sind. Der Tatsachenvortrag muss
glaubhaft und substantiiert sein. Er muss in sich stimmig, nachvollziehbar und
einleuchtend sein, sodass bei verständiger Würdigung gerade jetzt die Befürchtung
besteht, nach einer Rückkehr in den Heimatstaat werde der Betroffene politischer
Verfolgung ausgesetzt sein.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Juni 1987 - 9 C 251/86 -, Buchholz 402.25, § 10 AsylVfG
Nr. 3.
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Hinsichtlich der allgemeinpolitischen Verhältnisse im Herkunftsstaat wird den
Anforderungen an einen schlüssigen Sachvortrag nur dann genügt, wenn substantiiert
Umstände dargelegt werden, die geeignet sind, die Feststellungen bezüglich der
allgemeinen politischen Situation im Heimatland des Asylbewerbers, die in dem zuvor
bestandskräftig abgeschlossenen oder durch Rücknahme beendeten Asylverfahren
getroffen worden sind bzw. seinerzeit objektiv vorlagen, in ihrer (andauernden)
Rechtmäßigkeit in Zweifel zu ziehen, und somit Anlass zu neuen
Sachverhaltsermittlungen geben.
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Vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 25. Juni 1991 - 9 C 33/90 -, Buchholz 402.25 § 14
AsylVfG Nr. 10.
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Diesen Anforderungen genügt das Vorbringen des Antragstellers nicht. Er hat keine
Sachverhaltsumstände oder Beweismittel dargetan, die geeignet wären, zu einer ihm
günstigeren Entscheidung zu führen. Das Gericht teilt die Einschätzung des
Bundesamtes in dem angefochtenen Bescheid vom 26. August 2003, dass dem
Vorbringen des Antragstellers keine Aussagekraft hinsichtlich einer ihm in Nigeria
drohenden politischen Verfolgung zukommt. Seine diesbezüglichen Angaben sind
schon nicht glaubhaft. Dabei kann es dahinstehen, ob die Unglaubhaftigkeit der
Angaben zum Verfolgungsschicksal entsprechend der Annahme des Bundesamtes
unmittelbar aus den unzutreffenden Angaben zum benutzten Flug gefolgert werden
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kann. Maßgeblich ist nämlich, dass der Vortrag des Antragstellers im vorliegenden
Folgeantragsverfahren nahtlos an dessen Angaben im Erstverfahren anknüpft; diese
sind jedoch bereits durch das Verwaltungsgericht Münster in dem oben genannten Urteil
zutreffend und mit in jeder Hinsicht nachvollziehbaren Argumenten als nicht glaubhaft
eingestuft worden. Zu einer abweichenden Bewertung gibt der dürftige Vortrag des
Antragstellers zu seinem Folgeantrag keine Veranlassung. Soweit sich der Antragsteller
im zugehörigen Klageverfahren im Zusammenhang mit Auseinandersetzungen
ethnischer Bevölkerungsgruppen darauf beruft, dass die Stabilität im Lande äußerst
angegriffen sei, führt dies zu keinem anderen Ergebnis, weil damit den oben skizzierten
Anforderungen an eine substantiierte Darlegung etwaiger Veränderungen der
allgemeinpolitischen Verhältnisse im Heimatland des Antragstellers auch nicht
ansatzweise genügt wird.
Das Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 1 bis 4 AuslG ist danach
ebenfalls nicht glaubhaft gemacht. Der nach diesen Bestimmungen Gewähr leistete
Abschiebungsschutz richtet sich gegen Gefahren, die von dem betreffenden Staat
ausgehen oder ihm jedenfalls zuzurechnen sind, wobei insoweit grundsätzlich
dieselben Maßstäbe gelten wie im Rahmen von Art. 16 a GG und § 51 Abs. 1 AuslG.
Auch § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte
und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 - Europäische Menschenrechtskonvention
(EMRK) schützt regelmäßig nur vor einer im Zielstaat vom Staat oder einer
staatsähnlichen Gewalt ausgehenden oder einer von diesen zu verantwortenden
Misshandlung. Ausnahmsweise können auch Misshandlungen durch Dritte eine
unmenschliche Behandlung darstellen, wenn sie dem Staat zugerechnet werden
können, weil dieser sie veranlasst, bewusst duldet oder ihnen gegenüber keinen Schutz
gewährt, obwohl er dazu in der Lage wäre.
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BVerwG, Urteile vom 17. Oktober 1995 - 9 C 15.95 -, BVerwGE 99, 331 (335), und - 9 C
56.95 -, InfAuslR 1996, 254 (255), vom 15. April 1997 - 9 C 38.96 -, BVerwGE 104, 265
(267 ff.), und vom 2. September 1997 - 9 C 40.96 -, BVerwGE 105, 187 (188).
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Dass diese Voraussetzungen vorliegen, ist nicht erkennbar. Ist das Vorbringen des
Antragstellers, wie ausgeführt, nicht glaubhaft, fehlt es auch an Anhaltspunkten dafür,
dass ihm in Nigeria vom Staat ausgehende oder diesem zurechenbare Gefahren
drohten.
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Der Hilfsantrag hat ebenfalls keinen Erfolg. Das Vorliegen eines
Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 AuslG und damit der erforderliche
Anordnungsanspruch ist nicht glaubhaft gemacht.
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Nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG kann von der Abschiebung eines Ausländers in einen
anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für den Ausländer eine erhebliche
konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Die Anwendung des § 53 Abs. 6
Satz 1 AuslG setzt die Feststellung einer konkreten Gefahr für eines der dort genannten
Rechtsgüter voraus, die dem Betreffenden bei einer Abschiebung persönlich mit
beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen muss; hierbei kommt es nicht darauf an, von
wem die Gefahr ausgeht oder wodurch sie hervorgerufen wird. Allgemeine Gefahren,
die dem Betreffenden nicht persönlich, sondern zugleich der gesamten Bevölkerung
oder einer Bevölkerungsgruppe drohen, unterfallen hingegen § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG,
der im Regelfall die Anwendung des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG ausschließt. Allgemeine
Gefahren im Sinne von § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG können auch dann nicht
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Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG begründen, wenn sie den
Ausländer konkret und in individualisierter Weise betreffen. Trotz bestehender konkreter
erheblicher Gefahr ist die Anwendbarkeit des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG „gesperrt", wenn
dieselbe Gefahr zugleich einer Vielzahl weiterer Personen im Abschiebezielstaat droht.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 8. Dezember 1998 - 9 C 4/98 -, NVwZ 1999, S. 666 (667
m.w.N.).
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Derartige allgemeine Gefahren führen nach der von den Verwaltungsgerichten zu
respektierenden Entscheidung des Gesetzgebers nur dann zu einem
Abschiebungshindernis, wenn auf Grund einer politischen Leitentscheidung ein
genereller Abschiebestopp durch das Innenministerium verfügt wird (§ 53 Abs. 6 Satz 2
i.V.m. § 54 AuslG). Darüber hinaus ist Abschiebungsschutz unter verfassungskonformer
Auslegung von § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG ausnahmsweise dann zu gewähren, wenn
dem Ausländer kein Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 1 bis 4 und Abs. 6 Satz 2
AuslG zusteht, er aber gleichwohl im Lichte der Grundrechte der Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 2
Satz 1 GG wegen einer extremen allgemeinen Gefahrenlage, das heißt einer Lage, die
ihn gleichsam „sehenden Auges" dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen
aussetzen würde, nicht abgeschoben werden darf.
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Vgl. z.B. BVerwG, Urteile vom 17. Oktober 1995 - 9 C 9/95 -, DVBl. 1996, S. 203, und
vom 8. Dezember 1998 - 9 C 4/98 -, DVBl. 1999, S. 549 .
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Nach diesen Maßstäben ist ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 AuslG in der
Person des Antragstellers nicht ersichtlich. Gefahren, die mit den allgemeinen
Lebensbedingungen in Nigeria verbunden sind, ist die gesamte Bevölkerung
ausgesetzt. Ein Abschiebestopp im Sinne von § 53 Abs. 6 Satz 2 i.V.m. § 54 AuslG
besteht nicht. Auch die Voraussetzungen für die ausnahmsweise Gewährung von
Abschiebungsschutz wegen einer extremen allgemeinen Gefahrenlage liegen mangels
einer entsprechenden Gefährdungslage nicht vor. Konkrete Anhaltspunkte, dass es dem
Antragsteller bei einer Rückkehr nach Nigeria nicht möglich wäre, sich dort eine
ausreichende Existenzgrundlage zu schaffen, sind nicht erkennbar.
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Vgl. zu den allgemeinen Lebensbedingungen Bericht des Auswärtigen Amtes über die
asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Nigeria vom 10. Februar 2003 (Stand: Januar
2003) - Gz.: 508-516.80/3 NGA -, S. 20, wonach trotz der schwierigen wirtschaftlichen
Lage Nigerias die Basisversorgung der Bevölkerung mit Grundnahrungsmitteln
zumindest im städtischen Bereich grundsätzlich Gewähr leistet ist; ebenso der aktuelle
Lagebericht vom 23. Dezember 2003, Az. wie oben, S. 24.
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Umstände, die darüber hinausgehend auf ihm konkret-individuell drohende Gefahren
gemäß § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG führen, hat der Antragsteller mit Blick auf sein
unglaubhaftes Vorbringen ebenfalls nicht dargetan.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b Abs. 1 AsylVfG.
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Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 83 b Abs. 2 AsylVfG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylVfG.
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