Urteil des VG Düsseldorf vom 03.09.2010

VG Düsseldorf (kläger, entlassung aus der haft, ausweisung, haft, angemessene frist, abschiebung, türkei, therapie, ehefrau, haschisch)

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 24 K 2575/10
Datum:
03.09.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
24. Kammer
Entscheidungsart:
Gerichtsbescheid
Aktenzeichen:
24 K 2575/10
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.
Der Gerichtsbescheid ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicher-
heitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages ab-
wenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Voll-streckung
Sicherheit in Höhe von 110 % der jeweils vollstreckbaren Kosten leistet.
Tatbestand:
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Der Kläger wurde am 00. Mai 1980 in Karsikaya geboren und ist türkischer
Staatsangehöriger. Er reiste zunächst im Januar 1991 zu seinen hier lebenden
Großeltern ins Bundesgebiet ein, erlangte kein Aufenthaltsrecht und wurde nach dem
Scheitern von Versuchen zu einer einvernehmlichen Regelung im September 1997 in
die Türkei abgeschoben. Nachdem die Wirkungen dieser Maßnahme zu Ende April
2002 befristet worden waren, reiste der Kläger offiziell im Januar 2003 erneut ein und
stellte zunächst einen im Ergebnis erfolglosen Asylantrag. Im März 2003 ehelichte er
eine Deutsche; er erhielt daraufhin befristete Aufenthaltserlaubnisse, deren letzte nach
Zeiten der Duldung bis Ende November 2006 gültig war und deren Verlängerung der
Kläger rechtzeitig beantragt hatte . Die Eheleute haben drei minderjährig Kinder, die seit
geraumer Zeit in der Obhut von Pflegefamilien leben, weil beide Eltern
betäubungsmittelabhängig sind. Einer kontinuierlichen ordnungsgemäßen
Erwerbstätigkeit nachgegangen zu sein, trägt der Klägerselbst nicht vor.
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Nachdem es zu häuslicher Gewalt des Klägers zum Nachteil seiner Ehefrau gekommen
war, derentwegen der Kläger im August 2004 zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen
verurteilt wurde, trennte sich seine Frau von ihm und suchte Schutz in einem
Frauenhaus, wo sie sich nach der Mitteilung ihres damaligen
Verfahrensbevollmächtigten auch im April 2005 noch befunden und beabsichtigt haben
soll, sich schnellstmöglich scheiden zu lassen. Danach nahm man die
Lebensgemeinschaft erneut auf; im Mai 2007 lebte der Kläger den Annahmen der
Meldebehörde nach jedoch erneut dauernd getrennt. Zu dieser Zeit hielt sich der Kläger
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für ein Woche in einem Landeskrankenhaus teilstationär auf; im August 2007 bemühte
er sich um eine Kostenübernahme für eine stationäre Drogentherapie.
Der Kläger ist über die erwähnte Verurteilung hinaus straffällig geworden:
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Im März 2006 erging eine Freiheitsstrafe von 5 Monaten wegen unerlaubter Einfuhr
von Betäubungsmitteln. Im April 2007 kam eine Verurteilung zu einer
Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten hinzu, weil der Kläger in 20 Fällen
Betäubungsmittel an unter 18-Jährige abgegeben hatte. Man hatte die Dienste der
Babysitter mit der Abgabe von Haschisch entlohnt; die Ehefrau wurde in dem
gleichen Urteil wegen der gleichen Taten zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren
verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
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Seit dem 8. Juni 2007 verbüßt der Kläger seine Freiheitsstrafen, seit November 2008 im
Bezirk der Beklagten.
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Im März 2009 kam eine weitere Freiheitsstrafe von 10 Monaten hinzu, weil der
Kläger in der JVA mit Haschisch aufgefallen war. Am 30. Dezember 2009 wurden
bei ihm in der Justizvollzugsanstalt Remscheid zwei Bubble Heroin gefunden.
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Ein Ende November 2007 von der Ausländerbehörde N eingeleitetes
Ausweisungsverfahren wurde zunächst mit Blick auf den Einsatz der Ehefrau und die
bekundete Bereitschaft des Klägers, sich einer Therapie gegen seine
Betäubungsmittelabhängigkeit zu unterziehen, und in der Annahme, er werde nach der
Haft mit seiner Ehefrau zusammenleben, im Juli 2008 zurückgestellt ausgesetzt.
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Im November 2009 kündigte der Prozessbevollmächtigte des Klägers an, es ergehe
bald eine Entscheidung nach § 35 BtmG; nach Mitteilung der Justizvollzugsanstalt vom
Januar 2010 ist eine solche Maßnahme abgelehnt worden; Vollzugslockerungen hielt
die Justizvollzugsanstalt zu diesem Zeitpunkt angesichts unaufbereiteter
Drogenproblematik für ausgeschlossen. Die dem Kläger genehmigten Langzeitbesuche
seiner Frau nahm diese nach Mitteilung der Justizvollzugsanstalt S vom Dezember
2009 seit der dortigen Aufnahme des Klägers im November 2008 nicht wahr; der Kläger
erklärte dies der Justizvollzugsanstalt gegenüber damit, dass man sich gestritten habe.
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Ausgehend davon, dass das Ausbleiben von (ernsthaften Bemühungen um) Therapien
sowie der neuerliche Besitz von Haschisch und Heroin eine hinreichend gravierende
Änderung der Sach- und Rechtslage darstelle, nahm die Ausländerbehörde der
Beklagten das Verfahren wieder auf und hörte den Kläger zu der beabsichtigten
Ausweisung sowie der Versagung der Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis an.
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Nach Anhörung erließ die Beklagte unter dem 13. April 2010 die hier angefochtene
Ordnungsverfügung, mit der sie den Kläger unter Anordnung der sofortigen
Vollziehbarkeit aus dem Bundesgebiet auswies, ihm die Abschiebung in die Türkei aus
der Haft heraus ankündigte und für den Fall vorzeitiger Entlassung eine Ausreisefrist
von 2 Wochen setze, um einer Abschiebung zuvor zu kommen. Ferner lehnte sie die
Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis unter Verweis auf die verfügte Ausweisung ab.
Der Kläger verwirkliche den Ausweisungsgrund des § 53 Nr. 1 AufenthG in dessen
2. Alternative; mit Blick auf den Fortbestand seines Sorgerechts für die Kinder sowie ein
Zusammenleben mit seiner Frau bis zur Inhaftierung billigte die Beklagte dem Kläger
besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG sowie über Art
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6 GG zu, verneinte mangels ordnungsgemäßer Beschäftigung des Klägers
Schutzwirkungen des ARB, nahm aber die Einschlägigkeit des Art 8 EMRK an und
entschied daher über die Ausweisung nach Ermessen; sie hielt die Ausweisung jedoch
auch unter Berücksichtigung all dieser Aspekte angesichts der dem Kläger
innewohnenden individuellen Wiederholungsgefahr für geboten.
Der Kläger hat am 17. April 2010 Klage erhoben und trägt vor, die Ordnungsverfügung
sei ermessensfehlerhaft: zunächst sei es inkonsequent, zum einen einzuräumen, dass
der Erfolg einer etwaigen Therapie offen sie, gleichwohl aber jetzt schon die
Ausweisung zu verfügen; ferner habe die Behörde ihr Ermessen insofern sachwidrig
ausgeübt, als sie Vaterschaft und Sorgerecht des Klägers nicht gebührend würdige,
angesichts der Betäubungsmittelabhängigkeit der Kindesmutter komme auf den Kläger
eine erhöhten Verantwortung für das Wohl der Kinder zu; er sei durchaus motiviert, sich
einer Therapie zu unterziehen, zumal seine Frau für deren erfolgreichen Abschluss die
Versöhnung und Wiederaufnahme der ehelichen Lebensgemeinschaft in Aussicht
gestellt habe; dass frühere Therapieversuche erfolglos geblieben seien, sei geradezu
sachtypisch.
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Der Kläger beantragt,
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die Ordnungsverfügung der Beklagten vom 13. April 2010 aufzuheben.
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Die
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die Klage abzuweisen.
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Sie hält ihre Ermessensausübung für ordnungsgemäß: der nunmehr vorgetragenen
Sorge um das Wohl der Kinder könne keine ausschlaggebende Bedeutung beikommen,
nachdem der Kläger auch in der Vergangenheit nicht der Kinder wegen aus seiner
Abhängigkeit gefunden habe; die Ernsthaftigkeit der bekundeten Therapiebemühungen
zeige sich nicht zuletzt in dem Besitz von Betäubungsmitteln selbst in der Haft; vor
diesem Hintergrund könne auch die nun vorgetragene, aber nicht belegte
Versöhnungsbereitschaft der Ehefrau keine Auswirkungen haben.
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Die Beteiligten sind zu der Möglichkeit einer Entscheidung ohne mündliche
Verhandlung durch Gerichtsbescheid mit Verfügung des Gerichts vom 22. April 2010
angehört worden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie den der dazu beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten
Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Das Gericht kann gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO ohne mündliche Verhandlung durch
Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten
tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und die Beteiligten
zu der Möglichkeit einer solchen Entscheidung gehört worden sind.
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Angesichts dessen, dass der mit anwaltlicher Hilfe formulierte Antrag ausdrücklich nur
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die Aufhebung der Ordnungsverfügung verlangt, ohne eine Verpflichtung zur
Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zu verlangen oder in den begründenden
Schriftsätzen anzusprechen, geht das Gericht von einer bloßen Anfechtungsklage aus
und hat den Streitwert dementsprechend auf den üblichen einfachen Regelwert
begrenzt.
Die zulässige Klage ist unbegründet; Ausweisung und Abschiebungsregelung sind
rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten; § 113 Abs.1 Satz1
VwGO. Das Gericht folgt insoweit der Begründung der angefochtenen
Ordnungsverfügung und sieht deshalb gemäß § 117 Abs. 5 VwGO von einer weiteren
Darstellung der Entscheidungsgründe ab.
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Ergänzend sei angemerkt:
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Es ist nicht zu beanstanden, wenn die als Haftortbehörde örtliche zuständige
Ausländerbehörde der Beklagten dem aus der Addition der bei den Verurteilungen aus
dem März 2006, April 2007 und März 2009 verhängten Freiheitsstrafen von zusammen
45 Monaten in drei Jahren den Ausweisungsgrund des § 53 Nr. 1 AufenthG erfüllenden
Kläger - möglicherweise auch jenseits einer rechtlichen Notwendigkeit -
Ausweisungsschutz in einem solchen Umfange zugebilligt hat, dass sie die Maßnahme
nach Ermessen getroffen hat.
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Vgl. dazu etwa Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 23. Oktober 2007 – 1 C 10/07 ;
Gerichtsbescheide des Gerichts vom 23. August 2010 – 24 K 4603/10 -; vom 30.
August 2010 – 24 K 3287/10 -.
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Dieses Ermessen hat die Ausländerbehörde auf der Grundlage jedenfalls nicht zum
Nachteil des Klägers gewerteter tatsächlicher Annahmen in nicht zu beanstandender
Weise ausgeübt, indem sie es in seiner Reichweite erkannt, ihre Erwägungen am
Zweck der Ermessensermächtigung ausgerichtet und die gesetzlichen Grenzen ihres
Ermessens nicht überschritten hat (§ 40 VwVfG). Insbesondere liegen auch keine
Umstände vor, derentwegen nur ein Absehen von der Ausweisung rechtmäßig gewesen
wäre. Vielmehr geht von dem Kläger eine individuelle Wiederholungsgefahr aus, die
gemessen an der Bedeutung des durch die Maßnahme zu schützenden Rechtsgutes
gefahrenabwehrrechtlich nicht hinnehmbar ist, selbst wenn man die Aspekte der Art 6
GG und 8 EMRK in die Betrachtung gebührend einbezieht. Mit der Ausländerbehörde
geht das Gericht davon aus, der Kläger könne alsbald wieder mit dem Gesetz in Konflikt
geraten, insbesondere erneut im Bereich der Betäubungsmitteldelikte straffällig werden.
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Der Kläger selbst geht – insoweit in voller Übereinstimmung mit Behörde und Gericht -
davon aus, eine völlige Loslösung von Betäubungsmitteln könne ihm angesichts der
Dauer und Intensität seines Konsums allenfalls dann gelingen, wenn er durch
entsprechende – seinem Verständnis der "Sachtypik" nach notfalls mehrfach
anzusetzende - therapeutische Maßnahmen lernt, die seinem Konsum zugrunde
liegenden Verhaltensmuster grundlegend zu ändern. Insoweit ist jedoch über bloße
Absichtsbekundungen hinaus nichts erkennbar. Selbst in seinem jüngsten Schriftsatz
vermag der Kläger keine diesbezüglichen Initiativen oder gar Aktivitäten vorzuweisen;
vielmehr scheint auch seine Frau in zu unterstellender Kenntnis seiner Persönlichkeit
eine Wiederaufnahme der Lebensgemeinschaft nur für den Fall erfolgreicher Therapie
in Aussicht stellen zu können. Dass dem Kläger die gebotene Verhaltensänderung
selbst unter der Einwirkung des Vollzuges nicht ohne derartige extrinsischen Hilfen
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gelingt, belegen die beiden Funde von Betäubungsmitteln in seinem Besitz.
Die mithin denkbar schlechte Legalprognose vermag auch die dem Kläger seinen
unwiderlegten Angaben rechtlich nach wie vor zustehende Sorge für die drei Kinder
nicht zu verbessern. So ist der Kläger schon seit geraumer Zeit aus der tatsächlichen
Wahrnehmung dieser Sorge ausgeschlossen und hat sie allem Anschein nach auch zu
Zeiten tatsächlicher Möglichkeit keineswegs verantwortungsbewusst wahrgenommen,
wenn man die Entlohnung der minderjährigen Babysitter mit Haschisch bedenkt. Zudem
war ihm seinerzeit die Sorge um die auch durch die ebenfalls Betäubungsmittel
konsumierende Mutter nicht wirklich versorgten Kinder kein hinreichender Anlass,
wenigstens sich selbst des Konsums von Betäubungsmitteln zu enthalten. Ferner traut
er sich selbst die Wahrnehmung der elterlichen Sorge nicht ohne den Beistand des
Jugendamtes zu. Die Unterstellung der Ausländerbehörde, die nunmehr bekundete
Absicht, sich zukünftig besser um die Kinder zu kümmern, sei ein bloßes
Lippenbekenntnis, ist jedenfalls nachvollziehbar, solange der Kläger keine
grundlegende und als hinreichend stabil zu bewertende Verhaltensänderung
bewerkstelligt hat. Mithin ließe sich für diese Zeitspanne ließe eine Hinnahme des
Aufenthaltes des Klägers nach der Haftentlassung auch nicht mit dem Wohl seiner
Kinder rechtfertigen. Insoweit darf auf die Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt vom
Januar 2010 verwiesen werden, die zu diesem Stichwort lautet: "Die hehre Vorstellung
des Herrn L, sich künftig als verantwortungsbewusster Vater straffrei zu führen, stellt sich
aus hiesiger Sicht als Überforderung des Gefangenen dar, welcher er auf Grund seiner
Sozialisationsbedingungen nicht gewachsen sein wird". Angesichts dessen ist auch
nicht ersichtlich, aus welchem Grunde die Ausländerbehörde rechtlich gehalten sein
sollte, dem Kläger zunächst die Möglichkeit einzuräumen, sich im Bundesgebiet einer –
bekanntlich derzeit nicht einmal eingeleiteten – (notfalls wiederholten) Therapie zu
unterziehen, bevor sie die Ausweisung verfügt. Insoweit sei der Kläger daran erinnert,
dass ihm auch die in einer solchen Zurückstellung der gebotenen Maßnahmen liegende
Chance durch die vormals zuständige Ausländerbehörde bereits eingeräumt worden
war, ohne durchschlagende Erfolge zu zeitigen.
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Die Gefahr eines Rückfalls wird ferner begünstigt dadurch, dass der Kläger nach einer
Haftentlassung ins Bundesgebiet über keinerlei erkennbare Lebensgrundlage verfügen
würde. Nach den nicht widerlegten Annahmen der Ausländerbehörde war der Kläger in
nahezu der gesamten Zeit seines Aufenthaltes ohne legale Erwerbsgrundlage, und es
ist nicht ersichtlich, inwiefern sich diese missliche Lage bei der Entlassung aus der Haft
ändern würde, zumal der Kläger weder über einen Schulabschluss noch gar eine
deutsche Berufsausbildung verfügt.
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Mit der Ausländerbehörde ist ferner davon auszugehen, dass Aspekte des Art 8 EMRK
einer Rückkehr in die Türkei nicht entgegenstehen: Der Kläger hat ausweislich des
Fehlens jeglicher nennenswerter Erwerbstätigkeit und angesichts seines Lebens im
gesellschaftlich eher randständigen Betäubungsmittelmilieu eine Integration in die
hiesigen Lebensverhältnisse nicht erreicht. Demgegenüber trägt er selbst nicht einmal
vor, in Bezug auf sein Heimatland sei eine Entwurzelung eingetreten; immerhin hat er
den ganz überwiegenden und vor allem sozial prägenden Teil seines Lebens in der
Türkei oder während des Aufenthalts in Deutschland in der Obhut seiner türkischen
Großeltern verbracht. Mithin kann weder von einer Integration in die hiesigen
Lebensverhältnisse noch einer Entwurzelung hinsichtlich eines Lebens in der Türkei
ausgegangen werden. Und selbst wenn man zu seinen Gunsten annehmen wollte, in
Bezug auf die Türkei könne angesichts der Dauer der Aufenthalte in Deutschland eine
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gewisse Entfremdung eingetreten sein, so würde sich der Kläger den damit erhöhten
Anforderungen nach seiner Abschiebung dorthin um der Interessen der öffentlichen
Sicherheit hier stellen müssen.
Nach alledem ist gegen die Ausweisung nichts zu erinnern.
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Auch die Abschiebungsregelung ist rechtmäßig, so dass die Anfechtungsklage
unbegründet ist.
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Gegen die primär verfügte Abschiebungsanordnung
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- mit diesem Ausdruck bezeichnet das Gericht die Anordnung einer Abschiebung aus
der Haft nach den §§ 59 Abs. 5 und 58 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG ohne Belassung einer
Frist zur freiwilligen Ausreise - vgl. Gerichtsbescheide des Gerichts vom 23. August
2010 – 24 K 4603/10 -; vom 30. August 2010 – 24 K 3287/10 -; so auch
Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 13. März 2009 – 1 B 20.08 – InfAuslR
2009, 231,
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bestehen keine rechtlichen Bedenken.
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Vielmehr sind die gesetzlichen Voraussetzungen für die angeordnete Abschiebung aus
der Haft erfüllt: Dass der Kläger vollziehbar ausreisepflichtig ist, ergibt sich aus der auf
behördliche Anordnung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO sofort vollziehbaren
Ausweisung. Dass er auf richterliche Anordnung in Haft ist, ist bei einer noch
andauernden Strafhaft nicht zweifelhaft. Dass die Beklagte dem Kläger zunächst keine
Ausreisefrist gesetzt hat, steht mit § 59 Abs. 5 Satz 1 AufenthG in Einklang. Der
Belassung einer Frist zu einer nach dem Willen von Gesetz und Behörde noch
möglichen und an sich gewollten freiwilligen Ausreise, wie sie § 59 Abs. 1 Satz 1
AufenthG vorsieht, bedarf es in Fällen der vorliegenden Art nicht, weil das Gesetz mit §
58 Abs. 3 AufenthG davon ausgeht, dem Betroffenen dürfe wegen der
Überwachungsbedürftigkeit seiner tatsächlichen Entfernung aus dem Bundesgebiet gar
nicht die Möglichkeit eingeräumt werden, binnen einer Frist seiner Ausreisepflicht
freiwillig nachzukommen. Dass die tatsächliche Entfernung des Klägers aus dem
Bundesgebiet nicht nur wegen des Umstandes, dass er in Haft sitzt, sondern auch aus
gleichsam inhaltlichen Gründen der Überwachung bedarf,
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vgl. zu diesem Erfordernis Gerichtsbescheid des Gerichts vom 23. August 2010 – 24 K
4603/10 -; vom 30. August 2010 – 24 K 3287/10 -,
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ergibt sich hier aus der bereits erwähnten individuellen Gefährlichkeit des Klägers. Vor
einer tatsächlichen Abschiebung wird die Beklagte der Ankündigungspflicht nach § 59
Abs. 5 Satz 2 AufenthG zu genügen haben, und hat deren Beachtung auch schon
angekündigt.
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Schließlich bestehen auch hinsichtlich der hilfsweise verfügten Androhung der
Abschiebung keine Bedenken. Es kann dahinstehen, ob für eine solche Regelung
neben oder nach einer Abschiebungsanordnung Anlass und Raum ist. Denn falls der
Kläger tatsächlich wie angeordnet aus der Haft heraus abgeschoben wird, entfaltet die
Abschiebungsandrohung gar keine Wirkung. Gelangt der Kläger entgegen der Intention
der Beklagten doch noch im Bundesgebiet auf freien Fuß, sodass die
Abschiebungsandrohung überhaupt zum Zuge kommt, ist diese jedenfalls rechtmäßig.
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Sie ist in der gebotenen Schriftform ergangen (vgl. § 59 Abs. 1 AufenthG) und belässt
ihm mit 2 Wochen eine in Anbetracht der Gefährlichkeit des Klägers sicher
angemessene Frist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die über die vorläufige
Vollstreckbarkeit auf den §§ 84 Abs. 1 Satz 3, 167 Abs. 2, Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m.
§§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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