Urteil des VG Düsseldorf vom 06.04.2005

VG Düsseldorf: berufliche ausbildung, auflage, jugendhilfe, unterbringung, wohnung, altersgrenze, heim, sicherheitsleistung, beendigung, familie

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 19 K 8703/02
06.04.2005
Verwaltungsgericht Düsseldorf
19. Kammer
Urteil
19 K 8703/02
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 26.872,21 Euro nebst 4 %
Zinsen pro anno seit dem 10. Dezember 2002 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen der Kläger zu ¼, die Beklagte zu ¾.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu
vollstreckenden Betrages für den Kläger vorläufig vollstreckbar, für die
Beklagte ohne Sicherheitsleistung. Der Kläger kann die Vollstreckung
durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des
beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor
Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Erstattung von Kosten, die für die Hilfeempfängerin T,
geboren 00.00.0000, während der Unterbringung in dem Mutter-Kind-Heim St. K in X für die
Zeit vom 1. September 1998 bis 19. Juni 1999 entstanden sind.
Die geistig behinderte Hilfeempfängerin T - im Folgenden Hilfeempfängerin genannt - war
über Jahre hinweg zu Lasten des Klägers in einem Kinderheim untergebracht und arbeitete
in einer Werkstatt für Behinderte. Nach ihrer Heirat im Jahre 1988 hatte sie zusammen mit
ihrem Mann in T1 eine Wohnung bezogen. Als der Ehemann sie verlassen hatte, zog die
Hilfeempfängerin am 28. April 1990 in die Wohnung ihrer Schwester und deren Familie
nach N. Da sie schwanger war und infolge einer die Räumung bedingenden Sanierung der
Wohnung der Schwester in dieser nicht verbleiben konnte, stellte sie unter dem 16. August
1990 einen Antrag auf Aufnahme in eine Mutter-Kind-Einrichtung gemäß § 19 SGB VIII.
Zum 1. September 1990 wurde die Hilfeempfängerin sodann im Mutter-Kind-Heim St. K in
X aufgenommen. Am 6. Januar 1991 kam die Tochter T2 zur Welt, die sodann mit ihrer
Mutter bis zum 19. Juni 1999 in dieser Einrichtung verblieb. Unter dem 27. August 1991
teilte der Kläger der Hilfeempfängerin mit, dass er ihr Eingliederungshilfe gemäß § 39 ff.
BSHG ab dem 1. November 1990 in der Einrichtung Mutter- und Kind Heim St. K in X
gewähre und die Kosten unmittelbar mit der Einrichtung abrechne.
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Mit Schreiben vom 7. September 1999 forderte der Kläger die Beklagte unter Hinweis auf
das Urteil der entscheidenden Kammer vom 31. August 1998 (Az.: 19 K 4705/95) auf, die
von ihm aufgewendeten Kosten als solche einer Jugendhilfemaßnahme in einer Mutter-
Kind-Einrichtung nach § 19 SGB VIII zu übernehmen und meldete einen
Erstattungsanspruch gemäß § 104 SGB X für die Zeit vom 30. August 1998 bis 19. Juni
1999 an. Die Beklagte lehnte den Erstattungsantrag des Klägers mit Schreiben vom 21.
Oktober 1999 im Wesentlichen mit der Begründung ab, die Voraussetzungen des § 19 SGB
VIII fänden für den vom Kläger geltend gemachten Erstattungszeitraum keine Anwendung,
da die in § 19 SGB VIII vorgesehene Altersgrenze für das betreuungsbedürftige Kind von
sechs Jahren bei T2 bereits überschritten gewesen sei. Eine Jugendhilfemaßnahme
komme daher für diesen Zeitraum nicht mehr in Betracht.
Der Kläger hat sodann am 10. Dezember 2002 die auf §§ 102 ff. SGB X gestützte Klage
erhoben, mit der er insgesamt entstandene Aufwendungen in Höhe von 36.033,63 Euro
geltend macht. Er ist der Ansicht, dass die Beklagte für die Hilfe nach § 19 SGB VIII
sachlich und örtlich zuständig gewesen sei. Nach den Ausführungen des
Verwaltungsgerichts Düsseldorf im o.g. Urteil sei die Maßnahme als Gesamtmaßnahme für
die Mutter und das Kind nach Jugendhilferecht zu verstehen. Dem Anspruch stehe auch
nicht entgegen, dass die am 6. Januar 1991 geborene Tochter T2 im streitbefangenen
Zeitraum älter als sechs Jahre gewesen sei. Die Vollendung des sechsten Lebensjahres
führe nicht zur Beendigung der Leistung nach § 19 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII. Diese
Rechtsauffassung werde so auch überwiegend in der Literatur vertreten und entspreche der
Zielsetzung des Jugendhilferechts.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger die von ihm im Zeitraum vom 1. September 1998
bis zum 19. Juni 1999 im Hilfefall T, erbrachten Aufwendungen in Höhe von insgesamt
36.033,63 Euro nebst 4 % Zinsen seit dem 10. Dezember 2002 zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte trägt zur Begründung ergänzend vor, sie sei schon nicht zuständig, denn die
Zuständigkeit richte sich nach den Regelungen im Zeitpunkt der Aufnahme der
Hilfeempfängerin in der Einrichtung, also 1990. Im Übrigen hätte man in der Folgezeit auch
andere Hilfen in Betracht ziehen können, wenn man die Vorgaben der Rechtsprechung der
entscheidenden Kammer gekannt hätte.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beteiligten ( Beiakten
Hefte 1-4) ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage insgesamt zulässig und in Höhe von
26.872,21 Euro nebst Zinsen begründet.
I.)
Der Kläger hat gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Erstattung der von ihm im
Hilfefall der T erbrachten Aufwendungen im o.g. Umfang. Die Voraussetzungen des § 104
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SGB X liegen vor. Nach dieser Vorschrift ist für den Fall, dass ein nachrangig verpflichteter
Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat, ohne dass die Voraussetzungen von § 103
SGB X vorliegen, der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte
vorrangig einen Anspruch hat oder hatte, soweit der Leistungsträger nicht bereits selbst
geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat.
Nachrangig verpflichtet ist ein Leistungsträger, soweit dieser bei rechtzeitiger Erfüllung der
Leistungsverpflichtung eines anderen Leistungsträgers selbst nicht zur Leistung verpflichtet
gewesen wäre.
Diese Voraussetzungen liegen vor, denn die Beklagte hätte gegenüber der
Hilfeempfängerin T eine Leistung gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII erbringen müssen. In
diesem Falle wäre der Kläger gemäß § 10 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII nicht verpflichtet
gewesen, Leistungen nach §§ 39f BSHG zu erbringen.
Die Beklagte wäre für die Erbringung der Leistung des § 19 Abs. 1 SGB VIII gegenüber der
Hilfeempfängerin T zuständig gewesen. Dies ergibt sich aus § 86 b SGB VIII. Gemäß § 86
b Abs. 1 SGB VIII ist der örtliche Träger für Leistungen in gemeinsamer Wohnform für
Mütter oder Väter und Kinder zuständig, in dessen Bereich der nach § 19 SGB VIII
Leistungsberechtigte (hier also die Hilfeempfängerin T) vor Beginn der Leistung seinen
gewöhnlichen Aufenthalt hat. Die Hilfeempfängerin wurde als Schwangere zum 1.
September 1990 in das Mutter-Kind-Heim St. K in X aufgenommen. Bevor sie dorthin
überwechselte wohnte sie zusammen mit ihrer Schwester und deren Familie in N, mithin im
Stadtgebiet der Beklagten. Zu ihrer Schwester war die Hilfeempfängerin gezogen, weil die
Ehe mit ihrem Ehemann und dem Vater ihres Kindes gescheitert war und dieser die
gemeinsame Wohnung in T1 verlassen hatte. Daher war sie am 28. April 1990 von der
Familie der Schwester aufgenommen worden und von T1 nach N umgezogen. Die
Hilfeempfängerin hatte daher ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne des § 30 Abs. 1 und
Abs. 3 Satz 2 SGB I vor Beginn der Leistung - hier nämlich die Hilfe in der Mutter-Kind-
Einrichtung St. K in X - im Geltungsbereich der Beklagten. Dies wird auch von den
Beteiligten nicht ernstlich in Zweifel gezogen.
Die Vorschrift des § 86 b SGB VIII in der aktuell geltenden Fassung ist auch anwendbar.
Die Regelung in § 86 b Abs. 1 Satz 1 SGB VIII, die mit der Fassung des Gesetzes vom 16.
Februar 1993 eingeführt wurde, hat sich dem Wortlaut nach bis zur letzten Fassung vom 8.
Dezember 1998 nicht verändert und ist in dieser Form weiterhin gültig.
Übergangsregelungen, die im Zusammenhang mit den Neuregelungen 1993 ergingen,
sind allesamt ausgelaufen und haben nicht die vorliegend entscheidende Regelung des §
86 b Abs. 1 Satz 1 SGB VIII betroffen.
§ 19 SGB VIII ist auch auf den hier vorliegenden Fall anwendbar, obwohl die
Hilfeempfängerin T zum Personenkreis der §§ 39 f. BSHG als geistig Behinderte zu
rechnen ist. In diesem Falle greift die Regelung des § 19 SGB VIII als speziellere Hilfenorm
für alleinerziehende Mütter/Väter und deren Kinder ein und hat grundsätzlich Vorrang vor
den Eingliederungshilfevorschriften, nach denen der Kläger geleistet hat. Insoweit wird zur
Begründung im Folgenden auf die Entscheidung der 19. Kammer des Verwaltungsgerichts
Düsseldorf, Az.: 19 K 4705/95 verwiesen, der die Kammer auch in der heutigen Besetzung
folgt. Da der Kläger unter Hinweis auf eben dieses Urteil den Anspruch begründet hatte
und das vorliegende Klageverfahren deshalb durchführt, kann der Inhalt der Entscheidung
zwischen den Beteiligten als bekannt unterstellt werden. Das Gericht nimmt daher
vollinhaltlich insoweit darauf Bezug.
Demzufolge waren von der Beklagten für die Hilfeempfängerin T und nicht nur für das
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bereits von der Beklagten betreute Kind T2 die Leistungen nach § 19 Abs. 1 SGB VIII zu
erbringen.
Nach dieser Vorschrift sollen nämlich Mütter oder Väter, die allein für ein Kind unter sechs
Jahren zu sorgen haben, gemeinsam mit dem Kind in einer geeigneten Wohnform betreut
werden, wenn und solange sie auf Grund ihrer Persönlichkeitsentwicklung dieser Form der
Unterstützung bei der Pflege und Erziehung des Kindes bedürfen. Diese Hilfenorm ist auch
anwendbar für den hier geltend gemachten Zeitraum 1. September 1998 bis 19. Juni 1999.
Die Voraussetzungen des § 19 SGB VIII lagen vor, obwohl das Kind T2 in diesem Zeitraum
bereits das sechste Lebensjahr abgeschlossen hatte. Entscheidend kommt es nämlich
nicht darauf an, dass ein Kind bei Beendigung der Hilfe (bereits) nicht mehr sechs, sondern
- wie hier - über sieben, zuletzt sogar über acht Jahre alt gewesen ist; einer Hilfe nach § 19
SGB VIII steht dies im Ergebnis nicht entgegen. Die Kammer geht mit der herrschenden
Meinung in der Literatur davon aus, dass die Hilfe bei Beginn für eine Mutter oder einen
Vater gewährt wird, die allein für ein Kind unter sechs Jahren zu sorgen hat, mithin die
Altersgrenze nicht gleichbedeutend mit dem Ende der Maßnahme zu verstehen ist.
Vgl.: Jans/Happe/Sauerbier, Kommentar, Kinder- und Jugendhilferecht, 3. Auflage, 6/2000,
zu § 19 SGB VIII Rdnr. 13.
Zurecht weisen die Bearbeiter Happe und Sauerbier darauf hin, dass ein fester
Endzeitpunkt einer Leistung präziser gekennzeichnet worden wäre, etwa mit einer
Formulierung ​bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres" o.ä., wenn die Rechtsansicht
der Beklagten der Intention des Gesetzgebers entsprochen hätte. Dies ist aber gerade nicht
geschehen.
Da der Wortlaut ( ​für ein Kind unter 6 Jahren zu sorgen haben") sprachlich nicht eindeutig
regelt, ob die Hilfe mit Vollendung des sechsten Lebensjahres abgeschlossen sein sollte,
muss die Vorschrift gesetzeskonform ausgelegt werden. Eine derartige Auslegung ist an
Sinn und Zweck der Regelungen, der systematischen Stellung und den Zielen des
Gesetzes insgesamt zu orientieren. Diesem Sinn und Zweck widerspräche es, die Hilfe
ungeachtet der sonstigen Rahmenbedingungen exakt mit der Vollendung des sechsten
Lebensjahres des Kindes beenden zu lassen, auch ungeachtet der Tatsache, wann die
Maßnahme begonnen hat. Insbesondere der zeitliche Rahmen der im Übrigen von der
Vorschrift genannt wird, nämlich dass die Hilfe so lange sie auf Grund der
Persönlichkeitsentwicklung des Elternteils erforderlich ist, gewährt werden soll, macht
deutlich, dass der Gesetzgeber eine solche abrupte Beendigung nicht ins Auge gefasst hat.
Sie ist auch im Übrigen mit der Struktur der Hilfe nicht in Einklang zu bringen, sofern die
Leistung über diesen Zeitraum der Vollendung des sechsten Lebensjahres des Kindes
hinaus erforderlich sein sollte, muss diese übergangsweise gewährt werden können. Nicht
zuletzt lässt sich dies auch der Regelung in § 19 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII entnehmen. Auch
hier wird gerade nicht punktgenau auf die Geburt des Kindes Bezug genommen, vielmehr
ist eine schwangere Frau auch schon vor der Geburt des Kindes berechtigt, die betreute
Wohnform in Anspruch zu nehmen. Diese an der Zielsetzung der Vorschrift orientierte
Auslegung verhindert auch, dass der alleinerziehende Elternteil sich von dem Kind unter
Umständen trennen müsste, obwohl die letztlich die Unterbringung auslösenden
Persönlichkeitsdefizite nach wie vor fortbestünden. Demzufolge ist davon auszugehen,
dass keine feste Obergrenze für die Leistungen als Altersgrenze mit der Vollendung von
sechs Jahren eingeführt werden sollte. Diese Auffassung der Kammer wird im
Wesentlichen von der herrschenden Literatur unterstützt,
vgl. so u.a. Jans/Happe/Sauerbier, Kommentar, Kinder- und Jugendhilferecht, 3. Auflage,
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6/2000, zu § 19 SGB VIII Rdnr. 13, (mit ausführlicher und überzeugender Begründung),
ebenso:
Struck in Wiesner/Moersberger/Oberloskamp u.a., Kommentar zum SGB VIII -Kinder- und
Jugendhilfe 2. Auflage, München 2000, zu § 19 SGB VIII Rdnr. 7 (​Dem Sinn und Zweck der
Regelung würde ein Abbruch der Leistung..... nicht gerecht"),
Münder in Frankfurter Kommentar zum SGB VIII: Kinder- und Jugendhilfe, 4. Auflage, Stand
2003, zu § 19 SGB VIII Rdnr. 6,
Fischer in Schellhorn, Kommentar zum SGB VIII, Kinder- und Jugendhilfe, 2. Auflage, 2000
zu § 19 SGB VIII Rdnr. 4, Mrozynksi, Kommentar zum SGB VIII, Kinder- und Jugendhilfe, 4.
Auflage, 2004, zu § 19 SGB VIII Rdnr. 2, Kunkel in LPK - SGB VIII - Lehr- und
Praxiskommentar, 2. Auflage Stand 2003, zu § 19 SGB VIII Rdnr. 2: (​überschreitet das Kind
nach Beginn der Leistung diese Altersgrenze, endet die Hilfe aber nicht. Das Alter des
Kindes ist keine anspruchsauflösende Bedingung. ... hier unter Aufgabe in der Vorauflage
vertretenden Meinung im Anschluss an die überzeugende Begründung bei
Jens/Happe/Sauerbier"),
a.A. Schleicher in Gemeinschaftskommentar zum SGB VIII, Stand November 2003 zu § 19
SGB VIII Rdnr. 9.
Auch die Gegenmeinung vertritt die Auffassung, dass eine Altersbegrenzung dieser Art
nicht unproblematisch ist, denn daraus ergäben sich in einer ganzen Anzahl von Fällen
Versorgungslücken. Gleichwohl könne der herrschenden Ansicht nicht gefolgt werden, da
sich dies nicht hinreichend eindeutig aus der Vorschrift ergebe. Dem ist aus oben
genannten Gründen nicht zu folgen, denn der Wortlaut lässt beide Auslegungen zu.
Im vorliegenden Fall muss auch davon ausgegangen werden, dass die Hilfe für die
Hilfeempfängerin T zusammen mit ihrer Tochter T2 im hier maßgeblichen Zeitraum 1.
September 1998 bis 19. Juni 1999 noch erforderlich war. Die Beteiligten bestreiten die
Notwendigkeit der Hilfe für diesen Zeitraum nicht. Die Akten weisen noch 1997 in
entsprechenden Vermerken Schwierigkeiten der alleinerziehenden Mutter in ihrer
persönlichen Lebenssituation auf. Insbesondere hat auch die Beklagte die Notwendigkeit
der Hilfe zu keiner Zeit in Zweifel gezogen, was sich auch daraus ergibt, dass sie
Leistungen an das Kind unbeanstandet erbracht hat.
Eine andere Einschätzung ergibt sich auch nicht aus dem Vortrag der Beklagten, er hätte
bei Kenntnis der Rechtsprechung der 19. Kammer in besagtem Verfahren zu § 19 SGB VIII
unter Umständen andere Hilfemaßnahmen ergriffen. Zum einen hat die Beklagte diese
Erwägungen auch bei der Hilfe für das Kind ersichtlich nicht angestellt, denn
Entsprechendes ist den Verwaltungsvorgängen an keiner Stelle zu entnehmen. Zum
anderen ist auch aus dem sonstigen Akteninhalt nicht ersichtlich, welche
Alternativmaßnahmen für die Beklagte unter Berücksichtigung der Notwendigkeit, die sich
aus der speziellen Situation der Hilfeempfängerin mit ihrer Tochter ergaben, in Betracht
gezogen worden wären. Im Zusammenhang mit der Hilfegewährung an die Tochter
jedenfalls wären ihr - der Beklagten - entsprechende Erwägungen möglich gewesen.
II.)
Soweit der Kläger von der Beklagten die Erstattung von 9.161,42 Euro begehrt, die als
Kosten für die Unterbringung der Hilfeempfängerin T in einer Behindertenwerkstatt der
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Lebenshilfe e.V. entstanden sind, war die Klage abzuweisen. Der Kläger hat insoweit
keinen Anspruch gegenüber der Beklagten, denn diese Form der Hilfe wird von § 19 SGB
VIII nicht umfasst. Die Hilfe zum Besuch einer Behindertenwerkstatt stellt in aller Regel
keinen Bestandteil einer Hilfe in einer Mutter Kind Einrichtung dar. In dieser Vorschrift wird
als zentrale Hilfe die Unterbringung von Müttern/Vätern und ihren unter sechsjährigen
Kindern in einer geeigneten Wohnform gewährleistet. Darüber hinaus sieht der Abs. 3 der
Regelung vor, dass die Leistung auch den notwendigen Unterhalt der betreuten Person
sowie die Krankenhilfe nach Maßgabe des § 40 umfassen soll. Die Leistung innerhalb der
Behindertenwerkstatt der Lebenshilfe ist also offenkundig weder unter den Abs. 1 noch die
Leistungen des Abs. 3 zu subsummieren. Aber auch § 19 Abs. 2 SGB VIII sieht keine
Anspruchsgrundlage für eine derartige Hilfe vor. Nach dieser Vorschrift soll während der
Zeit der Unterbringung in einer Mutter-Kind-Einrichtung darauf hingewirkt werden, dass die
Mutter oder der Vater eine schulische oder berufliche Ausbildung beginnt oder fortführt oder
eine Berufstätigkeit aufnimmt. Demnach soll die Hilfe in der Wohnform begleitet werden
von einer Motivierung der Hilfeempfänger zur Aufnahme einer Arbeit oder Ausbildung,
einem Gewöhnen an einen geregelten Tagesablauf, ohne dass gleichzeitig die Kosten für
den Besuch einer weiteren Einrichtung - wie etwa der Behindertenwerkstatt - vom Wortlaut
her einbezogen würden. Es ist lediglich von einem ​Daraufhinwirken" die Rede. Im Rahmen
der Gesetzesberatung (Bundestagsdrucksache 11/5948/1989) sind die Worte ​soll darauf
hingewirkt werden" letztlich nicht durch die Worte ​soll ihnen angeboten werden" ersetzt
worden. Dieses ​Hinwirken" umfasst, dass den betreuten Hilfeempfängern Beratung zur
Wiederaufnahme einer weiteren Schulausbildung oder etwa Hilfen bei der Arbeitsförderung
und Erlangung von Fördermitteln zuteil werden. Die Förderung selbst etwa in einer
Einrichtung für Behinderte ist davon ersichtlich nicht erfasst. So ist zwar über die Hilfe nach
§ 19 SGB VIII hinaus auch eine Leistung zur beruflichen Rehabilitation für den Betreuten
vorstellbar, die sich aber nach den Vorschriften der §§ 97 ff. SGB III, 53 ff. SGB XII richten
können.
Vgl. so auch Mrozynski, Peter, Kommentar zum SGB VIII, Kinder- und Jugendhilfe, 4.
Auflage 2004 zu § 19 Rdnr. 9; und
Schleicher in Fieseler/Schleicher, Gemeinschaftskommentar zum SGB VIII - GK - SGB VIII,
Stand November 2003 zu § 19 Rdnr. 7
Schleicher fordert zu Recht qualifizierte Betreuer in Mutter-Kind-Einrichtungen, da diese zu
einer besonderen schul- oder berufsbezogenen Beratung befähigt sein müssten.
Zumindest müssten sie in der Lage sein, Kontakte zu geeigneten Ausbildungs-,
Förderungs- und Arbeitsstellen vermitteln zu können. Die Ausbildung selbst, wie auch die
Eingliederung in die Berufstätigkeit, gehöre dagegen nicht zu den Aufgaben der
Jugendhilfe.
Da insoweit die Leistungen unterschiedliche Zwecke verfolgen, besteht auch keine
Anspruchskonkurrenz zu Jugendhilfeleistungen im Sinne von § 10 SGB VIII.
Der Kläger hat sich zu der Hilfeform in der Behindertenwerkstatt des Lebenshilfevereins
nicht weiter geäußert. Die Kammer geht deshalb davon aus, dass Unterschiede zu einer
Unterbringung in einer Behindertenwerkstatt für den Fall, dass die Hilfeempfängerin diese
aus einer von ihr selbst angemieteten Wohnung heraus oder aus einer Heimbetreuung
anderer Art heraus suchen würde, nicht bestehen. Demzufolge ist auch nicht zu ersehen,
weshalb hier eine andere als die sozialhilferechtliche Hilfeform der Eingliederungshilfe (§§
39, 40 BSHG bzw. §§ 53 ff. SGB XII) eingreifen könnte.
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Von vorne herein auszuschließen ist auch eine Hilfeform nach § 41 SGB VIII. Zum einen
war die Hilfeempfängerin T im hier maßgeblichen Zeitpunkt, also ab 1. September 1998,
über 30 Jahre alt und in aller Regel kommt für geistig behinderte Hilfeempfänger nach § 10
Abs. 2 Satz 2 SGB VIII nur noch eine Maßnahme der Eingliederungshilfe nach dem
Bundessozialhilfegesetz bzw. heute SGB XII in Betracht.
III.)
Der Kläger hat auch einen Anspruch auf Zahlung von Zinsen aus dem Erstattungsbetrag
von 26.872,21 in Höhe von 4 % per anno seit dem 10. September 2002. Der Anspruch
ergibt sich aus einer entsprechenden Anwendung von § 291 BGB, da speziellere
Regelungen nicht ersichtlich sind, die etwa im Rahmen von Erstattungsverfahren
Prozesszinsforderungen ausschließen. Der nach § 288 BGB Abs. 1 Satz 1 BGB (i.d.F. des
Gesetzes zur Beschleunigung fälliger Zahlungen vom 30. März 2000 - BGBl. I S. 330 - ),
gegebene Zinsanspruch ist anwendbar auf alle Forderungen die - wie hier - vom 1. Mai
2000 an fällig werden und rechtfertigt jedenfalls 4 % Zinsen per anno. Hinsichtlich des
Zinsanspruchs im übrigen folgt der Zinsanspruch der Abweisung des Hauptanspruchs.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 155 Abs. 1 VwGO, wonach die Kosten bei einem
teilweisen Obsiegen und teilweisen Unterliegen - wie hier - verhältnismäßig zu teilen sind.
Dem entspricht es, die Kosten für das Obsiegen mit ¾ und für das Unterliegen mit ¼
anzusetzen.
Die Kostenentscheidung im Übrigen beruht auf § 188 Satz 2, 2. Halbsatz VwGO, danach
sind Gerichtskosten, die in Jugendhilfeverfahren nicht erhoben werden, dann anzusetzen,
wenn es sich - wie hier - um einen Erstattungsstreit zwischen Sozialleistungsträgern
handelt. Die Einführung der Kostenpflicht für Erstattungsverfahren wurde für Verfahren
eingeführt, die ab dem 1. Januar 2002 beim Gericht anhängig wurden.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 709,
bzw. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.