Urteil des VG Düsseldorf vom 14.01.2004
VG Düsseldorf: anspruch auf bewilligung, behinderung, eltern, behandlung, form, gesellschaft, zeugnis, ergotherapie, vollstreckung, empfehlung
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 19 K 4567/03
Datum:
14.01.2004
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
19. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
19 K 4567/03
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten
nicht erhoben werden.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von
110 % des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die
Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
1
Die am 0.0.1992 geborene Klägerin begehrt die Bewilligung bisher ungedeckter Kosten
einer heilpädagogischen Maßnahme für die Zeit vom 23. November 2002 bis 30. Juni
2003 als Eingliederungshilfe nach § 35 a SGB VIII.
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Kurz nach der Geburt der Klägerin, die auf dem elterlichen, ca. 2 km vom Ort entfernt
liegenden Bauernhof lebt, wurde ein Herzfehler diagnostiziert, der letztlich wegen einer
lebensbedrohenden Verengung 1996 die Operation erforderte. Die Klägerin war zu
jener Zeit vier Jahre alt.
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Ihr Gesundheitszustand besserte sich, sie kam in den Kindergarten. Dort stellte das
Personal fest, dass der Entwicklungszustand der Klägerin hinter dem gleichaltriger
Kinder zurück lag, sie war insbesondere langsamer. Nach mehreren Untersuchungen
mit unterschiedlicher Einschätzung erhielt die Klägerin im Alter von ca. 5 Jahren bei der
Caritas S - als Frühförderungsstelle beauftragt - eine heilpädagogische Behandlung für
etwa ein Jahr. Die Maßnahme wurde dort aus personellen Gründen abgebrochen. Auf
Empfehlung der Caritas leiteten die Eltern der Klägerin eine Ergotherapie ein, die ihnen
nach einem weiteren Jahr jedoch nicht als ausreichend erschien. Nach Angaben der
Eltern führte der Ergotherapie zwar zu einer Verbesserung der Grob- und Feinmotorik,
aber der seelische Zustand sei nicht verbessert worden. Sie habe darunter gelitten, dass
sie bei Gruppenspielen immer als Letzte gewählt worden sei, sie keiner hätte haben
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wollen. Auch hätten die Kinder im Kindergarten mit der Klägerin wegen ihrer
Langsamkeit nicht oder nur nachrangig spielen wollen. Sie habe, was ihr selbst
aufgefallen sei, auch nicht so gut malen können, wie die anderen Kinder. U.a. hierdurch
sei es bei ihr zu erheblichen Frustrationen gekommen. Ihr Selbstwertgefühl sei erheblich
gestört gewesen.
Schließlich habe sie im ersten Schuljahr der Grundschule - Schuljahr 1999/2000 - so
schlechte Leistungen erbracht, dass die Klassenkonferenz sie - letztlich mit dem
Einverständnis der Eltern - nicht in die nächste Klasse versetzt habe. Wegen der
Feststellungen im Zeugnis vom 28. Juni 2000 wird auf dieses, BA Heft 1, Bl. 15
verwiesen.
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Anlässlich eines Termin bei der Hausärztin habe die Mutter dieser hierüber berichtet.
Diese habe sie dann an den Ehemann, den Heilpädagogen T verwiesen. Herr T habe
eine Therapie davon abhängig gemacht, dass die "Chemie" zwischen ihm und der
Klägerin stimmen müsse, was nach einer zweistündigen Testung sowohl von diesem
als auch von der Klägerin bejaht worden sei.
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Am 11. Juli 2000 beantragte die Klägerin die Gewährung von Eingliederungshilfe im
Form einer heilpädagogischen Kinderbehandlung im Umfang von 100 Stunden in der
heilpädagogischen Praxis T in S. Dem Antrag war ein Bericht des Heilpädagogen T
vom 1. Juli 2000 und ein Untersuchungsbericht der Diplompsychologin I vom 2. Mai
2000 über die Untersuchung der Klägerin am 19. April 2000 beigefügt.
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Frau I kam zur Diagnose:
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"Unterdurchschnittliche IQ-Ausprägung bei gleichzeitig gestörter visueller
Wahrnehmung und deutlichen Konzentrationsschwächen. Gestörtes Selbstkonzept
sowie unangepasstes Sozialverhalten. Drohende seelische Behinderung nach § 35 a
des KJHG.
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Nach ICD 10: Dritte Achse: Niedrige Intelligenz
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F 90.0 Einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung
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F 90.1 Hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens"
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Unter Empfehlung führte Frau I aus:
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W Selbstwertgefühl sollte stabilisiert werden, um die Basis für stabile soziale Bindungen
zu schaffen. Konzentrationsleistungen und visuelle Wahrnehmungsfähigkeit müssen
dringend gefördert werden, da sie Grundvoraussetzungen für schulisches Gelingen
sind.
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Diese Förderung kann eine heilpädagogische Therapie leisten. Empfehlenswert sind
drei Stunden pro Woche für W mit zusätzlicher Elternberatung von zwei Stunden im
Monat beides für zunächst ein Jahr."
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Wegen der weiteren Einzelheiten der Stellungnahme wird auf BA Heft 1, Bl. 9 bis 12
verwiesen.
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Herr T führte unter dem 1. Juli 2000 aus, bei der Klägerin liege ein deutlicher
allgemeiner Entwicklungsrückstand im Bereich der visuellen Aufmerksamkeit, der
Wahrnehmungsgeschwindigkeit und des Wahrnehmungsumfangs vor. Ihr
Sozialverhalten sei durch die Probleme zwangsläufig in Mitleidenschaft gezogen. Ihr
Leistungsverhalten sei geprägt durch Instabilität und durch Konzentrationsschwäche.
Sie leide deutlich an ihrem unsicheren Selbstwerterleben, brauche länger, um das
Lernziel zu erreichen. Sie müsse daher wesentliches Wissen und Erfahrungslücken aus
der Vergangenheit füllen. Sie sei allerdings ein Kind, dass im Aufgabenbereich der
Grundschule und nicht der Sonderschule zu beschulen sei. Er kam zu dem Schluss,
ohne heilpädagogische Behandlung werde die Klägerin eine angemessene
Schulbildung nicht erreichen. Die Heilpädagogische Behandlung sei in einem Umfang
von 100 Stunden erforderlich. Als Kosten einer Behandlungsstunde gab er mit 110,00
DM an.
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In einem Gespräch mit den Eltern, bei dem auch Herr T zugegen war, meldet der
Beklagte Zweifel an, dass eine heilpädagogische Maßnahme angezeigt sei, da bei der
Klägerin offensichtlich die von Frau I diagnostizierten Leistungsschwächen im
Vordergrund stünden. Anlässlich einer Rücksprache mit der Schulleitung teilte der
Rektor mit, dass er derzeit, zu Beginn des neuen Schuljahres, noch keine Veranlassung
sehe, für W sonderpädagogische Maßnahmen anzufragen. Das Kind müsse sich erst in
die neue Klassengemeinschaft einfügen.
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Mit Bescheid vom 25. September 2000 lehnte der Beklagte den Antrag ab und führte
aus, Grund für die Probleme seien offensichtlich die Leistungsschwierigkeiten der
Klägerin im schulischen Bereich. Eine heilpädagogische Behandlung führe wohl nicht
zu einer Steigerung der schulischen Leistungsfähigkeit. Vorrangig sei die
Inanspruchnahme schulischer Fördermöglichkeiten.
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Zur Begründung des hiergegen eingelegten Widerspruchs machte die Klägerin geltend,
sie könne nicht auf schulische Angebote verwiesen werden, da die Schule einen
solchen Bedarf nicht sehe. Im Übrigen seien Schulen mit dem vorliegenden ADS
regelmäßig überfordert. Mit dem Widerspruch legte die Klägerin einen kinder- und
jugendpsychiatrischen Befundbericht der Frau L, Ärztin für Kinder- und
Jugendpsychiatrie vom 27. September 2000 vor. Hierin kam die Ärztin zu dem Ergebnis,
eine gezielte heilpäda-gogische Therapie sei zum Abbau der Teilleistungsstörungen,
der Förderung der Konzentration und der Aufmerksamkeitsspanne, dem Aufbau von
Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen sowie der Stabilisierung der Persönlichkeit
erforderlich. Hierzu erscheine eine heilpädagogische Therapie in einem Umfang von
100 Stunden einschließlich Elterngesprächen erforderlich.
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Als Diagnosen gab die Ärztin an: einfache Aufmerksamkeits- und Aktivitätsstörung F
90.0, emotionale Störung im Kindesalter F 93, Zustand nach Op. eines angeborenen
Herzvitiums und Verdacht auf Neurofibromatose und Noonan Syndrom. Wegen der
Einzelheiten wird auf den Bericht, BA Heft 1, Bl. 44 bis 46 verwiesen.
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Hierauf fand erneut eine Besprechung in der Schule statt, in der die Lehrerin die
Auffassung vertrat, dass W sich gut in die neue Klasse eingelebt habe und Positives
erfahre. Die Notwendigkeit eines sonderpädagogischen Verfahrens sehe sie nicht.
Allerdings sei das Sozialverhalten von W noch zu fördern.
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Ausweislich des Aktenvermerks vom 8. November 2000 - BA Heft 1, Bl. 35 - bekundeten
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die Eltern der Klägerin bei diesem Gespräch, dass W wenig Kontakt zu anderen Kindern
habe, man müsse mittags Kinder anrufen, damit W Spielkameraden habe. W habe
Kontakt zu Herrn und Frau T und frage schon immer, wann sie zu Herrn T gehen dürfe.
Mit Bescheid vom 13. November 2000 bewilligte der Beklagte der Klägerin in Abhilfe auf
den Widerspruch Eingliederungshilfe nach § 35 a SGB VIII und zwar zur Stärkung des
Sozialverhaltens und des Selbstbewusstseins durch Kostenübernahme für 20 Stunden
einschließlich Elternberatung für die Dauer von 3 Monaten, für die Zeit danach bis zum
Ende des 1. Halbjahres des zweiten Schuljahres ( Januar 2002 ) von einer Stunde pro
Woche zzgl. einem Elterngespräch im Monat. Für die Behandlungsstunde von 50
Minuten werde ein Höchstbetrag von 90,00 DM übernommen.
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Mit Schreiben vom 19. Dezember 2000, welches beim Beklagten am 20. Dezember
2000 einging, stellte die Klägerin über ihre Prozessbevollmächtigten einen Neuantrag
mit dem Begehren, die Kosten von wöchentlich zwei Therapiestunden zu übernehmen.
Zur Begründung stützte sie sich auf Schreiben des Herrn T vom 9. Dezember 2000 und
der Frau L vom 7. Dezember 2000. Hiernach hielt Herr T auf Grund der bisher
durchgeführten Therapiestunden eine psychologische Therapie für nicht angezeigt,
allein eine heilpädagogische Therapie sei geeignet, die Probleme der Klägerin zu
beheben. Als Maßnahme schlug er 150 Stunden heilpädagogische Behandlung, ein bis
zwei Kontakte die Woche vor. In der Stundenzahl sei die Elternberatung enthalten. Frau
L führe aus, die Klägerin erhalte seit September 2000 heilpädagogische Therapie, was
ihr viel Freude bereite. Der Umfang solle 2 Stunden pro Woche umfassen, um sinnvoll
heilpädagogisch mit dem Kind arbeiten zu können.
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Am 12. Februar 2001 fand ein weiteres Hilfeplangespräch statt, in dem Herr T weiterhin
die Erforderlichkeit von 2 Therapiestunden pro Woche vertrat. Er habe der Klägerin die
"Sandtherapie" sowie Spieltherapien angeboten. Die Mutter berichtete hierin, dass die
Klägerin die Therapiestunden gerne besuche.
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Mit Bescheid vom 21. Februar 2001 bewilligte der Beklagte der Klägerin über die
Bewilligung vom 13. November 2000 hinaus ein Elterngespräch pro Monat mit 50
Minuten und einer Vergütung von 90,00 DM.
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Unter dem 23. Februar 2001 lehnte der Beklagte die Bewilligung einer weiteren Stunde
heilpädagogischer Therapie ab. Sowohl die Stellungnahme der Frau L als auch das
Hilfeplangespräch rechtfertigten keine andere Beurteilung.
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Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren verfolgt die Klägerin den Anspruch im
Verfahren gleichen Rubrums, 19 K 4042/01 weiter.
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Für die Zeit vom 1. Februar bis 31. Juli 2002 sowie vom 1. August 2002 bis 22.
November 2002 bewilligte der Beklagte der Klägerin jeweils erneut Eingliederungshilfe
in Form heilpädagogischer Therapie mit einer Stunde pro Woche plus ein
Elterngespräch im Monat bei einem Stundensatz von 46,02 Euro.
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Die hiergegen jeweils mit dem Begehren einer Bewilligung von 2 Behandlungsstunden
pro Woche und Übernahme der Kosten in der tatsächlich anfallenden Höhe erhobenen
Widersprüche wies der Beklagte mit Widerspruchbescheiden vom 5. Februar 2003 als
unbegründet zurück und bezog sich zur Begründung auf die Begründung der früheren
Bescheide sowie seine Darlegungen im Verfahren 19 K 4042/01. Auch insoweit verfolgt
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die Klägerin ihr Begehren gerichtlich, und zwar im Verfahren 19 K 1285/03 und 19 K
1286/03 weiter.
Mit Bescheid vom 21. Januar 2003 gewährte der Beklagte der Klägerin
Eingliederungshilfe entsprechend den Modalitäten der vorangegangenen Zeiträume für
die Zeit vom 23. November 2002 bis 28. Februar 2003.
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Die Klägerin legte auch hiergegen Widerspruch ein, und verlangte die Bewilligung einer
weiteren wöchentlichen Therapiestunde sowie die Übernahme der Kosten in der
tatsächlich anfallenden Höhe.
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Nachdem die Klägerin das Schulhalbjahres Zeugnis für die Klasse 3 und eine weiteren
weiteren Befundbericht der Frau L vorgelegt hatte, lehnt der Beklagte die weitere
Übernahme einer heilpädagogischen Therapie ab. Zur Begründung verwies er darauf,
dass nach dem Zeugnis die schulische Entwicklung positiv sei, auch die von Frau L in
ihrem Befundbericht geschilderte positive Verhaltensweise der Klägerin lasse erkennen,
dass die seelische Behinderung behoben sei.
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Die Klägerin legte auch insoweit Widerspruch ein und machte geltend, eine
heilpädagogische Therapie sei weiterhin in dem bisherigen Umfang erforderlich. Auf
Grund der vollständigen Einstellung der Hilfe seien ihre Eltern jedoch nur noch in der
Lage eine Stunde wöchentlich (vor-) zufinanzieren.
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Der Beklagte wies beide Widersprüche mit Bescheiden vom 5. Juni 2003 mit der
Bezugnahme auf die früheren Begründungen als unbegründet zurück.
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Die Klägerin hat am 11. Juli 2003 Klage erhoben und verfolgt die Begehren weiter.
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Zur Begründung nimmt sie Bezug auf den bisherigen Vortrag im gesamten
Verwaltungsverfahren sowie den in den weiteren Klageverfahren 19 K 4042/01, und 19
K 1286/03 und 19 K 1285/03.
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Die Klägerin beantragt,
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1. den Bescheid des Beklagten vom 21.01.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
des Beklagten vom 05.06.2003 insoweit aufzuheben, als die in diesem Bescheid
gewährte Hilfe hinsichtlich ihrer Intensität hinter den beantragten zwei
Behandlungsstunden pro Woche und einem Elterngespräch pro Monat zurückbleibt und
die Kosten der heilpädagogischen Behandlung nicht im Umfang der tatsächlich
entstehenden Kosten in Höhe von Euro 64,96 übernommen werden.
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2.
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3. den Beklagten zu verpflichten, ihr Eingliederungshilfe in Form der heilpädagogischen
Maßnahme in der heilpädagogischen Praxis T im Zeitraum vom 28. 11.2002 bis 28.02.
2003 im Umfang von einer weiteren Behandlungsstunde pro Woche zu gewähren und
die Kosten der Hilfe in Höhe von Euro 64,96 für jede Behandlungseinheit zu
übernehmen.
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4.
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5. den Bescheid des Beklagten vom 17.02.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
des Beklagten vom 05.06.2003 aufzuheben.
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6.
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7. den Beklagten zu verpflichten, ihr im Zeitraum vom 01.03.2003 bis 30.06.2003
Eingliederungshilfe in Form einer heilpädagogischen Maßnahme im Umfang von einer
Behandlungsstunde wöchentlich in der heilpädagogischen Praxis T zu gewähren und
die dort entstehenden Kosten in Höhe von Euro 64,96 pro Behandlungs- bzw.
Gesprächseinheit zu übernehmen.
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8.
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9. die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.
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10.
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Der Beklagte beantragt,
50
die Klage abzuweisen.
51
Er ist weiterhin der Auffassung, eine weiter gehende heilpädagogische Maßnahme sei
nicht erforderlich gewesen und verweist ebenfalls auf seinen Vortrag im Klageverfahren
19 K 4042/01.
52
Das Gericht hat Beweis erhoben gemäß dem Beweisbeschluss der Kammer vom 14.
Januar 2004, auf den verwiesen wird, durch Vernehmung der Frau L und des Herrn T
als sachverständige Zeugen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die
Sitzungsniederschrift vom 14. Januar 2004 verwiesen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakten im vorliegenden sowie in den Verfahren 19 K 4042/01, 19 K 1285/03 und
19 K 1286/03 und den der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten
verwiesen.
54
Entscheidungsgründe:
55
Die Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf
Bewilligung einer weiteren Kostenübernahme für eine heilpädagogische Therapie im
Zeitraum vom 23. November 2002 bis 30. Juni 2003, die angefochtenen Bescheide
verletzen die Klägerin daher nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 VwGO.
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Die Voraussetzungen der allein als Anspruchsgrundlage für eine Bewilligung für den
neuen Bewilligungszeitraum in Betracht kommenden Vorschrift des § 35 a Abs. 1 SGB
VIII in der Fassung vom 19. Juni 2001 - vgl. Art. 8 und 67 des Sozialgesetzbuchs -
Neuntes Buch - ( SGB IX ) - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen vom 19.
Juni 2001, BGBl. 2001, S. 1046 ff.- sind nicht erfüllt.
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Nach dieser Vorschrift haben Kinder und Jugendliche Anspruch auf Eingliederungshilfe,
wenn ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate
von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher ihre Teilhabe am
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Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu
erwarten ist.
Die Voraussetzungen haben sich trotz des - gegenüber der bis zum 30. Juni 2001
geltenden Fassung der Vorschrift - geänderten Wortlautes inhaltlich nicht geändert.
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Die "seelische Behinderung" ist in Fällen der vorliegenden Art weiter in drei Schritten
festzustellen:
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Zunächst muss eine Teilleistungsstörung (z.B. Dyslexie / Legasthenie, Dyskalkulie oder
Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom) vorliegen. Diese Teilleistungsstörung muss
Hauptursache für eine "seelische Störung" (Neurose oder sonstige seelische Störung)
sein, die ihrerseits zu Beeinträchtigungen bei der "Eingliederung in die Gesellschaft"
(Störungen des Sozialverhaltens mit dem Ergebnis einer dissozialen Entwicklung, einer
sog. "sekundären Neurotisierung") führt,
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vgl. Vondung in Lehr- und Praxiskommentar zum SGB VIII (LPK-SGB VIII), 2. Auflage
2003, § 35a Rdnr. 6 u. 7; so auch zur früheren Rechtslage: BVerwG, Urteil vom 26.
November 1998 - 5 C 38.97 - , FEVS 49, 487; Urteil vom 19. Juni 1984 - 5 C 125.83 -,
FEVS 33, 457; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 24. April 1996 - 6 S 827/95 - ,
FEVS 47, 309.
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Soweit es um das "Drohen" einer seelischen Behinderung geht, muss die
Teilleistungsstörung selbst zweifelsfrei festgestellt werden. Ist infolge der
Teilleistungsstörung eine "seelische Störung" entstanden, bedarf es einer Prognose,
dass deshalb mit einem hohen Wahrscheinlichkeitsgrad Beeinträchtigungen bei der
"Eingliederung in die Gesellschaft" eintreten werden. Diese Anforderungen ergeben
sich aus § 5 EingliederungshilfeVO, der wegen der Verweisung in § 35a Abs. 3 SGB VIII
Anwendung findet.
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vgl. Vondung in LPK-SGB VIII, 2. Aufl. 2003, § 35a, Rdnr. 8
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Die begehrte Maßnahme muss erforderlich und geeignet sein, um der drohenden
Behinderung entgegenzuwirken. § 35a Abs. 3 SGB VIII verweist insoweit zunächst auf §
39 Abs. 3 und § 40 BSHG.
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Nach der erstgenannten Bestimmung ist es Aufgabe der Eingliederungshilfe, (1.) eine
drohende Behinderung zu verhüten oder eine vorhandene Behinderung oder deren
Folgen zu beseitigen oder zu mildern und (2.) den Behinderten in die Gesellschaft
einzugliedern.
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Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Entscheidungsgründe des Urteils
vom heutigen Tage im Verfahren gleichen Rubrums, 19 K 4042/01, verwiesen, die auch
für den hier streitigen Zeitraum uneingeschränkt gelten.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO. Die Entscheidung
zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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