Urteil des VG Düsseldorf vom 22.01.2004

VG Düsseldorf: anspruch auf bewilligung, eltern, vollstreckung, zuwendung, alter, ausnahme, vollstreckbarkeit, erwachsener, beschränkung, absicht

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 21 K 5823/03
Datum:
22.01.2004
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
21. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
21 K 5823/03
Tenor:
Der Beklagte wird unter entsprechender teilweiser Aufhebung seines
Bescheides vom 23. Juli 2003 sowie unter entsprechender teilweiser
Aufhebung des Widerspruchsbescheides der Landrätin des Kreises X
vom 12. August 2003 verpflichtet, dem Kläger für die Zeit vom 1. Juli
2003 bis zum 30. Juni 2004 weitere Grundsicherungsleistungen in Höhe
von 154,- Euro monatlich zu bewilligen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten
nicht erhoben werden.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte
darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des
beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der
Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
1
Der am 00.0.0000 geborene Kläger ist zu 100% schwerbehindert und erwerbsunfähig.
Er geht einer Beschäftigung in einer Behindertenwerkstatt nach und erhielt dort im Juli
2003 ein monatliches Entgelt in Höhe von 243,42 Euro. Er bezieht außerdem ein
Arbeitsförderungsgeld sowie Leistungen der Pflegekasse. Der Kläger lebt mit seinen
Eltern in Haushaltsgemeinschaft. Sein Vater bezieht für ihn Kindergeld in Höhe von
154,- Euro monatlich.
2
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 23. Juli 2003 bewilligte der Beklagte dem Kläger
für die Zeit vom 1. Juli 2003 bis zum 30. Juni 2004 Leistungen nach dem Gesetz über
eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung
(Grundsicherungsleistungen) in Höhe von 82,39 Euro monatlich. Der Beklagte rechnete
dabei das Kindergeld sowie das Arbeitsförderungsgeld als Einkommen des Klägers an.
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Seinen Widerspruch gegen diese Berechnung seines Anspruches begründete der
Kläger damit, das Kindergeld stehe seinem Vater zu und könne deshalb nicht ihm als
Einkommen angerechnet werden. Das Arbeitsförderungsgeld habe ebenfalls
anrechnungsfrei zu bleiben.
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Den Widerspruch wies die Landrätin des Kreises X mit Bescheid vom 12. August 2003
als unbegründet zurück.
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Dagegen hat der Kläger am 30. August 2003 Klage erhoben und zunächst beantragt,
den Beklagten zur Bewilligung von Grundsicherungsleistungen ohne die Anrechnung
des Kindergeldes sowie des Arbeitsförderungsgeldes zu verpflichten. Mit Schriftsatz
vom 12. Januar 2004 hat der Kläger die Klage in Bezug auf das Arbeitsförderungsgeld
zurückgenommen. Der Einzelrichter hat das Verfahren insoweit abgetrennt. Es wird
unter dem Aktenzeichen 21 K 331/04 fortgeführt.
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Die auf die Bewilligung von weiteren 154,- Euro monatlich beschränkte Klage begründet
der Kläger damit, das Kindergeld sei Einkommen des Kindergeldberechtigten und
könne deshalb seinen Anspruch auf Grundsicherungsleistungen nicht mindern.
7
Der Kläger hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt,
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den Beklagten unter entsprechender teilweiser Aufhebung seines Bescheides vom 23.
Juli 2003 sowie unter entsprechender teilweiser Aufhebung des
Widerspruchsbescheides der Landrätin des Kreises X vom 12. August 2003 zu
verpflichten, ihm weitere Grundsicherungsleistungen in Höhe von 154,- Euro monatlich
für die Zeit vom 1. Juli 2003 bis zum 30. Juni 2004 zu bewilligen.
9
Der Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er trägt zur Begründung vor, das Kindergeld sei dem Kläger als Einkommen
anzurechnen, weil erwartet werden könne, dass der kindergeldberechtigte Vater,
dessen Lebensunterhalt durch sein Einkommen gesichert sei, das Kindergeld an seinen
Sohn weiter leite. Im Übrigen bringe der Gesetzgeber durch eine beabsichtigte
Änderung des Bundessozialhilfegesetzes zum Ausdruck, dass Kindergeld
sozialhilferechtlich als Einkommen des Kindes zu gelten habe.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend Bezug
genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen
Verwaltungsvorgänge des Beklagten und der Landrätin des Kreises X.
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Entscheidungsgründe:
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Das Gericht kann nach § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden,
weil die Parteien insoweit eine Verzichtserklärung abgegeben haben.
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Die Klage ist zulässig und begründet.
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Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 23. Juli 2003 ist insoweit rechtswidrig
und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 5, 1 VwGO, als diesem über den
ihm bewilligten Betrag in Höhe von 82,39 Euro hinaus weitere
Grundsicherungsleistungen in Höhe von 154,- Euro monatlich für die Zeit vom 1. Juli
2003 bis zum 30. Juni 2004 zustehen.
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Der geltend gemachte Anspruch ist nach §§ 2, 3 des Gesetzes über eine
bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (GSiG)
begründet. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass der Kläger die allgemeinen
Bewilligungsvoraussetzungen erfüllt. Streitig ist allein die Anrechnung des Kindergeldes
in Höhe von 154,- Euro monatlich. Der Beklagte ist zu Unrecht davon ausgegangen,
dass das dem Vater des Klägers zustehende Kindergeld Einkommen des Klägers ist
und seinen Anspruch auf Grundsicherungsleistungen mindert. Der Kläger hat daher
einen Anspruch auf Bewilligung weiterer 154,- Euro monatlich.
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§ 3 Abs. 2 GSiG verweist wegen des Einsatzes von Einkommen und Vermögen auf die
Vorschriften der §§ 76 bis 88 des Bundessozialhilfegesetzes. Diese Vorschriften gehen
von dem Grundsatz aus, dass Einkommenswerte derjenigen Person zuzurechnen sind,
der sie zufließen. Dies gilt auch für das Kindergeld:
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In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist geklärt, dass das Kindergeld
sozialhilferechtlich als Einkommen des Kindergeldberechtigten anzusehen ist,
20
vgl. Urteil der Kammer vom 14. Juni 2002 - 21 K 7292/00 -; Bundesverwaltungsgericht,
Urteil vom 7. Februar 1980 - 5 C 73.79 -, FEVS 28, Seite 177 ff. ; OVG Münster, Urteil
vom 29. Mai 2001 - 16 A 455/01 -; OVG Lüneburg, Beschluss vom 21. September 1999 -
4 M 3318/99 -, FEVS 51, Seite 376 ff.; OVG Berlin, Urteil vom 27. Juli 1995 - 6 S 120.95
-, FEVS 46, Seite 245 ff..
21
Durch die Neuregelung des Kindergeldrechtes ab dem 1. Januar 1996 durch das
Jahressteuergesetz 1996 (BGBl. I 1995, Seite 1250), bzw. das Jahressteuer-
Ergänzungsgesetz 1996 (BGBl. I 1995, Seite 1959) hat sich an dieser
Betrachtungsweise nichts geändert,
22
vgl. OVG Münster, Urteil vom 29. Mai 2001 - 16 A 455/01 -; OVG Hamburg, Urteil vom
23. April 1999 - Bf IV 3/97 -, FEVS 51, Seite 263 ff.
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Ausnahmsweise ist das Kindergeld als Einkommen des Kindes zu werten, wenn der
Kindergeldberechtigte das Kindergeld durch einen gesonderten Zuwendungsakt
zweckorientiert an seine Kinder weitergibt. Die konkrete Feststellung einer solchen
Zuwendung lässt sich durch eine Vermutung der Vorteilszuwendung nicht ersetzen,
24
vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 7. Februar 1980 - 5 C 73.79 -, a.a.O..
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Insbesondere reicht es für die Annahme einer zweckorientierten Zuwendung des
Kindergeldes an die Kinder nicht aus, wenn das Kindergeld wie anderes Einkommen
der Einstandsgemeinschaft in eine gemeinsame Haushaltskasse fließt, aus der in erster
Linie die für den Lebensunterhalt aller Familienangehörigen erforderlichen
Aufwendungen bestritten werden; eine Wirtschaftsweise, die in einer
Familiengemeinschaft häufig, wenn nicht sogar regelmäßig anzutreffen sein wird. Bei
einer solchen durch das Gesetz nicht verbotenen und auch mit dem Zweck des
Kindergeldes zu vereinbarenden Wirtschaftsweise lässt sich nicht mit der für die
Feststellung von anrechenbarem Einkommen erforderlichen Bestimmtheit sagen, dass
der notwendige Lebensbedarf des Kindes gerade mittels des zweckorientierten und mit
Rücksicht auf das Kind gewährten Kindergeldes befriedigt wird,
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vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 7. Februar 1980 - 5 C 73.79 -, a.a.O.; OVG
27
Münster, Urteil vom 29. Mai 2001 - 16 A 455/01 -.
Das dem Vater des Klägers als Kindergeldberechtigtem gezahlte Kindergeld ist
demnach Einkommen des Vaters und nicht des Klägers. Von einer Weiterleitung des
Kindergeldes vom Vater an den Sohn, wie sie der Beklagte annimmt, kann ohne
weiteres nicht ausgegangen werden. Anhaltspunkte für einen zweckorientierten
gesonderten Zuwendungsakt des Vaters an den Kläger hat der Beklagte nicht benannt.
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Eine Anrechnung des Kindergeldes als Einkommen des Klägers ist auch nicht aus dem
Gedanken zu folgern, dass der Lebensunterhalt des Vaters des Klägers durch dessen
Einkommen gedeckt ist und er das Kindergeld mithin nicht für sich selbst benötigt. Eine
solche Betrachtung liefe den besonderen Regelungen des Grundsicherungsgesetzes
zuwider. Einen Verweis auf die Vorschrift des § 16 BSHG, wonach vermutet wird, dass
ein erwachsener Hilfebedürftiger, der mit seinen Eltern in einer Haushaltsgemeinschaft
lebt, von diesen Leistungen zum Lebensunterhalt erhält, kennt das GSiG nicht. Es
beschränkt außerdem die Anrechnung von Unterhaltsansprüchen Hilfebedürftiger
gegenüber ihren Eltern in § 2 Abs. 1 Satz 3 GSiG auf solche Fälle, in denen das
Gesamteinkommen der Eltern jenseits von 100.000,- Euro jährlich liegt. Diese
Beschränkung würde unterlaufen, wollte man mit dem Beklagten annehmen, es müsse
von einer Weiterleitung des Kindergeldes ausgegangen werden, sofern der
Lebensunterhalt des kindergeldberechtigten Elternteils auf andere Weise gedeckt ist.
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Die von dem Gesetzgeber in den Blick genommene Änderung der
Einkommensvorschriften des Bundessozialhilfegesetzes durch ein neu zu schaffendes
Sozialgesetzbuch XII, die darauf hinausläuft, das Kindergeld zukünftig den Kindern als
Einkommen anzurechnen, wenn diese minderjährig sind, ändert an der
Betrachtungsweise im vorliegenden Verfahren nichts. Der Kläger ist nicht minderjährig.
Die Absicht des Gesetzgebers zu einer Neuregelung der Kindergeldanrechnung zeigt
außerdem, dass die derzeitige Gesetzesfassung eine Anrechnung des Kindergeldes
beim Kind nicht rechtfertigt. Die Anrechnung beim Kind stellt eine Ausnahme von dem
Grundsatz dar, wonach Einkommenswerte demjenigen zuzurechnen sind, dem sie
zufließen. Sie bedarf einer ausdrücklichen Regelung im Gesetz, an der es derzeit noch
fehlt.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO, die Entscheidung
über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711
ZPO.
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