Urteil des VG Düsseldorf vom 16.06.2008

VG Düsseldorf: clausula rebus sic stantibus, einmalige abfindung, kündigung, stadt, entwässerung, adäquate gegenleistung, anpassung, satzung, auflage, vertragsschluss

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 5 K 2746/08
Datum:
16.06.2008
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
5
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 K 2746/08
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die
Vollstreckung durch Leistung einer Sicherheit oder Hinterlegung in Höhe
von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages
abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in
Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand:
1
Der Kläger ist Straßenbaulastträger der Landesstraßen "L 1" und "L 2". Am 22.März/27.
August 1961 schlossen der Funktionsvorgänger des Klägers und der
Funktionsvorgänger des Beklagten den "Kanalvertrag Nr. 108". Dieser betraf die "L 1"
im Abschnitt Kilometer 0,539 bis Kilometer 0,671.
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In dem Vertrag erteilte der Funktionsvorgänger des Klägers dem Funktionsvorgänger
des Beklagten die widerrufliche Erlaubnis, in der Landesstraßenfläche einen Kanal zu
bauen und zu betreiben (§ 1). Im Gegenzug verpflichtete sich der Funktionsvorgänger
des Beklagten, die Abwässer der Straße dauernd und unentgeltlich in den Kanal
aufzunehmen (§ 11 – im Folgenden "Unentgeltlichkeitsvereinbarung").
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Der räumliche Vertragsgegenstand wurde in den Jahren 1970 und 1972 erweitert, so
dass er auch die Flächen der "L 2" im Stadtgebiet E von der Mer Straße bis zur Oer
Straße (Stadtgrenze) erfasst.
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Mit Schreiben vom 24. Januar 2005 bat der Beklagte den Kläger unter Hinweis auf eine
veränderte gebührenrechtliche Situation seit dem Jahre 1976 um eine Anpassung der
Regelung in dem Vertrag über die "Unentgeltlichkeit" der Entwässerungsleistung der
Stadt. Er versah sein Gesprächsangebot mit der Erwartung, dass die entsprechende
Regelung in § 11 des Vertrages gestrichen werde, damit er der Inanspruchnahme
entsprechende Entwässerungsgebühren erheben könne. Die sich anschließenden
Gespräche und Verhandlungen blieben ohne Ergebnis. Ausweislich eines Vermerks
des Beklagten über ein Gespräch zwischen Mitarbeitern des Klägers und des
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städtischen Entwässerungsbetriebes vom 6. Juli 2005 bot der Kläger lediglich eine
Vereinbarung an, nach der sich das Entgelt für die Entwässerungsleistung künftig aus
drei Komponenten zusammensetzen sollte, nämlich einer Beteiligung an den
Herstellungskosten der in den Landesstraßen befindlichen und von dort aus genutzten
Kanäle, einer Grunderneuerungsbeteiligung für die Kanäle und Sonderbauwerke, die
durch das von den Straßenflächen des Klägers abgeleitete Niederschlags(ab-)wasser in
Anspruch genommen werden, und einer Nachrüstungsklausel für Kosten, die aufgrund
der Anpassung der zur Entwässerung der Straßen des Klägers benutzten Kanäle an
verschärfte Auflagen entstehen. Diesem Angebot trat der Beklagte mit dem Hinweis
entgegen, dass die Entwässerung in der Regel über das Entwässerungsnetz und ggf.
gar über die Kläranlage erfolge und der Kläger sich an den Kosten dieser
Einrichtungsteile nach diesem vorgeschlagenen Modell nicht beteilige.
Mit Schreiben vom 27. September 2006 kündigte der Beklagte den "Kanalvertrag Nr.
108" zum 1. Januar 2007. Zur Begründung führte er sinngemäß Folgendes aus. Zur Zeit
des Abschlusses des Kanalvertrages habe das Gebührenrecht noch keine Gebühr für
die Entsorgung des Niederschlags(ab-)wassers vorgesehen. Daher bestünden keine
Zweifel an der Wirksamkeit des Vertrages. Mit Beginn des Jahres 1976 hätten sich die
gebührenrechtlichen Voraussetzungen geändert; damals habe die Stadt E erstmals eine
Niederschlagswassergebühr eingeführt. Dadurch sei es zu einer wesentlichen
Änderung der Verhältnisse gekommen, die den Beklagten nach § 60 VwVfG berechtige,
eine Vertragsanpassung zu verlangen oder den Vertrag zu kündigen. Eine
Vertragsanpassung komme hier nicht in Betracht, da die Veranlagung der
Straßenflächen zu Niederschlagswassergebühren nicht durch Vertrag, sondern durch
Satzungsrecht geregelt werde. Ein Gebührenverzicht, insbesondere wenn er zu Lasten
der übrigen Gebührenschuldner ginge, die die Entwässerungseinrichtung finanzieren
müssten, sei nicht zulässig. Ein Gebührenverzicht komme ausnahmsweise nur dann in
Betracht, wenn zum Ausgleich eine konkrete und adäquate Gegenleistung erbracht
werde, die dem Gebührenhaushalt zugute komme. Hier erbringe der Kläger zwar eine -
der Entwässerung zugute kommende - Gegenleistung für die städtische
Entwässerungsleistung, indem er die Nutzung des Untergrundes seines
Straßengrundstückes zum Bau und Betrieb einer Kanalleitung gestatte. Eine
Gegenüberstellung der gegenseitigen Leistungen zeige aber deren bestehendes
Ungleichgewicht zulasten des Beklagten. Die Gestattungsleistung des Klägers sei im
Jahre 2006 zu bewerten mit einem einmaligen Abfindungsbetrag in Höhe von 106.342,-
Euro (= 15.640 qm durch die Kanalnutzung belastete Grundstücksflächen x 6,80
Euro/qm als einmalige Abfindung – dabei ging der Beklagte ausweislich seiner
Verwaltungsvorgänge von einem Wert des Straßenlandes aus, der sich aus 20 % des
Grundstückswertes für Bauerwartungsland ergibt); umgerechnet auf eine jährliche
Abfindung zu 5 % sei das Gestattungsrecht ca. 5.300,- Euro jährlich wert. Der Wert der
Entwässerungsleistung der Stadt habe im Jahre 2006 bei ca. (38.525 qm entwässerter
Straßenfläche x 0,96 Euro/qm/a Niederschlagswassergebühr =) 36.984,- Euro gelegen.
Da bei einer jahresbezogenen Betrachtung die Leistung der Stadt inzwischen um fast
das siebenfache über der des Klägers liege, könne von einer adäquaten Gegenleistung
der Klägerseite keine Rede mehr sein.
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Mit Schreiben vom 27. Oktober 2006 und 15. Januar 2007 widersprach der Kläger der
Kündigung mit der Begründung, der Vertrag sehe kein Kündigungsrecht vor. Mit
Schreiben vom 15. November 2006 und 2. Mai 2007 erklärte der Beklagte, dass er an
der Kündigung festhalte. Im März 2008 hörte der Beklagte den Kläger wegen des von
ihm beabsichtigten Erlasses eines Entwässerungsgebührenbescheides, der sich auf die
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streitgegenständlichen Straßenflächen bezieht, an.
Am 10. April 2008 hat der Kläger Klage mit dem Begehren erhoben festzustellen, dass
die Kündigung des Vertrages unwirksam sei. Zur Begründung hat er vorgetragen, die
Klage sei zulässig. Er habe an der Feststellung der Wirksamkeit des Vertrages ein
berechtigtes Interesse, da vergleichbare Vereinbarungen auch mit anderen Gemeinden
getroffen worden seien und das Vorgehen des Beklagten dort Vorbildwirkung haben
könne. Außerdem beabsichtige der Beklagte auch für zumindest einen weiteren
Straßenabschnitt einen vergleichbaren Vertrag zu kündigen. Die Klage sei auch
begründet, denn die Kündigung sei rechtswidrig. Die Vereinbarung über die
"Unentgeltlichkeit" der Entwässerungsleistung des Beklagten habe nach dem Vertrag
auf Dauer gültig sein sollen. Dem Beklagten sei im Gegenzug für die
Entwässerungsleistung die dauerhafte Nutzung zu Bau und Betrieb des Kanals in den
betroffenen Grundstücksflächen gestattet worden. Eine Kündigungsmöglichkeit sei nicht
vorgesehen. Das Risiko veränderter Umstände habe der Beklagte zu tragen. Das gelte
insbesondere für verschärfte Anforderungen der Gesetzgebung an die
Niederschlags(ab-)wasserbeseitigung, die der Beklagte als
Abwasserbeseitigungspflichtiger zu erfüllen habe. Es könne nicht davon ausgegangen
werden, dass die Beteiligten den Vertrag bei Kenntnis wesentlich geänderter Umstände
nicht mit demselben Inhalt geschlossen hätten. Zudem sei zu berücksichtigen, dass der
Beklagte die veränderten Umstände durch eigenes Handeln geschaffen habe.
Abgesehen davon bestünde auch kein Anlass für eine Kündigung des Vertrages aus
wichtigem Grund. Dem Beklagten wäre eine Vertragsanpassung zumutbar. Die
Voraussetzungen des § 60 VwVfG für eine Kündigung lägen daher nicht vor.
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Der Kläger beantragt sinngemäß,
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festzustellen, dass das durch den Kanalvertrag Nr. 108 begründete
Rechtsverhältnis und insbesondere die Entgeltvereinbarung in § 11 des Vertrages
fortgilt und nicht durch die Kündigung seitens des Beklagten wirksam beendet ist.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er tritt der Klagebegründung unter Bezugnahme auf sein Kündigungsschreiben
entgegen.
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Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte
sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Der Einzelrichter, dem die Kammer das Verfahren nach § 6
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zur Entscheidung übertragen hat, konnte gemäß §
101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten sich
hiermit einverstanden erklärt haben.
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Die Klage hat keinen Erfolg.
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Es kann offen bleiben, ob die Klage nicht bereits mangels Rechtsschutzbedürfnisses
unzulässig ist, weil der streitgegenständliche Vertrag wegen Gesetzesverstoßes nichtig
und unwirksam ist und daher keiner Kündigung bedürfte. Das wäre der Fall, wenn der
Vertrag mit seiner "Unentgeltlichkeitsregelung" für die Entwässerungsleistung in § 11
bereits bei Vertragsschluss einen dauerhaften Verzicht auf Entwässerungsgebühren
beinhaltetet hätte und die strengen Anforderungen an die Zulässigkeit eines solchen
Gebührenverzichtes seinerzeit nicht erfüllt gewesen wären.
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Selbst wenn zugunsten des Klägers davon ausgegangen wird, dass der Vertrag
wirksam geschlossen worden ist, hat die Klage keinen Erfolg. Sie ist dann zwar
zulässig, aber unbegründet.
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Die Klage ist - unter den oben genannten Voraussetzungen - als Feststellungsklage
nach § 43 Abs. 1 VwGO zulässig. Sie ist bei sachgerechter Auslegung des
Klagebegehrens auf die Feststellung der Fortgeltung des streitgegenständlichen
Kanalvertrages und insbesondere der Entgeltvereinbarung in § 11 des Vertrages
gerichtet. Da der Vertrag die Sondernutzung des öffentlichen Straßengrundstückes und
deren Entwässerung durch die öffentliche Entwässerungseinrichtung regelt, handelt es
sich um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag, so dass die Klage der Klärung des
Bestehens eines bestimmten (öffentlich-rechtlichen) Rechtsverhältnisses zwischen den
Beteiligten im Sinne des § 43 VwGO dient, wobei es dem Kläger hier insbesondere um
den Bestand seines an den Vertrag anknüpfenden Rechtes auf "unentgeltliche"
Beseitigung des auf der vertragsgegenständlichen Straßenfläche anfallenden
Niederschlags(ab-)wassers durch den Beklagten geht.
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Der Kläger hat auch ein berechtigtes (rechtliches) Interesse an der begehrten (baldigen)
Feststellung, weil der Beklagte mit der Kündigung den Bestand des Vertrages und damit
das bisherige Recht des Klägers auf "unentgeltliche" Abwasserbeseitigung durch den
Beklagten für die Zeit ab Kündigung in Frage gestellt hat.
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Der Zulässigkeit der Feststellungsklage steht hier nicht entgegen, dass nach § 43 Abs. 2
VwGO die Feststellung nicht begehrt werden kann, soweit der Kläger seine Rechte
durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann. Zwar könnte sich der Kläger
gegenüber der nach der Kündigung des Vertrages drohenden jährlichen Heranziehung
zu Niederschlagswassergebühren durch klageweise Anfechtung der
Abgabenbescheide (= Gestaltungsklage) wehren. Über diese Rechtsschutzmöglichkeit
geht in vorliegender Fallgestaltung aber der durch eine Feststellungsklage gebotene
Rechtsschutz in Reichweite und Effektivität hinaus, weil die Feststellung zur Klärung der
Gesamtsituation für die Zukunft führt und der Kläger sich bei einem Obsiegen wegen der
vom Beklagten dann zu beachtenden Fortgeltung des Vertrages nicht jedes Jahr erneut
gegen seine Veranlagung wehren müsste.
22
Die Klage ist aber unbegründet.
23
Der Beklagte hat den zwischen den Beteiligten geschlossenen öffentlich-rechtlichen
Vertrag wirksam gekündigt und damit insbesondere die "Unentgeltlichkeitsregelung" zu
Fall gebracht. Grundlage des Kündigungsrechtes ist § 60 VwVfG NRW, der bzgl. des
abgabenrechtlichen Teiles des Vertrages (nur – vgl. insoweit § 1 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG
NRW) entsprechend anwendbar ist, weil er den für Dauerschuldverhältnisse allgemein
geltenden Rechtsgedanken zum Ausdruck bringt, dass die sich aus einer
vorbehaltlosen und unbeschränkten Vereinbarung ergebenden Rechte und Pflichten
24
unter dem Vorbehalt gleichbleibender Verhältnisse stehen (clausula rebus sic
stantibus).
Vgl. Bonk in Stelkens u.a., Kommentar zum VwVfG, 7. Auflage, 2008, zu § 60, Rdnr. 1.
25
Haben Verhältnisse, die für die Festsetzung des Vertragsinhaltes maßgebend gewesen
sind, sich seit Abschluss des Vertrages so wesentlich geändert, dass einer
Vertragspartei das Festhalten an der ursprünglichen vertraglichen Regelung nicht
zuzumuten ist, so kann nach § 60 Abs. 1 Satz 1 VwVfG (entsprechend) diese
Vertragspartei eine Anpassung des Vertragsinhaltes an die geänderten Verhältnisse
verlangen oder, sofern die Anpassung nicht möglich oder einer Vertragspartei nicht
zumutbar ist, den Vertrag kündigen.
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Diese Kündigungsvoraussetzungen sind hier gegeben.
27
Unter den für die Festsetzung des Vertragsinhaltes maßgebenden Verhältnissen sind
die grundlegenden Umstände zu verstehen, die von den Vertragsparteien zur
gemeinsamen (subjektiven) Geschäftsgrundlage des Vertrages gemacht worden sind.
Dazu gehören sowohl bei Vertragsschluss vorhandene und zu Tage getretene
gemeinsame Vorstellungen als auch die dem einen Vertragspartner erkennbare
Vorstellungen des anderen Vertragspartners, auf denen der Geschäftswille aufbaut.
28
Vgl. Bonk in Stelkens u.a., Kommentar zum VwVfG, 7. Auflage, 2008, zu § 60, Rdnr. 10.
29
Die für den Vertragsinhalt hier maßgebenden Verhältnisse haben sich seit Abschluss
des Vertrages im Jahre 1961 und seiner Erweiterung in den Jahren 1970 und 1972
wesentlich geändert. Denn die Vertragspartner hatten seinerzeit offenbar die
gemeinsame Vorstellung, dass für die dem Funktionsvorgänger des Klägers erbrachte
Entwässerungsleistung keine Gebührenpflicht bestehe und der Vertrag im
gebührenfreien Raum geschlossen werde; diese gemeinsame Grundlage, auf der
insbesondere die "Entgeltvereinbarung" im Vertrag beruht, hat sich nachträglich
gewandelt. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen.
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Bei Vertragsschluss erhob die Stadt E zur Finanzierung ihrer Entwässerungseinrichtung
für die Leistung der Niederschlags(ab-)wasserbeseitigung von den Grundstücken keine
gesonderten Gebühren. Vielmehr wurden diese Kosten allein über eine sogenannte
Einheitsgebühr nach den Maßstäben des Gebäudesteuernutzungswertes (für
Grundstücke mit einem jährlichen Wasserverbrauch bis zu 2.400 cbm), der
Grundstücksfront (für Kirchengrundstücke) oder des Frischwasserverbrauches (für
Grundstücke mit einem jährlichen Wasserverbrauch über 2.400 cbm - vgl. § 4 der
"Satzung über die Erhebung von Gebühren für die Grundstücksentwässerung in der
Stadt E" vom 18. November 1957) mit der Folge finanziert, dass für Grundstücke (mit
Ausnahme der Kirchengrundstücke), von denen nur Niederschlags(ab-)wasser und kein
Schmutzwasser beseitigt wurde, d.h. jedenfalls für Straßengrundstücke, keine Gebühren
erhoben wurden. In § 2 Abs. 2 dieser Satzung war zwar zudem bestimmt, dass für die
Straßenentwässerung 20 % der Kosten der öffentlichen Entwässerungsanlage aus
städtischen Mitteln gedeckt würden; diese Deckung bezog sich aber offensichtlich nur
auf Straßen in städtischer Baulast, da kein Anlass bestand, die Kosten für die
Entwässerung der Straßen anderer Baulastträger aus städtischen Mitteln zu tragen. Die
Erhebung der Entwässerungsgebühren nach einem Einheitsmaßstab wurde damals
nicht als rechtlich bedenklich angesehen. Für den Beklagten bzw. seinen damaligen
31
Funktionsvorgänger bestand daher bei Vertragsschluss nach den satzungsrechtlichen
Vorgaben und dem seinerzeitigen Stand der Rechtserkenntnis mangels einer
erkennbaren Gebührenpflichtigkeit des Funktionsvorgängers des Klägers kein Anlass,
in dem Vertrag im Hinblick auf die Notwendigkeit einer der Entwässerungsleistung
adäquaten Gegenleistung eine von § 11 abweichende Entgeltregelung zu treffen; eine
solche Notwendigkeit hätte im Hinblick auf § 4 des seinerzeit noch geltenden
Preußischen KAG, der bereits eine Erhebungspflicht für Gebühren für
Entwässerungsleistungen vorsah, bei Kenntnis einer Gebührenpflichtigkeit des
Funktionsvorgängers des Klägers bestanden. Auch aus Sicht des Funktionsvorgängers
des Klägers war seinerzeit erkennbar, dass ein solcher Anlass nicht bestand und das -
ev. vermeintliche - Fehlen einer Gebührenerhebungspflicht Voraussetzung und
gemeinsame Grundlage der "Unentgeltlichkeits-"Vereinbarung in § 11 des Vertrages
war.
Die "Unentgeltlichkeits-"Vereinbarung war mithin von der tragenden Vorstellung
bestimmt, dass mangels Gebührenpflichtigkeit der klägerischen Straßenflächen die für
sie erbrachten städtischen Entwässerungsleistungen durch die
Gestattungsgegenleistung dauerhaft angemessen entgolten war.
32
Nach einer Maßstabsumstellung wurden die Entwässerungsgebühren bis zum 31.
Dezember 1975 nach einem einheitlichen Frischwassermaßstab erhoben (vgl. § 2 der
"Satzung über die Gebühren für die Entwässerung der Grundstücke im Stadtgebiet E"
vom 16. Dezember 1971), so dass es weiterhin an einer satzungsmäßigen
Gebührenpflicht des Funktionsvorgängers des Klägers fehlte.
33
Erst mit der "Satzung über Gebühren für die Grundstücksentwässerung im Stadtgebiet
E" vom 8. Dezember 1975 (EGS 1976), die zum 1. Januar 1976 in Kraft trat, wurden für
das Stadtgebiet E erstmals gesonderte Niederschlagswassergebühren eingeführt, die
sich bei fehlender Schmutzwasserableitung nach der bebauten und befestigten
Grundstücksfläche bemaßen (vgl. § 2 Abs. 1 letzter Halbsatz und Abs. 6 EGS 1976);
dies hatte zur Folge, dass erstmals auch (nichtstädtische) Straßengrundstücke
gebührenpflichtig wurden.
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Auch nach der heute geltenden "Satzung über Gebühren für die
Grundstücksentwässerung im Stadtgebiet E - Neufassung" vom 29. April 2005, die
rückwirkend zum 1. Januar 2002 in Kraft trat, besteht eine getrennte
Niederschlagswassergebühr, die die Gebührenerhebung nach dem Maßstab der
bebauten und befestigten Flächen mit der Folge bemisst, dass Grundstücke wie das
klägerische gebührenpflichtig sind.
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Entgegen der Auffassung des Klägers war die Einführung einer
Niederschlagswassergebühr mit diesem Maßstab keine Entscheidung, die im Belieben
des Satzungsgebers gestanden hätte und daher nicht als Kündigungsgrund im Sinne
des § 60 VwVfG (entsprechend) dienen könnte. Die Einführung der sogenannten
Trenngebühr war vielmehr von Gesetzes wegen geboten, weil der einheitliche
Frischwassermaßstab, nach dem das Maß der Inanspruchnahme der
Entwässerungseinrichtung zur Beseitigung des Schmutz- und Niederschlags(ab-
)wassers durch das bezogene Frischwasser bestimmt wird, nicht die Anforderungen des
§ 6 Abs. 3 Kommunalabgabengesetz für das Land Nordrhein-Westfalen (KAG) an einen
rechtmäßigen Gebührenmaßstab erfüllt.
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Vgl. nur Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Urteil
vom 18. Dezember 2007 – 9 A 3548/04 -.
37
Da nach § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG für Entwässerungsgebühren eine Erhebungspflicht
besteht,
38
vgl. Schulte/Wiesemann in Driehaus u.a., Kommentar zum Kommunalabgabenrecht, zu
§ 6, Rdnr. 5 (Stand: September 2002) m.w.N. aus der Rechtsprechung,
39
die auch den Kläger als Eigentümer eines (Straßen-)Grundstückes trifft, das in einen
städtischen Kanal entwässert,
40
vgl. zur Entwässerungsgebührenpflichtigkeit von Straßenbaulastträgern nicht-
kommunaler Straßen allgemein und grundlegend: OVG NRW, Urteil vom 7. Oktober
1996 - 9 A 4145/94 -, sowie BVerwG, Beschluss vom 6.März 1997 - 8 B 246/96 -,
BayVBl. 1997, 570,
41
haben sich mit der Einführung einer auch Grundstücke wie das klägerische treffenden
Trenngebühr die für die Festsetzung des Vertragsinhaltes maßgebenden Verhältnisse,
nämlich die für die Frage der Höhe der Gegenleistung für die Entwässerungsleistung
bestimmenden Verhältnisse, nach Abschluss des Vertrages geändert. Die Einführung
von Niederschlagswassergebühren und deren Erhebung nach dem Flächenmaßstab
hatte nämlich zur Folge, dass auch Grundstücke wie das vertragsgegenständliche, von
denen kein Schmutzwasser entsorgt wird, erstmals erkennbar gebührenpflichtig wurden.
Mit dieser Änderung trat im Hinblick auf die Gebührenerhebungspflicht damit erstmals
zwingend die Frage nach dem Verhältnis zwischen dem Wert der gebührenrelevanten
Entwässerungsleistung, die in der entsprechenden Gebührensumme ausgedrückt ist,
und der Gegenleistung des Klägers in den Blick, die zuvor aus den oben dargelegten
Gründen für die Vertragsparteien keine Rolle gespielt hatte. Denn eine
Abgabenvereinbarung, wie sie hier in der "Unentgeltlichkeitsvereinbarung" in § 11 des
Vertrages nach satzungsmäßiger Entstehung der Gebührenpflichtigkeit des
Grundstückes gelegen ist, ist angesichts der gesetzlichen Gebührenerhebungspflicht,
des rechtsstaatlichen Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und des
Gleichbehandlungsgrundsatzes nach Art. 3 Abs. 1 GG, wonach alle Benutzer einer
Einrichtung an deren Finanzierung gleichmäßig zu beteiligen sind, nur zulässig, wenn
der Abgabenschuldner dem betroffenen Abgabenhaushalt als Ausgleich eine adäquate
(= äquivalente) und spezielle Gegenleistung erbringt. Um diese Anforderungen zu
erfüllen, ist bei einem Gebührenverzicht der Verzichtszeitraum nach dem
wirtschaftlichen Wert der vom Benutzer gebotenen Gegenleistung zeitlich zu begrenzen.
42
Vgl. zu den Voraussetzungen eines Abgabenverzichtes: Dahmen in Driehaus u.a.,
Kommentar zum Kommunalabgabenrecht, zu § 4, Rdnrn. 20 – 23 (Stand: März 1993)
sowie OVG NRW, Urteil vom 22. November 1971 - II A 38/70 -, OVGE 27, 147 (151 f.).
43
Die mit der - für die Parteien erkennbar gewordenen - Gebührenpflichtigkeit des Klägers
mithin eingetretene Änderung ist auch derart wesentlich, dass dem Beklagten das
Festhalten an der ursprünglichen vertraglichen Entgeltregelung nicht zuzumuten ist.
44
Denn es fehlt an der für die Zumutbarkeit der "Entgeltvereinbarung" in § 11 des
Vertrages notwendigen adäquaten Gegenleistung des Klägers für die von ihm
empfangene gebührenpflichtige Leistung.
45
In der in dem Vertrag vereinbarten Gestattung, in das betroffene Straßenland einen
städtischen Entwässerungskanal einbauen und diesen dauerhaft nutzen zu dürfen, liegt
zwar eine spezielle, d.h. eine dem Entwässerungsgebührenhaushalt und damit auch
den übrigen gebührenpflichtigen Nutzern zugute kommende Gegenleistung für die
Straßenentwässerung. Diese Gegenleistung hat auch einen wirtschaftlichen Wert;
dieser gleicht aber den Wert der Entwässerungsleistung nicht adäquat aus. Der
wirtschaftliche Wert dieser Gestattung steht nämlich in einem groben Missverhältnis zu
dem der Entwässerungsleistung, so dass es bei der "Unentgeltlichkeitsregelung" im
Vertrag wegen der gewandelten Verhältnisse zumutbarerweise nicht bleiben kann.
Denn ein Festhalten an den Vertragsregelungen zur "Unentgeltlichkeit" der
Entwässerungsleistung führte zu einem untragbaren, angesichts der
Gebührenerhebungspflicht des Beklagten und dem Verbot des Verzichts auf Gebühren
ohne äquivalente Gegenleistung - mit dem Recht schlechterdings unvereinbaren
Ergebnis.
46
Vgl. zu den Voraussetzungen der Wesentlichkeit der Änderung in diesem Sinne: Bonk
in Stelkens u.a., Kommentar zum VwVfG, 7. Auflage, 2008, zu § 60, Rdnr. 18.
47
Wie der Beklagte in seinem Kündigungsschreiben nachvollziehbar und vom Kläger
unbeanstandet dargelegt hat, wäre ein im Jahre 2006 erstmals dauerhaft eingeräumtes
Gestattungsrecht im hier vorliegenden Umfang von der Stadt nach den für diese Rechte
üblichen Werten mit einer Einmalzahlung in Höhe von ca. 106.000,- Euro entgolten
worden (15.640 qm durch die Kanalnutzung belastete Grundstücksflächen x 6,80
Euro/qm als einmalige Abfindung). Bei dieser Bewertung geht der Beklagte ausweislich
seiner Verwaltungsvorgänge von einem Wert des Straßenlandes aus, der sich aus 20 %
des Grundstückswertes für Bauerwartungsland ergibt; dieser dem Kläger günstige
Ansatz gibt keinen Anlass zu Bedenken. Umgerechnet auf eine jährliche Abfindung
über einen angemessenen Zeitraum von 20 Jahren (= 5 %) wäre die Leistung des
Klägers mit ca. 5.300,- Euro jährlich zu bewerten.
48
Der Wert der von der Stadt gebotenen Entwässerungsleistung lag demgegenüber allein
im Jahre 2006 bei einem Betrag von ca. 36.984,- Euro (38.525 qm entwässerter
Straßenfläche x 0,96 Euro/qm/a Niederschlagswassergebühr). Da der Wert der
städtischen Leistung - selbst bezogen auf eine Gestattungsentschädigung nach den
Wertverhältnissen des Jahres 2006 - den Wert einer einmaligen Entschädigung für die
Gestattungsleistung in knapp drei Jahren aufzehrte und die jährlichen Leistungen in
einem Verhältnis von ca. 7:1 zulasten der Stadt stehen, kann von einer adäquaten
Gegenleistung der Klägerseite tatsächlich keine Rede mehr sein. Dies gilt um so mehr,
wenn Folgendes erwogen wird: selbst unterstellt der Kläger wäre ohne den Vertrag erst
seit dem Jahre 2002 gebührenpflichtig geworden, wäre der (Einmalzahlungs-)Wert
seiner Gestattungsleistung schon im Jahre 2005 aufgebraucht gewesen. Das grobe
Missverhältnis der Leistungen würde nur noch größer, wenn zudem berücksichtigt
würde, dass die Gestattung bereits im Jahre 1961 eingeräumt wurde und daher der
Bewertung des Gestattungsrechtes die damaligen, wesentlich geringeren
Wertverhältnisse zugrunde zu legen sein könnten.
49
In diesem Missverhältnis zwischen dem Wert der Entwässerungsleistung und dem der
Gegenleistung des Klägers liegt zudem eine gravierende Äquivalenzstörung, die als
Beeinträchtigung der Geschäftsgrundlage des Dauerschuldverhältnisses das Festhalten
an den vertraglichen Regelungen ebenfalls für den Beklagten unzumutbar werden lässt
50
und die Folgen des § 60 VwVfG (entsprechend) auslöst.
Vgl. Bonk in Stelkens u.a., Kommentar zum VwVfG, 7. Auflage, 2008, zu § 60, Rdnr. 11.
51
Im Hinblick darauf, dass der Wert der Gegenleistung des Klägers bereits aufgezehrt ist,
ist dem Beklagten auch eine Vertragsanpassung nicht zuzumuten, zumal sich der
Kläger den Anpassungsbemühungen des Beklagten, deren Berechtigung jeder redlich
denkende Vertragspartner verständigerweise einsehen müsste, verschlossen und keine
(ernstliche) Bereitschaft gezeigt hat, die bestehende grobe Äquivalenzstörung im
Vertragsverhältnis zu beheben.
52
Vgl. zur Unzumutbarkeit der Vertragsanpassung in einer solchen Konstellation auch:
Bonk in Stelkens u.a., Kommentar zum VwVfG, 7. Auflage, 2008, zu § 60, Rdnr. 25c.
53
Eine solche Bereitschaft ergibt sich auch nicht aus dem Angebot des Klägers im
Gesprächstermin vom 6. Juli 2005. Seinerzeit stellte der Kläger lediglich ein Entgelt zur
Diskussion, dass sich zusammensetzt aus drei Elementen, nämlich einer Beteiligung an
den Herstellungskosten der in den Landesstraßen befindlichen und von dort aus
genutzten Kanäle, einer Grunderneuerungsbeteiligung für die Kanäle und
Sonderbauwerke, die durch das von den Straßenflächen des Kläger abgeleitete
Niederschlags(ab-)wasser in Anspruch genommen werden, und einer
Nachrüstungsklausel für Kosten, die aufgrund der Anpassung der zur Entwässerung der
Straßen des Klägers benutzten Kanäle an verschärfte Auflagen entstehen. Zu einem
Ausgleich der Äquivalenzstörung ist dieses Angebot ungeeignet, da damit nur ein Teil
der Kosten abgedeckt werden, die dem Beklagten durch die Inanspruchnahme der
städtischen Entwässerungseinrichtung seitens der Straßenflächen des Klägers
entstehen. Denn - wie der Beklagte bereits seinerzeit zutreffend dargelegt hat - erfolgt
die Entwässerung auch von Straßengrundstücken in der Regel über das
Entwässerungsnetz und ggf. gar über die Kläranlage, zudem zieht die
Entwässerungsleistung auch nicht nur Baukosten nach sich, an denen sich der Kläger
nach seinem Angebot allenfalls (beschränkt) beteiligen will, sondern auch Kosten für
sonstige Unterhaltungs- und Dienstleistungen. Eine Beteiligung an den Kosten dieser
weiteren Einrichtungsteile und Dienstleistungen erfolgte nach dem Modell des Klägers
nicht. Die Benutzer einer Einrichtung haben aber die Gesamtkosten der von ihnen in
Anspruch genommenen Leistungen der Einrichtung nach Maßgabe des Umfanges der
Inanspruchnahme zu finanzieren; sie können ihre Mitfinanzierung nicht auf bestimmte
Teile der Einrichtung beschränken
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Da eine Bereitschaft des Klägers zu einer entsprechenden umfassenden
Kostenbeteiligung im Kündigungszeitpunkt ersichtlich fehlte, war der Beklagte zur
Kündigung des Vertrages berechtigt.
55
Dem kann der Kläger schließlich nicht entgegenhalten, der Beklagte habe sein
Kündigungsrecht dadurch verwirkt, dass er auf die Änderung der gebührenrechtlichen
Lage erst nach Jahrzehnten durch die Kündigung reagiert habe. Denn der Kläger durfte
trotz der langjährigen Untätigkeit des Beklagten nicht berechtigterweise darauf
vertrauen, dass die Vertragsregelung zur "Unentgeltlichkeit" der Entwässerungsleistung
"auf ewig" weitergelten würde, weil ihre Fortgeltung wegen des Missverhältnisses aus
den oben genannten Gründen zu einem untragbaren, - angesichts der
Gebührenerhebungspflicht des Beklagten und dem Verbot des Verzichts auf Gebühren
ohne äquivalente Gegenleistung - mit dem Recht schlechterdings unvereinbaren
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Ergebnis führte.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
57
Die Berufung war nicht zuzulassen, weil die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder 4
VwGO nicht vorliegen (§ 124 a Abs. 1 VwGO).
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