Urteil des VG Düsseldorf vom 04.05.2009

VG Düsseldorf: grundstück, bebauungsplan, treu und glauben, befreiung, vorbescheid, terrasse, wärmepumpe, garage, einspruch, bauarbeiten

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 25 K 6950/08
Datum:
04.05.2009
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
25. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
25 K 6950/08
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Die Beigeladenen tragen
ihre außergerichtlichen Kosten jeweils selbst.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf
die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des
beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der
Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
1
Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks G1 und G2 in E; das Grundstück ist 597 qm
groß. Es ist bebaut mit einem eingeschossigen Einfamilienhaus mit ausgebautem
Dachgeschoss – die Dachgauben erstrecken sich beidseitig über die überwiegende
Länge des Hauses – und einem eingeschossigen Anbau mit Flachdach und
Dachterrasse in Richtung auf den hinter dem Grundstück liegenden Wendehammer. Die
überbaute Fläche des Hauses einschließlich Anbau beträgt ca. 227 qm; einschließlich
von zwei Garagen – eine auf dem G2 – sind ca. 270 qm des Grundstücks überbaut. Das
Haus des Klägers hält zu drei Grundstücksseiten (zwei Nachbargrundstücke sowie
Straßenseite) einen Grenzabstand von 3 m ein, zum Wendehammer beträgt der Abstand
des Anbaus ca. 4 m.
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Das Grundstück liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplanes Nr. 000 – I – der Stadt
E, der am 5. März 1998 in Kraft getreten ist. Der Bebauungsplan umfasst ein größeres
Gebiet vom Cweg über B-Straße, UStraße, Dstraße, AStraße bis zur SStraße, welches
mit eingeschossigen, gelegentlich zweigeschossigen Einfamilienhäusern gehobenen
Zuschnitts bebaut ist. Die Bebauung war zur Zeit des Bebauungsplanverfahrens schon
vorhanden; sie ist auf den Grundstücken straßenseitig mit Vorgärten angelegt. Der
Bebauungsplan trifft für das Plangebiet die Festsetzung als reines Wohngebiet mit
eingeschossiger offener Bauweise und einer Grundflächenzahl von 0,4. Die vorhandene
Bebauung ist mit Baugrenzen umfahren, die noch gewisse Erweiterungen der Gebäude
zulassen. Das Grundstück des Klägers liegt am nordwestlichen Ende des
Bebauungsplangebietes an einer von der SStraße abzweigenden Stichstraße, die bis
zu einem Wendehammer im Anschluss an das Grundstück des Klägers noch die Häuser
3
SStraße 50, 52, 54 erschließt. Auf dem nördlich angrenzenden Nachbargrundstück,
ursprünglich G3, welches 2.361 qm groß war, hat sich zur Zeit des
Bebauungsplanverfahrens ein sowohl von der Stichstraße als auch vom weiteren
Verlauf der SStraße im wesentlichen ca. 20 m zurückliegendes größeres Gebäude mit
mehreren Eingängen (SStraße 58 zur Stichstraße, SStraße 62 zum Hauptstraßenverlauf
der SStraße) befunden; ebenso hat ein auf dem angrenzenden früheren G4 befindliches
Haus SStraße 64 20 m hinter der Straße gestanden. Der Bebauungsplan hat auch diese
Gebäude mit einer Baugrenze umfahren, so dass zum Hauptverlauf der SStraße im
wesentlichen ein Abstand von 20 m festgesetzt war; zur Stichstraße ist die überbaubare
Fläche wesentlich über den vorhanden gewesenen Baukörper hinaus erweitert bis auf
einen Abstand von 3 m. Der Abstand der überbaubaren Fläche zum Grundstück des
Klägers beträgt 3 m.
Die Gebäude SStraße 58/62 und 64 sind abgerissen worden.
4
Der Beigeladene zu 1. beantragte unter dem 25. September 2007 einen
planungsrechtlichen Vorbescheid zur Errichtung zur Errichtung von drei Einzelhäusern
mit je einer Wohneinheit auf dem ehemaligen G3. Zugleich beantragte er die Befreiung
von der festgesetzten Baugrenze, die über die seinerzeit vorhandene Bebauung gelegt
worden sei und durch den Abriss der Gebäude ihren Sinn verliere. In Anlehnung an den
Bebauungsplan Nr. 0000 – dieser war für das Gebiet westlich der Stichstraße in
Aufstellung, reichte bis zum T-Krankenhaus und sah gegenüber der Stichstraße
"gehobene Einfamilienhäuser" auf ca. 600 qm großen Grundstücken vor – solle an der
SStraße die Bauflucht von 5 m übernommen werden.
5
Vorgesehen war die Errichtung von drei Einfamilienhäusern auf Teilflächen der
ehemaligen G3, die 726 qm (Bebauung im Anschluss an das Grundstück des Klägers,
SStraße 58) bzw. 744 qm bzw. 891 qm (Bebauung am Hauptstraßenverlauf der
SStraße, Nr. 60 und 62) groß sind; das Grundstück ist in der Folgezeit in die neuen
Flurstücke G5, G6 und G7 geteilt worden. Ebenso ist das benachbarte Eckgrundstück
zur DStraße, ehemals G4, in die neuen Flurstücke G8 und G9 geteilt worden.
6
Der Beklagte erteilte dem Beigeladenen zu 1. den Vorbescheid mit Bescheid vom 31.
Oktober 2007. Hinsichtlich der Überschreitung der Baugrenze wurde eine Befreiung
erteilt, da Grundzüge der Planung nicht berührt seien und die Befreiung städtebaulich
vertretbar sei .
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Die Beigeladene zu 2. beantragte daraufhin unter dem 17. Dezember 2007 die Erteilung
der Baugenehmigung für die Errichtung eines Einfamilienhauses mit Garagen auf der an
das Grundstück des Klägers angrenzenden Teilfläche (neu G5). Die Garage schließt an
die zweite Garage des Klägers auf dem G2 an. Das anschließende Wohnhaus von 12 x
12 m Grundfläche hat eine Firsthöhe von 37,915 m bei Geländehöhen zwischen 29,69
m und 30,05 m. Vorgesehen ist ein Walmdach mit einem kurzen First parallel zu der
Stichstraße. Der Abstand des Gebäudes zu dem mit dem Wohnhaus des Klägers
bebauten G1 beträgt 7 m. An der gartenseitigen Ecke, die dem Grundstück des Klägers
zugewandt ist, befindet sich eine teilweise überdachte Terrasse. Das Gebäude liegt
nördlich des Hauses des Klägers.
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Der Beigeladene zu 1. beantragte namens der damaligen Grundstückseigentümerin J
GmbH die Änderung einer auf dem Grundstück zugunsten des Grundstücks des Klägers
eingetragenen Abstandsflächenbaulast in Anpassung an das neue
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Abstandsflächenrecht. Das Haus des Klägers hat in Richtung auf das Baugrundstück
eine Länge von 17,52 m; in dieser Länge war 1974 eine Abstandsflächenbaulast
eingetragen worden. Die Baulastfläche erfasst nach der Neubewilligung nur noch die
letzten 1,52 m – im Gartenbereich hinter dem geplanten Haus der Beigeladenen. Der
Beklagte verzichtete auf die alte Baulast und löschte sie mit Bescheid vom 21. Februar
2008; mit gleichem Datum wurde die neue Baulast in das Baulastenverzeichnis
eingetragen.
Der Beklagte erteilte der Beigeladenen zu 2. die Baugenehmigung mit Bescheid vom
14. März 2008.
10
Gleichzeitig wurde mit Bescheid vom 14. März 2008 die Baugenehmigung für das
anschließende Eckhaus SStraße 60 an andere Bauherren erteilt.
11
Die Beigeladene zu 2. teilte die Fertigstellung des Rohbaus zum 13. Juni 2008 mit.
Inzwischen ist das Haus fertiggestellt.
12
Im August 2008 wandte sich ein an der UStraße – am gegenüberliegenden Ende des
Plangebietes – wohnender Einwohner, D1, gegen die entstehenden drei neuen Häuser,
weil die Festsetzungen des Bebauungsplanes nicht eingehalten würden, ebenso gegen
die beiden weiteren Bauvorhaben auf der ehemaligen Parzelle G4. Der bestehende
Bebauungsplan wolle eine bauliche Zersplitterung durch Parzellierung verhindern und
solle die großzügige Wohnqualität sichern; die zugelassenen Befreiungen von den
Baugrenzen widersprächen dem.
13
Der Kläger schloss sich den Beschwerden des D1 mit Schreiben vom 29. August 2008
an. Die Baugenehmigungen seien rechtswidrig; das benachbarte Vorhaben mit
Direktanbindung der Garage und des Wohnhauses mit dem starken Dachüberstand
führe zu einer Umstrukturierung des hochwertigen Wohngebietes und des großzügigen
Erscheinungsbildes mit einer baulichen Verdichtung. Sein Einspruch gegen die
Annullierung der Baulast sei unberücksichtigt geblieben.
14
Veranlasst durch diese Eingabe, gab der Beklagte unter dem 22. September 2008 dem
Kläger den Vorbescheid vom 31. Oktober 2007 und die Baugenehmigung vom 14. März
2008 förmlich bekannt, ferner nochmals die Unterlagen zur Löschung der alten Baulast
und Eintragung der neuen Baulast. Er erläuterte eingehend die von ihm als gegeben
gesehenen Gründe für die erteilte Befreiung.
15
Der Kläger hat am 8. Oktober 2008 Klage erhoben. Dieser sind Fotos des
fertiggestellten Hauses der Beigeladenen zu 2. beigefügt. Zur Begründung führt er
eingehend aus, die Bauvorhaben führten zu einer unzulässigen Verdichtung der
Bebauung. Der Beigeladene zu 1. habe mit dem Grundstück ein sehr großes
Landschaftshaus erworben und dieses mit maximalem Profitziel in gleich drei
Neubauten verdichtet. Dafür sei auch die Baulast verkürzt worden. Sein schon an der
anderen Seite eingeengtes Grundstück werde nunmehr auch an der Nordseite
eingeengt. Das Haus der Beigeladenen zu 2. hätte auf dem Grundstück weiter entfernt
von seinem Grundstück platziert werden können; dann würde es auch nicht durch den
Schattenwurf seines Hauses beeinträchtigt. Es entstehe zudem ein Schalltrichter,
wodurch er Gespräche der Beigeladenen auf der Terrasse hören könne. Beim Bau sei
es zu Rissbildungen an seinem Haus gekommen.
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Nach einem beigefügten Schreiben an den Beigeladenen zu 1. hat er mit dem
Beigeladenen zu 1. zu Beginn der Baggerarbeiten am 18. Februar 2008 gemeinsam die
Baustelle begangen und den Zustand seiner Wände dokumentiert; eine weitere
Begehung nach Abschluss der Arbeiten wurde Ende Juni 2008 verlangt und fand nach
Angaben des Klägers Anfang Juli 2008 statt. Am 6. August 2008 hat ein Ortstermin
eines Sachverständigen hinsichtlich Rissen im Haus des Klägers stattgefunden.
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Der Kläger wendet weiter ein, eine von ihm angelegte Wärmepumpe könne wegen des
Gebäudes der Beigeladenen zu 2. nicht mehr benutzt werden. Wegen der
Geräuschbeeinträchtigungen müsse eine Schallschutzmauer errichtet oder ein
Wintergarten um die Terrasse der Beigeladenen zu 2. errichtet oder die Terrasse an die
nördliche Seite des Hauses der Beigeladenen zu 2. verlegt werden.
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Die Festsetzungen im Bebauungsplan Nr. 000 zum Erhalt der großzügigen
Siedlungsstruktur seien nachbarschützend. Diesem Nachbarschutz habe auch die
gelöschte Baulast gedient, die er gegenüber dem damaligen Grundstückseigentümer
bezahlt habe, was dem Beklagten bekannt gewesen sei. Wegen der rechtswidrigen
Löschung der Baulast sei auch die Baugenehmigung rechtswidrig. Er habe schließlich
sein Klagerecht nicht verwirkt; schon am 22. Februar 2008 habe er Einspruch erhoben,
in der Folgezeit habe er immer wieder den Architekten (= Beigeladenen zu 1.) auf seine
Bedenken hingewiesen und seine Empfehlungen geltend gemacht in der Annahme,
dass dieser auch seinen Bauherren unterrichte.
19
Der Kläger beantragt,
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den dem Beigeladenen zu 1. erteilten Vorbescheid des Beklagten vom
31. Oktober 2007 und die der Beigeladenen zu 2. erteilte Baugenehmigung des
Beklagten vom 14. März 2008 aufzuheben.
21
Der Beklagte tritt der Klage entgegen und beantragt,
22
die Klage abzuweisen.
23
Die Beigeladenen stellen keinen Antrag.
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Im Erörterungstermin vom 8. April 2009 hat der Einzelrichter die Örtlichkeit in
Augenschein genommen; auf die Niederschrift wird Bezug genommen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den
Inhalt der Gerichtsakten sowie der Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug
genommen.
26
Entscheidungsgründe:
27
Die Klage hat aus zwei jeweils selbständig tragenden Gründen keinen Erfolg. Sie ist
unzulässig (1.) und darüber hinaus auch unbegründet (2.).
28
1. Die Klage ist unzulässig, denn der Kläger hat etwa bestehende Nachbarrechte
jedenfalls verwirkt.
29
Das Klagerecht ist zwar nicht in formeller Hinsicht verwirkt. Insoweit beginnt eine
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Rechtsmittelfrist in den Fällen, in denen die angegriffene Baugenehmigung dem
Nachbarn zunächst nicht förmlich bekannt gegeben worden ist, nach der
Rechtsprechung des OVG NRW
z.B. Urteil vom 3. August 2000 – 7 A 1041/99 -, Beschluss vom 21. Februar 2005 –
7 A 1642/04 –
31
in dem Zeitpunkt, in dem der Nachbar von der Baugenehmigung zuverlässige Kenntnis
hätte haben müssen, weil sich ihm ihr Vorliegen aufdrängen musste und es ihm möglich
und zumutbar war, sich durch Nachfrage beim Bauherrn oder bei der
Bauaufsichtsbehörde Gewissheit zu verschaffen. Die Rechtsmittelfrist beginnt in diesen
Fällen mit dem "Kennenmüssen" und beträgt in Anwendung von § 58 Abs. 2 Satz 1
VwGO regelmäßig ein Jahr. Im vorliegenden Fall begann diese Frist mit dem Beginn der
Bauarbeiten im Februar 2008 zu dem Zeitpunkt, in dem der Kläger erste
Bauvorbereitungsarbeiten feststellte zur Errichtung des Hauses, welches er an der
fraglichen Stelle nicht wünschte. Die Jahresfrist war im Zeitpunkt der Klageerhebung
noch nicht abgelaufen. Die förmliche Mitteilung des Beklagten an den Kläger vom 22.
September 2008 mit Bekanntgabe der angefochtenen Genehmigungen hat mangels
Rechtsmittelbelehrung keine Klagefrist ausgelöst, eine hieran anknüpfende Monatsfrist
wäre mit der Klageerhebung im übrigen ohnehin gewahrt.
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Der Kläger hat indes sein etwa bestehendes materielles nachbarliches Abwehrrecht
verwirkt. Eine solche Verwirkung kann im Einzelfall auch schon vor Ablauf der
Jahresfrist eintreten,
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vgl. OVG NRW, Urteil vom 3. August 2000 a.a.O. m.w.N. aus der Rspr. des
BVerwG.
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So liegt es hier. Die Verwirkung eines Rechts setzt außer der Untätigkeit des
Berechtigten während eines längeren Zeitraums voraus, dass besondere Umstände
hinzutreten, welche die verspätete Geltendmachung des Rechts als Verstoß gegen Treu
und Glauben erscheinen lassen. Das ist insbesondere der Fall, wenn der Verpflichtete
infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen durfte, dass
dieser das Recht nach so langer Zeit nicht mehr geltend machen werde
(Vertrauensgrundlage), der Verpflichtete darauf tatsächlich vertraut hat
(Vertrauenstatbestand) und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und
Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des
Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde;
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Vgl. OVG NRW, Urteil vom 3. August 2000 a.a.O.; Mampel, Nachbarschutz im
öffentlichen Baurecht, 1994, Rdn. 439 ff., 441.
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Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Der Kläger hat sich insbesondere gegenüber
dem Beigeladenen zu 1. von Anbeginn an gegen das Bauvorhaben gewendet. Die
Beigeladene zu 2. hat nach ihrer Erklärung im Ortstermin erstmals mit dem gerichtlichen
Beiladungsbeschluss davon erfahren, dass sich der Kläger gegen ihr Haus wendet. Der
Kläger hat mit dem Beigeladenen zu 1. im Februar 2008 die Baustelle begangen; beim
Beklagten hat er unter dem 22. Februar 2008 "Einspruch gegen den Bauantrag"
erhoben. Nach Fertigstellung des Rohbaus im Juni 2008 hat es Anfang Juli 2008 eine
weitere Besichtigung gemeinsam mit dem Beigeladenen zu 1. gegeben zwecks geltend
gemachter Bauschäden. Im August 2008 hat ein Ortstermin eines Sachverständigen zur
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Begutachtung von Bauschäden stattgefunden. Ebenfalls im August 2008 hat der Kläger
sich formlos beim Beklagten über die Baugenehmigungen beschwert. Den allein
etwaige Nachbarrechte wahrenden Schritt, nämlich die Erhebung einer Klage, hat der
Kläger indes während der ganzen Zeit nicht unternommen. Dem Gericht ist aus einer
Vielzahl von Nachbarstreitigkeiten bekannt, dass klagende Nachbarn, die in der
Nachbarschaft eine sie störende Bautätigkeit feststellen, innerhalb weniger Wochen bei
der Bauaufsichtsbehörde Akteneinsicht nehmen und sodann alsbald rechtswahrende
Schritte – durch Klageerhebung und Stellung eines Antrages auf vorläufigen
Rechtsschutz – unternehmen. Der Kläger hingegen hat dies nicht getan. Er hat Klage
vielmehr erst erhoben, als das Haus der Beigeladenen zu 2. fertiggestellt war. Mit der
Klageschrift sind Fotos des fertigen Hauses – nach denen nur noch die Außenanlagen
herzurichten waren – vorgelegt worden, eine Situation, die die Kammer in vielen Jahren
baurechtlicher Tätigkeit in einer Vielzahl von Baunachbarstreitigkeiten so noch nicht
erlebt hat. Aus diesem Verhalten ist für den Beigeladenen zu 1. ein Vertrauen darauf
entstanden, dass der Kläger es bei seinen vielen informellen Angriffen gegen das
Bauvorhaben und bei der Geltendmachung zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche
belassen und sich nicht generell gegen das Bauvorhaben wenden würde. Angesichts
dieser Sachlage ist nach Auffassung des Einzelrichters auch die – oftmals fehlende (vgl.
OVG NRW, Urteil vom 3. August 2000 a.a.O.,) – Kausalität zwischen dem Verhalten des
klagenden Nachbarn und dem darauf beruhenden Vertrauen des Bauherrn gegeben. Es
ist nicht davon auszugehen, dass der Beigeladene zu 1. nicht bei sachgerechter
Vorgehensweise des Klägers, nämlich Klageerhebung und Stellung eines Antrags auf
vorläufigen Rechtsschutz etwa im März/April 2008, zumindest mit der weiteren
Errichtung des Hauses SStraße 58 einige Zeit abgewartet hätte, jedenfalls bis eine
kurzfristig zu erwartende Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren ergangen
wäre; in dieser Zeit hätte das Parallelvorhaben SStraße 60 auf dem vom Kläger
entfernten Eckgrundstück fortgesetzt werden können.
2. Die Klage ist darüber hinaus auch unbegründet. Der angefochtene Bauvorbescheid
an den Beigeladenen zu 1. und die angefochtene Baugenehmigung an die Beigeladene
zu 2. verstoßen nicht gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften, die zugleich den
Interessen des Klägers als Nachbar zu dienen bestimmt sind, und verletzen den Kläger
nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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Da im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren lediglich öffentlich-rechtliche
Vorschriften zu prüfen sind (§ 75 Abs. 3 Satz 1 BauO NRW), kommt es auf den
umfänglichen Vortrag des Klägers zu Rissbildungen an seinem Haus infolge der
Bauarbeiten und auf die Beeinträchtigung seiner Wärmepumpe durch die auf dem
Baugrundstück geplante Wärmepumpe nicht an. Hinsichtlich der Wärmepumpe sei nur
angemerkt, dass der Beigeladenen zu 2. unter dem 10. Juli 2008 eine entsprechende
wasserrechtliche Erlaubnis erteilt worden ist, während die Verlängerung der dem Kläger
1979 für 20 Jahre erteilten wasserrechtlichen Erlaubnis im Jahre 1999 bestandskräftig
versagt worden ist (Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Düsseldorf vom 6.
Dezember 1999), da das Wasserrecht vom Kläger während der gesamten
Gültigkeitsdauer des Rechts nicht ausgenutzt worden war.
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Die vom Kläger in verschiedenen Eingaben gerügten kommunalrechtlichen
Rechtsverstöße betreffend nicht ordnungsgemäße Beteiligung der Bezirksvertretung
betreffend Vorschriften, die ersichtlich keinen Nachbarschutz vermitteln.
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Der erteilte Vorbescheid und ihm folgend die erteilte Baugenehmigung verstoßen nicht
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gegen nachbarschützende Vorschriften des Bauplanungsrechts. Nachbarschützend
sind insoweit nach ständiger Rechtsprechung Vorschriften betreffend die Art der
baulichen Nutzung, die hier nicht tangiert sind – genehmigt ist ein Wohngebäude im
reinen Wohngebiet -, nicht aber, was hier allein streitig ist, die Vorschriften über die
überbaubaren Grundstücksflächen und über das Maß der baulichen Nutzung, hier die
Grundflächenzahl. Nachbarschutz wird insoweit allein über das Gebot der
Rücksichtnahme gewährt.
Hinsichtlich der festgesetzten Grundflächenzahl von 0,4 entspricht das Vorhaben mit
einer Grundflächenzahl von 0,2 darüber hinaus auch den Festsetzungen des
Bebauungsplanes. Mit Blick auf Leserbriefe und Berichterstattung in der Lokalpresse zu
den Bauvorhaben weist das Gericht ferner darauf hin, dass auch hinsichtlich der durch
Baugrenzen festgesetzten überbaubaren Flächen das Vorhaben rechtlich zulässig ist;
die Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB für die erteilte Befreiung von den
festgesetzten Baugrenzen liegen vor. Die auf dem ehemaligen G3 festgesetzten
Baugrenzen stellen keinen Grundzug der Planung dar. Der Bebauungsplan hat im
gesamten Geltungsbereich die weit überwiegend schon vorhandene Bebauung
nachgezeichnet, indem diese großzügig mit Baugrenzen umfahren wurde; angelehnt an
die vorhandene Bebauung wurden einige zusätzliche überbaubare Flächen festgesetzt
(Hinterlandbebauung DStraße, Baulückenschließung UStraße). Der Plangeber hat im
gesamten Geltungsbereich des Bebauungsplanes gleichmäßig zur Straße
ausgerichtete – in gewissem Abstand davon errichtete – Häuser vorgefunden, so dass
sich die überwiegend gleichmäßigen vorderen Baugrenzen ergeben haben. Lediglich
die Bebauung auf dem ehemaligen G3 wich hiervon in Form des Gebäudes und
Platzierung des Gebäudes auf dem großen Grundstück ab; ferner stand das ehemalige
Gebäude auf dem G4 weiter von der Straße zurück als die übrigen Gebäude. Dies hat
den Plangeber dazu veranlasst, auch diese Gebäude an ihrem konkreten Standort mit
einer großzügigen Baugrenze zu umfahren. Wäre er hier den sonst festgesetzten
Straßenabständen der Baugrenzen gefolgt, so hätten diese Gebäude fast vollständig
außerhalb der überbaubaren Flächen gelegen und wären auf den Bestandsschutz
reduziert worden, was nicht Absicht des Plangebers war. Nach Beseitigung des
Gebäudes auf dem G3 – und ebenfalls auf dem G4 – ist der Sinn dieser Baugrenzen
entfallen. Insoweit konnte der Beklagte die Befreiung, die das Vorhaben der
Beigeladenen zu 2. und die beiden weiteren Häuser SStraße 60 und 62 umfasst,
erteilen; diese ist auch städtebaulich vertretbar, da eine entsprechende Bebauung auch
im Bebauungsplan hätte festgesetzt werden können und auch festgesetzt worden wäre,
wenn der Plangeber damals nicht den vorhandenen Altbestand berücksichtigt hätte.
Entgegen den vielfältigen Einwänden des Klägers wird bei dieser Befreiung – und
ebenso bei der späteren Befreiung für die beiden Bauvorhaben auf der ehemaligen G4
– das Planungsziel der Bebauungsplans, ein großzügiges Erscheinungsbild der
Siedlung, gewahrt. Der Bebauungsplan verbietet nicht die Parzellierung größerer
Grundstücke wie des ehemaligen G3. Die hieraus entstandenen drei neuen Flurstücke,
darunter das der Beigeladenen zu 2., sind im übrigen jeweils deutlich größer als das
Grundstück des Klägers. Auf ihnen sind drei freistehende Einfamilienhäuser geplant, die
zu keinerlei unangemessener Verdichtung des Gebietes führen. Im anschließenden
Gebiet des Bebauungsplanes 0000 – auf der dem Grundstück des Klägers
gegenüberliegenden Seite der Stichstraße der SStraße – sieht der Plangeber, wie
bereits im Ortstermin erörtert, ebenfalls eine großzügige Einfamilienhausbebauung für
kapitalkräftige Einwohner vor, wofür er Grundstücksgrößen von mindestens 600 qm
vorsieht. Diese, vom Plangeber als großzügig bewertete, Fläche überschreiten die drei
entstandenen Baugrundstücke bei weitem. Wenn es in dem betreffenden Gebiet
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überhaupt ein Gebäude gibt, welches dem großzügigen Charakter des Gebietes
widerspricht, dann ist dies das Haus des Klägers selbst, welches das gesamte
Grundstück ausnutzt und zu allen Seiten jeweils nur die Mindestgrenzabstände einhält,
was im Ergebnis dazu führt, dass das Grundstück des Klägers zu annähernd 50 %
bebaut ist, während die vom Kläger als unzulässige Verdichtung empfundenen neu
genehmigten Gebäude Grundflächenzahlen von maximal 0,2 erreichen. – Schließlich
sind bei der erteilten Befreiung auch die nachbarlichen Interessen des Klägers
angemessen gewürdigt worden, wie sich aus den folgenden Ausführungen zum Gebot
der Rücksichtnahme ergibt.
Das Vorhaben verstößt nicht gegen das planungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme.
Nach ständiger Rechtsprechung des BVerwG kann aufgrund dieses Gebotes umso
mehr an Rücksichtnahme verlangt werden, je empfindlicher und schutzwürdiger die
Stellung dessen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugute
kommt; umgekehrt braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, umso
weniger Rücksicht zu nehmen, je verständlicher und unabweisbarer die von ihm mit
seinem Vorhaben verfolgten Interessen sind. Die hierbei vorzunehmende
Interessenabwägung hat sich an dem Kriterium der Unzumutbarkeit auszurichten, und
zwar in dem Sinne, dass dem Betroffenen die nachteilige Wirkung des streitigen
Bauvorhabens nicht mehr zugemutet werden kann. Dem Gebot der Rücksichtnahme
kommt nachbarschützende Wirkung zu, wenn in qualifizierter und individualisierter
Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar begrenzten Kreises Dritter
Rücksicht zu nehmen ist. Nach diesen Kriterien ist das streitige Vorhaben gegenüber
dem Kläger nicht rücksichtslos. Seine Einwände greifen nicht durch. Der Neubau der
Beigeladenen zu 2. grenzt nördlich an das Grundstück des Klägers an und
beeinträchtigt nicht den Lichteinfall; der Kläger hat entsprechend auch darauf
hingewiesen, dass das Haus der Beigeladenen zu 2. im Schatten seines Hauses liege,
und angeregt, auch aus diesem Grund das Haus doch an anderer Stelle des
Grundstücks zu errichten. Dies wäre zwar möglich gewesen; allein daraus, dass der
Bauherr ein Gebäude auf dem Grundstück anders stellen kann, ergibt sich nach
ständiger Rechtsprechung des OVG NRW aber kein Anspruch des Nachbarn darauf,
dass dies auch geschieht. Die beanstandete Firstrichtung betrifft den Kläger nicht; das
Gebäude hat auch nur einen sehr kurzen First, und der Bebauungsplan setzt keine
Firstrichtung fest. Von einer "Torpedierung der Hauptfront" seines Hauses (S. 3 der
Klageschrift) kann keine Rede sein. Dass der Kläger aus seinem Arbeitszimmer im
Obergeschoss nunmehr auf die Dachfläche des Hauses der Beigeladenen zu 2. blickt,
während er früher einen freien Ausblick ins Grüne – an dem von der Stichstraße
zurückliegenden ehemaligen Gebäude vorbei – hatte, begründet gleichfalls keine
Rücksichtslosigkeit. Zum einen ist das Gebäude der Beigeladenen insgesamt nur ca. 8
m hoch; ein Ausblick ins Grüne ist weiterhin links an dem Dach vorbei möglich, wie im
Ortstermin festgestellt; ferner besteht nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung
auch kein Anspruch auf Erhaltung einer freien Aussicht. Zum anderen hat der
Bebauungsplan selbst eine bis 3 m an die Stichstraße heranreichende überbaubare
Fläche auf dem Baugrundstück – entsprechend der Festsetzung beim Grundstück des
Klägers – festgesetzt, so dass auch bei einer plankonformen Bebauung die
Sichtbeeinträchtigung gegeben wäre. Die vom Kläger beklagte Einengung seines
Grundstücks durch das Bauvorhaben der Beigeladenen zu 2. ist gleichfalls nicht
gegeben. Dieses hält einen weit größeren Abstand zum Grundstück des Klägers ein, als
er sogar nach den Festsetzungen des Bebauungsplanes zulässig gewesen wäre; der
Bebauungsplan setzt eine bis 3 m an das Grundstück des Klägers heranreichende
überbaubare Fläche fest. Soweit der Kläger ferner beanstandet, er könne Gespräche
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von der Nachbarterrasse hören ("Trichterwirkung"), begründet auch dies keine
Rücksichtslosigkeit. Solche Auswirkungen von Lebensäußerungen sind in
innerstädtischen Gebieten, ebenso wie etwa gegebene Einsichtmöglichkeiten, nach
ständiger Rechtsprechung des OVG NRW üblich und vom Nachbarn hinzunehmen und
begründen keine Rücksichtslosigkeit. Schließlich begründen die Einwände gegen die
beiden weiteren mit dem Vorbescheid genehmigten Häuser – der Abstand zum
Hauptverlauf der SStraße sei zu gering – keine Rücksichtslosigkeit; diese Grundstücke
sind nicht Nachbargrundstücke des Klägers, und die Bebauung mit 5 m Straßenabstand
ist völlig üblich, auch wenn der Bebauungsplan 000 in seinem weiteren Verlauf –
entsprechend dem vorgefundenen Bestand – eine weiter zurückliegende Baugrenze
festgesetzt hat; die Bebauung lehnt sich insoweit an den damals in Aufstellung
befindlichen, inzwischen in Kraft getretenen Bebauungsplan 0000 an, der ebenfalls eine
vordere Baugrenze zur SStraße von 5 m festsetzt – wie es im übrigen in einer Vielzahl
von Einfamilienhaus-Bebauungsplänen üblich ist.
Die der Beigeladenen zu 2. erteilte Baugenehmigung verstößt darüber hinaus auch
nicht gegen nachbarschützende bauordnungsrechtliche Vorschriften. Das Vorhaben hält
die zum Grundstück des Klägers erforderliche Abstandsfläche deutlich ein. Die früher
bestehende Baulast, die der Baugenehmigungserteilung hätte entgegenstehen können,
ist vor Erteilung der Baugenehmigung mit Bescheid vom 21. Februar 2008 gelöscht
worden. Auch hiergegen bestehen keine Bedenken. Die Baulast ist bewilligt worden,
um die Errichtung des Hauses des Klägers nach damaligem Abstandsflächenrecht zu
ermöglichen. Nach Änderung des Abstandsflächenrechts bestand für diese Baulast auf
der Länge der ersten 16 m Grundstückstiefe, d.h. in dem Bereich, in dem das
Bauvorhaben der Beigeladenen zu 2. errichtet ist, keine Notwendigkeit mehr. Dass der
Kläger für die Baulast nach seinen Angaben dem damaligen Eigentümer Geld gezahlt
hat, ist unerheblich; Baulasten stehen nach ständiger Rechtsprechung lediglich im
öffentlichen Interesse und begründen keine subjektiven Rechte Dritter, hier des Klägers.
Wenn es darum gegangen wäre, sich auf dem Nachbargrundstück einen größeren nicht
überbaubaren Grundstücksstreifen zu sichern, so hätte der Kläger sich damals eine
Grunddienstbarkeit bewilligen lassen müssen. Im übrigen ist die Löschung der Baulast
gegenüber dem Kläger bestandskräftig; sie ist ihm im Februar 2008 bekannt gegeben
worden, die Jahresfrist für eine Klageerhebung ist längst abgelaufen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Es entsprach
nicht der Billigkeit, außergerichtliche Kosten der Beigeladenen für erstattungsfähig zu
erklären, da die Beigeladenen selbst keinen Sachantrag gestellt und kein Kostenrisiko
übernommen haben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf
§§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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