Urteil des VG Düsseldorf vom 02.07.2008

VG Düsseldorf: werkstatt, schule, schüler, behinderung, unterricht, schulpflicht, erfahrung, anschluss, schulbesuch, erwachsener

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 18 L 830/08
Datum:
02.07.2008
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
18. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
18 L 830/08
Tenor:
1. Die Anträge werden abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,--€ festgesetzt.
Der nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zu beurteilende Antrag des Antragstellers,
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den Antragsgegner zu verpflichten, ihm, den Antragsteller, bis auf weiteres
mit Wirkung ab August 2008 die Teilnahme am Unterricht des Schuljahres
2008/2009 der Sschule, Städtische Schule für geistig Behinderte, zu
ermöglichen,
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hilfsweise eine andere sachdienliche einstweilige Anordnung zu erlassen,
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hat keinen Erfolg; denn der Antragsteller hat keinen Anordnungsanspruch glaubhaft
gemacht (§ 123 Abs. 1 und 3 VwGO, § 920 ZPO).
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Nach § 19 Abs. 4 Schulgesetz NRW (SchulG) sind Schülerinnen und Schüler mit einer
geistigen Behinderung, die ihre Schulpflicht erfüllt haben, bis zum Ablauf des
Schuljahres, in dem sie das 25. Lebensjahr vollenden, berechtigt, eine Förderschule mit
dem Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung zu besuchen, wenn sie dort dem Ziel des
Bildungsganges näher gebracht werden können. Ziel des Bildungsganges in der
Berufspraxisstufe, in der sich der Antragsteller derzeit befindet, ist es nach § 33 Abs. 5
der Verordnung über die sonderpädagogische Förderung, den Hausunterricht und die
Schule für Kranke (AO-SF), die Schülerinnen und Schüler auf den Übergang in die
Arbeitswelt vorzubereiten.
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Zwar befindet sich der am 24. September 1985 geborene Antragsteller, der seine
Schulpflicht zum Besuch der Förderschule mit dem Förderschwerpunkt Geistige
Entwicklung nach § 37 Abs. 3 SchulG schon erfüllt hat, noch nicht im 25. Lebensjahr,
jedoch liegen die oben genannten weiteren Voraussetzungen für einen Verbleib in der
Förderschule nicht vor; denn der Antragsteller hat nicht glaubhaft gemacht, dass er
durch ein weiteres Schuljahr dort dem Ziel des Bildungsganges näher gebracht werden
könnte.
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könnte.
Nach der detaillierten Stellungnahme des Schulleiters der Sschule (Städtische Schule
für Geistigbehinderte), die der Antragsteller besucht hat, war festzustellen, dass die
schulische Entwicklung des Antragsteller in wesentlichen Bereichen der schulischen
Förderung stagnierte. Wörtlich wird hierzu ausgeführt:
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"Aus unserer Sicht stagniert die Lernentwicklung allerdings deutlich bereits in diesem
Schuljahr. So konnten wir eine Erweiterung der kommunikativen Mittel – auch mit Hilfe
elektronischer Kommunikationshilfen – nicht erreichen. Trotz intensiver Förderung,
u.a. in einer besonderen Kommunikationsförderung – verzichtet Herr E darauf, ein
Kommunikationsgerät in alltäglichen Bereichen einzusetzen. Er verwendet
stattdessen seine gewohnte Sprache, die v.a. von seinen Eltern gut verstanden wird.
Daneben hat Herr E trotz intensiver Förderung erhebliche Probleme mit der
Bedienung einer Kommunikationshilfe.
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Die relative Stagnation in der schulischen Entwicklung bezieht sich auch auf andere
schulische Bereiche und das Verhalten des Schülers. So sind Lernfortschritte im
Bereich des Schriftspracherwerbs und im Umgang mit Mengen und Zahlen nicht zu
erreichen. Herr E zeigt hier wie in anderen Unterrichtsbereichen wenig Interesse an
Inhalten, er wirkt zunehmend gedanklich abwesend. Im Verhaltensbereich hat er
Schwierigkeiten, sich an vereinbarte Regeln zu halten. Hier zeigt er seit längerem
wenig Ansätze zu verantwortungsbewusstem Handeln und zur Handlungsplanung im
Sinne schulischer Zielsetzungen. Dies betrifft beispielsweise die Mobilität mit dem
Rollstuhl. Hier entwickelt er trotz zahlreicher Trainingsmaßnahmen und Erinnerungen
keine Einsicht, sein Verhalten zu verändern und umsichtiger zu fahren.
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Ein wichtiger Aspekt für oder gegen die Verlängerung der Schulzeit über die
Schulpflicht hinaus ist in der Frage begründet, ob ein Schüler ausreichend Willen und
Motivation zum Lernzuwachs zeigt. Bei Herrn E zeigt sich unserer Ansicht nach eine
gewisse "Schulmüdigkeit", die in dem beschriebenen Lernverhalten zum Ausdruck
kommt. Hier dürfte auch eine Rolle spielen, dass Herr E mit bislang mehr als 15
Schulbesuchsjahren deutlich älter ist als seine Mitschüler mit maximal 14
Schulbesuchsjahren. Am Ende dieses Schuljahres würde sich der Altersabstand noch
einmal vergrößern, da alle Schülerinnen und Schüler unserer Schule mit 14
Schulbesuchsjahren entlassen werden. Dazu gehört auch ein Schüler, zu dem Herr E
eine Beziehung aufgebaut hat."
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Neben dieser festgestellten Stagnation im Unterricht war jedoch innerhalb der
Arbeitsgruppe und auch während des Praktikums in der Werkstatt für Menschen mit
Behinderung eine gänzlich andere Motivation bei dem Antragsteller festzustellen. So
wird hierzu seitens der Schule Folgendes ausgeführt:
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"E ist ein sehr handlungsorientierter Schüler. Um Inhalte zu begreifen und über einen
längeren Zeitraum (hier: mehr als 5 Minuten) konzentriert zu sein, benötigt er
Eigenaktivität/Handlungen im Unterricht. Innerhalb der Arbeitsgruppe (Arbeitsgruppe
Ton) und auch während seines Praktikums in der Werkstatt für Menschen mit
Behinderung zeigte er laut seiner Arbeitsgruppenleiterin Fr. I und den Mitarbeitern der
Werkstatt sehr große Aufmerksamkeit und Motivation zur Arbeit. Im Gegensatz dazu
schafft er es in anderen unterrichtlichen Angeboten kaum sich zu konzentrieren und
den Inhalten zu folgen. Diese Beobachtungen führten bei den Kollegen der
Berufspraxisstufe wesentlich zu dem Beschluss der Schulentlassung. Zum einen kann
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sich E im Umfeld der Werkstatt als erwachsener junger Mann begreifen und sich an
den anderen Mitarbeitern orientieren. Zum anderen kann er durch das Handeln und
produktive Arbeiten in der Werkstatt eine zufriedenstellende Arbeit für sich finden und
wird so auch in vielen anderen Förderbereichen (Grob- und Feinmotorik,
Selbstwahrnehmung, erwachsene Kommunikation, u.a.) Fortschritte machen."
Soweit seitens des Antragstellers vorgetragen wird, dass der Antragsteller im Bereich
der Kommunikation und der Einsetzbarkeit der technischen Kommunikationshilfe einer
schulischen Unterstützung bedarf, vermag das seinem Begehren auf weiteren Verbleib
in der Schule nicht zum Erfolg zu verhelfen. Denn wie der Schulleiter der Sschule hierzu
ausführt, hat der Antragsteller im Sinne der Wortschatzentwicklung innerhalb der
isolierten Übungssituation U in den letzten Jahren vor allem gelernt, wie er bestimmte
Wörter auf der Kommunikationshilfe findet und zum Teil welche Bedeutung sie haben.
Im Anschluss daran hat er gelernt, die einzelnen Wörter zu kombinieren und zwar
ausschließlich im schulischen Kontext. Nun wäre die dritte Stufe (Wörter sozial in
Alltagssituationen zu verwenden) vorrangiger Förderbedarf. Dieses ist jedoch, wie der
Schulleiter nachvollziehbar darlegt, in einer isolierten Übungssituation wie der U nicht
mehr sinnvoll. Für den Antragsteller sind hingegen interaktive Zusammenhänge wichtig,
welche seinem Alter und Interessen entsprechen. Diese sind im Sinne der anderen
Bedarfe des Antragstellers in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung am ehesten
gegeben.
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Die Befürchtungen der Antragstellerseite, das Personal in einer solchen Werkstatt
verfüge weder über die erforderlichen Kenntnisse noch über den zeitlichen Rahmen, um
dem Antragsteller im vorgenannten Sinn weitere Förderung im Umgang mit der
Kommunikationshilfe zukommen zu lassen, wird durch nichts und keinerlei Erfahrung
belegt. Dem gegenüber gibt der Schulleiter aus seiner Erfahrung heraus an, dass auch
die Mitarbeiter der Werkstatt den Antragsteller in der Verwendung der
Kommunikationshilfe unterstützen werden, wobei nach seinen Angaben ein neues
Umfeld sogar sehr motivierend wirken und zu großen Fortschritten führen kann.
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Die von dem Antragsteller zur Unterstützung seines Begehrens vorgelegten
Bescheinigungen der Wklinik E1 vom 15. Mai 2008 und des Vereins Lebenshilfe für
Menschen mit geistiger Behinderung H und C vom 9. Mai 2008 vermögen ebenfalls
keinen Anspruch auf Besuch eines weiteren Schuljahres in der Sschule zu begründen.
Die Bescheinigung vom 15. Mai 2008, in der der Antragsteller für lernfähig und weiter
bildbar sowie auch hoch motiviert gehalten wird, steht nicht im Gegensatz zu der
Einschätzung des Schulleiters der Sschule; denn auch dieser hält eine
Weiterentwicklung des Antragstellers bei handwerklicher Betätigung für möglich. Er
sieht nur – was die Unterzeichnerin der ärztlichen Bescheinigung vom 15. Mai 2008 aus
eigener Kenntnis jedoch nicht beurteilen kann – eine Stagnation auch und gerade im
Bereich des Einsatzes der Kommunikationshilfe im Unterrichtsalltag der Schule.
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In gleicher Weise für die vorliegende Rechtsproblematik nur eingeschränkt brauchbar ist
die Stellungnahme vom 9. Mai 2008. Soweit dort angegeben wird, dass der
Antragsteller durch eine noch intensivere Anleitung und Hilfestellung eine höhere
Kommunikationsbereitschaft erzielen könnte, ist das allein spekulativ und durch
keinerlei Erfahrungswerte im schulischen Alltag belegt, während hingegen die
Einschätzungen und Prognosen des Schulleiters der Sschule sich an Beobachtungen
im Unterricht und an den dort gemachten Erfahrungen orientieren. So enthält die
Bescheinigung vom 9. Mai 2008 auch die einleitende Erklärung, dass "eine
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pädagogische Stellungnahme über die Aktivitäten und die Lernbereitschaft" des
Antragstellers im "Bzentrum" erfolgt.
Sollte der Antragsteller entgegen den Prognosen des Schulleiters der Sschule in der
Werkstatt für behinderte Menschen einen völligen Leistungsabfall erleben, bestünde
sicherlich die Notwendigkeit, entsprechend § 19 Abs. 4 SchulG erneut über einen
Schulbesuch an der Förderschule mit dem Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung bis
zum höchstzulässigen Zeitpunkt nachzudenken; derzeit ist ein solcher Anspruch jedoch
nach den vorstehenden Darlegungen nicht glaubhaft gemacht.
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Auch das hilfsweise Begehren hat keinen Erfolg. Denn es erschließt sich schon nicht,
was damit gemeint sein soll.
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In Anbetracht der dargelegten Rechtslage war auch der Antrag auf Gewährung von
Prozesskostenhilfe abzulehnen (§ 166 VwGO, 114 ZPO).
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 53 Abs. 3, 52 Abs. 2 GKG und
berücksichtigt den nur vorläufigen Charakter dieses Verfahrens.
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