Urteil des VG Düsseldorf vom 23.11.2005
VG Düsseldorf: kostenbeitrag, einkommensgrenze, eltern, behinderung, freiwillige leistung, lebensversicherung, erwerbseinkommen, wohnung, anstalt, ersparnis
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 20 K 3466/04
Datum:
23.11.2005
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
20. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
20 K 3466/04
Tenor:
Der Bescheid des Beklagten vom 20. Juni 2002 in Gestalt des
Teilabhilfebescheides vom 9. Mai 2003 und des
Widerspruchsbescheides vom 9. April 2004 wird aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten
nicht erhoben werden.
Die Hinzuziehung des Prozessbevollmächtigten im Vorverfahren wird für
notwendig erklärt.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Dem Beklagten
wird nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder
Hinterlegung in Höhe des beizutreibenden Betrages abzuwenden, wenn
nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe
leistet.
Tatbestand:
1
Die Klägerin war früher mit Herrn C verheiratet, die Ehe ist inzwischen geschieden. Aus
der Ehe sind zwei Kinder hervorgegangen, der am 9. Dezember 1988 geborene N und
die am 17. Dezember 1987 geborene T. Nach der Trennung der Eheleute verblieben
zunächst beide Kinder bei der Klägerin. Seit März 1997 befindet sich T in stationärer
Betreuung. Sie leidet an Mukopolysaccharidose Typ III A, einer Stoffwechselerkrankung,
die zum Verlust geistiger Fähigkeiten führt, und bei der es zu hyperaktivem, teilweise
aggressiven Verhalten kommen kann. Bei T geht damit auch eine
Entwicklungsverzögerung bzw. -retardierung und eine spastische Lähmung einher. Die
Kosten für die Unterbringung und Betreuung übernimmt der Beklagte im Wege der
Eingliederungshilfe. Die Klägerin wohnt gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten und
dem Sohn N in einem Haushalt. Ein weiterer Sohn der Klägerin, B, ist volljährig und lebt
außerhalb der Haushaltsgemeinschaft.
2
Im April 2002 wurde T in das Wohnhaus für Behinderte der Lebenshilfe in O verlegt. Mit
3
Schreiben vom 15. April 2002 bat der Beklagte die Klägerin um Angaben zu ihren
wirtschaftlichen Verhältnissen zwecks Überprüfung der Leistungsfähigkeit bezüglich
eines Kostenbeitrags. Nach Vorlage der Unterlagen durch die Klägerin führte der
Beklagte eine Einkommensberechnung durch und setzte mit Bescheid vom 20. Juni
2002 einen Kostenbeitrag für die Zeit ab dem 15. April 2002 in Höhe von 80% des
Regelsatzes und ab dem 1. Juli 2002 in Höhe von 70% des Regelsatzes fest. Zur
Begründung verwies der Beklagte auf die seinem Bescheid beigefügte Berechnung und
führte ergänzend aus: Da der Lebensunterhalt von T in der Einrichtung in vollem
Umfang sichergestellt werde, erspare die Klägerin Aufwendungen für den häuslichen
Lebensunterhalt. In Höhe dieser ersparten Aufwendungen sei ein Kostenbeitrag gemäß
§§ 43, 79 ff BSHG zu leisten. Nähere Einzelheiten seien dem beigefügten Merkblatt zu
entnehmen, in dem es im Wesentlichen heißt: Sofern aufgrund der
Einkommenssituation eine Kostenbeteiligung gefordert werden könne, schwanke diese
je nach Einkommenshöhe der Eltern zwischen 70% und 100%, da erfahrungsgemäß je
nach Einkommenssituation der Eltern der Lebensstandard und damit auch die
abwesenheitsbedingten Ersparnisse der Eltern für ihr Kind höher oder niedriger seien.
Gegen diese Entscheidung erhob die Klägerin mit Schreiben ihres
Prozessbevollmächtigten vom 1. Juli 2002 Widerspruch mit der Begründung, die
durchgeführte Berechnung sei nicht zutreffend. Der Nettoverdienst belaufe sich nicht auf
1.042,36 EUR, wie vom Beklagten angenommen, sondern nur auf 993,23 EUR. Zudem
werde zu Unrecht die Unterhaltszahlung des Kindesvaters für den Sohn N und das
Kindergeld einkommenserhöhend angerechnet. Diese Zuwendungen seien
zweckgerichtet und kämen nicht der Klägerin zugute. Schließlich sei zu Unrecht eine
von der Klägerin abgeschlossene Lebensversicherung mit einem monatlichen
Beitragsaufkommen von 46,16 EUR nicht berücksichtigt worden. Gleiches gelte für die
Sterbegeldversicherung für T, sowie für eine Zusatzkrankenversicherung mit einer
monatlichen Prämie von 80,93 EUR.
4
Mit Schreiben vom 2. Juli 2002 erläuterte der Beklagte seine Entscheidung wie folgt:
Das Netto-Einkommen sei in zutreffender Höhe zugrundegelegt worden. Bei der
Berechnung des Kostenbeitrags sei das gesamte anzurechnende Einkommen der
Klägerin und ihres Sohnes N nach § 76 BSHG berücksichtigt worden. Hierdurch werde
gewährleistet, dass bei der Berechnung berücksichtigt werde, dass der aus eigenem
Einkommen nicht gedeckte Bedarf des Sohnes N aus dem Einkommen der Klägerin
befriedigt werde. Die Beiträge zur Lebensversicherung dienten der Vermögensbildung
und fänden somit bei der Bereinigung des Einkommens und/oder als besondere
Belastung keine Berücksichtigung. Die Sterbegeldversicherung stelle keinen
sozialhilferechtlichen Bedarf von T dar und könne daher im Rahmen der
Kostenbeitragsprüfung der Klägerin keine Berücksichtigung finden. Es handele sich um
eine freiwillige Leistung der Klägerin. Die Aufwendungen der
Zusatzkrankenversicherung hingegen seien in Höhe von 80,93 EUR berücksichtigt
worden.
5
Unter dem 20. März 2003 stellte der Beklagte nach Prüfung der wirtschaftlichen
Verhältnisse fest, dass der Vater von T ihr gegenüber nicht unterhaltsfähig sei. Mit
Schreiben vom 24. April 2003 teilte die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten
mit, dass Herr C seit Dezember 2002 keinen Unterhalt mehr für N zahle.
6
Mit Bescheid vom 9. Mai 2003 half der Beklagte dem Widerspruch der Klägerin teilweise
ab und wies daraufhin, dass infolge der geänderten wirtschaftlichen Verhältnisse ab
7
Dezember 2002 kein Kostenbeitrag mehr gefordert werden könne. Für den Zeitraum
vom 15. April 2002 bis zum 30. November 2002 ergebe sich ein noch zu leistender
Kostenbeitrag in einer Gesamthöhe von 1.440,63 EUR. Er bat um Mitteilung, ob der
Widerspruch aufrechterhalten bleibe.
Mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 31. Januar 2004 teilte die Klägerin
mit, dass der Widerspruch aufrecht erhalten bleibe. Sie sei der Auffassung, dass die
Beiträge zur Lebensversicherung eine unbedingt erforderliche zusätzliche Sicherung
der Altersversorgung bedeuten würde. Die Lebensversicherung sei konzipiert auf den
Zeitpunkt des Rentenbezugs aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Bei der
Sterbegeldversicherung handele es sich mit Rücksicht auf die Besonderheiten des
Einzelfalles sehr wohl um einen sozialhilferechtlichen Bedarf. Die Lebenserwartung von
T sei äußerst gering, wie aus der beigefügten Bescheinigung der Kinderklinik der
Universität Mainz hervorgehe.
8
Mit Widerspruchsbescheid vom 7. April 2004 - zugestellt am 26. April 2004 - wies der
Beklagte den Widerspruch der Klägerin gegen den Kostenbeitragsbescheid vom 20.
Juni 2002 in Gestalt des Teilabhilfebescheides vom 9. Mai 2003 zurück. Zur
Begründung führte er aus: Erfordere die Behinderung die Gewährung der Hilfe in einer
Anstalt, einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung, sei gemäß § 43 Abs. 1 BSHG
die Hilfe hierfür auch dann in vollem Umfang zu gewähren, wenn den in § 28 BSHG
genannten Personen die Aufbringung der Mittel zu einem Teil zuzumuten sei. In Höhe
dieses Teils habe der Hilfeempfänger bzw. seine Eltern zu den Kosten der Hilfe
beizutragen. Die Kosten des in einer Einrichtung gewährten Lebensunterhaltes seien
gemäß § 43 Abs. 2 BSHG nur in Höhe der häuslichen Ersparnis anzusetzen. Für
Stephanie erfolge eine derartige häusliche Ersparnis, weil sie im Wohnheim für
behinderte Menschen Unterkunft und Verpflegung erhalte. Zudem werde ihr ein
monatlicher Barbetrag zur freien Verfügung gewährt. Die Höhe der häuslichen
Aufwendungen ergebe sich aus dem Zuschnitt der Lebenshaltung der Familie, wobei in
der Regel als untere Grenze der häuslichen Aufwendungen der Betrag gelte, der im
Rahmen des maßgebenden Regelsatzes für den Lebensunterhalt angesetzt sei. Der
Regelsatz sei insbesondere dann anzusetzen, wenn das Einkommen die für die
gesamte Familie zu gewährenden Regelsatzleistungen übersteige. Für die Bemessung
des Kostenbeitrags habe er eine Berechnung erarbeitet, wonach der Kostenbeitrag
abgestuft nach der Höhe des Einkommens zu bemessen sei. Als häusliche Ersparnis
würden danach 70% bis 100% der Regelsätze angesetzt, da erfahrungsgemäß der
Lebensstandard und damit bei Abwesenheit auch die Ersparnisse höher oder niedriger
seien. Das Netto- Einkommen sei nach durchgeführter Bereinigung mit 1.490,63 EUR
monatlich anzusetzen. Beiträge zur Lebensversicherung und zur Sterbeversicherung
könnten nicht einkommensmindernd anerkannt werden. Bei der Lebensversicherung
handele es sich um eine kapitalbildende Versicherung, die im Rahmen der
Einkommensbereinigung nicht berücksichtigungsfähig sei. Auch eine
Sterbeversicherung könne aufgrund ihres Charakters sozialhilferechtlich nicht anerkannt
werden. Ab Juli 2002 sei das Einkommen noch um 80,93 EUR für eine
Zusatzkrankenversicherung zu vermindern. Das so errechnete Einkommen sei der
Einkommensgrenze des § 79 bzw. 81 BSHG gegenüber zu stellen. Es sei festzustellen,
dass das zu berücksichtigende Einkommen bis 30. Juni 2002 höher als die
Einkommensgrenze des § 79 BSHG sei, aber unter der Einkommensgrenze des § 81
BSHG liege. Für diesen Fall seien nach den Richtlinien zur Abstufung des
Kostenbeitrags 80% des maßgeblichen Regelsatzes festzusetzen. Für die Zeit vom 1.
Juli bis 30. November 2002 bleibe das Einkommen unter der Einkommensgrenze des §
9
79 BSHG, aber übersteige den errechneten Mindestbedarf. Es sei somit nach den
Richtlinien ein Kostenbeitrag von 70% des Regelsatzes festzusetzen. Eine Aufstellung
seiner Berechnungen fügte der Beklagte dem Bescheid bei.
Am 24. Mai 2004 hat die Klägerin Klage erhoben, mit der sie sich unter Bezugnahme auf
ihr Vorbringen im Verwaltungsverfahren gegen die Heranziehung zum Kostenbeitrag
wendet.
10
Sie beantragt,
11
den Bescheid des Beklagten vom 20. Juni 2002 in Gestalt des Teilabhilfebescheides
vom 9. Mai 2003 und des Widerspruchsbescheides vom 9. April 2004 aufzuheben.
12
Der Beklagte beantragt,
13
die Klage abzuweisen.
14
Er nimmt Bezug auf seine Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid.
15
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und den der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten
ergänzend Bezug genommen.
16
Entscheidungsgründe:
17
Die zulässige Klage ist begründet. Die angefochtene Entscheidung des Beklagten ist
rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, vgl. §§ 113 Abs. 1 S. 1, 114
VwGO.
18
Zwar liegen die Voraussetzungen für eine Heranziehung zum Kostenbeitrag vor.
Indessen ist die Entscheidung des Beklagten ermessensfehlerhaft ergangen und
deshalb rechtswidrig.
19
Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Bescheides ist die Sach- und
Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung. Ermächtigungsgrundlage
für die Beteiligung der Klägerin an den Kosten der Sozialhilfe für ihre Tochter ist
demnach in erster Linie § 43 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 BSHG in der Fassung vom 27. April
2002.
20
Nach § 43 Abs. 1 BSHG ist, wenn die Behinderung die Gewährung der Hilfe u.a. in
einer Anstalt oder in einer gleichartigen Einrichtung erfordert, - erweiterte -
Eingliederungshilfe im Sinne des § 39 BSHG auch dann in vollem Umfang zu
gewähren, wenn den in § 28 BSHG genannten Personen die Aufbringung der Mittel zu
einem Teil zuzumuten ist (Satz 1); in Höhe dieses Teils haben sie zu den Kosten der
Hilfe beizutragen, wobei mehrere Verpflichtete als Gesamtschuldner haften (Satz 2).
Diese Beitragspflicht (u.a.) der Eltern wird durch § 43 Abs. 2 BSHG eingeschränkt: Den
in § 28 genannten Personen ist die Aufbringung der Mittel in bestimmten, vom Gesetz
genannten Fällen (§ 43 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 bis 8 BSHG) nur für die Kosten des
Lebensunterhalts zuzumuten, wobei in den Fällen der Nummern 1 bis 6 die Kosten des
in einer Einrichtung gewährten Lebensunterhaltes nur in Höhe der für den häuslichen
Lebensunterhalt ersparten Aufwendungen anzusetzen sind, vgl. § 43 Abs. 2 S. 2, 1.
21
Halbs. BSHG.
Die Voraussetzungen für eine Heranziehung zum Kostenersatz für die Kosten des
Lebensunterhaltes von T im Wohnhaus IV der Lebenshilfe O sind hier erfüllt.
22
Dabei ist davon auszugehen, dass die Heranziehung zum Kostenersatz nach der
gesetzlichen Regelung nur dann zulässig ist, wenn die Eingliederungshilfe zu Recht
gewährt worden ist. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 43 Abs. 1 BSHG.
Denn die Behinderung "erfordert" die Hilfegewährung nur dann, wenn die gesetzlichen
Voraussetzungen hierfür vorliegen.
23
Vgl. dazu u.a. OVG NW, Urteil vom 19.3.1973 - VIII A 936/70 -; ferner zu § 29 BSHG:
BVerwG, Urteil vom 30.10. 1979 - 5 C 39.78 - FEVS 28, 13; Urteil vom 8.7.1982 - 5 C
39.81 - FEVS 32, 1; OVG NW, Urteil vom 5.12.1985 - 8 A 269/84 - FEVS 35, 457.
24
Der Beklagte war in dem hier maßgeblichen Zeitraum berechtigt, der Tochter der
Klägerin Eingliederungshilfe zu gewähren. Dass T zu dem von § 39 Abs. 1 BSHG
genannten Personenkreis gehört, dem Eingliederungshilfe nach dem
Bundessozialhilfegesetz zu gewähren war, unterliegt keinen Zweifeln. Zu den
Leistungen der Eingliederungshilfe gehören gemäß § 40 Abs. 1 Nr. 8 BSHG Leistungen
zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft nach § 55 des Neunten Buches
Sozialgesetzbuch (SGB IX).
25
In welchem Umfang die Klägerin zu den ansetzbaren Kosten tatsächlich herangezogen
werden kann, richtet sich gemäß §§ 43 Abs. 1, 28 BSHG danach, ob ihr die Aufbringung
dieser Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Bestimmungen der §§ 76 ff
BSHG zuzumuten ist. Dabei kommt es im vorliegenden Fall maßgeblich auf das
Einkommen der Klägerin an.
26
Soweit es um den Einsatz des Einkommens bei der Hilfe in besonderen Lebenslagen
geht, unterscheidet der Gesetzgeber in § 79 BSHG verschiedene
Einstandsgemeinschaften. § 79 Abs. 1 BSHG stellt grundsätzlich auf das Einkommen
des Hilfesuchenden und seines nicht getrennt lebenden Ehegatten ab; ihnen ist die
Aufbringung der Mittel zuzumuten, wenn ihr monatliches Einkommen zusammen eine
Einkommensgrenze übersteigt, die aus einem Grundbetrag, den Unterkunftskosten und
einem Familienzuschlag errechnet wird. Ist der Hilfesuchende minderjährig und
unverheiratet, wird die Einstandsgemeinschaft um die Eltern erweitert. Den Eltern ist die
Aufbringung der Mittel nicht zuzumuten, wenn während der Dauer des Bedarfs das
monatliche Einkommen des Hilfesuchenden und seiner Eltern eine bestimmte
Einkommensgrenze nicht übersteigt (vgl. § 79 Abs. 2 S. 1 BSHG), die ebenfalls aus
einem Grundbetrag, den Unterkunftskosten und einem Familienzuschlag errechnet wird.
Leben die Eltern - wie hier - nicht zusammen, richtet sich gemäß § 79 Abs. 2 S. 2, 1.
Halbsatz BSHG die Einkommensgrenze nach dem Elternteil, bei dem der
Hilfesuchende lebt. Lebt er bei keinem Elternteil, bestimmt sich die Einkommensgrenze
nach § 79 Abs. 1, vgl. § 79 Abs. 2, 2. Halbsatz BSHG.
27
Im vorliegenden Fall findet die Vorschrift des § 79 Abs. 2 S. 2, 1. Halbsatz Anwendung,
weil davon auszugehen ist, dass T im hier zur Beurteilung stehenden Zeitraum vom 15.
April 2002 bis 30. November 2002 trotz ihrer Unterbringung im Wohnheim bei der
Klägerin lebte.
28
Ein Minderjähriger lebt bei einem Elternteil, wenn zwischen beiden Personen eine
tatsächliche Lebensgemeinschaft besteht. Eine vorübergehende Unterbrechung der
Lebensgemeinschaft, z.B. aus Gründen einer Krankheit (Krankenhausaufenthalt), der
Ausbildung oder der „Fürsorgeerziehung" stellt ihren Fortfall nicht in Frage. Je länger
ein Hilfebedürftiger in einer Anstalt, einem Heim o. ä. bleibt, desto mehr verfestigt sich
jedoch der Zustand, dass er nicht mehr bei dem Elternteil lebt. Maßgeblich sind nicht die
Verhältnisse vor Eintritt des Bedarfsfalles, sondern die Zeitspanne, für die der Elternteil
zu einem Kostenbeitrag herangezogen werden soll,
29
BVerwG, Urteil vom 12. Januar 1984 - 5 C 107.83 - FEVS 33, 309 und OVG NRW, Urteil
vom 27. Januar 1992 - 24 A 2637/89 -.
30
In dem hier interessierenden Beurteilungszeitraum war die Klägerin zwar schon mehr
als 5 Jahre, nämlich seit März 1997, in einem Heim untergebracht. Auch war angesichts
der schweren Erkrankung der Klägerin mit fortschreitender Behinderung schon
seinerzeit eine Rückkehrmöglichkeit in die Wohnung der Klägerin nicht gegeben.
Jedoch fehlte es für den hier maßgeblichen Zeitraum an einer erkennbaren
Neuorientierung und Neuordnung des klägerischen Haushalts. Die Klägerin hat nach
eigener Einlassung in der mündlichen Verhandlung ihre Tochter nicht nur mehrmals
wöchentlich im Heim besucht, sondern hat sie auch - teils mehrmals in der Woche - zu
sich nach Hause genommen. Auf Befragen räumte die Klägerin ein, dass für ihre
Tochter in der Wohnung ein Zimmer zur Verfügung stehen würde, unterstellt T wäre -
trotz ihrer Behinderung - zu einer Rückkehr in die Wohnung in der Lage. Von einer
Aufhebung der Haushaltsgemeinschaft kann bei dieser Sachlage (noch) nicht
gesprochen werden. Das Gericht verkennt nicht, dass bei diesem Verständnis des § 79
Abs. 2 S. 2 BSHG gerade der (getrennt lebende) Elternteil zum Kostenersatz
herangezogen wird, der sich - wie im vorliegenden Fall die Klägerin - besonders
intensiv um sein behindertes Kind kümmert und bemüht, während der Elternteil, der sich
von seinem behinderten Kind abwendet, von einer Beitragspflicht freigestellt wird.
Indessen führt dies nicht zu einer untragbaren Benachteiligung des sich sorgenden und
kümmernden Elternteils. Denn der andere Elternteil ist von der Kostenlast nicht etwa
befreit. Vielmehr wird er regelmäßig - bei gegebener Unterhaltsfähigkeit - zur
Unterhaltsleistung herangezogen werden, die nicht auf die Höhe der für den häuslichen
Lebensunterhalt ersparten Aufwendungen begrenzt ist.
31
Folglich richtet sich im vorliegenden Fall die Einkommensgrenze gemäß § 79 Abs. 2 S.
2 BSHG nach der Klägerin. Dabei ist das Vorliegen der Voraussetzungen nach § 79
BSHG „zeitabschnittsweise", also für die einzelnen Monate des Bedarfszeitraumes, für
den Eingliederungshilfe gewährt wurde, zu prüfen. Denn die Regelung des § 39 Abs. 2
BSHG stellt auf die tatsächlichen Umstände einer konkreten Lebensgemeinschaft von
Eltern mit minderjährigen Kindern und auf das monatliche Einkommen während der
Dauer des Bedarfs ab und leitet daraus für bestimmte Zeitabschnitte konkrete
Zahlungspflichten her,
32
OVG NRW, Urteil vom 27. November 1997 - 8 A 4279/95 - FEVS 48, 359.
33
Mithin ist hinsichtlich des hier in Rede stehenden Zeitraums die Prüfung des Einsatzes
des Einkommens der Klägerin für die einzelnen Monate des Bedarfszeitraums, für die
Eingliederungshilfe gewährt wurde, vorzunehmen.
34
Im vorliegenden Fall ergibt sich, dass im gesamten maßgeblichen Zeitraum das
35
Einkommen der Klägerin unter der für sie einschlägigen Einkommensgrenze lag, die
sich - weil ihrer Tochter Eingliederungshilfe in einem Heim gewährt wurde - nach § 79
Abs. 2 S. 1 BSHG i.V.m. § 81 Abs. 1 Nr. 1 BSHG berechnet.
Das maßgebliche Einkommens der Klägerin im Sinne von § 76 BSHG berechnet sich
wie folgt: Nach § 76 Abs. 3 BSHG i.V.m. § 3 Abs. 3 der Verordnung zur Durchführung
des § 76 des Bundessozialhilfegesetzes (DVO) ist bei der Berechnung der Einkünfte
aus unselbständiger Arbeit von den monatlichen Bruttoeinnahmen auszugehen.
Einmalige Einnahmen sind von dem Monat an zu berücksichtigen, in dem sie anfallen;
sie sind, soweit nicht im Einzelfall eine andere Regelung angezeigt ist, auf einen
angemessenen Zeitraum aufzuteilen und monatlich mit einem entsprechenden
Teilbetrag anzusetzen. Satz 2 gilt auch für Sonderzuwendungen, Gratifikationen und
gleichartige Bezüge und Vorteile, die in größeren als monatlichen Abständen gewährt
werden. Andere als die in den §§ 3, 4, 6 und 7 genannten Einkünfte sind, wenn sie nicht
monatlich oder wenn sie monatlich in unterschiedlicher Höhe erzielt werden, gemäß § 8
DVO als Jahreseinkünfte zu berechnen. Hiernach hätte der Beklagte das von der
Klägerin in der Zeit von April bis November 2002 erzielte Erwerbseinkommen unter
anteiliger Berücksichtigung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld zugrundelegen müssen
und nicht - wie geschehen - den im Jahr davor erzielten Durchschnittsverdienst.
Andererseits hat die Klägerin sich im Klageverfahren nicht mehr ausdrücklich gegen die
Höhe des vom Beklagten zugrunde gelegten Erwerbseinkommens gewandt. Das
Gericht hält es deshalb für gerechtfertigt, von dem Netto-Erwerbseinkommen
auszugehen, welches der Beklagte bei seiner Entscheidung über die Heranziehung
zum Kostenbeitrag zugrundegelegt hat. Letztlich kommt es aber - wie unten noch
aufzuzeigen sein wird - nicht darauf an, ob das Erwerbseinkommen der Klägerin
niedriger war, als vom Beklagten angenommen.
36
Von dem Erwerbseinkommen waren gemäß § 76 Abs. 2 BSHG noch folgende Beträge
abzusetzen: Auf das Einkommen entrichtete Steuern (Nr. 1), Pflichtbeiträge zur
Sozialversicherung einschließlich der Arbeitslosenversicherung (Nr. 2), Beiträge zu
öffentlichen oder privaten Versicherungen oder ähnlichen Einrichtungen, soweit diese
Beiträge gesetzlich vorgeschrieben oder nach Grund und Höhe angemessen sind,
sowie geförderte Altersvorsorgebeiträge nach § 82 des Einkommensteuergesetzes,
soweit sie den Mindesteigenbetrag nach § 86 des Einkommensteuergesetzes nicht
überschreiten (Nr. 3) und schließlich die mit der Erzielung des Einkommens verbundene
notwendigen Ausgaben (Nr. 4). Hierzu bestimmt § 3 Abs. 4 DVO ergänzend, dass zu
diesen notwendigen Ausgaben im Sinne des Gesetzes vor allem notwendige
Aufwendungen für Arbeitsmittel, für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte,
notwendige Beiträge für Berufsverbände und notwendige Mehraufwendungen infolge
Führung eines doppelten Haushalts gehören. Nach § 3 Abs. 5 DVO kann als
Aufwendungen für Arbeitsmittel ein monatlicher Pauschbetrag von 5,20 EUR
berücksichtigt werden, wenn nicht im Einzelfall höhere Aufwendungen nachgewiesen
werden.
37
Der Beklagte hat zwar zutreffend die Beiträge zur Hausratversicherung, zur
Unfallversicherung und zur Haftpflichtversicherung sowie - ab dem 1. Juli 2002 - die
Beiträge zur Krankenzusatzversicherung vom Erwerbseinkommen abgesetzt. Er hat
allerdings zu Unrecht einen Beitrag für die Krankenversicherung des Lebensgefährten
der Klägerin in Höhe von monatlich 40,71 EUR berücksichtigt, der das Einkommen der
Klägerin nicht tatsächlich belastet.
38
Hingegen hat er rechtsfehlerhaft den Beitrag zur Sterbeversicherung in Höhe von
monatlich 4,96 EUR für die Tochter T unberücksichtigt gelassen.
39
Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherungen sind gemäß § 76 Abs. 2 Nr. 3
BSHG vom Einkommen abzusetzen, soweit diese Beiträge gesetzlich vorgeschrieben
oder nach Grund und Höhe angemessen sind. Beiträge sind dann angemessen, wenn
die bezweckte Sicherung nach den individuellen Verhältnissen des Hilfesuchenden
dem entspricht, was ein in bescheidenen Verhältnissen lebender, aber nicht
sozialhilfebedürftiger Bürger in einer ansonsten vergleichbaren Lage für sinnvoll und
tragbar erachten würde,
40
BVerwG, Urteil vom 28. Mai 2003 - 5 C 8.02 - und OVG NRW, Urteil vom 12. Dezember
2001 - 12 A 5824/00 -.
41
Dabei ist neben den Kosten auch danach zu fragen, ob die Versicherung auch
unabhängig von ihren Kosten einen vernünftigen oder jedenfalls nachvollziehbaren
Zweck verfolgt. Weiter erscheint es als sachgerecht, den Begriff der Angemessenheit
auf Vorsorgemaßnahmen zu begrenzen, die unter dem Blickwinkel der Daseinsvorsorge
von einem vernünftig und vorausschauend planenden Bürger, der kein überzogenes
Sicherheitsbedürfnis hat, als ratsam eingestuft werden kann. Dies ist der Fall, wenn die
Vorsorgeaufwendungen einen engen Bezug zur Erwerbstätigkeit und den damit
einhergehenden erhöhten Risiken aufweisen und einen bescheidenen Rahmen nicht
überschreiten, oder wenn mit der Versicherung Risiken abgedeckt werden, die nach Art
und Bedeutung gleich zu achten sind. Speziell im Hinblick auf freiwillige
Versicherungen ist schließlich zu fordern, dass die bezweckte Sicherung ein
nennenswerter Beitrag zu Erlangung und Beibehaltung einer eigenständigen, vom
dauerhaften Sozialhilfebezug unabhängigen wirtschaftlichen Stellung sein muss,
42
vgl. zum Vorstehenden: OVG NRW, Urteil vom 12. Dezember 2001 - 12 A 5824/00 -.
43
Speziell für Beiträge zu einer Sterbeversicherung hat das Bundesverwaltungsgericht
entschieden, dass sie jedenfalls dann dem Grunde nach unangemessen sind, wenn die
Sterbeversicherung von einer 36jährigen Sozialhilfeempfängerin für sich selbst
abgeschlossen worden ist,
44
BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2002 - 5 C 43/01 - FEVS 54, 5 und vorgehend OVG NRW,
Urteil vom 11. Juli 2001 - 12 A 2727/00 -
45
Gemessen an diesen Grundsätzen erscheint im vorliegenden Fall der Beitrag zur
Sterbeversicherung in Höhe von monatlich 4,96 EUR dem Grund und der Höhe nach
angemessen. Anders als in dem vom Bundesverwaltungsgericht und vom
Oberverwaltungsgericht entschiedenen Fall stand die Klägerin bei Abschluss der
Sterbeversicherung für ihre Tochter nicht im Sozialhilfebezug. Außerdem hat die
Klägerin - anders als im dortigen Fall - die Klägerin im hier zur Entscheidung stehenden
Fall Vorsorge getroffen für ein Risiko, das sie wirtschaftlich selbst trägt, weil sie als
Mutter im Falle des Ablebens ihrer minderjährigen und unverheirateten Tochter aller
Voraussicht nach verpflichtet sein dürfte, die Kosten der Bestattung - zumindest anteilig -
zu tragen. Dass die Tochter der Klägerin früher als ihre Mutter versterben wird, ist
angesichts der Art und Schwere ihrer Erkrankung überwiegend wahrscheinlich. Das
Gericht misst dem Umstand, dass die Sterbeversicherung gekündigt werden kann, für
die Frage der Angemessenheit der Beiträge im vorliegenden Fall keine entscheidende
46
Bedeutung bei,
anders z. B. VG Stuttgart, Beschluss vom 26. Mai 2004 - 8 K 1268/04 - ZfSH/SGB 2005,
37, zu der Frage, ob der Einsatz des Rückkaufwertes eine Härte darstellt,
47
weil hier die geringe noch verbleibende Lebenserwartung von T zu berücksichtigen ist
und sich der Rückkaufwert im Jahr 2002 auf 0,00 EUR bzw. im Jahr 2003 auf 83,70
EUR belief. Die Sterbeversicherung ist von der Klägerin ersichtlich nicht zur
verzinslichen Ansammlung von Kapital, sondern zur Absicherung der Kosten für eine
Beerdigung ihrer Tochter abgeschlossen worden.
48
Hingegen sind die Beiträge zur Kapitallebensversicherung (Kapitalversicherung auf den
Todes- und Erlebensfall) der Klägerin nicht von ihrem Erwerbseinkommen absetzbar.
Soweit die Klägerin geltend macht, diese Versicherung bedeute eine unbedingt
erforderliche zusätzliche Sicherung der Altersversorgung und sei konzipiert auf den
Zeitpunkt des Rentenbezugs aus der gesetzlichen Rentenversicherung, ist dem nicht zu
folgen. Die Versicherung dient, soweit sie auf den Todesfall abgeschossen wurde, nicht
der Alterssicherung,
49
zur Absetzbarkeit von Beiträgen zur Alterssicherung vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Juni
1999 - 5 C 18/98 - FEVS 51, 167-168,
50
sondern der Deckung des wirtschaftlichen Risikos der Erben der Klägerin, die Kosten
ihrer Beerdigung tragen zu müssen. Soweit sie auf den Erlebensfall abgeschlossen ist,
erfolgt die Auskehrung des Kapitals grundsätzlich als Einmalzahlung und es besteht
lediglich die Möglichkeit, die Ablaufleistung ganz oder teilweise in einen Rententarif
umzuwandeln. Zudem ist die Versicherung jederzeit kündbar und der Rückkaufwert
nebst Überschussbeteiligung schon vor Eintritt in das Rentenalter ohne Zweckbindung,
51
vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 13. Mai 2004 - 5 C 3/03 - BVerwGE 121, 34,
52
für die Klägerin verfügbar. Damit handelt es sich bei der abgeschlossenen Versicherung
weder um eine reine Sterbegeldversicherung noch um eine reine Rentenversicherung.
Vielmehr dient die Lebensversicherung in erster Linie der Kapitalansammlung. Damit ist
schon dem Grunde nach eine Abzugsfähigkeit zu verneinen,
53
vgl. OVG NRW, Urteil vom 13. November 1979 - 8 A 80/78 - FEVS 28, 412.
54
Überdies ist zu beachten, dass die Vorschrift des § 76 Abs. 2 Nr. 3 BSHG i.d.F. vom 27.
April 2002 ausdrücklich (nur) geförderte Altersvorsorgebeiträge nach § 82 des
Einskommensteuergesetzes für abziehbar erklärt.
55
Ferner hat der Beklagte zu Unrecht den vom Kindesvater für den Sohn N gezahlten
Unterhaltsbeitrag als Einkommen der Klägerin gewertet. Zutreffend war es hingegen,
das für N und T gezahlte Kindergeld als Einkommen der Klägerin anzurechnen, da die
Klägerin kindergeldberechtigt ist und ihr das Kindergeld tatsächlich zufließt.
56
Hiernach errechnet sich Einkommen der Klägerin in folgender Höhe: Zeitraum bis 06/02
ab 07/02 Nettolohn 1.042,36 1.042,36 Kindergeld + 308,00 + 308,00 A.-mittel - 5,20 -
5,20 Fahrtkosten - 50,00 - 50,00 Versicher. - 47,24 - 128,17 Gesamt 1.401,92 1.320,99
Die Einkommensgrenze des § 81 BSHG berechnet sich wie folgt: Zunächst ist der
57
Grundbetrag gemäß §§ 79 Abs. 2 Nr. 1, 81 Abs. 1 Nr. 1 BSHG für die Klägerin sowie ein
Familienzuschlag für T nach § 79 Abs. 2 Nr. 3 BSHG in Ansatz zu bringen. Die
Unterkunftskosten waren auf 4 Personen zu verteilen, weil neben der Klägerin, ihrem
Lebensgefährten und dem Sohn N auch die Tochter T zur Haushaltsgemeinschaft zu
zählen ist. Ein Familienzuschlag gemäß § 79 Abs. 2 Nr. 2 BSHG für den Sohn N war
nicht zu berücksichtigen, weil er von der Klägerin im hier maßgeblichen Zeitraum nicht
überwiegend unterhalten worden ist. Denn N bezog von seinem Vater
Unterhaltsleistungen in Höhe von 283,26 EUR monatlich. Dem standen ein
Unterkunftskostenanteil zuzüglich Neben- und Heizkosten von 227,50 (¼ der
Warmmiete) und ein regelsatzmäßiger Bedarf von 258,20 EUR monatlich bis 30. Juni
2002 bzw. von 264,00 EUR monatlich ab dem 1. Juli 2002 gegenüber.
Danach ergibt sich für die Klägerin die folgende Einkommensgrenze: Zeitraum bis 06/02
ab 07/02 Grundbetrag 826,00 844,00 1x Fam.-Zuschlag für T + 229,46 + 234,40 2/4 der
Kaltmiete + 355,00 + 355,00 Gesamt 1.410,46 1.433,40 Damit ist aber eine
Heranziehung zum Kostenbeitrag nicht ausgeschlossen. Gemäß § 85 Abs. 1 S. 1 Nr. 3
BSHG kann die Aufbringung der Mittel, auch soweit das Einkommen unter der
Einkommensgrenze liegt, verlangt werden, soweit bei der Hilfe in einer Anstalt, einem
Heim oder einer gleichartigen Einrichtung oder in einer Einrichtung zur teilstationären
Betreuung Aufwendungen für den häuslichen Lebensunterhalt erspart werden. S. 2 der
Vorschrift („darüber hinaus soll in angemessenem Umfang die Aufbringung der Mittel
verlangt werden") kommt wegen § 43 Abs. 2 S. 2, 1. Halbs. BSHG, wonach die Kosten
des in einer Einrichtung gewährten Lebensunterhaltes in den Fällen der Nummern 1 bis
6 nur in Höhe der für den häuslichen Lebensunterhalt ersparten Aufwendungen
anzusetzen ist, nicht zur Anwendung. Hier liegt ein Fall der Nummern 1 bis 6, nämlich
ein Fall des § 43 Abs. 2 Nr. 3 BSHG vor. Diese Bestimmung umfasst trotz des insoweit
missverständlichen Wortlauts, der die Geltung auf den „noch nicht" eingeschulten
Menschen zu begrenzen scheint, auch die Hilfen für diejenigen behinderten Menschen,
deren Behinderung - wie hier im Falle von T - eine Schulbildung voraussichtlich nicht
zulässt oder nicht zulassen wird,
58
vgl. Schellhorn, BSHG, 16. Aufl. 2002, § 43 Rdnr. 29 unter Bezugnahme auf den
Ausschussbericht des Deutschen Bundestages vom 4. April 2001 (BT-Drucks. 14/5800,
S. 34).
59
Für die Ermittlung der häuslichen Ersparnis ist der regelsatzmäßige Bedarf des
Hilfeempfängers ein geeigneter Anhaltspunkt. Zwar lassen sich starre Regeln nicht
aufstellen. Der Bedarf in Höhe des Regelsatzes orientiert sich aber am notwendigen
Lebensunterhalt gem. § 11 Abs. 1 BSHG. Es kann mithin davon ausgegangen werden,
dass die Eltern eines Hilfeempfängers diesem den notwendigen und von dem
Regelsatz erfassten Lebensunterhalt jedenfalls dann gewähren, wenn ihr Einkommen
die für die gesamte Familie (fiktiv) zu gewährenden Regelsatzleistungen übersteigt,
60
OVG NRW, Urteil vom 27. November 1997 - 8 A 4279/95 - FEVS 48, 359 und Urteil vom
27. Januar 1992 - 24 A 2637/89 -.
61
Da es sich bei § 85 BSHG um eine Kann-Vorschrift handelt, steht es im Ermessen des
zuständigen Sozialhilfeträger, ob er von dieser Ermächtigung Gebrauch macht,
62
vgl. OVG NRW, Urteil vom 27. November 1997 a.a.O.
63
Dabei ist davon auszugehen, dass eine Ermessensentscheidung einer Behörde gemäß
§ 114 VwGO gerichtlich nur daraufhin zu überprüfen ist, ob der Verwaltungsakt oder die
Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsaktes rechtswidrig ist, weil die
gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in
einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht
worden ist.
64
In Wahrnehmung seines Ermessens hat der Beklagte im vorliegenden Falle nicht den
vollen Regelsatz, sondern unter Berücksichtigung seiner ständigen Verwaltungspraxis
und der hierzu entwickelten Richtlinien ausgehend von den von ihm ermittelten
Einkommensverhältnissen für den Teilzeitraum vom 15. April 2002 bis zum 30. Juni
2002 80% des maßgeblichen Regelsatzes und vom 1. Juli 2002 bis 30. November 2002
70% des Regelsatzes als monatlichen Kostenbeitrag von der Klägerin gefordert.
65
Die vom Beklagten getroffene Ermessensentscheidung leidet indessen an
durchgreifenden Ermessensfehlern. Insbesondere hat der Beklagte bei seiner
Entscheidung nicht berücksichtigt, dass die Klägerin im zur Beurteilung stehenden
Zeitraum besondere Belastungen zu tragen hatte, die ihr Einkommen in erheblichem
Umfang weiter gemindert haben und die im Ergebnis dazu führen, dass der Beklagte
nach der von ihm ausgeübten ständigen Verwaltungspraxis einen Kostenbeitrag nicht
hätte erheben dürfen.
66
Besondere Belastungen sind nicht nur bei der Entscheidung nach § 84 BSHG (Einsatz
des Einkommens über der Einkommensgrenze), sondern auch bei der Entscheidung
gemäß § 85 BSHG zu berücksichtigen. Nach der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts ist die Vorschrift des § 84 Abs. 1 Satz 2 BSHG nämlich im
Rahmen von § 85 Nr. 3 Satz 2 BSHG anzuwenden. Dort ist ausdrücklich gesagt, es
seien die besonderen Belastungen des Hilfesuchenden (Hilfeempfängers) zu
berücksichtigen. Folglich sind bei der Auslegung und Anwendung der §§ 84, 85 Nr. 3
BSHG die in § 84 Abs. 1 Satz 2 BSHG beispielhaft genannten
Angemessenheitskriterien zugrunde zu legen. Bei der Prüfung, in welchem Umfang die
Aufbringung der Mittel angemessen ist, sind vor allem die Art des Bedarfs, die Dauer
und Höhe der erforderlichen Aufwendungen sowie besondere Belastungen des
Hilfesuchenden zu berücksichtigen,
67
BVerwG, Urteil vom 6. April 1995 - 5 C 5.93 - Buchholz 436.0 § 85 BSHG Nr. 14 S. 6
und Beschluss vom 30. Dezember 1997 - 5 B 21/97 - FEVS 48, 241.
68
Besondere Belastungen können - neben bestimmten Schuldverpflichtungen -
insbesondere Aufwendungen für Unterhaltsleistungen, soweit sie nicht durch den
Familienzuschlag abgedeckt sind, erforderliche Aufwendungen bei Krankheit,
Pflegebedürftigkeit oder Behinderung und für Fahrten zum Besuch naher Angehöriger in
Einrichtungen sein,
69
vgl. Schellhorn, BSHG, 16. Aufl. 2002, § 84 Rdnr. 14.
70
Als besondere Belastung sind hier zunächst die Aufwendungen zu berücksichtigen,
welche der Klägerin durch Leistung von (Natural-)Unterhalt für den Sohn N entstanden
sind. Dabei ist davon auszugehen, dass die Klägerin den nicht aus den
Unterhaltsleistungen des Kindesvaters gedeckten Bedarf aus eigenen Mitteln
sichergestellt hat. Dies ist ein Betrag von monatlich 245,75 EUR. Wird diese Summe
71
von dem oben errechneten Einkommen der Klägerin abgezogen, so errechnet sich ein
verbleibendes Einkommen von monatlich 1.156,17 EUR (bis 30. Juni 2002) bzw.
1.075,24 EUR (ab 1. Juli 2002). Dieses Einkommen ist geringer als der Mindestbedarf,
den der Beklagte den in § 28 BSHG genannten Personen regelmäßig belassen möchte
und bei dessen Unterschreiten er nach ständiger Verwaltungspraxis regelmäßig von der
Heranziehung zum Kostenbeitrag absieht. Als Mindestbedarf hat der Beklagte im
vorliegenden Fall den Betrag von 1.261,77 EUR angesehen.
Die Klägerin hat außerdem schon im Verwaltungsverfahren vorgetragen und belegt,
dass ihr weitere Aufwendungen entstanden sind, die zur Überzeugung des Gerichts bei
der Entscheidung des Beklagten über die Heranziehung zum Kostenbeitrag
Berücksichtigung hätten finden müssen. Es handelt sich hierbei zum einen um die
Fahrtkosten, die ihr anlässlich der Besuche bei ihrer Tochter im Heim entstanden sind,
wobei dahingestellt bleiben mag, ob die Kosten für zwei- bis dreimalige Besuche pro
Woche in vollem Umfang berücksichtigungsfähig wären. Zum anderen waren der
Klägerin im Mai 2002 Kosten in Höhe von 157,19 EUR für die Anfertigung einer Brille für
T, im März 2002 Kosten in Höhe von 255,65 EUR für einen Thermoschlupfsack für den
Rollstuhl sowie im Dezember 2001 Kosten in Höhe von 293,40 EUR für eine
Lagerungsinsel (zur Minderung der Folgen der Behinderung ihrer Tochter) entstanden,
welche zumindest anteilig im streitbefangenen Zeitraum hätten berücksichtigt werden
müssen.
72
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.
73
Die Hinzuziehung des Bevollmächtigten im Vorverfahren war gemäß § 162 Abs. 2
VwGO für notwendig zu erklären, weil es der Klägerin aus der Sicht eines verständigen,
aber rechtsunkundigen Bürgers nicht zugemutet werden konnte, das Verfahren ohne
anwaltliche Hilfe zu betreiben.
74
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§
708 Nr. 11, 711 ZPO.
75
76