Urteil des VG Düsseldorf vom 10.10.2003
VG Düsseldorf: private krankenversicherung, bvo, anerkennung, heilbehandlung, arzneimittel, vollstreckung, therapie, krankheit, direktor, beihilfe
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 26 K 450/01
Datum:
10.10.2003
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
26. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
26 K 450/01
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf
die Vollstreckung des Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von
30,00 Euro abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung
Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand:
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Der am 0.00.0000 geborene Kläger war bis zum 30. September 2000 als
Verbandsverwaltungsdirektor im aktiven Dienst des Beklagten. Seit dem 1. Oktober
2000 ist er auf Grund einer Erkrankung an Nierenkrebs in den Ruhestand versetzt. Der
Kläger hat seine Erkrankung durch B, den Ärztlichen Direktor der S- Klinik in C1, im
Rahmen einer „Immunonkologischen Therapie" mit dem im „Immunologischen
Laboratorium Hannover GmbH" hergestellten Mittel BioVac® DC behandeln lassen.
Hierbei handelt es sich um einen ausschließlich auf Rezept hergestellten „zellulären
Impfstoff" aus dendritischen Zellen.
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Mit Beihilfeantrag vom 1. August 2000 machte der Kläger Aufwendungen für dieses
Rezepturarzneimittel in Höhe von 12.347,01 DM geltend. Ausweislich der dem Antrag
beigefügten Rechnungen beläuft sich der Gesamtbetrag für das Arzneimittel allerdings
auf 17.638,59 DM.
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Mit Bescheid vom 14. November 2000 lehnte der Beklagte den Beihilfeantrag des
Klägers ab. Zur Begründung verwies er darauf, dass es sich bei BioVac® DC um ein
wissenschaftlich nicht allgemein anerkanntes Heilmittel handele, so dass eine
Beihilfefähigkeit nicht gegeben sei. Der Amtsarzt des Kreises X habe nach Durchsicht
aller von dem Kläger vorgelegten Unterlagen mitgeteilt, dass es bisher keine Hinweise
für eine Wirksamkeit des Präparates gebe.
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Den hiergegen mit Schreiben vom 22. November 2000 am 23. November 2000
eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit am 27. Dezember 2000 mittels
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eingeschriebenen Briefes zugestelltem Widerspruchsbescheid vom 20. Dezember 2000
zurück.
Der Kläger hat am 25. Januar 2001 die vorliegende Klage erhoben, zu deren
Begründung er im Wesentlichen geltend macht: Das Arzneimittel BioVac® DC sei
wissenschaftlich allgemein anerkannt und klinisch erprobt. Die Behandlung sei bei ihm
auch erfolgreich verlaufen. Überdies habe die private Krankenversicherung 50 % der
Kosten übernommen.
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Der Kläger beantragt,
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den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 14. November 2000 und des
Widerspruchsbescheides vom 20. Dezember 2000 zu verpflichten, eine Beihilfe in Höhe
von 4.050,73 Euro zu gewähren.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung wiederholt und vertieft er die Gründe der mit der vorliegenden Klage
angegriffenen Verwaltungsentscheidungen.
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Das Gericht hat Beweis erhoben über die Frage, ob es sich bei dem
Rezepturarzneimittel „zellulärer Impfstoff" aus dendritischen Zellen „BioVac® DC" um
ein wissenschaftlich anerkanntes oder (nur) noch nicht anerkanntes Arzneimittel (vgl. §
4 Abs. 1 Nr. 7 BVO) handelt durch Einholung eines Gutachtens des Herrn N, Direktor
des Instituts für Immunologie (I). Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf
die Stellungnahme des Herrn N vom 4. August 2003 verwiesen.
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Wegen des weiteren Vorbringens der Verfahrensbeteiligten und des Sachverhaltes im
Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen
Verwaltungsvorganges des Beklagten ergänzend Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Es kann dahin gestellt bleiben, ob die Klage in Höhe eines Teilbetrages von 894,26
Euro (4.050,73 Euro minus 3.156,47 Euro) überhaupt zulässig ist. Zweifel bestehen
insofern, als mit dem Beihilfeantrag vom 1. August 2000, der auch Grundlage des
nachfolgenden Ablehnungsbescheides vom 14. November 2000 und des
Widerspruchsbescheides vom 20. Dezember 2000 war, nur eine Beihilfe in Höhe von
3.156,47 Euro (50 % von 6.312,93 Euro) begehrt wurde. Letztlich kann jedoch
dahinstehen, in welcher Höhe Aufwendungen als beihilfefähig geltend gemacht wurden.
Die Klage ist nämlich jedenfalls nicht begründet.
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Der die Beihilfefähigkeit der Aufwendungen für das Medikament BioVac® DC
ablehnende Bescheid des Beklagten vom 14. November 2000 ist rechtmäßig und
verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Denn der Kläger hat keinen Anspruch auf
Anerkennung dieser Aufwendungen als beihilfefähig (§ 113 Abs. 5 S. 1 VwGO).
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Gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 der Verordnung über die Gewährung von Beihilfen in
Krankheits-, Geburts- und Todesfällen (Beihilfenverordnung - BVO -) sind in
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Krankheitsfällen beihilfefähig die zur Wiedererlangung der Gesundheit und zur
Besserung oder Linderung von Leiden notwendigen Aufwendungen in angemessenem
Umfange. Nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 BVO umfassen die beihilfefähigen
Aufwendungen die Kosten für die Untersuchung, Beratung und Verrichtung sowie
Begutachtung durch einen Arzt. Nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 BVO sind allerdings
Aufwendungen für eine wissenschaftlich nicht anerkannte Heilbehandlung von der
Beihilfefähigkeit ausgeschlossen. Aufwendungen für wissenschaftlich noch nicht
anerkannte Heilbehandlungen können gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 BVO auf Grund
des Gutachtens eines Amts- oder Vertrauensarztes vom Finanzministerium - bzw. bei
Bediensteten der Gemeinden und Gemeindeverbände vom Dienstvorgesetzten (§ 15
Abs. 1 BVO) - für beihilfefähig erklärt werden, wenn wissenschaftlich anerkannte
Heilbehandlungen ohne Erfolg angewendet worden sind.
Wissenschaftlich anerkannt ist eine Behandlungsmethode, wenn sie von den
Wissenschaftlern, die in dem durch die zu behandelnde Krankheit und die Art der
Behandlung gekennzeichneten Fachbereich tätig sind, auf Grund wissenschaftlicher
Erkenntnisse als für eine Behandlung der Krankheit wirksam angesehen wird. Die
Überzeugung von der Wirksamkeit muss allerdings nicht in jedem Falle in der Fachwelt
uneingeschränkt und einhellig geteilt werden. Das würde der Vielfalt wissenschaftlich
begründeter Standpunkte und Erkenntnisse und der darauf gestützten
Behandlungsmethoden nicht gerecht werden. Das Merkmal der wissenschaftlichen
Anerkennung setzt aber doch eine weit gehende Zustimmung der im Fachbereich
tätigen Wissenschaftler voraus und ist jedenfalls dann nicht gegeben, wenn eine
größere Anzahl namhafter Autoren oder wichtige wissenschaftliche Gremien die
Behandlungsmethode auf Grund wissenschaftlicher Erkenntnisse als nicht wirksam
ansehen. Wissenschaftlich anerkannt in diesem Sinne könne durchaus verschiedene
Methoden und Mittel sein; dies gilt auch dann, wenn eine Methode oder ein Mittel
bevorzugt angewandt wird. Entscheidend kann in diesem Zusammenhang nur sein, ob
auch die Außenseitermethode von der herrschenden wissenschaftlichen Meinung als
wirksam und geeignet angesehen wird -
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so das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Urteile
vom 25. Mai 1994 - 6 A 2192/88 - und vom 23. März 1995 - 6 A 3871/93 -,
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oder ob die Behandlungsmethode in Kreisen der Wissenschaftler zumindest von einer
gewichtigen Minderheit als therapiewirksam angesehen wird.
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So OVG NRW, Urteil vom 29. Juni 1994 - 12 A 1449/91 -; Verwaltungsgericht (VG)
Düsseldorf, Urteil vom 12. Februar 1997 - 10 K 13113/94 -.
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Der Begriff der „wissenschaftlich nicht anerkannten Heilbehandlung" im Sinne des § 4
Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 BVO erfasst danach nicht nur Verfahren, deren
Unwissenschaftlichkeit gewissermaßen auf der Hand liegt, weil sie auf Aberglauben
oder anderen neben der Sache liegenden Überzeugungen beruhen; erfasst werden
auch Methoden, deren Geeignetheit lediglich von der unter Wissenschaftlern
herrschenden Auffassung mit der Folge in Zweifel gezogen wird, dass sich die
Befürworter dieser Methode in einer wissenschaftlichen Außenseiterposition befinden
und nicht einmal als gewichtige Mindermeinung angesehen werden können.
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So auch VG Düsseldorf, Urteil vom 12. Februar 1997 - 10 K 13113/94 -.
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Für diese Auslegung lassen sich überzeugende Gründe anführen: So ist zu
berücksichtigen, dass der unbestimmte Rechtsbegriff, den der Verordnungsgeber in § 4
Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 BVO zur Abgrenzung der Beihilfefähigkeit verwendet hat, auf einen
außerrechtlichen Maßstab, nämlich das, was von der Wissenschaft „anerkannt" worden
ist, verweist. Das bedeutet nichts anderes, als dass auf die unter den Wissenschaftlern
herrschende Auffassung abzustellen ist. Dafür spricht auch die Regelung über die
Beihilfefähigkeit der „noch nicht wissenschaftlich anerkannten Heilbehandlungen" (§ 4
Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 BVO), deren Beihilfefähigkeit ausnahmsweise - und unter
bestimmten weiteren Voraussetzungen - erklärt werden kann, wenn wissenschaftlich
anerkannte Heilbehandlungen ohne Erfolg angewendet worden sind. Diese Regelung
wäre überflüssig, wenn jedes Verfahren, welches überhaupt aus wissenschaftlichen
Erwägungen heraus als wirksam angesehen wird, bereits als „wissenschaftlich
anerkannt" zu gelten hätte.
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Diese die Frage der wissenschaftlichen Anerkennung einer Heilbehandlung
betreffenden Ausführungen gelten für die Frage, ob ein Mittel i.S. des § 4 Abs. 1 Nr. 7 S.
2 Buchstabe a) BVO wissenschaftlich anerkannt ist, entsprechend.
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Hiervon ausgehend ist festzustellen, dass es sich bei BioVac® DC nicht um ein
wissenschaftlich anerkanntes Mittel handelt. Diese Feststellung folgt aus den
Ausführungen des Gutachters N vom Institut für Immunologie in I in seiner
gutachterlichen Äußerung vom 4. August 2003. Dort ist zwar festgestellt, dass die von
dem Kläger für sein Leiden ausgewählte Behandlungsmethode soweit entwickelt ist,
dass es gerechtfertigt ist, die Wirksamkeit beim Menschen zu überprüfen. Gleichwohl
befindet sich die Therapie nach den weiteren Ausführungen erst in einem klinisch-
experimentellen Stadium, und es entspricht nach den Ausführungen des Gutachters
nicht einem seriösem ärztlichen Vorgehen, experimentelle Verfahren außerhalb
klinischer Studien anzuwenden. Danach ist nicht zweifelhaft, dass von einer bereits
gegebenen wissenschaftlichen Anerkennung keine Rede sein kann. Gegenteiliges folgt
auch nicht aus den Äußerungen des Q-Instituts (Bundesamt für Sera und Impfstoffe) in M
vom 26. August 2002, da dieses Institut zur Wirksamkeit des Mittels BioVac® DC keine
Aussagen machen konnte. Auch der vom Q-Institut in seiner Äußerung in Anlage
beigefügte Bericht aus der Ärztezeitung vom 9. April 2002 spricht bezüglich der
Immuntherapie bei Krebs lediglich von vorläufigen Ergebnissen sowie davon, dass die
Immuntherapie gegenwärtig das Stadium der klinischen Studien erreicht hat, wobei zur
Art und Weise der Behandlung noch einheitliche Kriterien fehlen.
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Lediglich angemerkt sei noch, dass für die Frage der beihilferechtlichen Anerkennung
der Aufwendungen des Klägers die Frage der anteiligen Kostenübernahme durch die
private Krankenversicherung ohne Bedeutung ist, da die private Krankenversicherung
ihre Leistungen auf der Grundlage des mit dem Kläger geschlossenen
Versicherungsvertrages erbringt, nicht aber auf der Grundlage der ausschließlich im
Verhältnis des Dienstherrn zum Bediensteten Geltung beanspruchenden
Beihilfenverordnung.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die
Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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