Urteil des VG Düsseldorf vom 02.02.2010
VG Düsseldorf (kläger, erlass, stundung, sozialhilfe, einziehung, bezug, stadt, verhältnis zu, antrag, wirtschaftliche leistungsfähigkeit)
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 23 K 2884/08
Datum:
02.02.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
23. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
23 K 2884/08
Schlagworte:
Friedhofsgebühren Billigkeitsmaßnahmen Erlass Niederschlagung
Stundung Nachrang Vorrang Kostenübernahme Bestattungskosten
Bedürftigkeit
Normen:
VwGO § 91 VwGO § 154 Abs 1 VwGO § 154 Abs 3 VwGO § 162 Abs 3
ZPO § 264 Nr 3 AO § 222 AO § 227 AO § 261 SGB 12 § 74 SGB 12 § 2
Leitsätze:
Es besteht kein Nachrang des Anspruchs auf Übernahme von Bestat-
tungskosten, einschließlich Friedhofsgebühren, gemäß § 74 SGB XII
gegenüber den abgabenrechtlichen Billigkeitsmaßnahmen Erlass,
Niederschlagung oder Stundung im Hinblick auf die Friedhofsgebühren.
Deshalb kann der zuständige Sozialhilfeträger einen Antragsteller i.S.v.
§ 74 SGB XII nicht darauf verweisen, er müsse im Hinblick auf den
Friedhofsgebührenbescheid Billigkeitsmaßnahmen beantragen und ggf.
gegen einen Ablehnungsbescheid Klage erheben.
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger und der Beklagte tragen die Kosten des Verfahrens je zur
Hälfte, mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigelade-nen,
die dieser selbst trägt.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig voll-
streckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die gegen ihn
gerichtete Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des nach
dem Urteil zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der
jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in
Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages leistet.
Tatbestand:
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Der Kläger ist der Sohn der zuletzt in O wohnhaften und dort am 0. September 2007
verstorbenen Frau T. Sie wurde auf dem Südfriedhof in E beerdigt.
2
Das Friedhofsamt des Beklagten setzte deshalb gegenüber dem Kläger mit
bestandskräftigem Gebührenbescheid vom 20. September 2007 Gebühren für die
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Beisetzung seiner Mutter in Höhe von 1.630 Euro fest. Wegen der Einzelheiten wird auf
Beiakte 1, Blatt 16 verwiesen.
Da der Kläger bei der ARGE O im Bezug von Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für
Arbeitsuchende – (SGB II) steht und nicht über die Geldmittel verfügte, um die
Gebührenforderung zu begleichen, beantragte er beim Sozialamt der Stadt O die
Übernahme der Bestattungskosten für seine Mutter gemäß § 74 des Zwölften Buch
Sozialgesetzbuch – Sozialhilfe – (SGB XII). Dort verwies man ihn darauf, er müsse
zunächst bezüglich der Friedhofsgebühren einen Antrag auf Stundung,
Niederschlagung oder Erlass stellen; erst wenn diesbezüglich ein Ablehnungsbescheid
ergangen sei, könne nach den Richtlinien des Beigeladenen über die Übernahme der
Friedhofsgebühren entschieden werden. Dementsprechend beantragte der Kläger beim
Beklagten unter dem 15. Oktober 2007 unter Verweis darauf, dass er Hartz IV-
Empfänger sei, Stundung, Niederschlagung oder Erlass der Gebühren.
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Das Friedhofsamt des Beklagten lehnte den Antrag auf Erlass der Friedhofsgebühren
mit Bescheid vom 23. Oktober 2007 ab, weil die Friedhofsgebühren kostendeckend
kalkuliert seien und ein Erlass der Friedhofsgebühren in der Gebührensatzung für die
Friedhöfe des Beklagten nicht vorgesehen sei.
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Mit Schreiben vom 30. Oktober 2007 machte der Kläger die bisher unterbliebene
Entscheidung über eine Stundung oder Niederschlagung der Gebühren geltend. Hierzu
teilte das Friedhofsamt des Beklagten ihm unter dem 27. November 2007 mit, dass die
Gebührensatzung der Friedhöfe des Beklagten auch eine Niederschlagung oder
Stundung nicht vorsehe. Da sich das Sozialamt der Stadt O hiermit weiterhin nicht
zufrieden gab, beantragte der Kläger unter dem 10. März 2008 beim Beklagten, die
Friedhofsgebühren nach den Vorschriften der Gemeindehaushaltsverordnung
(GemHVO) zu stunden, niederzuschlagen oder zu erlassen. Diesen Antrag lehnte das
Friedhofsamt des Beklagten mit Bescheid vom 13. März 2008 ab, weil die
Gebührensatzung der Friedhöfe einen Erlass, eine Stundung oder eine
Niederschlagung der Friedhofsgebühren nicht vorsehe.
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Das Sozialamt der Stadt O lehnte in Kenntnis dieser Entscheidung mit Bescheid vom
2. April 2008 den Kostenübernahmeantrag des Klägers gemäß § 74 SGB XII wegen des
Nachranges der Sozialhilfe ab und begründete dies im Wesentlichen damit, er müsse
alle Möglichkeiten einer Kostensenkung nutzen und Billigkeitsmaßnahmen nach den
Friedhofssatzungen der Friedhofsträger bzw. nach der Abgabenordnung, notfalls gemäß
§ 32 GemHVO, beantragen. Weil der Beklagte sich insbesondere mit den Vorschriften
der GemHVO im Bescheid vom 13. März 2008 nicht auseinandergesetzt habe,
bestünden Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Ablehnungsbescheide. Nur bei einer
rechtmäßigen Ablehnung der Anträge auf Billigkeitsmaßnahmen könne davon
ausgegangen werden, dass ein Nachrang gegeben sei und eine Leistungspflicht des
Sozialhilfeträgers bestehe.
7
Der Kläger hat gegen den Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 13. März 2008 am
15. April 2008 Klage erhoben, mit der er sein auf die Billigkeitsmaßnahmen gerichtetes
Begehren weiterverfolgt. Zur Begründung nimmt er im Wesentlichen auf die
Ausführungen des Sozialamtes der Stadt O in dessen Ablehnungsbescheid zu § 74
SGB XII vom 2. April 2008 Bezug.
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Am 16. April 2008 erhob der Kläger parallel Widerspruch gegen den
Ablehnungsbescheid des Sozialamtes der Stadt O vom 2. April 2008. Zuständige
Widerspruchsbehörde ist das Kreissozialamt des Beigeladenen. Dieses stellte eine
Entscheidung über den Widerspruch des Klägers im Hinblick auf das vorliegende
Klageverfahren zurück.
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Während des Klageverfahrens hat der Beklagte den angegriffenen Bescheid vom
13. März 2008 mit Bescheid vom 2. Oktober 2009 aufgehoben und in diesem Bescheid
erneut den Antrag auf Erlass, Niederschlagung oder Stundung der Friedhofsgebühren
abgelehnt. Das Friedhofsamt des Beklagten hat zur Begründung ausgeführt: Ein
Anspruch auf die begehrten Billigkeitsmaßnahmen sei nicht gegeben, da dem Kläger
ein Anspruch auf Übernahme der Bestattungskosten gemäß § 74 SGB XII zustehe.
Wegen der Einzelheiten wird auf Blatt 63 f. der Gerichtsakte verwiesen. Zugleich hat der
Beklagte einer möglichen Klageänderung zugestimmt.
10
Der Kläger hat mit Schreiben vom 11. Oktober 2009 erklärt, dass er im Hinblick auf die
Ersetzung des Bescheides vom 13. März 2008 durch den neuen Bescheid vom
2. Oktober 2009 die Klage auch gegen diesen neuen Bescheid richten möchte und
dieser im Wege der Klageänderung zum Gegenstand des laufenden Verfahrens
gemacht werden solle.
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Nach der Klageänderung beantragt der Kläger nunmehr schriftsätzlich sinngemäß,
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den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 2. Oktober 2009 zu
verpflichten, ihm die Friedhofsgebühren Nr. 0000-0000-0000-0 in Höhe von
1.630 Euro zu erlassen,
13
hilfsweise,
14
die genannten Friedhofsgebühren niederzuschlagen,
15
äußerst hilfsweise,
16
ihm die genannten Friedhofsgebühren zu stunden.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung führt er aus: Ein Fall der Unbilligkeit wegen der Gefährdung der
wirtschaftlichen Existenz, welcher zu den beantragten Billigkeitsmaßnahmen
berechtigen könnte, liege nicht vor, weil der Kläger einen Anspruch nach § 74 SGB XII
gegen den Sozialhilfeträger habe. Dem stehe der Nachrang der Sozialhilfe nicht
entgegen, weil die beantragten Billigkeitsmaßnahmen in Bezug auf die
Friedhofsgebühren keine Leistung des Beklagten im Sinne von § 2 SGB XII seien.
Bestünde bei sozialhilferechtlicher Bedürftigkeit ein Anspruch auf Erlass der
Friedhofsgebühren, wäre § 74 SGB XII überflüssig und die von Bedürftigen
geschuldeten, aber nicht entrichteten Gebühren wären in die Friedhofsgebühren
einzukalkulieren und müssten dadurch künftig von den übrigen Friedhofsnutzern
mitgetragen werden. Würden diese (erhöhten) Gebühren von den anderen Nutzern
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gezahlt, würde der sozialhilferechtliche Anspruch letztlich von den künftigen
Friedhofsnutzern aufgebracht. Die Vereinbarung einer Ratenzahlung infolge einer
Stundung würde eine unzulässige Belastung des Gebührenschuldners bedeuten, da die
Raten aus dem Sozialhilfesatz erbracht werden müssten, der diese Kosten nicht
abdecke.
Der Beigeladene stellt keinen Antrag. Er unterstützt jedoch das Begehren des Klägers
und hält den Ablehnungsbescheid des Beklagten für rechtswidrig. Im Wesentlichen
begründet er dies damit, dass nicht davon ausgegangen werden könne, dass die
Voraussetzungen für gebühren- bzw. abgabenrechtliche Billigkeitsmaßnahmen deshalb
fehlen, weil der Kostenübernahmeanspruch nach § 74 SGB XII bestehe; vielmehr sei
gemäß § 2 Abs. 1 SGB XII vom Nachrang der Sozialhilfe auszugehen, weshalb ein
Kostenübernahmeanspruch nach § 74 SGB XII nur bestehe, wenn Anträge auf
Billigkeitsmaßnahmen nach abgabenrechtlichen Vorschriften keinen Erfolg hätten.
Hierzu nimmt der Beigeladene u.a. auf ein für den Deutschen Verein für öffentliche und
private Fürsorge (DV) erstelltes Gutachten des G vom 25. Juli 2007 Bezug. Dieser sieht
– und begründet ausführlich – wie der Beigeladene einen Nachrang des
sozialhilferechtlichen Kostenübernahmeanspruchs nach § 74 SGB XII gegenüber den
abgabenrechtlichen Billigkeitsmaßnahmen.
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Im Übrigen wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes auf die
Gerichtsakte dieses Verfahrens und den beigezogenen Verwaltungsvorgang des
Beklagten Bezug genommen.
22
Entscheidungsgründe:
23
Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten sich
hiermit einverstanden erklärt haben, § 101 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung
(VwGO).
24
Der Einzelrichter ist für die Entscheidung zuständig, nachdem der Rechtsstreit durch
Beschluss der Kammer vom 9. Januar 2009 gemäß § 6 VwGO dem Berichterstatter als
Einzelrichter zur Entscheidung übertragen worden ist.
25
Aufgrund der erfolgten zulässigen Klageänderung durch den Schriftsatz des Klägers
vom 11. Oktober 2009 ist Gegenstand der Klage das Verpflichtungsbegehren, teilweise
in Gestalt einer Bescheidungsklage im Sinne von § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO, auf
Erlass, Niederschlagung oder Stundung der Friedhofsgebühren, unter Aufhebung des
Bescheides des Beklagten vom 2. Oktober 2009. Unabhängig davon, ob es sich bei der
mit Schriftsatz vom 11. Oktober 2009 erklärten Änderung um eine Veränderung des
Streitgegenstandes handelt, die wegen § 173 VwGO in Verbindung mit § 264 Nr. 3 der
Zivilprozessordnung (ZPO) nicht von § 91 VwGO erfasst wird,
26
vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 22. Mai 1987 – 4 C 77/84 –,
BVerwGE 77, 317 ff.,
27
so ist dies, auch wenn es eine Klageänderung im Sinne von § 91 VwGO sein sollte,
jedenfalls sachdienlich, zumal die (Haupt-)Beteiligten auch ausdrücklich zugestimmt
haben. Der Einzelrichter versteht die vom Kläger erklärte Klageänderung so, dass nur
noch der neue Bescheid vom 2. Oktober 2009 aufgehoben werden soll und die zunächst
begehrte Aufhebung des Ablehnungsbescheids des Beklagten vom 13. März 2008,
28
welcher durch dessen Aufhebung erledigt ist (§ 43 Abs. 2 des
Verwaltungsverfahrensgesetzes für das Land NRW – VwVfG), sinnvollerweise nicht
mehr verfolgt wird.
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
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Der angefochtene Bescheid vom 2. Oktober 2009 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger
nicht in seinen Rechten; er hat keinen Anspruch auf den begehrten Erlass, die
Niederschlagung oder die Stundung der ihm gegenüber vom Beklagten mit dem
Bescheid vom 20. September 2007 festgesetzten Friedhofsgebühren (§ 113 Abs. 5
Satz 1 VwGO); auch ein Anspruch auf Neubescheidung seines Antrags unter
Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts besteht nicht (§ 113 Abs. 5 Satz 2
VwGO).
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Die Gebührensatzung für die Friedhöfe der Landeshauptstadt Düsseldorf vom
24. November 2003 (Friedhofsgebührensatzung) enthält selbst keine ausdrückliche
Rechtsgrundlage für Erlass, Niederschlagung oder Stundung. Gemäß § 5
Friedhofsgebührensatzung gelten jedoch für Billigkeitsmaßnahmen die Bestimmungen
der Abgabenordnung (AO) und des Kommunalabgabengesetzes NRW (KAG)
entsprechend. Nach § 227 AO können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem
Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage
des einzelnen Falls unbillig wäre. Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis können
gemäß § 261 AO niedergeschlagen werden, wenn feststeht, dass die Einziehung
keinen Erfolg haben wird, oder wenn die Kosten der Einziehung außer Verhältnis zu
dem Betrag stehen. Gemäß § 222 AO können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem
Steuerschuldverhältnis ganz oder teilweise stunden, wenn die Einziehung bei Fälligkeit
eine erhebliche Härte bedeuten würde und der Anspruch durch die Stundung nicht
gefährdet erscheint. Die Stundung soll in der Regel nur auf Antrag und nur gegen
Sicherheitsleistung gewährt werden.
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Es liegen weder die Voraussetzungen für einen Erlass, noch für eine Niederschlagung
oder eine Stundung vor. Die Einziehung der mit dem Gebührenbescheid vom
20. September 2007 festgesetzten Friedhofsgebühren wäre nicht unbillig (Erlass). Auch
steht nicht fest, dass die Einziehung der Gebühren nach Lage des Falles keinen Erfolg
hätte (Niederschlagung). Zuletzt ist auch nicht erkennbar, dass die Einziehung der
Gebühren bei Fälligkeit eine erhebliche Härte darstellen würde (Stundung).
32
Dies ergibt sich daraus, dass der Leistungen nach dem SGB II beziehende Kläger, der
aus diesem Einkommen die Friedhofsgebühren von 1630 Euro nicht finanzieren kann,
einen Anspruch gegen den Träger der Sozialhilfe (den Beigeladenen, bzw. aufgrund der
erfolgten Delegation durch den Beigeladenen die Stadt O) auf Übernahme der
Friedhofsgebühren aus § 74 SGB XII hat. Nach dieser Vorschrift werden die
erforderlichen Kosten einer Bestattung übernommen, soweit den hierzu Verpflichteten
nicht zugemutet werden kann, die Kosten zu tragen.
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Entgegen der Auffassung der Sozialämter der Stadt O und des Beigeladenen steht
einem Anspruch des Klägers nach § 74 SGB XII nicht der Nachrang der Sozialhilfe
entgegen. Die Auffassung des Beigeladenen, ein eventuell gemäß § 74 SGB XII
Anspruchsberechtigter müsse hinsichtlich der Friedhofsgebühren die
Billigkeitsmaßnahmen Erlass, Niederschlagung oder Stundung in Anspruch nehmen
und dies sogar mit einer Klage vor dem Verwaltungsgericht (VG) verfolgen, überdehnt
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den Nachrang der Sozialhilfe zulasten der Bedürftigen und ist aus
gesetzessystematischen Gründen – auch unter Berücksichtigung des für den DV
erstellten Gutachtens des G vom 25. Juli 2007 – nicht haltbar.
Auch wenn die Billigkeitsmaßnahmen Erlass, Niederschlagung oder Stundung nach
den Vorschriften der AO, die jedenfalls über § 12 KAG und hier auch über § 5
Friedhofsgebührensatzung Anwendung finden, im Grundsatz zugunsten bedürftiger
Schuldner von kommunalen Gebühren unter den Gesichtspunkten von Unbilligkeit,
erheblicher Härte oder voraussichtlich erfolgloser Einziehung zur Anwendung kommen
können, so ist dies jedenfalls im Sonderfall der Friedhofsgebühren ausgeschlossen.
Indem der Gesetzgeber § 74 SGB XII geschaffen hat, der mit den erforderlichen Kosten
der Bestattung nach allgemeiner Auffassung auch die Friedhofsgebühren für eine
angemessene Bestattung umfasst,
35
vgl. Schellhorn u.a., SGB XII, 17. Aufl., 2006, § 74 Rn. 14 ff.; Münder u.a., SGB XII,
7. Aufl., 2005, § 74 Rn. 12 f.; Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2. Aufl., 2008, § 74 Rn. 30 ff.,
36
hat dieser seine Regelungsabsicht verdeutlicht, dass Bezieher von Sozialleistungen
oder sonst wirtschaftlich Schwache im Hinblick auf Friedhofsgebühren nicht unter
Berufung auf ihre Bedürftigkeit von den Billigkeitsmaßnahmen des Abgabenrechts
Gebrauch machen können und auf diese Möglichkeit durch den Träger der Sozialhilfe
auch nicht verwiesen werden sollen. Der so entstehende Gebührenausfall wäre
entweder – wie der Beklagte meint – in die künftige Gebührenkalkulation einzustellen
und so von zahlungsfähigen Friedhofsnutzern zu tragen oder aus dem allgemeinen
Haushalt des Friedhofsträgers aufzubringen. Nach der Absicht des Gesetzgebers soll
die wirtschaftliche Bedürftigkeit vielmehr zu einem Kostenübernahmeanspruch gegen
den Sozialhilfeträger führen, der die Kosten übernimmt und die Friedhofsgebühren zahlt.
Der Gebührenausfall durch Bedürftigkeit der Gebührenschuldner soll somit nicht
zulasten des (nicht notwendig kommunalen) Friedhofsträgers bzw. von solventen
Friedhofsnutzern gehen, sondern aus (steuerfinanzierten) Sozialhilfemitteln getragen
werden. Der Nachranggrundsatz gemäß § 2 SGB XII mag herangezogen werden, wenn
der Sozialhilfeträger Hinweise darauf hat, dass der Bescheid über die
Friedhofsgebühren offensichtlich sachlich unzutreffend, rechnerisch falsch, überhöht
oder sonst erkennbar rechtswidrig ist. Denn nur die vom Kostenpflichtigen geschuldeten
Gebühren dürften erforderliche Kosten im Sinne von § 74 SGB XII sein. Es geht jedoch
zu weit, den Gebührenschuldner – wie hier – in eine Klage auf Verpflichtung des
Friedhofsträgers zum Erlass, zur Niederschlagung oder zur Stundung zu treiben. So
würde § 74 SGB XII in Bezug auf Friedhofsgebühren leer laufen.
37
Hierzu passt es, dass in der Rechtsprechung der bis Ende des Jahres 2004 für
sozialhilferechtliche Streitigkeiten zuständigen Verwaltungsgerichtsbarkeit zur
Vorgängervorschrift in § 15 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) ein Nachrang
gegenüber abgabenrechtlichen Billigkeitsmaßnahmen nicht problematisiert worden ist,
38
vgl. z. B. BVerwG, Urteile vom 22. Februar 2001 – 5 C 8/00 –, BVerwGE 114,57 ff., und
vom 13. März 2003 – 5 C 2/02 –, NJW 2003, 101 f.; Oberverwaltungsgericht für das Land
Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Urteile vom 30. Oktober 1997 – 8 A 3515/95 –, NJW
1998, 2154 ff., vom 14. März 2000 – 22 A 3975/99 –, DVBl. 2000, 1704 ff., und vom
13. Februar 2004 – 16 A 1160/02 –, FEVS 56, 12 ff.
39
In Übereinstimmung damit kommt der 9. Senat des Landessozialgerichts (LSG) NRW in
40
einem Urteil vom 30. Oktober 2008 – L 9 SO 22/07 –, FEVS 60, 524 ff. und Juris, zu § 74
SGB XII in der umgekehrten Prozesskonstellation, in der der beklagte Sozialhilfeträger
den Betroffenen ebenfalls darauf verweist, er möge gegenüber dem kirchlichen
Friedhofsträger den Erlass der Gebühren beantragen, zu dem Ergebnis, dass der
Kostenübernahmeanspruch nach § 74 SGB XII nicht gegenüber abgabenrechtlichen
Billigkeitsmaßnahmen nachrangig sei. Das LSG führt aus:
"Entgegen der Auffassung der Beklagten kann die Klägerin auch nicht nach Maßgabe
des Nachranggrundsatzes (§ 2 Abs. 1 SGB XII), auf vorgehende Ansprüche gegenüber
Dritten verwiesen werden. Insbesondere scheidet eine Verweisung auf Ansprüche
gegen die Evangelische Gemeinde als Trägerin des Friedhofs aus.
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Es ist bereits fraglich, ob § 2 Abs. 1 SGB XII überhaupt einen eigenständigen
Ausschlusstatbestand regelt oder nur ein Gebot der Sozialhilfe umschreibt, das durch
weitere leistungshindernde Normen und insbesondere durch die Regelungen über den
Einsatz von Einkommen und Vermögen konkretisiert wird und regelmäßig im
Zusammenhang mit ihnen zu sehen ist (offengelassen in BSG, Urt. v. 26.08.2008, Az. B
8/9b 16/07 R).
42
Dies bedarf indes keiner abschließenden Entscheidung, weil die Klägerin zur
Weiterverfolgung ihrer Ansprüche gegen den kirchlichen Friedhofsträger schon
deswegen nicht verpflichtet ist, weil es für eine Durchsetzung entsprechender
Ansprüche nach Auffassung des Senats an einer Erfolgsaussicht fehlt. § 42 des
Kirchengesetzes über die Friedhöfe der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg
vom 07.11.1992 (Kirchliches Amtsblatt Nr. 13/1992 - Friedhofsgesetz) räumt der
Klägerin lediglich einen Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung ein. Eine
entsprechende Ermäßigungsregelung wie in § 42 des Friedhofsgesetzes ist auch in der
Abgabenordnung (§ 227 AO) enthalten und findet sich hierüber auch in den
Friedhofssatzungen der kommunalen Friedhofsträger wieder. Allein die fehlende
wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Hinterbliebenen kann aber nicht zu einer
Ermessensreduzierung auf Null und damit nicht zu einem Anspruch auf Erlass oder
Ermäßigung der Friedhofsgebühren führen. Anderenfalls wäre die Vorschrift des § 74
SGB XII in Bezug auf entsprechende Gebühren schlichtweg überflüssig. Sämtliche
Friedhofsträger müssten nämlich unter Zugrundelegung der Auffassung der Beklagten
bei wirtschaftlich bedürftigen Hinterbliebenen stets auf ihre Gebührenforderungen
verzichten. Die von der Beklagten vertretene Auffassung würde in Bezug auf
kommunale Friedhofsträger im Übrigen auch der vom Gesetzgeber getroffenen
Zuständigkeitsregelung in § 98 Abs. 3 SGB XII widersprechen. Danach ist derjenige
Sozialhilfeträger für Leistungen nach § 74 SGB XII örtlich zuständig, der bis zum Tod
der leistungsberechtigten Person Sozialhilfe leistete, in den anderen Fällen ist der
Träger der Sozialhilfe zuständig, in dessen Bereich der Sterbeort liegt. Auf den für den
Friedhofsort zuständigen Träger wird demzufolge gerade nicht abgestellt. Diesen Träger
würde aber unter Zugrundelegung der Auffassung der Beklagten stets die Verpflichtung
zur Übernahme der Friedhofsgebühren treffen." (Juris, Rn. 29 ff.)
43
Das Bundessozialgericht (BSG) hat eine Entscheidung eines anderen Senats des LSG
NRW zu § 74 SGB XII bestätigt und darin – wie der 12. Senat des LSG NRW – die
Frage des Nachrangs gegenüber abgabenrechtlichen Billigkeitsmaßnahmen nicht
aufgeworfen,
44
BSG, Urteil vom 29. September 2009 – B 8 SO 23/08 R –, Juris; LSG NRW, Urteil vom
45
29. Oktober 2008 – L 12 SO 3/08 –, Juris; ebenso soweit ersichtlich die übrige
Rechtsprechung (insbesondere der Sozialgerichtsbarkeit) zu § 74 SGB XII: Schleswig-
Holsteinisches LSG, Beschlüsse vom 14. März 2006 – L 9 B 65/06 SO ER –,
ZFSH/SGB 2007, 28 f., und vom 9. Oktober 2008 – L 9 B 159/08 SO PKH –, Juris; LSG
Hamburg, Beschluss vom 29. September 2006 – L 4 B 390/06 ER SO –, ZFSH/SGB
2007, 29 ff.; Hess. LSG, Beschluss vom 20. März 2008 – L 9 SO 20/08 B ER –, FEVS
59, 567 ff.; Sozialgericht (SG) Aachen, Urteil vom 28. April 2009 – S 20 SO 88/08 –,
ZFSH/SGB 2009, 365 ff.; SG Freiburg, Urteil vom 19. Juni 2008 – S 6 SO 1867/07 –,
Juris; VG Bremen, Urteile vom 20. August 2009 – S 5 K 3522/08 und S 5 K 4054/08 –,
Juris.
Im Übrigen dürfte es auch mit den von der Stadt O und dem Beigeladenen
anzuwendenden Richtlinien des Beigeladenen zur Übernahme von Bestattungskosten
nach dem SGB XII nicht vereinbar sein, den Kläger oder andere Betroffene auf eine
Klage vor dem VG gegen die Ablehnung von Erlass, Niederschlagung oder Stundung
zu verweisen, weil dort in Ziff. 5.8 Absatz 3 Satz 2 geregelt ist, dass es der Durchführung
eines Widerspruchsverfahrens nicht bedarf. Nach Wegfall des Widerspruchsverfahrens
dürfte dies so zu verstehen sein, dass eine Klage zur Durchsetzung der
abgabenrechtlichen Billigkeitsmaßnahmen nicht zumutbar und deshalb nicht
erforderlich ist. Damit hätte der Kläger mit dem abgelehnten Antrag auf die streitigen
abgabenrechtlichen Billigkeitsmaßnahmen alles Erforderliche getan.
46
Sonstige Gründe, warum dem Kläger ein Kostenübernahmeanspruch nach § 74 SGB XII
nicht zustehen sollte, sind nicht ersichtlich und von den Beteiligten bisher auch nicht
aufgeworfen worden.
47
Besteht aber der Anspruch gemäß § 74 SGB XII auf Übernahme der Friedhofsgebühren,
so liegen weder eine vorausgesetzte Unbilligkeit der Einziehung (§ 227 AO), noch eine
erhebliche Härte (§ 222 AO) oder eine feststehende Erfolglosigkeit der Einziehung
(§ 261 AO) vor.
48
Deshalb ist im Bescheid vom 2. Oktober 2009 auch kein Ermessensfehler des
Beklagten bei der Ablehnung der beantragten Billigkeitsmaßnahmen erkennbar, der zu
einem Anspruch auf Neubescheidung führen könnte. Der vom Beigeladenen auch
gegenüber dem neuen Bescheid gerügte Ermessensfehler ist nicht näher bezeichnet
worden. Der Einzelrichter vermag einen solchen unter Zugrundelegung seiner
dargestellten Auffassung auch nicht zu erkennen.
49
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO. Kosten des
Beigeladenen können schon deshalb nach billigem Ermessen nicht erstattet werden,
weil dieser keinen Antrag gestellt und damit auch kein Kostenrisiko übernommen hat.
Die im Übrigen erfolgte Kostenteilung zwischen Kläger und Beklagtem ergibt sich
daraus, dass hinsichtlich des zunächst angegriffenen Ablehnungsbescheids vom
13. März 2008 der Beklagte durch die Aufhebung des Bescheids insofern die Rolle des
Unterlegenen übernommen hat, der Kläger hingegen hinsichtlich des neuen Bescheids
vom 2. Oktober 2009 mit der Klage abgewiesen worden ist.
50
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m.
§§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
51