Urteil des VG Düsseldorf vom 18.02.2005

VG Düsseldorf: ärztliche behandlung, drohende gefahr, republik, abschiebung, ausländer, krankheit, anerkennung, herzinfarkt, substitut, schlaganfall

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 13 K 1229/01.A
Datum:
18.02.2005
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
13. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
13 K 1229/01.A
Tenor:
Das Verfahren wird eingestellt, soweit der Kläger die Klage
zurückgenommen hat.
Im übrigen wird die Beklagte unter entsprechender teilweiser Aufhebung
des Bescheides des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer
Flüchtlinge vom 30. Dezember 1997 verpflichtet festzustellen, dass für
den Kläger ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 AufenthG
hinsichtlich der Republik Côte d`Ivoire vorliegt.
Der Kläger und die Beklagte tragen die Kosten des Verfahrens, für das
Gerichtskosten nicht erhoben werden, je zur Hälfte.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige
Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden,
wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung
Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand:
1
Der Kläger stammt aus der Republik Côte d´Ivoire. Er reiste nach Deutschland ein und
beantragte die Anerkennung als Asylberechtigter.
2
Mit Bescheid vom 30. Dezember 1997 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) den Asylantrag ab und stellte fest, dass die
Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und Abschiebungshindernisse nach § 53
AuslG nicht vorliegen. Zugleich forderte es den Kläger unter Androhung der
Abschiebung in die Republik Côte d´Ivoire auf, die Bundesrepublik Deutschland
innerhalb eines Monats nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens zu
verlassen.
3
Der Kläger hat am 26. Januar 1998 beim Verwaltungsgericht Aachen Klage erhoben.
4
Das angerufene Gericht verwies den Rechtsstreit mit Beschluss vom 27. Februar 2001
an das erkennende Gericht.
Mit seiner Klage hatte der Kläger zunächst die Verpflichtung der Beklagten begehrt, ihn
als Asylberechtigten anzuerkennen sowie festzustellen, dass die Voraussetzungen des
§ 51 Abs. 1 und des § 53 AuslG (jetzt § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG) vorliegen. In der
mündlichen Verhandlung hat er sein Begehren beschränkt. Zur Begründung verweist
der Kläger auf seine Erkrankung an arterieller Hypertonie, die in seinem Heimatland
nicht ausreichend behandelbar sei.
5
Der Kläger beantragt,
6
die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes vom
30. Dezember 1997 zu verpflichten festzustellen, dass Abschiebungshindernisse
gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen.
7
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
8
die Klage abzuweisen.
9
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der
Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten und der
Ausländerbehörde sowie auf die der Kammer vorliegenden Auskünfte und
Erkenntnisse, auf die der Kläger hingewiesen worden ist, Bezug genommen.
10
Entscheidungsgründe:
11
Soweit der Kläger die Klage in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen hat, ist
das Verfahren nach § 92 Abs. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) einzustellen.
12
Im Übrigen ist die Klage zulässig und begründet.
13
Für den Kläger liegt ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 AufenthG hinsichtlich
der Republik Côte d`Ivoire vor.
14
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen
anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche
konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.
15
Eine Auslegung ergibt, dass damit nur solche Gefahren erfasst werden, die in den
spezifischen Verhältnissen im Zielstaat begründet sind. Ein derartiges
zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis kann sich u.a. aus der Krankheit eines
Ausländers ergeben, wenn diese sich im Heimatstaat verschlimmert, weil die
Behandlungsmöglichkeiten dort unzureichend sind. Das ist zum einen der Fall, wenn
eine notwendige ärztliche Behandlung oder Medikation für die betreffende Krankheit in
dem Herkunftsstaat wegen des geringeren Versorgungsstandards generell nicht
verfügbar ist. Eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben besteht aber auch
dann, wenn die notwendige ärztliche Behandlung oder Medikation zwar allgemein zur
Verfügung steht, dem betroffenen Ausländer individuell jedoch aus finanziellen oder
sonstigen Gründen nicht zugänglich ist.
16
Vgl. BVerwG, Urteil v. 29. Oktober 2002 - BVerwG 1 C 1.02 -, DVBl 2003, 463.
17
Die Voraussetzungen der zuletzt genannten Fallgruppe liegen beim Kläger vor.
18
Er leidet an arterieller Hypertonie II (mittelschwerem Bluthochdruck) und ist auf
kontinuierliche ärztliche Betreuung und regelmäßige Versorgung insbesondere mit den
Medikamenten Carvedilol 25 und Votum 20 (einem Sartan, das nicht durch einen
anderen Wirkstoff ersetzt werden kann) angewiesen. Ein Absetzen der Medikation wie
auch eine nur unregelmäßige Einnahme der Medikamente, aber auch das Fehlen einer
kontinuierlichen ärztlichen Betreuung könnte einen krisenhaften Anstieg des
Bluthochdrucks schon innerhalb weniger Tage bewirken. Dadurch würde das Risiko,
einen Schlaganfall oder einen Herzinfarkt zu erleiden, drastisch ansteigen. Das ergibt
sich aus den Ausführungen der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. T, in deren
Behandlung der Kläger steht (Attest vom 11. Mai 2004, Gutachterliche Stellungnahme
vom 23. September 2004).
19
Bei einer Rückkehr in sein Heimatland zum gegenwärtigen Zeitpunkt wäre dem Kläger
die notwendige Behandlung und Medikation voraussichtlich nicht zugänglich ist. Wie
sich aus den im vorliegenden Klageverfahren eingeholten Auskünften der Botschaft der
Bundesrepublik Deutschland Abidjan vom 25. November 2004 und 12. Januar 2005
ergibt, ist in der Republik Côte d`Ivoire zwar eine kontinuierliche ärztliche Betreuung
gewährleistet und sind auch die Medikamente erhältlich. Allerdings ist für Votum 20 nur
ein Substitut verfügbar, so dass sich die Frage stellt, ob dieses Substitut - was
erforderlich wäre - den Wirkstoff Sartan enthält. Das kann aber offen bleiben. Jedenfalls
wären dem Kläger Behandlung und Medikation deshalb nicht zugänglich, weil er die
dafür erforderlichen finanziellen Mittel nicht aufbringen könnte. Bei Privatbehandlung
liegen, den erwähnten Auskünften zufolge, die Kosten zwischen 15.000 und 30.000
CFA (23 bis 46 Euro). Zwar betrügen sie in einer staatlichen Einrichtung nur 5.000 CFA
(7,50 Euro); dass der Kläger dort einen Platz erhalten würde, ist jedoch ganz unsicher.
20
Der Kläger würde aller Voraussicht nach nicht in der Lage sein, den für eine
Privatbehandlung erforderlichen Betrag (zwischen 15.000 und 30.000 CFA monatlich)
aufzubringen. Es ist nicht damit zu rechnen, dass er eine Erwerbstätigkeit aufnehmen
könnte, um so ein entsprechendes Einkommen zu erzielen. Wie der Kläger angegeben
hat, hat er seinerzeit 1997 bei Verlassen des Landes seine Stelle als Lehrer
aufgegeben, so dass schon wegen der Länge der seitdem verstrichenen Zeit eine
Wiedereinstellung wenig wahrscheinlich ist. Eine mit stärkerer körperlicher Belastung
verbundene Tätigkeit dürfte im übrigen im Hinblick auf seine Krankheit ausscheiden.
Zusätzlich ist die labile politische Situation in der Republik Côte d`Ivoire seit dem
Putschversuch im Herbst 2002 und die sich in der Folge ergebende Verschlechterung
der wirtschaftlichen Lage zu berücksichtigen. So stieg die Armutsquote von September
2002 bis Anfang 2004 von 38 v.H. auf 44 v.H. (Third progress report of the Secretary-
General on the United Nations operation in Côte d`Ivoire vom 09.12.2004, S. 14).
Schließlich ist auch nicht zu erwarten, dass der Kläger die erforderlichen finanziellen
Mittel von Verwandten erhalten würde. Wie er in der mündlichen Verhandlung auf
entsprechende Fragen ausgeführt hat, haben seine Freundin, die Mutter seiner Kinder,
und auch seine Mutter, bei der seine Kinder auch leben, keine Arbeit. Sie leben von
dem Geld, das der Kläger ihnen schickt, und vermutlich von der Unterstützung durch
Verwandte, deren Mittel aber nicht auch noch für den Kläger und dessen Krankenkosten
ausreichen würden.
21
Ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG läge im übrigen auch
dann vor, wenn die dem Kläger drohende Gefahr als eine solche einzuschätzen wäre,
der die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der er angehört, allgemein
ausgesetzt ist. Wegen der Sperrwirkung des § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG wäre dann
Voraussetzung für einen Schutz vor der Durchführung der Abschiebung, dass der
Ausländer in seinem Heimatstaat einer extremen Gefahrenlage dergestalt ausgesetzt
wäre, dass er im Falle seiner Abschiebung dorthin gleichsam sehenden Auges dem
sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert sein würde.
22
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 26.Januar 1999 - BVerwG 9 B 617.98 -, NVwZ 1999, 68,
und Urteil vom 8. Dezember 1998 - BVerwG 9 C 4.98 -, BVerwGE 108, 77.
23
Die dem Kläger bei Fehlen der notwendigen Behandlung und Medikation drohenden
Folgen stellen eine derartige extreme Gefahrenlage dar. Denn das Risiko, einen
Schlaganfall oder einen Herzinfarkt zu erleiden (und dadurch zu Tode zu kommen),
würde drastisch ansteigen.
24
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 und 2 VwGO, § 83b
AsylVfG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1
VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
25
26