Urteil des VG Düsseldorf vom 11.12.2001

VG Düsseldorf: grundstück, wirtschaftliche einheit, amtsblatt, mieter, grundbuch, grunddienstbarkeit, verjährungsfrist, satzung, schweigen, veranlagung

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 16 K 8415/99
11.12.2001
Verwaltungsgericht Düsseldorf
16. Kammer
Urteil
16 K 8415/99
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils
beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der
Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
Die Klägerin ist Eigentümerin des in E gelegenen Grundstücks Gemarkung S, Flur 00,
Flurstück 000, Xstraße 00, das mit einem Wohnhaus bebaut ist, und der dahinterliegenden,
insgesamt 43 m² großen Flurstücke 000 und 000. Die Flurstücke 000 und 000 sind Teil
einer Tiefgarage des Eigentümers des Nachbargrundstücks Xstraße 00 und zu dessen
Gunsten mit einer Grunddienstbarkeit zur Sicherung des Tiefgaragenerrichtungs- und -
nutzungsrechts belastet. Als Gegenleistung für die Einräumung der Grunddienstbarkeit hat
die Klägerin das Recht erhalten, einen Stellplatz in der Tiefgarage zu nutzen. Im Mai 1999
sind die Flurstücke 000 und 000 mit dem Flurstück 000 vereinigt worden.
Durch Bescheid vom 9. November 1998 zog der Beklagte die Klägerin hinsichtlich der
Flurstücke 000/000 für die Jahre 1994, 1995 und 1996 zu Straßenreinigungsgebühren in
Höhe von insgesamt 2.209,90 DM heran (für 1994: 683,76 DM; für 1995: 751,52 DM; für
1996: 774,62 DM). Der Berechnung der Gebühren legte der Beklagte jeweils eine
Frontlänge von 11 m und den jeweiligen Gebührensatz für die siebenmalige wöchentliche
Reinigung der Xstraße zu Grunde.
Den dagegen erhobenen Widerspruch der Klägerin wies der Beklagte durch Bescheid vom
4. November 1999 (zugestellt am 24. November 1999) als unbegründet zurück.
Die Klägerin hat am 21. Dezember 1999 Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen:
Die Flurstücke 000/000 hätten bereits vor der Vereinigung im Mai 1999 eine wirtschaftliche
Einheit mit dem Hausgrundstück (Parzelle 000) gebildet; sie seien nicht selbstständig
wirtschaftlich nutzbar gewesen, sondern hätten dem Nachbarn für dessen Tiefgarage zur
Verfügung gestanden. Jedenfalls sei ein Anspruch des Beklagten auf
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Straßenreinigungsgebühren für die Jahre 1994 bis 1996 verwirkt. In der Vergangenheit sei
sie lediglich zu Straßenreinigungsgebühren für das Hausgrundstück herangezogen
worden. Sie habe deshalb darauf vertrauen dürfen, dass sie nicht nachträglich noch für die
Flurstücke 000/000 herangezogen werden würde, zumal eine selbstständige Veranlagung
dieser Flächen fern gelegen habe. Durch die späte Geltendmachung der Gebühren sei ihr
auch die Möglichkeit genommen worden, diese auf die Mieter ihres Hauses umzulegen.
Schließlich verstoße der Beklagte auch gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, wenn er
in den gleich gelagerten Fällen der Nachbargrundstücke Xstraße 00 und 00 keine
entsprechenden Gebühren erhebe.
In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin erklärt, dass sie auf Grund einer
vertraglichen Vereinbarung mit dem Eigentümer des Grundstücks Xstraße 00 berechtigt
sei, den auf ihrem Grundstück errichteten Teil der Tiefgarage des Nachbarn zum Einstellen
eines Kraftfahrzeugs zu benutzen; um diesen Stellplatz erreichen zu können, sei zu ihren
Gunsten auf der Nachbarparzelle ein Wegerecht im Grundbuch eingetragen.
Die Klägerin beantragt,
den Heranziehungsbescheid des Beklagten vom 9. November 1998 und dessen
Widerspruchsbescheid vom 4. November 1999 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der
Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist unbegründet.
Der angefochtene Heranziehungsbescheid des Beklagten ist rechtmäßig und verletzt die
Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).
Rechtsgrundlage für die Heranziehung der Klägerin zu Straßenreinigungsgebühren für die
Jahre 1994 bis 1996 ist die Satzung über die Reinigung der öffentlichen Straßen in der
Landeshauptstadt E vom 13. Dezember 1991 (E Amtsblatt Nr. 51 vom 21. Dezember 1991)
- SRS - in der Fassung der 3. Änderungssatzung vom 16. Dezember 1993 (E Amtsblatt Nr.
50/51 vom 25. Dezember 1993) für das Jahr 1994, der 4. Änderungssatzung vom 15.
Dezember 1994 (E Amtsblatt Nr. 51 vom 24. Dezember 1994) für das Jahr 1995 und der 5.
Änderungssatzung vom 16. November 1995 (E Amtsblatt Nr. 47 vom 25. November 1995)
für das Jahr 1996.
Rechtliche Bedenken gegen die formelle und materielle Wirksamkeit dieser Satzung in den
genannten Fassungen sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Unter Anwendung
der einschlägigen Vorschriften dieser Satzungen ist die Klägerin für ihr damals aus den
Flurstücken 000 und 000 bestehendes Grundstück zutreffend zu den jeweiligen
Straßenreinigungsgebühren herangezogen worden.
Das im Hintergelände liegende Grundstück war vor seiner erst im Jahr 1999
durchgeführten Vereinigung mit dem Hausgrundstück der Klägerin ein selbstständig der
Heranziehung zu Straßenreinigungsgebühren unterliegendes Grundstück.
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Gegenstand der Veranlagung zu Straßenreinigungsgebühren im Sinne des StrReinG NRW
ist nach der neueren Rechtsprechung des OVG Münster grundsätzlich das
Buchgrundstück, also das im Grundbuch und im Liegenschaftskataster als solches
eingetragene Grundstück. Eine Abweichung von dem Buchgrundstück kommt nur im
Ausnahmefall in Betracht, nämlich wenn sie unter dem Gesichtspunkt der
Gebührengerechtigkeit geboten ist. Dabei kann es geboten sein, mehrere Buchgrundstücke
desselben Eigentümers, die jeweils für sich gesehen nicht, wohl aber in ihrer Gesamtheit
wirtschaftlich nutzbar sind, zu einem Grundstück im Sinne des Straßenreinigungsgesetzes
zusammenzufassen; dies gilt auch, wenn ein bestimmtes einzelnes Buchgrundstück nicht
selbstständig nutzbar, aber nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten einem angrenzenden
(selbstständig) wirtschaftlich nutzbaren Grundstück desselben Eigentümers zuzuordnen ist.
Vergl. OVG Münster, Urteil vom 31. August 1989 - 9 A 79/87 -, S. 8 f. des Urteilsabdrucks.
Auf etwaige abweichende Definitionen des Grundstückbegriffs in dem Satzungsrecht der
Gemeinden kommt es nicht an; würde sich deren Grundstücksbegriff - hier: § 4 Abs. 1 SRS
- nicht mit dem des StrReinG NRW decken, wäre die Satzungsregelung nichtig und würde
an ihre Stelle die gesetzliche Regelung treten.
Vergl. OVG Münster, a.a.O.
Maßgeblich für die Frage der Selbstständigkeit eines Buchgrundstückes ist danach die
rechtlich mögliche bzw. rechtlich zulässige selbstständige bauliche, gewerbliche oder
sonstige wirtschaftliche Nutzung.
Vergl. OVG Münster, a.a.O.
Von Bedeutung ist allein, ob die Möglichkeit seiner selbstständigen, innerhalb
geschlossener Ortslagen üblichen und sinnvollen wirtschaftlichen Nutzung besteht.
Vergl. u.a. OVG Münster, Urteil vom 28. September 1989 - 9 A 1974/87 -, NWVBl. 1990,
163 und Urteil vom 14. Dezember 1989 - 9 A 1718/88 -, NWVBl. 1991, 156.
Das aber war bei den Flurstücken 000/000 der Fall. Das aus den beiden 42 m² bzw. 1 m²
großen Parzellen bestehende Grundstück war zwar mit seinen insgesamt 43 m² klein,
jedoch nicht nur im Zusammenhang mit dem Hausgrundstück (Parzelle 000) der Klägerin
wirtschaftlich nutzbar, wie seine tatsächliche Nutzung zeigt. Es diente (und dient) als Teil
einer Tiefgarage, unabhängig von der wirtschaftlichen Nutzbarkeit des Hausgrundstücks
der Klägerin dem Einstellen von Kraftfahrzeugen. Dass die Einstellplätze nicht oberirdisch
sondern als Unterflurgarage und auf Grund einer entsprechenden, im Grundbuch
eingetragenen Grunddienstbarkeit durch den Grundstücksnachbarn errichtet worden sind
und diesem das Recht zur Benutzung zusteht, ist unerheblich. Der wirtschaftliche Nutzen,
den die Klägerin aus dieser Art der selbstständigen Verwertung ihres Grundstücks zog (und
zieht), besteht darin, dass sie als Gegenleistung das vertraglich vereinbarte Recht erhielt,
einen der Stellplätze - kostenlos - selbst zu nutzen und zu diesem Zweck das
Nachbargrundstück zu befahren, wie die Klägerin selbst vorgetragen hat.
Die Möglichkeit, das Grundstück der Klägerin mit dem Nachbargrundstück Xstraße 00 zu
einer wirtschaftlichen Einheit in dem oben genannten Sinn zusammenzufassen, scheidet
schon deshalb aus, weil es sich nicht um Grundstücke desselben Eigentümers handelte.
Das somit als selbstständiges Grundstück anzusehende Hinterliegergrundstück der
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Klägerin wurde auch durch die - öffentliche und von der Stadt gereinigte - Xstraße
erschlossen. Es hatte zwar keine Zufahrt über das zwischen ihm und der Straße liegende
Hausgrundstück der Klägerin; denn dies ist straßenseitig in geschlossener Bauweise mit
einem Wohnhaus bebaut. Der Klägerin steht aber nach ihrem eigenen Vortrag ein dinglich
gesichertes Wegerecht auf dem Nachbargrundstück, Flurstück 000, zu, das ihr die Zufahrt
von der Xstraße zu dem Tiefgaragenstellplatz auf ihrem Grundstück ermöglicht.
Lagen somit die Voraussetzungen der §§ 4 und 5 SRS für die selbstständige Heranziehung
zu Straßenreinigungsgebühren vor, so war gemäß § 6 Abs. 2 SRS der
Gebührenberechnung die der Xstraße zugewandte, 11 m lange Seite des Grundstücks zu
Grunde zu legen. Angesichts der Gebührensätze von 62,16 DM für 1994, 68,32 DM für
1995 und 70,42 DM je laufende Meter Grundstücksseite für 1996 ergaben sich die
festgesetzten Gebühren.
Der Beklagte war auch nicht gehindert, die Gebühren im Jahre 1998 rückwirkend für die
Jahre 1994 bis 1996 festzusetzen.
Die Gebührenansprüche sind nicht verjährt. Nach der gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 4 b KAG auf
Gebühren entsprechend anwendbaren Vorschrift des § 169 Abs. 2 Nr. 2 der
Abgabenordnung - AO - beträgt die Verjährungsfrist 4 Jahre und beginnt nach § 170 Abs. 1
AO mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Gebührenanspruch entstanden ist. Die
Verjährungsfrist war demnach bei Erlass des Heranziehungsbescheides im November
1998 noch nicht abgelaufen. Eine Verjährung hat die Klägerin denn auch der Rechtslage
entsprechend nicht geltend gemacht.
Die Gebührenansprüche des Beklagten sind auch nicht verwirkt.
Eine Verwirkung von Ansprüchen kommt in Betracht, wenn der Verpflichtete infolge eines
bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht
nach so langer Zeit nicht mehr geltend machen würde (Vertrauensgrundlage), der
Verpflichtete ferner tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt
würde (Vertrauenstatbestand) und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und
Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts
ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde.
Vergl. BVerwG, Urteil vom 7. Februar 1974 - BVerwG III C 115.71 -, BVerwGE 44, 339 (343
f.).
Zumindest an der danach erforderlichen Vertrauensgrundlage fehlt es im vorliegenden Fall.
Grundsätzlich kann niemand darauf vertrauen, dass bestehende Ansprüche vor Ablauf der
Verjährungsfrist nicht mehr geltend gemacht werden. Es bedarf eines besonderen
Verhaltens des Berechtigten, aus dem der Schluss auf das Gegenteil gezogen werden
kann; das schlichte Schweigen reicht nicht aus. Der Beklagte hat durch die bloße
Tatsache, dass er in der Vergangenheit für das Hinterliegergrundstück der Klägerin in den
jeweiligen Jahresgebührenbescheiden keine Straßenreinigungsgebühren festgesetzt hatte,
nicht den berechtigten Eindruck erwecken können, dass mit einer nachträglichen
Heranziehung nicht mehr zu rechnen sei. Aus dem schlichten Schweigen des Beklagten
konnte die Klägerin einen solchen Schluss nicht ziehen. Sie hat dies offenbar tatsächlich
auch nicht getan; denn nach ihrem eigenen Vortrag war ihr gar nicht bewusst, dass auch für
ihr Hinterliegergrundstück Straßenreinigungsgebühren erhoben werden könnten.
Darauf, ob die Klägerin bei zeitnaher Festsetzung der Straßenreinigungsgebühren diese
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auf ihre Mieter hätte umlegen können und ob ihr dies im Jahr 1998 nicht mehr möglich war,
kommt es demnach nicht an. Im Übrigen dürfte aber auch eine Überwälzung der
Straßenreinigungsgebühren für das Hinterliegergrundstück, faktisch ein
Garagengrundstück, auf die Mieter der Wohnungen auf dem Hausgrundstück der Klägerin,
soweit diese nicht gleichzeitig Mieter des der Klägerin zustehenden
Tiefgaragenstellplatzes gewesen sein sollten, nicht in Betracht gekommen sein, sodass es
auch an einem Schaden fehlt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.