Urteil des VG Düsseldorf vom 22.10.2010

VG Düsseldorf (kläger, bbg, stress, auf lebenszeit, amt, land, verwendung, versetzung, vorsteher, erkrankung)

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 13 K 5027/09
Datum:
22.10.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
13. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
13 K 5027/09
Schlagworte:
Ruhestand Zurruhesetzung Dienstunfähigkeit Stress stressfreier
Arbeitsplatz
Tenor:
Der Bescheid der Oberfinanzdirektion Rheinland vom 10. Juli 2009 wird
aufgehoben.
Das beklagte Land trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Dem beklagten Land wird gestattet, die Vollstreckung durch Sicher-
heitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des auf Grund des Urteils
vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der
Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages
leistet.
Der im Jahr 1950 geborene Kläger wendet sich gegen seine Versetzung in den
Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit. Er steht als Steueramtsrat im Dienst des beklagten
Landes und war zuletzt bei dem Finanzamt E-Mitte beschäftigt.
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Im Jahre 1996 unterzog der Kläger sich wegen einer koronaren Dreigefäßerkrankung
einer Bypassoperation. Im April 2008 erfolgte eine weitere Bypassoperation, weil
mehrere Bypässe verschlossen waren. Ab dem 3. April 2008 war der Kläger deswegen
dienstunfähig erkrankt. Im August 2008 wurden ihm im Herz- und Diabeteszentrum
Nordrhein-Westfalen in C mehrere Stents eingesetzt.
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Unter dem 13. Oktober 2008 bat der Vorsteher des Finanzamts E-Mitte das
Gesundheitsamt der Stadt E, den Kläger amtsärztlich zu untersuchen und u.a. zu der
Frage der dauernden Dienstunfähigkeit des Klägers Stellung zu nehmen. Dem
Schreiben beigefügt war ein Formblatt, in dem es zu der von dem Kläger ausgeübten
Funktion u.a. heißt: " Herr H erledigt die ihm übertragenen Aufgaben in eigener
Verantwortung und ist für die rechtzeitige, sachgerechte und wirtschaftliche Erfüllung der
Aufgaben verantwortlich. Bei größeren Rückstandsfällen (insbesondere im Rahmen von
Durchsuchungen) ist auch eine aktive Unterstützung des Vollstreckungsaußendienstes
erforderlich. Daneben obliegt ihm die Verhandlungsführung mit einem schwierigen
Klientel. Er steuert zudem als Koordinator die Aufgabenerledigung in einem
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Erhebungsbezirk und trägt die Verantwortung für die sachgerechte Auslastung der
übrigen Beschäftigten in seiner Organisationseinheit. Die Tätigkeit ist regelmäßig mit
einer über das Normalmaß hinausgehenden psychischen Belastung verbunden.
Konfliktsituationen sind an der Tagesordnung."
Nachdem der Amtsarzt, Städtischer Medizinalirektor T, den Kläger am 7. November
2008 untersucht hatte, erstellte er unter dem 3. Dezember 2008 mit einem
entsprechenden Formblatt eine Mitteilung des Ergebnisses der Begutachtung zur
Überprüfung der Dienstfähigkeit im Rahmen der vorzeitigen Zurruhesetzung. In dieser
Mitteilung heißt es u.a., der Kläger sei derzeit nicht in der Lage, in dem jetzigen
Aufgabenbereich uneingeschränkt Dienst zu verrichten. Mit der Wiederherstellung der
uneingeschränkten Dienstfähigkeit innerhalb der nächsten sechs Monate sei nicht zu
rechnen; die Wiederherstellung innerhalb eines längeren Zeitraums erscheine nicht
wahrscheinlich. Der Beamte werde auf Dauer für nicht mehr in der Lage gehalten, die
Dienstpflichten im derzeit ausgeübten Aufgabenbereich zu erfüllen. Zur Begründung
wird auf die unter dem 18. November 2008 erstellte Anlage verwiesen. In dieser heißt es
unter der Überschrift "Beurteilung" abschließend:
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"Im Vordergrund des Krankheitsbildes steht eine schwere koronare
Dreigefäßerkrankung. In der Vergangenheit mussten zwei koronare
Bypassoperationen vorgenommen werden (1996 und in 4/2008), trotzdem kam es
zu Bypassverschlüssen, so dass jetzt nur noch ein Bypass offen ist. Im August
dieses Jahres wurde die koronare Durchblutungssituation durch eine aufwändige
Rekonstruktion mittels Implantation von sechs Stents optimiert. Der Patient selbst
ist somit beschwerdefrei, er gibt keine pektanginösen Beschwerden mehr an. Als
Grund für die Entstehung der schweren koronaren Herzerkrankung kann neben
genetischen Faktoren auch die hohe Stressbelastung (anamnestisch hat der
Patient eine lange konfliktbeladene Ehe hinter sich, die mit einem
"Scheidungskrieg" endete, auch geht die berufliche Belastung mit einem
erheblichen Konflikt und Stresspotential einher. Herr H ist seit Jahren in der
Finanzverwaltung als Steueramtsrat tätig mit der Bearbeitung von
Großrückstandsfällen, von Insolvenzfällen, mit Vollstreckungsmaßnahmen)
gesehen werden. Aus hiesiger Sicht ist Herr H daher nur noch dienstfähig, sofern
ihm ein Arbeitsplatz zugewiesen wird, der "stressfrei" ist. Sollte dies aber aus
personaltechnischen Gründen keineswegs möglich sein, liegen aus hiesiger Sicht
die Voraussetzungen zur vorzeitigen Versetzung in den Ruhestand vor, da mit
einer erheblichen Besserung des Krankheitsverlaufes auf Dauer nicht mehr
gerechnet werden kann."
5
In einem daraufhin am 17. Dezember 2008 geführten Gespräch erläuterte der Vorsteher
des Finanzamts E-Mitte dem Kläger, dass sich dessen Versetzung in den Ruhestand
mangels eines geeigneten "stressfreien" Arbeitsplatzes voraussichtlich nicht vermeiden
lasse. Ausweislich des über das Gespräch gefertigten Vermerks bat der Kläger darum,
eine im Januar 2009 anstehende Untersuchung bei seinem behandelnden Arzt in E
abzuwarten, um mit diesem abzuklären, ob auch aus dessen Sicht eine Dienstaufnahme
aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich sei.
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Am 5. Januar 2009 legte der Kläger einen Wiedereingliederungsplan seines Hausarztes
X vor. Die dort vorgeschlagene stufenweise Wiederaufnahme der Tätigkeit wurde
allerdings nicht umgesetzt. Am 15. Januar 2009 legte der Kläger sodann ein Schreiben
des ihn behandelnden Kardiologen L vom B-Krankenhaus in E vom 9. Januar 2009 vor.
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In diesem Schreiben heißt es unter der Überschrift "zusammenfassende Beurteilung"
unter anderem:
"Herr H fühlt sich gut, er gibt keine Beschwerden unter körperlicher Belastung an.
Damit in Einklang zu bringen ist auch das insgesamt gute Ergebnis nach oben
beschriebenen Interventionen von RCX und dem Venen-Bypass auf dem Ramus
postero-lateralis sinister. … Im Belastungs-EKG sind dennoch diskrete
ischämietypische Kammerendteil-Veränderungen vorhanden, so dass die
körperliche Belastung auf ein mittelgradiges Limit begrenzt sein sollte. Eine
Herzfrequenz > 120 sollte nicht überschritten werden. Herr H ist aus unserer Sicht
arbeitsfähig. Die Arbeit sollte nicht zu stark mit psychischen oder physischen
Stress verbunden sein."
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Dieses Schreiben übersandte der Vorsteher des Finanzamts E-Mitte dem Amtsarzt. In
dem hierüber am 18. Februar 2009 geführten Telefonat brachte Letzterer ausweislich
des entsprechenden Telefonvermerks zum Ausdruck, dass er auch unter Würdigung
dieses Schreibens zu keiner abweichenden Diagnose und Bewertung komme. Er sehe -
so der Vermerk weiter - in der von L gewählten Formulierung keine signifikante Differenz
zu seiner in Anführungszeichen gesetzten Wertung eine "stressfreie" Arbeit käme in
Betracht. Gerade die von dem Kläger bisher ausgeübte Tätigkeit im
Vollstreckungsdienst sei aber eine mit zu hohem Stress verbundene Tätigkeit, wie er es
in seinem Gutachten niedergelegt habe.
9
In dem Vermerk vom 18. Februar 2009 führte der Vorsteher des Finanzamts E-Mitte
sodann weiter aus, dass dem Gutachten des Amtsarztes insbesondere aus
Fürsorgegründen zu folgen sei. Für den Kläger sei im Finanzamt E-Mitte kein
Arbeitsplatz vorstellbar, der für ihn stressfrei bzw. stressarm genug sei, um ihn ausfüllen
zu können. Dabei sei zu berücksichtigen, dass der Kläger seit Jahrzehnten praktisch nur
im Erhebungsbereich tätig gewesen sei und daher ein Einsatz im Festsetzungsbereich -
längere Umschulungszeiten wären notwendig - zumindest temporär mit noch größerem
Stress verbunden sei.
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Mit Schreiben vom 27. Februar 2009 teilte der Vorsteher des Finanzamts E-Mitte dem
Kläger mit, dass nach den amtsärztlichen Feststellungen bei dem Kläger derzeit von
einer dauernden Dienstunfähigkeit auszugehen sei. Dieser Auffassung schließe er sich
als Dienstvorgesetzter an. Er bitte deshalb um Stellungnahme des Klägers, ob dieser
beabsichtige, einen Antrag auf vorzeitige Versetzung in den Ruhestand zu stellen.
Andernfalls werde er das Verfahren zur Zurruhesetzung fortführen und der
Oberfinanzdirektion die Versetzung des Klägers in den Ruhestand vorschlagen.
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Mit Schreiben seiner jetzigen Prozessbevollmächtigten vom 13. März 2009 widersprach
der Kläger seiner beabsichtigten Zurruhesetzung. Zur Begründung verwies er darauf,
dass von keiner dauernden Dienstunfähigkeit auszugehen sei. Ausweislich der
ärztlichen Berichte der Klinik in C und des Arztes L sei er in der Lage, seine
Dienstpflichten ordnungsgemäß zu erfüllen. Die amtsärztlichen Feststellungen seien
unzureichend und könnten eine dauernde Dienstunfähigkeit nicht begründen. Die
Ausführungen des Amtsarztes zu den Gründen seiner Herzerkrankung seien
unzutreffend. Auch hätten dem Amtsarzt nicht alle erforderlichen ärztlichen
Stellungnahmen vorgelegen. Schließlich sei die Bezugnahme auf einen stressfreien
Arbeitsplatz nicht nachvollziehbar; dieser Begriff sei weder inhaltlich noch rechtlich
ausfüllbar.
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Nachdem die Beteiligten ihre gegensätzlichen Standpunkte nochmals schriftsätzlich
ausgetauscht hatten, versetzte die Oberfinanzdirektion Rheinland den Kläger mit
Bescheid vom 10. Juli 2009 wegen dauernder Dienstunfähigkeit in den Ruhestand. Zur
Begründung heißt es in dem Bescheid, der Kläger sei wegen seiner Erkrankung seit
längerer Zeit dienstunfähig und nach den vorliegenden amtsärztlichen Zeugnissen sei
vorerst nicht mit einer Wiederherstellung der vollständigen Dienstfähigkeit zu rechnen.
In dem am gleichen Tag gefertigten Vermerk heißt es ferner, die von dem Kläger
erhobenen Einwendungen seien von ihm nicht stichhaltig begründet worden. Nach Art
und Schwere der Erkrankung komme auch kein anderweitiger Einsatz gemäß § 26 Abs.
1 bis 3 Beamtenstatusgesetz in Betracht; es liege auch keine begrenzte
Dienstunfähigkeit im Sinne des § 27 Beamtenstatusgesetz vor.
13
Der Kläger hat am 1. August 2009 Klage erhoben.
14
Zu deren Begründung macht er geltend, im vorliegenden Fall sei das
Landesbeamtengesetz alter Fassung anwendbar, es komme auf den Zeitpunkt der
Einleitung des entsprechenden Verfahrens an. Hiernach hätte neben der Untersuchung
durch den Amtsarzt eine weitere Untersuchung durch einen als Gutachter beauftragten
Arzt durchgeführt werden müsse. Außerdem sei der Personalrat zu Unrecht nicht
beteiligt worden. Schließlich sei die Beklagte auch ihrer Fürsorgepflicht nicht
nachgekommen, indem sie die vorgeschlagene Wiedereingliederungsmaßnahme
abgelehnt habe.
15
Darüber hinaus sei er nicht dauernd dienstunfähig. Die amtsärztliche Stellungnahme sei
unzureichend und fehlerhaft. Der Amtsarzt sei in dieser Stellungnahme von
sachfremden und darüberhinaus objektiv falschen Voraussetzungen ausgegangen. In
der amtsärztlichen Stellungnahme werde bestätigt, dass er - der Kläger - beschwerdefrei
sei. Dies stehe im Widerspruch zu der Aussage, dass mit einer erheblichen Besserung
des Verlaufs nicht mehr zu rechnen sei. Im Übrigen seien die Feststellungen des
Amtsarztes zu den Ursachen seiner Herzerkrankung unzutreffend. Die Vermeidung von
Stress, wie sie auch in dem Schreiben von L vom 9. Januar 2009 empfohlen werde, sei
nicht hinreichend bestimmt möglich. Sie stelle deshalb auch kein Kriterium für die
Feststellung der Dienstunfähigkeit dar. Er bestreite zudem, dass der
Vollstreckungsdienst für ihn eine mit zu hohem Stress verbundene Tätigkeit sei.
16
Der Kläger beantragt,
17
den Bescheid der Oberfinanzdirektion Rheinland vom 10. Juli 2009
aufzuheben.
18
Das beklagte Land beantragt,
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die Klage abzuweisen.
20
Zur Begründung wiederholt und vertieft es seine vorprozessualen Ausführungen.
Ergänzend macht es geltend, dass es für die Beurteilung der Sach-und Rechtslage auf
den Zeitpunkt der Zurruhesetzung ankomme. Entsprechend sei hier keine Begutachtung
durch einen weiteren Arzt erforderlich gewesen. Auch der Personalrat sei nicht zu
beteiligen gewesen. Zum Zeitpunkt der Zurruhesetzung habe die Oberfinanzdirektion
Rheinland nach eigenen Erkenntnissen und unter Berücksichtigung des amtsärztlichen
21
Gutachtens davon ausgehen können, dass der Kläger dauernd dienstunfähig sei. Der
Amtsarzt habe eine Dienstfähigkeit des Klägers nur für den Fall bejaht, dass diesem ein
stressfreier Arbeitsplatz zur Verfügung gestellt werde. Auch die privatärztlichen
Stellungnahmen bestätigten, dass der Amtsarzt seiner Prognose das zutreffende
Krankheitsbild zu Grunde gelegt habe und dass der Kläger bis heute an
schwerwiegenden Erkrankungen leide und erhebliche Belastungseinschränkungen
aufweise. Überdies käme amtsärztlichen Äußerungen regelmäßig ein größerer
Beweiswert zu als privatärztlichen Berichten und Bescheinigungen. Schließlich sei der
Amtsarzt in hinreichender Weise auf das Schreiben von L vom 9. Januar 2009
eingegangen. Er sei auch nach Würdigung dieses Schreibens zu keiner abweichenden
Einschätzung der Dienstunfähigkeit des Klägers gekommen. Die Erstellung eines
erneuten schriftlichen Gutachtens sei nicht erforderlich gewesen.
Materiell sei Prüfungsmaßstab für die Beurteilung der Dienstfähigkeit des Klägers
dessen Stellung als Steueramtsrat im Finanzamt E-Mitte. Den einem Steueramtsrat
übertragenen Aufgaben sei der Kläger im Zeitpunkt der Zurruhesetzung nicht
gewachsen gewesen. Im Finanzamt E-Mitte habe es weder im Zeitpunkt der
Zurruhesetzung noch in absehbarer Zukunft Dienstposten gegeben, deren Aufgaben der
Kläger auch unter Berücksichtigung seiner gesundheitlichen Einschränkungen in vollem
Umfang hätte wahrnehmen können. Seine Belastbarkeit sei in einem mit den
dienstlichen Anforderungen nicht zu vereinbarenden Ausmaß reduziert gewesen. Jeder
für den Kläger in Betracht kommende Dienstposten sei in Zeiten von
Personalreduzierungen in der Finanzverwaltung mit Stress in Form von Leistungs- und
Termindruck behaftet, den der Kläger gerade vermeiden solle. Zudem bringe die
Aufgabe der Finanzverwaltung, Steuern festzusetzen und zu erheben, regelmäßig
konfliktbeladene Situationen mit Steuerpflichtigen mit sich. Die Einschränkungen des
Amtsarztes seien mithin so weitreichend, dass ein amtsangemessener Einsatz des
Klägers ausgeschlossen gewesen sei. Im Übrigen würde der Einsatz des Klägers im
Finanzamt E-Mitte eine nicht unerhebliche Entlastung durch Vorgesetzte, Vertreter oder
Mitarbeiter erforderlich machen. Dadurch würde in erheblichem Maß Arbeitskraft
gebunden und der Dienstbetrieb in nicht zumutbarer Weise beeinträchtigt. Es bestehe
keine Verpflichtung des Dienstherrn, durch personelle und organisatorische
Maßnahmen einen für den Kläger stressfreien Arbeitsplatz zu schaffen.
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Das Gericht hat zu der Frage der Dienstunfähigkeit des Klägers Beweis erhoben durch
Vernehmung des sachverständigen Zeugen T. Wegen des Ergebnisses der
Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 22.
Oktober 2010 Bezug genommen.
23
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen.
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Entscheidungsgründe:
25
Der Einzelrichter ist für die Entscheidung zuständig, da der Rechtsstreit durch
Beschluss der Kammer vom 1. September 2010 gemäß § 6 Abs. 1
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) dem Berichterstatter als Einzelrichter zur
Entscheidung übertragen worden ist.
26
Die Klage ist zulässig und begründet.
27
Der Bescheid der Oberfinanzdirektion Rheinland vom 10. Juli 2009 ist rechtswidrig und
verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Bescheid kann
sich nicht auf § 34 Beamtengesetz für das Land Nordrhein-Westfalen
(Landesbeamtengesetz - LBG NRW) und § 26 Gesetz zur Regelung des Statusrechts
der Beamtinnen und Beamten in den Ländern (Beamtenstatusgesetz - BeamtStG)
stützen.
28
Nach § 34 Abs. 2 Satz 3 LBG NRW ist ein Beamter, wenn seine Dienstunfähigkeit
festgestellt wird, mit dem Ende des Monats, in dem ihm oder seinem Vertreter die
Verfügung zugestellt worden ist, in den Ruhestand zu versetzen. Gemäß § 34 Abs. 2
Satz 1 LBG NRW trifft die nach § 36 Abs. 1 LBG NRW zuständige Stelle - regelmäßig
die für die Ernennung zuständige Stelle - die Entscheidung über die Zurruhesetzung.
29
Wann ein Beamter dienstunfähig ist, regelt § 26 BeamtStG: Nach § 26 Abs. 1 Satz 1
BeamtStG sind Beamtinnen auf Lebenszeit und Beamte auf Lebenszeit in den
Ruhestand zu versetzen, wenn sie wegen ihres körperlichen Zustands oder aus
gesundheitlichen Gründen zur Erfüllung ihrer Dienstpflichten dauernd unfähig
(dienstunfähig) sind. Als dienstunfähig kann gemäß § 26 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG auch
angesehen werden, wer infolge Erkrankung innerhalb eines Zeitraums von sechs
Monaten mehr als drei Monate keinen Dienst getan hat und keine Aussicht besteht, dass
innerhalb einer Frist, deren Bestimmung dem Landesrecht vorbehalten bleibt, die
Dienstfähigkeit wieder voll hergestellt ist.
30
Von der Versetzung in den Ruhestand soll allerdings gemäß § 26 Abs. 1 Satz 3
BeamtStG abgesehen werden, wenn eine anderweitige Verwendung möglich ist. Eine
anderweitige Verwendung ist nach § 26 Abs. 2 Satz 1 BeamtStG möglich, wenn der
Beamtin oder dem Beamten ein anderes Amt derselben oder einer anderen Laufbahn
übertragen werden kann. In diesen Fällen ist die Übertragung eines anderen Amtes
ohne Zustimmung zulässig, wenn das neue Amt zum Bereich desselben Dienstherrn
gehört, es mit mindestens demselben Grundgehalt verbunden ist wie das bisherige Amt
und wenn zu erwarten ist, dass die gesundheitlichen Anforderungen des neuen Amtes
erfüllt werden (§ 26 Abs. 2 Satz 2 BeamtStG). Beamtinnen und Beamte, die nicht die
Befähigung für die andere Laufbahn besitzen, haben an Qualifizierungsmaßnahmen für
den Erwerb der neuen Befähigung teilzunehmen (§ 26 Abs. 2 Satz 3 BeamtStG).
31
Die vorzeitige Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit ist danach
regelmäßig nur zulässig, wenn die Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 und 2 BeamtStG
kumulativ erfüllt sind. Das lässt sich hier aber nicht feststellen.
32
Dass die materielle Rechtmäßigkeit der Versetzung des Beamten in den Ruhestand in
der Regel von den Erkenntnissen abhängt, die der zuständigen Behörde im
maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung zur Frage der
Dienstunfähigkeit zur Verfügung stehen,
33
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 16. Oktober 1997 – 2 C 7.97 –, BVerwGE 105,
267 (269),
34
bedeutet nicht, dass der Behörde ein gerichtsfreier Beurteilungsspielraum zukäme.
Einen solchen Spielraum räumt ihr das Gesetz nicht ein. So unterliegt nicht nur der
vollen gerichtlichen Kontrolle, ob der Sachverhalt hinreichend sorgfältig ermittelt wurde,
sondern im Rahmen der tatrichterlichen Würdigung auch die Frage, ob der ermittelte
35
Sachverhalt die Feststellung der dauernden Dienstunfähigkeit rechtfertigt. Das schließt
etwaige Feststellungen oder Schlussfolgerungen in ärztlichen Gutachten grundsätzlich
mit ein. Auch diese sind vom Gericht - in den Grenzen der erforderlichen Sachkenntnis -
nicht ungeprüft zu übernehmen, sondern selbstverantwortlich zu überprüfen und
nachzuvollziehen.
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 21. Oktober 1966 – VI C 46.63 –, Buchholz 232
§ 42 BBG Nr. 8, S. 36 (42); Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen,
Urteile vom 28. Mai 2003 – 1 A 2150/00 –, juris, Rdn. 95, vom 29. Oktober 2009 – 1 A
3598/07 -, juris, Rdn. 50 ff. und vom 22. Januar 2010 - 1 A 2211/07 -, juris, Rdn. 37.
36
Diesen Prüfungsrahmen zugrundelegend kann das Gericht hier nicht feststellen, dass
der Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung dauernd
dienstunfähig gewesen ist.
37
Der Begriff der (dauernden) Dienstunfähigkeit, wie er in § 26 Abs. 1 BeamtStG normiert
ist, ist spezifisch beamtenrechtlicher (dienstrechtlicher) Art. Er stellt dabei nicht allein auf
die Person des Beamten bzw. auf Art und Ausmaß seiner gesundheitlichen
Beeinträchtigung ab. Vielmehr sind letztlich die Auswirkungen der jeweiligen
Erkrankung auf die Fähigkeit, die Dienstpflichten weiter zu erfüllen, und damit auch die
Auswirkungen auf den Dienstbetrieb entscheidend. Das bedeutet zugleich, dass es
jedenfalls nicht in allen Fällen auf die Erhebung exakter und zutreffender medizinischer
Befunde ankommt, sondern vielmehr darauf, ob der Beamte nach seiner gesamten
Konstitution zur Erfüllung seiner Dienstpflichten dauernd unfähig ist, weil auf absehbare
Zeit eine Behebung im Sinne einer nachhaltigen Besserung seines Zustandes nicht zu
erwarten ist. Aus diesem Grund stellt die ärztliche Begutachtung nicht das einzige und
stets ausschlaggebende Beweismittel für die Klärung der Dienstunfähigkeit dar;
namentlich ist es nicht Sache des begutachtenden Arztes, die Dienstpflichten des
jeweiligen Beamten zu bestimmen.
38
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 16. Oktober 1997 – 2 C 7.97 –, BVerwG 105,
267 (269); Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteile vom 28.
Mai 2003 – 1 A 2150/00 –, juris, Rdn. 98, vom 11. März 2009 – 6 A 2615/05 –, juris,
Rdn. 44 ff., vom 29. Oktober 2009 – 1 A 3598/07 -, juris, Rdn. 57, und vom 22. Januar
2010 - 1 A 2211/07 -, juris, Rdn. 43.
39
Maßstab für die Beurteilung ist in diesem Zusammenhang nicht das auf einem
bestimmten Dienstposten wahrgenommene Amt im konkret-funktionellen Sinne,
sondern das dem Beamten zuletzt übertragene Amt im abstrakt-funktionellen Sinne.
Dieses umfasst alle bei der Beschäftigungsbehörde dauerhaft eingerichteten
Dienstposten, auf denen er amtsangemessen – d. h. gemessen an der Wertigkeit der
übertragenen Aufgaben seinem Amt im statusrechtlichen Sinne entsprechend –
beschäftigt werden kann. Daher setzt die Dienstunfähigkeit voraus, dass bei der
Beschäftigungsbehörde kein Dienstposten zur Verfügung steht, der seinem
statusrechtlichen Amt zugeordnet und gesundheitlich für ihn geeignet ist.
40
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 26. März 2009 – 2 C 73.08 –, BVerwGE 133,
297 (300); ebenso die Parallelentscheidung vom gleichen Tage - 2 C 46.08 -, juris,
Rdn. 15; ferner etwa Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil
vom 22. Januar 2010 - 1 A 2211/07 -, juris, Rdn. 45.
41
Das statusrechtliche Amt wird grundsätzlich durch die Zugehörigkeit zu einer Laufbahn
und Laufbahngruppe, durch das Endgrundgehalt der Besoldungsgruppe und durch die
dem Beamten verliehene Amtsbezeichnung gekennzeichnet. In abstrakter Weise wird
dadurch seine Wertigkeit in Relation zu anderen Ämtern zum Ausdruck gebracht. Das
abstrakt-funktionelle Amt bezieht sich demgegenüber auf die dienstlichen Aufgaben des
Beamten und knüpft insofern an dessen Beschäftigung an. Gemeint ist damit der einem
statusrechtlichen Amt entsprechende Aufgabenkreis, der einem Inhaber dieses
Statusamtes bei einer bestimmten Behörde auf Dauer zugewiesen ist.
42
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 22. Juni 2006 – 2 C 26.05 – BVerwGE 126, 182
(183 f.); Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 22.
Januar 2010 - 1 A 2211/07 -, juris, Rdn. 47.
43
Reicht die Leistungsfähigkeit des Beamten für einen Teil der amtsangemessenen
Dienstposten aus, sind diese aber besetzt, so hängt die Dienstunfähigkeit von den
personellen und organisatorischen Gegebenheiten bei der Beschäftigungsbehörde ab.
Der Beamte ist weiterhin dienstfähig, wenn ein geeigneter Dienstposten entweder für
ihn freigemacht oder durch organisatorische Änderungen eingerichtet werden kann.
Daran fehlt es, wenn derartige Maßnahmen die sachgemäße und reibungslose
Erfüllung der dienstlichen Aufgaben beeinträchtigen würden. Störungen des
Betriebsablaufs dürfen nicht über das Maß hinausgehen, das mit Änderungen
vorübergehend zwangsläufig verbunden ist.
44
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 26. März 2009 – 2 C 73.08 -, BVerwGE 133,
297 (300); Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 22.
Januar 2010 - 1 A 2211/07 -, juris, Rdn. 49.
45
Nach diesen Maßstäben kann eine dauernde Dienstunfähigkeit des Klägers im Juli
2009 nicht festgestellt werden. Die auf die entsprechende Aussage des Amtsarztes
gestützte Annahme der Oberfinanzdirektion Rheinland, der Kläger sei nur dienstfähig,
wenn ihm ein "stressfreier" Arbeitsplatz gestellt werde, ansonsten also dienstunfähig,
und ein entsprechender Dienstposten stehe für ihn im Finanzamt E-Mitte nicht zur
Verfügung, bildet keine ausreichende Grundlage für die hier erforderliche Feststellung,
der Kläger werde die Aufgaben seines Amtes dauerhaft nicht erfüllen können. Sonstige
Umstände, die die Dienstunfähigkeit des Klägers im Zeitpunkt der letzten
Behördenentscheidung begründen könnten, sind weder vorgetragen noch anderweitig
ersichtlich.
46
Dabei kann in diesem Zusammenhang offen bleiben, ob die Aussage des Amtsarztes,
der Kläger sei dienstfähig, wenn ihm ein "stressfreier" Arbeitsplatz zur Verfügung
gestellt werde, ihrerseits auf einer hinreichend gesicherten Tatsachengrundlage beruht.
Da der Amtsarzt - wie er auch in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich bestätigt hat
- keine verlässlichen Aussagen zu den Gründen der Erkrankung des Klägers machen
konnte, sondern auch in seiner Stellungnahme lediglich mögliche Krankheitsursachen
benannt hat, stellt sich schon die Frage, ob die Beschränkung auf einen stressfreien
Arbeitsplatz hinreichend durch objektive Umstände gestützt wird. Andererseits ist
festzuhalten, dass auch der den Kläger behandelnde Kardiologe L in seinem Schreiben
vom 9. Januar 2009 den Aspekt der Stressbelastung immerhin ausdrücklich anführt.
47
Diese Frage bedarf jedoch keiner abschließenden Entscheidung, da selbst auf der
Grundlage der Feststellungen des Amtsarztes keine hinreichend verlässliche Aussage
48
über die Dienst(un)fähigkeit des Klägers möglich ist. Der Verweis des Amtsarztes und
der ihm folgenden Oberfinanzdirektion Rheinland auf das Erfordernis eines
"stressfreien" Arbeitsplatzes enthält keine hinreichend objektivierte Aussage zu den
Defiziten des Klägers bei der Erfüllung seiner Dienstpflichten. Dies ergibt sich schon
daraus, dass zwar über die Auswirkungen bzw. die Erscheinungsformen von Stress
eine gewisse Einigkeit bestehen dürfte, die Ursachen von Stress dagegen keiner
objektiven, personenunabhängigen Bestimmung zugänglich sind.
Vgl. etwa die Definition von Stress in Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch: "Reaktion
des Organismus (erhöhte Sympathikusaktivität, vermehrte Ausschüttung von
Katecholaminen, Blutdrucksteigerung u.a.) auf versch. unspezif. Reize (Inf.,
Verletzung, Verbrennung, Strahleneinwirkung, emotionale Belastung u.a.
Stressfaktoren)".
49
Wie auch der Amtsarzt in Übereinstimmung hiermit in der mündlichen Verhandlung
ausdrücklich bestätigt hat, hängen die Auswirkungen bestimmter objektiver Umstände
für die Stressbelastung des Betroffenen von dessen subjektiver Empfänglichkeit ab.
Umstände, die bei einem Betroffenen Stress auslösen, tun dies nicht zwangsläufig auch
bei anderen Betroffenen. So mag etwa für einen Betroffenen der Umgang mit Publikum
bei der Erfüllung seiner Dienstpflichten stressbehaftet sein; bei einem anderen Beamten
ist dies möglicherweise für seine "Stresssituation" völlig unerheblich. Können damit
aber stressauslösende Faktoren nicht hinreichend sicher bestimmt werden, kommt auch
dem Begriff des "stressfreien Arbeitsplatzes" kein hinreichend objektiver Gehalt zu. Er
ist damit nicht geeignet, eine verlässlich Grundlage für eine Einschränkung der
Dienstfähigkeit eines Beamten zu begründen.
50
Im vorliegenden Fall lassen sich auch aus den sonstigen Umständen, namentlich den
Feststellungen des Amtsarztes, keine objektiven Gesichtspunkte ableiten, die denen
Begriff des stressfreien Arbeitsplatzes im vorliegenden Fall konkretisieren können. Zwar
hat der Amtsarzt in seiner Stellungnahme vom 18. November 2008 auf die berufliche
Belastung des Klägers hingewiesen, die mit einem erheblichen Konflikt- und
Stresspotenzial einhergehe. Aus dem Gutachten ergibt sich jedoch nicht, welche
konkreten Umstände das angenommene Stresspotenzial begründen. Entsprechend ist
dem Gutachten auch nicht zu entnehmen, welche konkreten Arbeitsbedingungen - zum
Beispiel mit Blick auf Publikumsverkehr, Fristvorgaben, Kontakte mit Vorgesetzten,
Mitarbeiterführung - für einen stressfreien Arbeitsplatz im Fall des Klägers erfüllt sein
müssten. Auch in der mündlichen Verhandlung hat der Amtsarzt insoweit nur darauf
verwiesen, dass er seinen Gesamteindruck von den Arbeitsbedingungen des Klägers
aus dessen Schilderungen abgeleitet habe. Welche konkreten Faktoren spezifisch für
den Kläger stressbehaftet wären und ggfs. woraus dies abzuleiten sein könnte,
vermochte der Amtsarzt nicht anzugeben.
51
In diesem Zusammenhang ist überdies zu beachten, dass der Amtsarzt seine
Einschätzung, für den Kläger sei ein stressfreier Arbeitsplatz erforderlich, vornehmlich
auf die Überlegung gestützt hat, der Kläger müsse vor einer Verschlechterung seiner
gesundheitlichen Situation geschützt werden. Dies entspricht dem aus ärztlicher Sicht
nachvollziehbaren, vornehmlich fürsorgerischen Ansatz des Amtsarztes, mit dem dieser
nach seinem Bekunden zugleich dem Dienstherrn einen Spielraum hinsichtlich des
künftigen Einsatzes des Klägers eröffnen wollte. Für die Beantwortung der Frage, ob der
Kläger zur Erfüllung seiner Dienstpflichten dauerhaft nicht in der Lage ist, vermag diese
Aussage deshalb aber allenfalls einen Hinweis zu geben; eine abschließende Klärung
52
kann durch den Verweis auf die Notwendigkeit eines "stressfreien" Arbeitsplatzes
demnach nicht erfolgen.
Auch der Vorsteher des Finanzamts E-Mitte und/oder die Oberfinanzdirektion Rheinland
haben keine Umstände anzuführen vermocht, die eine hinreichende Konkretisierung
des stressfreien Arbeitsplatzes darstellen könnten.
53
Soweit der Vorsteher des Finanzamts E-Mitte in seinem Untersuchungsauftrag an den
Amtsarzt vom 17. Oktober 2008 ausgeführt hat, die Tätigkeit des Klägers sei regelmäßig
mit einer über das Normalmaß hinausgehenden psychischen Belastung verbunden,
Konfliktsituationen seien an der Tagesordnung, macht schon die Bezugnahme auf ein
angebliches "Normalmaß" psychischen Belastung deutlich, dass auch diese Aussage
keine objektivierbare Bestimmung der Stressbelastung auf dem Dienstposten des
Klägers enthält. Überdies ist ihr auch nicht zu entnehmen, wie sich die dargestellte
Arbeitssituation auf die individuelle Stressbelastung des Klägers auswirkt. Schließlich
hat auch der Amtsarzt aus dieser Beschreibung keine objektiven Faktoren abgeleitet,
mit der er die Stressbelastung des Klägers konkretisiert hätte.
54
Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Schreiben des Vorstehers des Finanzamts E-
Mitte vom 7. April 2009 an den Prozessbevollmächtigten des Klägers. In diesem
Schreiben führt der Vorsteher insoweit lediglich aus, es sei aus seiner Sicht aufgrund
des hohen gesundheitlichen Gefährdungspotenzials nicht zu verantworten, den Kläger
"dem enormen Stress auszusetzen, der in allen für ihn denkbaren Arbeitsbereichen"
auftreten würde. Wie dieser "enorme" Stress, der auf allen entsprechenden
Dienstposten im Finanzamt E-Mitte bestehen soll, konkret beschaffen ist, ist diesem
Schreiben jedoch nicht zu entnehmen.
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Weiter hat auch die Oberfinanzdirektion Rheinland in der Zurruhesetzungsverfügung
keine Umstände angeführt, die bezogen auf den Kläger und seine gesundheitliche
Situation konkret als stressfördernde Faktoren angesehen werden könnten. Ebenso
wenig lässt sich den Verwaltungsvorgängen entnehmen, dass sich der Vorsteher des
Finanzamts E-Mitte und/oder die Oberfinanzdirektion Rheinland bemüht hätten, unter
nochmaliger Hinzuziehung des Amtsarztes die für die Kläger als maßgeblich erachteten
Stressfaktoren näher zu bestimmen. Soweit das beklagte Land im gerichtlichen
Verfahren geltend gemacht hat, der Einsatz des Klägers im Finanzamt E-Mitte mache
eine nicht unerhebliche Entlastung durch Vorgesetzte, Vertreter oder Mitarbeiter
erforderlich, die den Dienstbetrieb in nicht zumutbarer Weise beeinträchtige, ist dem
entsprechenden Vorbringen nicht zu entnehmen, woraus diese Annahme abgeleitet
wird. Insbesondere sind auch in diesem Zusammenhang keine objektiven Umstände
angeführt worden, die die mögliche, dem Kläger nicht zuzumutende Stressbelastung
konkretisieren könnten.
56
Eine andere Bewertung ist schließlich auch nicht deshalb geboten, weil der den Kläger
behandelnde Kardiologe L in seinem Schreiben vom 9. Januar 2009 zusammenfassend
ausführt, dass die Arbeit des Klägers nicht zu stark mit psychischem oder physischem
Stress verbunden sein sollte. Zwar deutet diese Aussage ebenfalls darauf hin, dass eine
Stressbelastung des Klägers seine Dienstfähigkeit einschränken dürfte; konkrete
Umstände, die einen zu hohen psychischen Stress - Anhaltspunkte für einen zu hohen
physischen Stress sind nicht ersichtlich - begründen könnten, sind jedoch auch diesem
Schreiben nicht zu entnehmen. Vor allem aber kann das genannte Schreiben nicht zur
Konkretisierung der Aussage des Amtsarztes herangezogen werden, weil dieser mit
57
seiner Formulierung der Kläger sei dienstfähig, sofern ihm ein Arbeitsplatz zugewiesen
werde, der "stressfrei "sei, offenkundig eine besondere Schutzbedürftigkeit des Klägers
zum Ausdruck bringen wollte. Demgegenüber zielt die Aussage von L nach ihrem
objektiven Gehalt auf eine Vermeidung übermäßigen, also über das Übliche im
Arbeitsleben hinausgehenden Stresses. Unabhängig davon, ob diese Aussage
ihrerseits einen hinreichend objektiven Gehalt hat, kann sie jedenfalls wegen ihrer
abweichenden Zielrichtung nicht herangezogen werden, um die amtsärztliche Aussage
und die darauf gründende Einschätzung der Oberfinanzdirektion Rheinland zur
Dienstunfähigkeit des Klägers zu konkretisieren. Im Übrigen kann auch nicht unterstellt
werden, dass das beklagte Land annehmen würde, dass jeder in der Finanzverwaltung
verfügbare Dienstposten generell mit zu hohem psychischen Stress verbunden wäre.
Über die bisherigen Erwägungen hinaus ist die Klage allerdings auch dann begründet,
wenn man entgegen den obigen Ausführungen zu Gunsten des beklagten Landes
annähme, dass das Erfordernis eines "stressfreien" Arbeitsplatzes eine hinreichend
aussagekräftige Beschränkung der Dienstfähigkeit des Klägers begründete und für ihn
kein entsprechender Dienstposten im Finanzamt E-Mitte zur Verfügung stünde. In
diesem Fall ergäbe sich die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides daraus,
dass das beklagte Land seinen aus § 26 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 2 BeamtStG
resultierenden Verpflichtungen nicht in hinreichender Weise nachgekommen ist.
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Wie oben bereits ausgeführt, soll trotz bestehender Dienstunfähigkeit im Sinne von § 26
Abs. 1 Satz 1 BeamtStG gemäß § 26 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG von der Versetzung in
den Ruhestand abgesehen werden, wenn eine anderweitige Verwendung der
Beamtin/des Beamten möglich ist. Eine anderweitige Verwendung ist nach § 26 Abs. 2
Satz 1 BeamtStG möglich, wenn der Beamtin oder dem Beamten ein anderes Amt
derselben oder einer anderen Laufbahn übertragen werden kann.
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Im Hinblick auf die Möglichkeit der anderweitigen Verwendung eines dienstunfähigen
Beamten hat das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in seinem
Urteil vom 22. Januar 2010, Az.: 1 A 2211/07 -, NRWE und juris, zu den entsprechenden
Regelungen in § 42 Bundesbeamtengesetz in der seinerzeit maßgeblichen Fassung
Folgendes ausgeführt:
60
"§ 42 Abs. 3 BBG a.F. ist Ausdruck des Grundsatzes "Weiterverwendung vor
Versorgung". Ein dienstunfähiger Beamter soll nur dann aus dem aktiven Dienst
ausscheiden, wenn er dort nicht mehr eingesetzt werden kann.
61
Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. März 2009 – 2 C 73.08 -, a.a.O. sowie juris, Rn. 20,
unter Hinweis auf BT-Drucks. 11/5372, S. 34 und 13/3994, S. 33.
62
Die Vorschrift ist Teil der vielfältigen Bemühungen des Bundesgesetzgebers,
Pensionierungen vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze soweit wie möglich zu
vermeiden. Hierzu gehören auch die Weiterverwendung begrenzt dienstfähiger
Beamter nach § 42a BBG a.F. (heute inhaltlich geregelt in § 45 BBG) und die
Reaktivierung von Ruhestandsbeamten nach § 45 BBG a.F. (heute inhaltlich
geregelt in § 46 BBG).
63
Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. März 2009 – 2 C 73.08 -, a.a.O. sowie juris, Rn. 20.
64
Da § 42 Abs. 3 BBG a.F. an die Dienstunfähigkeit nach Absatz 1 anknüpft, kann
65
eine anderweitige Verwendung im Sinne der Vorschrift nur die Übertragung eines
Amtes im abstrakt-funktionellen bzw. im konkret-funktionellen Sinne bedeuten,
welches nicht dem bisherigen statusrechtlichen Amt des dienstunfähigen Beamten
zugeordnet ist. Demzufolge ist eine anderweitige Verwendung im Sinne von § 42
Abs. 3 BBG a.F. bei der bisherigen Beschäftigungsbehörde möglich, wenn dem
Beamten dort gleichwertige Funktionsämter einer anderen Laufbahn übertragen
werden können. Steht ein dem bisherigen Statusamt entsprechender anderer
Dienstposten bei der Beschäftigungsbehörde zur Verfügung, fehlt es dagegen – wie
ausgeführt – bereits an der Dienstunfähigkeit im Sinne von § 42 Abs. 1 BBG a.F.
Der Anwendungsbereich des § 42 Abs. 3 BBG a.F. hat im Übrigen nicht nur einen
Einsatz bei der bisherigen Beschäftigungsbehörde im Blick. Er betrifft vielmehr auch
gerade solche anderweitigen Verwendungen, die mit der Versetzung zu einer
anderen Behörde verbunden sind. Bei dieser muss dem Beamten ein neues
statusrechtliches Amt gleicher Wertigkeit verliehen werden, wenn er nicht auf einem
Dienstposten eingesetzt wird, der dem bisherigen statusrechtlichen Amt zugeordnet
ist. Neue Funktionsämter, die nicht dem bisherigen Amt im statusrechtlichen Sinne
zugeordnet sind, können nur unter Verleihung des entsprechenden Amtes im
statusrechtlichen Sinn übertragen werden.
Vgl. zum Ganzen etwa BVerwG, Urteil vom 26. März 2009 – 2 C 73.08 –, a.a.O.
sowie juris, Rn. 21 bis 24.
66
§ 42 Abs. 3 BBG a.F. begründet zugleich die Pflicht des Dienstherrn, nach einer
anderweitigen Verwendung zu suchen. Nur dieses Verständnis entspricht dem Ziel
der Vorschrift, dienstunfähige Beamte nach Möglichkeit im aktiven Dienst zu halten.
Ohne gesetzliche Suchpflicht könnte die Verwaltung über die Geltung des
Grundsatzes "Weiterverwendung vor Versorgung" nach Gesichtspunkten der
Zweckmäßigkeit entscheiden und autonom festlegen, unter welchen
Voraussetzungen und nach welchen Kriterien sie sich um eine anderweitige
Verwendung bemüht. Das wäre mit Wortlaut und Zweck des Gesetzes nicht
vereinbar.
67
Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. März 2009 – 2 C 73.08 –, a.a.O. sowie juris, Rn. 25.
68
Der gesetzliche Vorrang der weiteren Dienstleistung vor der Frühpensionierung wird
durch den Wortlaut des Satzes 1 des § 42 Abs. 3 BBG a.F. verdeutlicht, wonach von
der Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit abgesehen werden
"soll". Soll-Vorschriften gestatten Abweichungen von der gesetzlichen Regel nur in
atypischen Fällen, in denen das Festhalten an dieser Regel auch unter
Berücksichtigung des Willens des Gesetzgebers nicht gerechtfertigt ist.
Anhaltspunkte für einen solchen atypischen Fall sind vorliegend nicht ersichtlich.
69
Die Suche nach einer § 42 Abs. 3 BBG a.F. entsprechenden anderweitigen
Verwendung ist regelmäßig auf den gesamten Bereich des Dienstherrn zu
erstrecken. Dies folgt aus dem Wortlaut des Satzes 2 des § 42 Abs. 3 BBG a.F.,
wonach die Übertragung eines anderen Amtes zulässig ist, wenn es zum Bereich
desselben Dienstherrn gehört. Für diesen Umfang der Suchpflicht spricht auch, dass
den Beamten zur Vermeidung der Frühpensionierung auch der Erwerb einer
anderen Laufbahnbefähigung zur Pflicht gemacht werden kann. Inhaltliche
Vorgaben für eine Beschränkung der Suche auf bestimmte Bereiche der
Verwaltungsorganisation des Dienstherrn lassen sich aus § 42 Abs. 3 BBG a.F.
70
nicht herleiten. Auch die amtlichen Gesetzesbegründungen enthalten keinen
Hinweis, dass eine Beschränkung gewollt ist.
Vgl. BT-Drucks. 11/5372, S. 34 und 13/3994, S. 33, sowie BVerwG, Urteil vom 26.
März 2009 – 2 C 73.08 –, a.a.O. sowie juris, Rn. 27.
71
Die Suche nach einer anderweitigen Verwendung muss sich auf Dienstposten
erstrecken, die in absehbarer Zeit voraussichtlich neu zu besetzen sind. Eine
Beschränkung auf aktuell freie Stellen ließe außer Acht, dass § 42 Abs. 3 BBG a.F.
zur Vermeidung von Frühpensionierungen auch die Weiterverwendung in Ämtern
einer anderen Laufbahn vorsieht und die dazu erforderliche Laufbahnbefähigung
erst nach einer – ggf. längeren – Unterweisungszeit erworben werden kann.
72
Bezogen auf all dies ist es (auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren) Sache des
Dienstherrn, schlüssig darzulegen, dass er bei der Suche nach einer anderweitigen
Verwendung für den Beamten die Vorgaben des § 42 Abs. 3 BBG a.F. beachtet hat.
Denn es geht um Vorgänge aus dem Verantwortungsbereich des Dienstherrn, die
dem Einblick des betroffenen Beamten in aller Regel entzogen sind. Daher geht es
zulasten des Dienstherrn, wenn nicht aufgeklärt werden kann, ob die erforderliche
Suche den gesetzlichen Anforderungen entsprochen hat.
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Vgl. BVerwG, Urteile vom 17. August 2005 - 2 C 37.04 -, BVerwGE 124, 99, 108 f.
= Buchholz 11 Art. 33 Abs. 2 GG Nr. 32 S. 33, und vom 26. März 2009 – 2 C 73.08
-, a.a.O. sowie juris, Rdn. 30; ebenso OVG NRW, Urteil vom 2. Juli 2009 – 6 A
3712/06 –, DÖD 2009, 312, 314 = juris, Rn. 66."
74
Nach diesen Maßstäben, die für § 26 BeamtStG in derselben Weise gelten, weil der
Gesetzgeber insoweit keine sachlichen Änderungen vorgenommen hat, vermag das
Gericht nicht festzustellen, dass das beklagten Land seinen diesbezüglichen
Verpflichtungen nachgekommen ist.
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In der Personalakte des Klägers findet sich mit Blick auf die der Behörde überantwortete
Suchpflicht lediglich in dem der Zurruhesetzungsverfügung vorgeschalteten Vermerk ein
kurzer Hinweis. Dort wird allerdings nur in Form einer knappen Feststellung darauf
verwiesen, dass nach Art und Schwere der Erkrankung kein anderweitiger Einsatz des
Klägers gemäß § 26 Abs. 1 bis 3 BeamtStG in Betracht komme. Hieraus ergibt sich,
dass die Behörde augenscheinlich mit Blick auf die Erkrankung des Klägers von
vornherein eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit verneint und keine weiteren
konkreten Überlegungen, insbesondere Erkundigungen bei anderen Stellen der
Finanzverwaltung angestellt hat. Da sie ihren Ansatz aber auch nicht weiter begründet
hat, hat sie ihre Suchpflicht so nicht erfüllt. Andere Unterlagen, die zu einer – in Fällen
der vorliegenden Art zumindest sinnvollen – Dokumentation der im Einzelnen
unternommenen Bemühungen (auch hinsichtlich deren Umfang und räumlicher
Ausdehnung) zur Suche einer anderweitigen Verwendung für den Kläger geeignet
wären, sind nicht ersichtlich. Auch im gerichtlichen Verfahren hat das beklagte Land
hierzu keine näheren Angaben gemacht. Kann damit aber nicht festgestellt werden,
dass der Dienstherr des Klägers seiner Suchpflicht aus § 26 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 2
BeamtStG nachgekommen ist, geht dies nach den o.g. Grundsätzen hier zu Lasten des
beklagten Landes.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, §§ 708
Nr. 11, 709 Satz 2, 711 Zivilprozessordnung.
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