Urteil des VG Düsseldorf vom 14.02.2007

VG Düsseldorf: einstellung des verfahrens, aufschiebende wirkung, bundesamt für migration, politische verfolgung, asylverfahren, bekanntgabe, eltern, verzicht, rücknahme, abschiebung

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 4 K 80/07.A
Datum:
14.02.2007
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
4. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4 K 80/07.A
Tenor:
Ziffer 3 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge
vom 12. Dezember 2006 wird aufgehoben, soweit dort dem Kläger eine
Frist zur Ausreise von einer Woche nach Bekanntgabe des Bescheides
gesetzt wird.
Im übrigen wird die Klage mit der Maßgabe abgewiesen, daß die
Ausreisefrist einen Monat nach dem unanfechtbaren Abschluß des
Asylverfahrens endet.
Die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben
werden, tragen der Kläger und die Beklagte je zur Hälfte.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige
Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages
abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vorher
Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand:
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Der Kläger, Staatsangehöriger der Türkei kurdischer Volkszugehörigkeit, wurde am
00.00. 2003 in C geboren. Seine Eltern betrieben in Deutschland ohne Erfolg
Asylverfahren.
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Die Oberbürgermeisterin der Stadt C - Einwohneramt/Ausländerbüro - zeigte dem
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im folgenden: Bundesamt) mit Schreiben vom
7. November 2006 die Geburt des Klägers an und wies darauf hin, daß sich seine Eltern
derzeit ohne Aufenthaltstitel im Bundesgebiet aufhielten. Am 9. November 2006 leitete
das Bundesamt darauf ein Asylverfahren für den Kläger ein; mit Bescheid der
Bezirksregierung B vom 14. November 2006 wurde er der Stadt C zugewiesen. Der
Prozeßbevollmächtigte des Klägers erklärte mit Schreiben vom 5. Dezember 2006, daß
dem Kläger keine politische Verfolgung drohe und daher auf die Durchführung eines
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Asylverfahrens verzichtet werde.
Mit Bescheid vom 12. Dezember 2006 stellte das Bundesamt das Asylverfahren ein,
stellte fest, daß Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorlägen,
und forderte den Kläger auf (Ziffer 3 des Bescheides), die Bundesrepublik Deutschland
innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen; die
Abschiebung wurde angedroht.
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Am 26. Dezember 2006 hat der Kläger Klage erhoben und zugleich um vorläufigen
Rechtsschutz nachgesucht. Mit Beschluß vom 15. Januar 2007 - 4 L 32/07.A - hat das
Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Ziffer 3 des Bescheides vom 12.
Dezember 2006 festgestellt.
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Der Kläger ist der Auffassung, im Fall des Verzichts nach § 14a Abs. 3 AsylVfG bestehe
keine Rechtsgrundlage für die Regelung der Ausreisefrist und den Erlaß einer
Abschiebungsandrohung durch das Bundesamt.
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Der Kläger beantragt,
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Ziffer 3 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 12.
Dezember 2006 aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie ist der Auffassung, daß die Ausreisefrist mit der Abschiebungsandrohung
rechtmäßig sei. Der Verzicht nach § 14a Abs. 3 AsylVfG sei kein „sonstiger" Fall im
Sinne des § 38 Abs. 1 AsylVfG; vielmehr gelte § 38 Abs. 2 AsylVfG entsprechend. Der
stattgebende Beschluß im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ändere nichts; §
37 Abs. 2 AsylVfG könne nicht entsprechend angewandt werden.
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Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die
beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Der Einzelrichter entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche
Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO).
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Die Klage hat teilweise Erfolg.
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1. Sie ist insgesamt zulässig.
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1.1. Die isolierte Anfechtungsklage ist statthaft. In Verfahren nach § 14a Abs. 2 AsylVfG
kann die isolierte Anfechtung sachdienlich sein, wenn an einem positiven Asylbescheid
des Bundesamtes letztlich kein Interesse besteht oder Gründe für die Zuerkennung von
Asyl oder Abschiebungsschutz auch nach Auffassung des Ausländers offenkundig nicht
bestehen,
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vgl. BVerwG, Urteil vom 21. November 2006 - 1 C 10.06 -.
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Dies ist hier der Fall; der Kläger hat durch seinen Prozeßbevollmächtigten aus diesem
Grunde gerade die Verzichtserklärung nach § 14a Abs. 3 AsylVfG abgegeben.
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1.2. Das Rechtsschutzbedürfnis für die Klage ist nicht - auch nicht teilweise - durch den
Beschluß des Gerichts im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes entfallen. Die in
der angegriffenen Ziffer 3 des Bescheides des Bundesamtes vom 12. Dezember 2006
enthaltene Ausreisefrist von einer Woche hat sich nicht kraft Gesetzes in die Monatsfrist
verwandelt. Zwar sieht § 37 Abs. 2 AsylVfG eine solche Umwandlung der Frist in
denjenigen Fällen vor, in denen das Verwaltungsgericht nach Ablehnung des
Asylantrages als offensichtlich unbegründet dem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO
stattgegeben hat. Ein solcher Fall ist hier aber nicht gegeben. Die stattgebende
Entscheidung in der Sache 4 L 32/07.A erging nicht nach Ablehnung des Asylantrages
als offensichtlich unbegründet, sondern nach Einstellung des Verfahrens durch das
Bundesamt. Eine entsprechende Anwendung der Vorschrift ist nicht möglich. Beide
Fallkonstellationen sind nicht miteinander vergleichbar; auch eine Regelungslücke
besteht nicht. Wird das Asylverfahren - wie hier - von Amts wegen auf einen fingierten
Asylantrag hin durchgeführt, dann aber aufgrund der Verzichtserklärung nach § 14a
Abs. 3 AsylVfG eingestellt, so hat das Bundesamt gerade keine Entscheidung über das
Asylbegehren in der Sache getroffen. Nur die Infragestellung einer Sachentscheidung
des Bundesamtes durch das Verwaltungsgericht (§ 36 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG)
rechtfertigt die in § 37 Abs. 2 AsylVfG angeordnete Änderung der Frist. Im übrigen
verbleibt es dabei, daß sich die zutreffende Frist nach § 38 AsylVfG bestimmt.
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Vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 17. März 2006 - 13 K 4399/05.A - unter Bezugnahme auf
BVerwG, Urteil vom 3. April 2001 - 9 C 22.00 -, BVerwGE 114, 122.
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2. Die Klage ist zum Teil auch begründet. Die mit der Klage allein angegriffene Ziffer 3
des Bescheides ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, soweit sie
ihm eine Ausreisefrist von einer Woche nach Bekanntgabe setzt, § 113 Abs. 1 Satz 1
VwGO. Zutreffend hätte die Frist einen Monat nach dem unanfechtbaren Abschluß des
Asylverfahrens betragen. Im übrigen ist Ziffer 3 rechtmäßig.
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2.1. Das Bundesamt hat zu Recht ein Asylverfahren für den Kläger durchgeführt. Die
Voraussetzungen des § 14a Abs. 2 AsylVfG waren gegeben. Der Kläger wurde im
Bundesgebiet geboren; die Eltern hielten sich nach Abschluß ihrer Asylverfahren ohne
Aufenthaltstitel im Bundesgebiet auf; dies wurde dem Bundesamt mit Schreiben der
Ausländerbehörde vom 7. November 2006 angezeigt. Damit galt der Asylantrag für den
Kläger als gestellt (§ 14a Abs. 2 Satz 3 AsylVfG). Ohne Belang ist es, daß die Geburt
des Klägers zeitlich vor dem Inkrafttreten des § 14a AsylVfG zum 1. Januar 2005 lag.
Auch auf solche „Altfälle" ist die Vorschrift nach ihrer Entstehungsgeschichte und vor
allem nach ihrem Sinn und Zweck anwendbar,
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vgl. BVerwG, Urteil vom 21. November 2006 - 1 C 10.06 -.
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2.2. Mit der Einstellung des Verfahrens als der hier gegebenen Entscheidung über den
Asylantrag (§ 32 AsylVfG) hatte das Bundesamt die Abschiebungsandrohung zu
erlassen, § 34 Abs. 1 und 2 AsylVfG. Die Abschiebung war schriftlich unter Bestimmung
einer Ausreisefrist anzudrohen, § 59 Abs. 1 AufenthG.
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2.3. Das Bundesamt hat jedoch die Ausreisefrist zu Unrecht auf eine Woche nach
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Bekanntgabe des Bescheides bestimmt. Bezugspunkt der Frist war richtigerweise nicht
der Zeitpunkt der Bekanntgabe des Bescheides, sondern der des unanfechtbaren
Abschlusses des Asylverfahrens; denn die Klage gegen den Bescheid hat
aufschiebende Wirkung (Beschluß des Gerichts vom 15. Januar 2007 - 4 L 32/07.A -).
Zudem beträgt die Frist nach dem Gesetz einen Monat. Beides ergibt sich aus § 38 Abs.
1 AsylVfG (für die aufschiebende Wirkung i.V.m. § 75 AsylVfG). Die hier gegebene
Fallkonstellation des Verzichts nach § 14a Abs. 3 AsylVfG gehört zu den „sonstigen
Fällen" im Sinne der Vorschrift, in denen das Bundesamt den Ausländer nicht als
Asylberechtigten anerkennt. Vorrangige andere Bestimmungen sind nicht einschlägig.
Insbesondere liegt kein Fall der Rücknahme des Asylantrages nach § 38 Abs. 2
AsylVfG vor. Da das Gesetz bewußt zwischen Verzicht und Rücknahme unterscheidet,
ist es ausgeschlossen, den Verzicht so zu behandeln wie die Rücknahme des
Asylantrages. § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG und § 38 Abs. 2 AsylVfG gelten in diesen
Fällen nicht.
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 11. August 2006 - 1 A 1437/06.A -; VG Düsseldorf, Beschluß
vom 21. Dezember 2005 - 1 L 2219/05.A -; Urteile vom 24. Januar 2006 - 1 K 5138/05.A
- und vom 17. März 2006 - 13 K 4399/05.A - (m.w.Nachw. auch zur Gegenauffassung).
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3. Einer erneuten Entscheidung des Bundesamtes über die Ausreisefrist bedarf es nicht.
Das Gericht hat die zutreffende Frist durch die im Tenor ausgesprochene Maßgabe
angegeben. Dies war möglich, da sich die Frist zwingend aus dem Gesetz ergibt und
ein Anwendungsspielraum der Beklagten nicht besteht. Mit dieser Fassung des Tenors
wird dem Rechtsgedanken des § 37 Abs. 2 AsylVfG Rechnung getragen. Das
Bundesamt soll nicht erneut mit dem Asylantrag befaßt werden, wenn es lediglich darum
geht, die Ausreisefrist neu zu bestimmen, nachdem diese durch eine stattgebende
Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes
hinfällig geworden ist.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylVfG. Die
Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708
Nr. 11, 711 ZPO.
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